Der Kommentar

EU Josep Borrell GardenerOder: Der Gärtner ist der Mörder  

24.10.2022: Die jüngsten rassistischen Äußerungen von Josep Borrell, Chef der Außenpolitik der Europäischen Union, über den Garten Europa und den Dschungel im Rest der Welt, sind nichts anderes als ein Nebelvorhang, um den Kolonialismus Europas in Lateinamerika, Asien und Afrika zu vertuschen und die neokolonialistische Politik der EU zu rechtfertigen.

Ein Kommentar von Leo Mayer

Die EU solle die Sprache der Macht lernen - einen "appetite for power" entwickeln -, so Josep Borrell bereits bei seiner Anhörung im Europäischen Parlament als Hoher Vertreter der EU für Außen- und Sicherheitspolitik und Vizepräsident der Kommission im Oktober 2019.  

Jetzt erklärte der Chef der Außenpolitik der Europäischen Union, Josep Borrell, in Anlehnung an das Gedicht "The White Man’s Burden" ("Die Bürde des Weißen Mannes") von Rudyard Kipling (1899), in dem Kipling die USA auffordert, die "Last" des Imperiums auf sich zu nehmen, vor angehenden Diplomat:innen an der European Diplomatic Academy im belgischen Brügge: "Europa ist ein Garten. Wir haben einen Garten gebaut. … Der größte Teil der übrigen Welt ist ein Dschungel, und der Dschungel könnte in den Garten eindringen. … Die Gärtner müssen in den Dschungel gehen. Die Europäer müssen sich viel stärker für den Rest der Welt engagieren. Andernfalls wird der Rest der Welt auf verschiedene Weise und mit verschiedenen Mitteln bei uns einfallen.  … Die Welt braucht Europa. … Hütet den Garten, seid gute Gärtner. Aber eure Aufgabe wird es nicht sein, den Garten selbst zu pflegen, sondern den Dschungel draußen."[1]

  EU Josep Borrell Gardener  
  https://twitter.com/NoColdWar/status/1581307783441313793  

 

Das Sinnbild vom Dschungel hat sich Borrell wahrscheinlich von dem bekannten US-amerikanischen Neokonservativen Robert Kagan entliehen. Dieser hatte sie in seinem Buch "The Jungle Grows Back: America and Our Imperiled World" ("Der Dschungel wächst wieder: Amerika und unsere bedrohte Welt") benutzt, um die weltweite Dominanz der USA und das Einmischen in die inneren Angelegenheiten anderer Länder zu begründen.

Zivilisation gegen "Barbarei

Im 19. und in weiten Teilen des 20. Jahrhunderts war die Lieblingsmetapher der europäischen Kolonialrassisten gegenüber dem Rest der Welt, dass Europa die "Zivilisation" repräsentiere, während der Rest der Welt "Wildheit" und "Barbarei" darstelle. Die indigenen Völker Amerikas und Afrikas wurden als "Wilde" bezeichnet. Jeglicher Widerstand gegen die kolonialen Völkermorde Europas wurde damals oder später als Barbarei bezeichnet, wie beispielsweise die Franzosen den Widerstand der versklavten Afrikaner in Saint Domingue bezeichneten, oder den der algerischen Bevölkerung, der Kanak in Neukaledonien, oder die Deutschen die Herero, die Opfer des deutschen Vernichtungskrieges im heutigen Namibia wurden.

