23.12.2024: Ich bin Karim Franceschi, ein italienisch-berberischer Freiwilliger, der in Kobanê an der Seite der YPG gegen den IS gekämpft hat. Jetzt will die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock, dass die kurdischen Volksverteidigungskräfte YPG und Frauenverteidigungseinheiten YPJ entwaffnet werden.
"Deutschland und die Türkei sind sich einig, dass die kurdischen Rebellen im Norden Syriens entwaffnet und in die internen Sicherheitsstrukturen des Landes eingebettet werden sollen. Das ist das Ergebnis von Beratungen von Bundesaußenministerin Annalena Baerbock mit dem türkischen Ressortchef Hakan Fidan am Freitag in Ankara."
Süddeutsche Zeitung, 20.12.2024
Karim Franceschi, ein italienischer Internationalist, der an der Seite der Volksverteidigungskräfte YPG und der Frauenverteidigungseinheiten YPJ gegen den IS gekämpft hat, verurteilt die Forderung nach Entwaffnung der syrisch-kurdischen Verteidigungskräfte. (Zur Person hier)
Karim Franceschi: Die Forderung nach Entwaffnung der YPJ bedeutet, die Kurden ihren potenziellen Henkern auszuliefern
Ich bin Karim Franceschi, ein italienisch-berberischer Freiwilliger, der in Kobanê an der Seite der YPG gekämpft hat. Jetzt will die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock, dass die kurdische Frauen-Einheit (YPJ) unter den neuen islamistischen Herrschern von Damaskus – HTS, einem Ableger von al-Qaida – entwaffnet wird.
Unterdessen fordert Präsident Erdogan die "Vernichtung" aller "Terroristen" in Syrien – und wirft IS und die YPJ in einen Topf. Das ist ein grausamer Witz, denn dieselbe YPJ hat den Würgegriff des IS gebrochen. Baerbocks Aufruf zur Entwaffnung würde diesen Horror wieder ermöglichen.
Ich war dort. Am Ende der Welt – Mauern stürzten ein, überall Staub und Rauch, wo selbst das Atmen sich wie ein Akt der Rebellion angefühlt hat. Eine YPJ-Kämpferin, die jünger war als ich, zeigte mir, wie man mit einer Kalaschnikow umgeht. Sie tat es, als wäre es keine große Sache, als würde sie sagen: "So überlebt man." Und dann – stellen Sie sich das vor – lächelte sie. Kein grimmiges, sondern ein echtes warmes, menschliches Lächeln. Granatwerfer krachten, hämmerten und bebten, aber sie lächelte, als gäbe es keinen anderen Ort, an dem sie lieber wäre.
Ein paar Tage später wurde ich an der Frontlinie in den verwüsteten Straßen Zeuge der Tapferkeit der YPJ. Sie waren furchtlos. Sie gaben nicht nach, selbst als der IS seine besten Kämpfer schickte - was, das kann ich Ihnen sagen, nicht nichts war. Sie gaben kein Fußbreit nach.
Und hier ist die Sache: Sie kämpften nicht aus Hass. Man könnte meinen, dass sie es tun würden, oder? Aber nein. Es war Liebe – Liebe für das Leben, für die Freiheit, für etwas Größeres als sie selbst. Wenn man das sieht, denkt man: "Vielleicht gibt es doch noch Hoffnung für die Welt."
Nur die Türkei bezeichnet die YPJ als "terroristische Organisation", angetrieben von einer jahrzehntelangen Politik der Unterdrückung der kurdischen Identität, die als Bedrohung für ihre territoriale Integrität angesehen wird – wobei ignoriert wird, dass die YPJ Gemeinschaften in Nordsyrien verteidigt und nie in der Türkei präsent war.
Diese Frauen sind der Grund dafür, dass ganze jesidische Gemeinschaften dem Völkermord entkommen sind. Sie haben Raqqa befreit. Sie haben Dörfer vom IS zurückerobert, an die sich sonst niemand herantraute. Ihnen zu sagen: "Legt eure Waffen nieder, vertraut HTS oder Erdogan", kommt praktisch einem Todesurteil gleich.
Ein Sprecher von HTS bezeichnete Frauen gerade als "biologisch unfähig", eine Führungsrolle zu übernehmen. Jolani's gut sitzender, maßgeschneiderter Anzug löst schon nach kurzer Zeit an einigen Stellen auf und gibt den Blick auf die fundamentalistische Vision von HTS für Syrien frei. Und diesem Mann vertraut Annalena Baerbock, um kurdische Frauen zu "beschützen"?
Erdogan nennt die YPJ in einem Atemzug mit ISIS und prahlt damit, dass es "Zeit ist, die Terroristen auszulöschen". Wenn das kein offener Aufruf zum Völkermord ist, dann weiß ich auch nicht. Die Forderung nach Entwaffnung der YPJ bedeutet, sie ihren potenziellen Henkern auszuliefern.
Als ich mit der YPJ trainierte, hatten sie kaum Ressourcen. Dennoch kämpften sie jeden Tag für die Freiheit aller – Kurden, Araber, Turkmenen, Christen, Jesiden. Ihr Feminismus war kein Slogan: Sie retteten versklavte Frauen vor dem IS und bildeten Räte, die sie stärken.
Eine "feministische Außenpolitik", die diese Frauen mit dschihadistischen Schlächtern in einen Topf wirft, ist reine Heuchelei. Deutschland sollte Erdogans Vernichtungsaufrufe und den in HTS umbenannte al-Qaida verurteilen, anstatt die YPJ zu drängen, die Waffen niederzulegen, die unzählige Leben gerettet haben.
