Von Georgina Alfonso Gonzalez, Direktorin des Kubanischen Instituts für Philosophie, Havanna |
Dr. Francisco Durán, Direktor für Hygiene und Epidemiologie im kubanischen Gesundheitsministerium, gibt täglich eine Pressekonferenz zu COVID 19. Vor einigen Tagen wurde er nach der prozentualen Verteilung der Todesfälle nach Geschlecht gefragt. Die Frage schien unpassend - wie es diese Fragen oft sind. Aber der Arzt antwortete, indem er bekräftigte, was normalerweise immer der Fall ist: Wenn es um Fragen der Sorge und Selbstvorsorge geht, sind Männer die Verlierer. Warum?
Weil die Sorge um das Leben im Wesentlichen keine Männersache ist. Obwohl die Tradition des humanistischen Denkens die Fürsorge für das Leben als universellen Wert verteidigt, erzwingt die zynisch patriarchalische ökonomische Rationalität der Profitmaximierung, die die Sorgearbeit unsichtbar macht und moralisch ein traditionelles Familienmodell verlangt, die Frauen dazu, ohne wirtschaftliche Anerkennung für sie zu sorgen. Der Machismo gibt nur Frauen "ihrem Wesen nach" die Fähigkeit zur Selbstlosigkeit, zum Opfer und zur Aufopferung für die Fürsorge anderer. Da Frauen im Wesentlichen Fürsorgepersonen sind, sind sie verpflichtet, für sich selbst zu sorgen.
Die Analyse der Sorgearbeit ist in jeder Gesellschaft vor allem mit wirtschaftlichen Interessen verbunden, weshalb die Suche nach Lösungen für die Probleme der Pflege nicht dem Widerspruch entkommt, der zwischen der Marktwirtschaft und der Ökonomie der Nachhaltigkeit des menschlichen und natürlichen Lebens besteht.
Die Pandemie COVID 19 ist Ausdruck der globalen Krise, die menschliches Leben in Gefahr bringt. Sie ist die Antwort auf ein patriarchales Modell der wirtschaftlichen, historischen und kulturellen Entwicklung, dem auch die fortschrittlichsten sozialen Erfahrungen nicht entkommen konnten. Sorge und Pflege sind zwischen dem Leben und dem Markt, zwischen zu Hause bleiben und dem rausgehen zum Einkaufen.
Die Trennung der Bereiche, die das menschliche Leben nachhaltig machen, und das falsche Verständnis von der Autonomie der wirtschaftlichen und sozialen Welt, in der für Frauen und Männer ausgeprägte Unterschiede bestehen, erlauben keine in sich geschlossenen und integralen Maßnahmen und Lösungen, die kürzere Zeiten für die Planung, Organisation und Umsetzung der wirksamsten Lösungen zur Verhinderung der Ausbreitung der Pandemie ermöglichen würden.
Georgina Alfonso Gonzalez Foto: Leo Mayer |
Sorgearbeit wird durch ein breites Spektrum subjektiver Handlungen entwickelt, die unter anderem durch Geschlecht, Rasse, soziale Klasse und Traditionen vermittelt werden. Sorge hat verschiedene Bedeutungen im Zusammenhang mit Zuneigungen, Emotionen, Gefühlen, die für die menschliche Entwicklung absolut notwendig sind, jedoch werden diese Subjektivitäten in dem Maße verborgen, wie die Sorgearbeit unterschätzt und zur Ware gemacht wird. Wenn wir danach streben, anders zu leben, müssen wir lernen wollen, auf andere Weise für uns selbst zu sorgen.
Die kubanischen Frauen haben sich in das öffentliche und soziale Leben integriert, ohne aufzuhören, Sorgearbeit zu leisten, was eine Überlastung mit Arbeit und ständige Bewegung zwischen verschiedenen Beziehungsräumen bedeutet. Es ist ein immerwährendes Kommen und Gehen zwischen bezahlter und unbezahlter Arbeit. Dies hat uns gezwungen, untereinander Unterstützungsnetzwerke für die Pflege aufzubauen (Mütter-Töchter-Großmütter; Schwiegertöchter-Schwiegertöchter; Freunde-Nachbarinnen; Schulmütter, ...), die in den verschiedenen Bereichen tätig sind, während sie Pflegetätigkeiten ausüben, die für die Fortsetzung des täglichen Lebens notwendig sind.