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  African Archives lecture human rights  

 

Borrell knüpft mit seiner imperialistischen und rassistischen Metapher an Europas liberale Koryphäen wie John Stuart Mill an, die argumentierten, dass "Nationen, die noch immer barbarisch sind, die Epoche noch nicht hinter sich gelassen, während der es wahrscheinlich von Vorteil für sie ist, dass sie von Ausländern erobert und in Abhängigkeit gehalten werden. … Barbaren haben keine Rechte als Nation."[2]

Borrell bedient sich der malthusianischen Sprache der Bevölkerungskontrolle, wenn er seine Besorgnis darüber zum Ausdruck bringt, dass "der Dschungel eine starke Wachstumskapazität hat und die Mauer nie hoch genug sein wird, um den Garten zu schützen". Wie Erdoğan oder die israelischen Kolonialisten nicht schlafen können, weil sie die Sorge umtreibt, wie viele kurdische bzw. palästinensische Kinder jede Nacht gezeugt oder geboren werden, gilt Borrells größte Sorge den Bewohnern des Dschungels mit ihrer "starken Wachstumsrate", die in den Garten eindringen.

Die Ausblendung des Kolonialismus

Was an Borrells Rede am meisten fassungslos macht, ist nicht nur die Ignoranz gegenüber Kolonialismus und Neokolonialismus, sondern dass er meint, sie beträfen nur den "Dschungel", nicht aber den "Garten".

"Es gibt einen großen Unterschied zwischen Europa und dem Rest der Welt - nun ja, dem Rest der Welt, verstehen Sie, was ich meine, oder? - ist, dass wir starke Institutionen haben", sagt Borell.

Er blendet vollständig aus, dass es Europas eigene koloniale und neokoloniale Institutionen sind, die es ermöglicht haben, den europäischen "Garten" zu bauen - mit der Arbeitskraft von Einwanderer:innen aus dem "Rest der Welt" und mit dem gestohlenen Reichtum des "Rests der Welt".

Dies gilt für sein eigenes Land, Spanien, das auf den Ruinen Amerikas und dem Völkermord an den amerikanischen Ureinwohnern aufgebaut wurde, ebenso für Großbritannien, dessen Piraten einen beträchtlichen Teil des Goldes und Silbers, das die Spanier aus Amerika gestohlen hatten, stahlen und nach England brachten.

Es sind Kolonialismus und Sklaverei, die den europäischen "Garten" - von Portugal über Frankreich bis hin zu Belgien und den Niederlanden - geschaffen haben, und nicht der Einfallsreichtum oder der gute Wille der Europäer. Borrells Sorge um einen möglichen neuen europäischen Neokolonialismus ist nichts anderes als ein Vorwand, um Europas anhaltenden und tatsächlichen Neokolonialismus in Asien und Afrika zu vertuschen.

Keine Zivilisation wie die europäische ist über ihre Grenzen hinausgegangen, um den Rest der Welt zu unterjochen, keine hat sich auf diese Weise auf Kosten anderer ausgebreitet, hat geschwindelt, geraubt, diktiert (mit einer militärischen Vormachtstellung, die in jahrhundertelangen Kämpfen geschmiedet wurde). Sie bekämpften sich über Jahrhunderte hinweg bis hin zu zwei Weltkriegen - welche Friedensperioden gibt es in der europäischen Geschichte, die mehr als eine Generation umfassen? Von Imperium zu Imperium - nach den Spaniern, den Holländern, den Engländern und den Franzosen - bis zu dem des großen amerikanischen Bruders, europäisch im Blut, ein Imperialismus, der auf dem Kolonialismus beruht.

  Sie mussten nur ein paar Indianer töten  
   
 

"Warum haben die USA einen höheren Stand der politischen Integration? Erstens , weil sie alle die selbe Sprache sprechen. Und zweitens, weil sie eine sehr kurze Geschichte haben. Sie entstanden praktisch ohne Geschichte. Das Einzige, was sie tun mussten, war, ein paar Indianer zu töten. Aber abgesehen davon, war es sehr leicht."