Ich habe gesehen, wie die YPJ das einzige Bollwerk gegen Massenentführungen, Enthauptungen und Vergewaltigungen bildete. Der Syrische Frauenrat warnt täglich vor diesen Schrecken, insbesondere in den von der Türkei besetzten Gebieten. Die Entwaffnung der YPJ ist eine offene Einladung zu weiteren Kriegsverbrechen.
Wenn Baerbock die Rechte der Frauen am Herzen lägen, würde sie die YPJ unterstützen und Erdogans völkermörderische Rhetorik verurteilen. Stattdessen fordert sie die YPJ auf, sich zu entwaffnen und sich HTS zu ergeben, während sie gegen die von der Türkei unterstützten Söldner kämpfen, die gerade in Kobanê einfallen. Sie sollte zurücktreten.
P.S.:
Ich habe diesen Thread mit meinem Bild auf dem Cover von Vanity Fair Italien begonnen. Ich hatte mein Handy nicht in Kobanê dabei, und nach einem Monat Kampf – in dem ich jeden Tag nicht wusste, ob ich den nächsten erleben würde – traf ich einen italienischen Journalisten, der dieses Bild gegen ein internationales Telefongespräch eintauschte. Die Welt interessierte sich für die Revolution der Frauen, als wir uns dort dem IS widersetzten. Jetzt hat die Welt es vergessen – oder schlimmer noch, sie macht sich mitschuldig –, da ein NATO-Land zum Aggressor wird. Aber ich kann nicht vergessen. Ich verdanke diesen Frauen mein Leben. Das Mindeste, was wir tun können, ist, für ihr Leben zu kämpfen.
übernommen von https://x.com/karimfranceschi
eigene Übersetzung
Fotos von https://x.com/karimfranceschi/status/1870725953183502708 übernommen
Karim Franceschi: Der Kämpfer. Geschichte des Italieners, der Kobanê vor dem IS verteidigte
Karim Marcello Franceschi ist ein italienischer Aktivist, Schriftsteller und ehemaliger Militär. Er ist vor allem als Autor der Bücher "Il combattente", (Der Kämpfer) und "Non morirò stanotte" (Ich werde heute Nacht nicht sterben) bekannt. Er kämpfte 2015 während der Belagerung von Kobanê durch den IS in den Reihen der Volksschutzeinheiten (YPG) und 2017 als Kommandeur in der Schlacht von Raqqa.
Karim Franceschi wurde 1989 in Casablanca als Sohn eines ehemaligen toskanischen Partisanen und einer marokkanischen Mutter geboren. Im Alter von neun Jahren zog er mit seiner Familie aufgrund der gesundheitlichen Probleme seines Vaters nach Italien und ließ sich in Senigallia nieder. Dort schloss er sein Studium ab und entwickelte sein eigenes individuelles Gewissen und ein kommunistisches politisches.
Im Jahr 2014 nahm er an einer humanitären Initiative teil, die ihm das Drama der kurdischen Bevölkerung, die den Truppen des IS in Kobanê (Syrien) unterworfen war, aus erster Hand vor Augen führte.
Diese Erfahrung prägte ihn so sehr, dass er beschloss, sich als Internationalist am Kampf um die Verteidigung dieser Stadt an der Seite der Volksschutzeinheiten YPG/YPJ zu beteiligen. Er überquerte nachts heimlich die türkische Grenze, erreichte die Stadt Kobanê und nahm nach einer sehr kurzen und rudimentären Ausbildung etwa drei Monate lang an den gewaltigen Befreiungskämpfen der Stadt und bei der Verfolgung der sich zurückziehenden IS-Truppen bis zum Euphrat teil.
Nach seiner Rückkehr nach Italien veröffentlichte er das Buch "Il combattente" (Der Kämpfer).
Doch in Italien zu bleiben, war keine Option: Die Gesichter seiner gefallenen Kameraden sind ein Geist, der ihn nie verlässt, genau wie das Ideal des kurdischen Volkes von Freiheit und Demokratie, das ihn dazu veranlasste, nach wenigen Monaten ein weiteres Mal an die Front zu gehen.
Mit der militärischen Erfahrung eines Mannes, der in Kobanê an der Front war, kehrt er nach Syrien zurück, um als Heval Mercello an der Seite der YPG (Volksschutzeinheiten) zu kämpfen, diesmal mit dem Ziel, sein eigenes Bataillon, seinen eigenen Tabur, zu bilden, der aus internationalistischen Kameraden aus den verschiedensten westlichen Ländern bestand, mit denen er die gleichen Prinzipien der Freiheit teilen und Raqqa, die Hauptstadt des Islamischen Staates, niederringen konnte. Franceschi wurde beim Kampf um die Befreiung von Raqqa verwundet.
Diese Erfahrung hat er in seinem zweiten Buch "Non morirò stanotte" ("Ich werde heute Nacht nicht sterben") verarbeitet, das 2018 veröffentlicht wurde.
Auf seiner Seite auf dem Nachrichtenportal X schrieb er am 6.12.2024: "Ich habe ein halbes Jahrzehnt in Syrien gekämpft – als SDF-Soldat. In dieser Zeit habe ich den Krieg studiert, Schlachtpläne entworfen und den Feind kennengelernt. Als die HTS das erstes Dorf eroberte, sah ich, was nur wenige andere kommen sahen."