Die Sorgearbeit gehört zur "Zeit der Frauen", zu den unsichtbaren Aufgaben, die aber Wissen, Geduld, Liebe und Energie erfordern. Zeit, die viel ungreifbarere Aspekte einschließt, die durch Subjektivität repräsentiert und in der gelebten Erfahrung realisiert wird.
Die Überlastung durch Haus- und Pflegearbeit, die Gewalt, die Belästigung, die Unterschätzung und die Geringschätzung von Frauen wird durch die Auswirkungen der Pandemie noch verschärft. All dies erfordert einen umfassenden und differenzierten Ansatz zur gemeinschaftlichen Prävention von Infektionen.
Zu den Versuchen, die integrierte Arbeit in den Gemeinschaften zu fördern, gehören Initiativen wie
- Die Einbeziehung einer Person aus der Gemeinde mit Autorität und Informationen über den Gesundheitszustand der Nachbarschaft in die Untersuchungen des Gesundheitspersonals.
- Die Verstärkung der Zusammenarbeit mit Psycholog*innen und Soziolog*innen der Gemeinschaft, die den physischen und psychischen Zustand der Menschen und der Gemeinschaft beobachten.
- Differenziertes Monitoring von Familien und der verschiedenen Altersgruppen.
- Einrichtung von Gemeindetelefonen zur emotionalen Unterstützung.
- Die Einbeziehung von Nachbarschaftsvereinigungen (religiöse, Jugend-, Logen-, Zirkel von Großeltern, Gemeinschaftsprojekte, Volkserzieher*innen, Zeichner*innen), um die Zeit von Kindern und älteren Erwachsenen in den Wohnungen zu gestalten.
- Förderung von Initiativen zur Förderung des Selbstwertgefühls in der Gemeinde (z.B. Ausschmücken von Balkonen, Türen und Fenstern; Ausarbeitung von Dankesbotschaften, Ermutigung von Kranken; Nutzung von Nachbarschaftstelefonen zur Unterstützung, Bildung von Nachbarschafts-FB-Gruppen, Whatsapp-Gruppen).
- Achtsamkeit auf Fälle von Gewalt und Konflikten, die auftreten oder eskalieren. (insbesondere gegen Frauen und Mädchen).
- Die Einbeziehung privater gemeinnütziger Organisationen zur Unterstützung der Lebensmittelversorgung, des Transports und des Zugangs zu Medikamenten für Menschen in Not.
- Die kreative und kollektive Nutzung der Informations- und Kommunikationstechnologien.
Die vielfältigen Verbindungen, die zwischen Staat, Familie, Gemeinschaft und Unternehmen bestehen, um den Covid-19 zu begegnen, bekräftigen die Bedeutung der Stärkung von Netzwerken der Arbeit für die Nachhaltigkeit der Lebensweise, für den Aufbau von Solidarökonomien, für kollektive Prozesse der Selbstorganisation, für Initiativen, die die Autonomie des kollektiven Lebens angesichts des Egoismus erhöhen können.
Sich zu fragen, wie die Verantwortung für die Pflege in den Familien oder in der Gemeinschaft verteilt ist, hängt eng mit der Frage zusammen, wie wir leben. In Zeiten von Pandemien werden familiäre oder soziale Betreuungsnetze zur materiellen und geistigen Stütze des Lebens und fördern kreative Initiativen zur Lösung von Fragen und Problemen des menschlichen Zusammenlebens. Es gibt viele Initiativen, die von kubanischen Frauen gefördert werden, um eine Kultur der Vorsorge vor COVID 19 zu fördern und die kollektive Mitverantwortung für das Leben zu erhöhen, indem das Potenzial der verschiedenen Akteur*innen differenziert und artikuliert wird.
Die kubanischen Frauen sind diejenigen, die am meisten gefährdet und bisher am meisten infiziert sind, und wir sind es insbesondere in der häuslichen, gesundheitlichen, kommunalen, wissenschaftlichen und sozialen Arbeit. Die Tatsache, dass wir weniger Tote zu beklagen haben, bedeutet nicht, dass wir aufhören, uns um uns selbst zu kümmern und das Recht auf Pflege einzufordern.