Josep Borrell

 

 

Was Borrell nicht zu begreifen scheint, ist, dass Europa die Ressourcen der Welt in Lateinamerika, Asien und Afrika gestohlen hat und weiterhin stiehlt, um sie in Europa zu behalten und damit den Bewohner:innen dieser Kontinente das Leben unmöglich macht. Mit Handelsverträgen werden Länder des globalen Südens in Abhängigkeit gehalten. Mehr als 40 Länder sind völlig überschuldet. Trotzdem sind sie gezwungen, zur Abfederung des Katastrophengeschehens und teurer Energieimporte immer neue Kredite aufzunehmen, verbunden mit strengen Auflagen zur Exportförderung und Kürzung der sowieso unzureichenden sozialen Leistungen.

Die tödlichen Folgen diese Kolonialismus erleben wir gerade in Pakistan. Ein Drittel des Landes, das unter den bevölkerungsreichsten Ländern der Welt auf Platz fünf liegt, steht unter Wasser. Rund 50 Millionen Menschen, heißt es, haben ihr Heim und ihre Ernten verloren, auch die Ernte mindestens des nächsten Jahres. Pakistan gehört zu den Ländern, die am meisten von der Klimakatastrophe betroffen sind, obwohl es trotz seiner 220 Millionen Menschen nur zu kaum einem Prozent der globalen Treibhausgasemissionen beigetragen hat.[3]

Für den Sozialdemokraten Borrrell, für die Europäische Union und die Massenmedien ist das kein Thema. Die Katastrophe wird von den Verursachern im globalen Norden ignoriert. Dabei markiert die Flut in Pakistan "einen weiteren Schritt in Richtung einer Teilung der Welt, in der unbewohnbare Zonen entstehen, die von den reichen Inseln des Wohlstands nicht nur ausgeschlossen, sondern geradezu abgespalten werden. Im Jahr 2050 könnte einer Studie zufolge der Lebensraum von mehr als einer Milliarde Menschen auf der Welt bedroht sein", schreibt Anne Jung von medico international.[4]

Die Lateinamerikaner:innen, die Asiat:innen und Afrikaner:innen, die nach Europa kommen und in der Lage sind, über die hohen Mauern zu springen, folgen ihrem gestohlenen Reichtum, um leben zu können, und sie flüchten vor den Katastrophen, die Imperialismus und Kolonialismus in ihrer Heimat produzieren. Im Gegensatz zu Borrell sind sie nicht in die angebliche "Freiheit" und "Demokratie" Europas verliebt, die ihnen innerhalb und außerhalb Europas viel Leid gebracht haben und immer noch bringen.

Der zunehmend institutionalisierte Rassismus gegen die nicht-weiße Bevölkerung Europas, sei es in Spanien und Deutschland, Italien und Frankreich, Großbritannien und den Niederlanden, um nur die bekanntesten Beispiele zu nennen, reicht offensichtlich nicht aus, um Borrell von seiner fiktiven Version Europas abzubringen.

Borrells abschließender Appell an die jungen Europäer:innen: "Hütet den Garten, seid gute Gärtner. Aber eure Aufgabe wird es nicht sein, den Garten selbst zu pflegen, sondern den Dschungel draußen", ist in der Tat nichts anderes als eine weitere Anweisung an sie, bessere Rassist:innen und Kolonialist:innen zu sein. Diese Aufforderung ist nicht neu.

Doch die Welt läuft nicht immer so, wie es die Europäer:innen wollen, und nach fünfhundert Jahren zerfällt das Reich. Asien schaut woanders hin, Lateinamerika bebt vor sozialen Unruhen, Afrika wird regelrecht ausgehungert. Viele schauen fragend nach Europa, und wenden sich ab.

  EU Josep Borrell Marc Botenga  
  https://twitter.com/BotengaM/status/1582290228223815680  


Unterstützen Sie die Petition
"Wir fordern den Rücktritt des EU-Außenbeauftragten Josep Borrell wegen seiner rassistischen Äußerungen über nichteuropäische Länder."

https://i.diem25.org/petitions/85

 

 

Anmerkungen

[1] European Diplomatic Academy, 13.10.2022: Opening remarks by High Representative Josep Borrell at the inauguration of the pilot programme
https://www.eeas.europa.eu/eeas/european-diplomatic-academy-opening-remarks-high-representative-josep-borrell-inauguration_en

[2] John Stuart Mill: Ausgewählte Werke, S. 233
https://www.wachholtz-verlag.de/out/media/9715-7_JS_Mill_Bd_5_211124.pdf

[3] kommunisten.de, 21.9.2022: Pakistan: Katastrophe in der Katastrophe
https://kommunisten.de/rubriken/analysen/8636-pakistan-katastrophe-in-der-katastrophe

[4] medico international, Anne Jung: Politik der Verweigerung
https://www.medico.de/blog/politik-der-verweigerung-18786

 

 

Wir sprechen über Palästina

Gazakrieg Grafik Totoe 2024 04 07

mit Rihm Miriam Hamdan von "Palästina spricht"

Wir unterhalten uns über den israelischen Vernichtungskrieg, die Rolle Deutschlands (am 8. und 9. April findet beim Internationalen Gerichtshof in Den Haag die Anhörung über die Klage Nicaraguas gegen Deutschland wegen Beihilfe zum Völkermord statt), die Situation in Gaza und dem Westjordanland und den "Tag danach".

Onlineveranstaltung der marxistischen linken
Donnerstag, 18. April, 19 Uhr

https://us02web.zoom.us/j/82064720080
Meeting-ID: 820 6472 0080


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Logo Ratschlag marxistische Politik

Ratschlag marxistische Politik:

Gewerkschaften zwischen Integration und Klassenkampf

Samstag, 20. April 2024, 11:00 Uhr bis 16:30 Uhr
in Frankfurt am Main

Es referieren:
Nicole Mayer-Ahuja, Professorin für Soziologie, Uni Göttingen
Frank Deppe, emer. Professor für Politikwissenschaft, Marburg

Zu diesem Ratschlag laden ein:
Bettina Jürgensen, Frank Deppe, Heinz Bierbaum, Heinz Stehr, Ingar Solty

Anmeldung aufgrund begrenzter Raumkapazität bis spätestens 13.04.24 erforderlich unter:
marxlink-muc@t-online.de


 

Farkha2023 21 Buehnentranspi

Farkha-Festival 2024 abgesagt.
Wegen Völkermord in Gaza und Staatsterror und Siedlergewalt im Westjordanland.
hier geht es weiter zum Text


 

 

UNRWA Gazakrieg Essenausgabe

UNRWA Nothilfeaufruf für Gaza
Vereint in Menschlichkeit, vereint in Aktion

Mehr als 2 Millionen Menschen, darunter 1,7 Millionen Palästina-Flüchtlinge, zahlen den verheerenden Preis für die Eskalation im Gazastreifen.
Zivilisten sterben, während die Welt zusieht. Die Luftangriffe gehen weiter. Familien werden massenweise vertrieben. Lebensrettende Hilfsgüter gehen zur Neige. Der Zugang für humanitäre Hilfe wird nach wie vor verweigert.
Unter diesen Umständen sind Hunderttausende von Vertriebenen in UNRWA-Schulen untergebracht. Tausende unserer humanitären Helfer sind vor Ort, um Hilfe zu leisten, aber Nahrungsmittel, Wasser und andere lebenswichtige Güter werden bald aufgebraucht sein.
Das UNRWA fordert den sofortigen Zugang zu humanitärer Hilfe und die Bereitstellung von Nahrungsmitteln und anderen Hilfsgütern für bedürftige Palästina-Flüchtlinge.
Dies ist ein Moment, der zum Handeln auffordert. Lassen Sie uns gemeinsam für die Menschlichkeit eintreten und denjenigen, die es am meisten brauchen, die dringend benötigte Hilfe bringen.

Hilfswerk der Vereinten Nationen für Palästina-Flüchtlinge

Spenden: https://donate.unrwa.org/gaza/~my-donation


 

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