Kommentar von Bettina Jürgensen, marxistische linke
24.10.2015: Wir erinnern uns an die jüngere Geschichte, als das Grundrecht auf Asyl 1993 per Gesetz in diesem Land beendet wurde. Im davor stattfindenden Bundestagswahlkampf 1990 wird mit Begriffen wie "Asylmissbrauch" und "Scheinasylanten" auf Stimmenfang gegangen. Ab 1992/93 nimmt rassistische Gewalt dermaßen zu, dass bei den Brandanschlägen und Pogromen von Rostock-Lichtenhagen, Hoyerswerda, Mölln und Solingen Menschen ermordet wurden. Den Widerstand gegen diese barbarische, unmenschliche Gewalt, die Unterstützung der Flüchtlinge und Migrant*innen gab es auch – er wurde jedoch teilweise nicht öffentlich gemacht und auch kriminalisiert. Und doch waren die Politiker*innen "aufgeschreckt", verurteilten die Taten der Rassisten. Mit der Änderung des Gesetzes 1993 gaben sie Nazis und Rassisten ihre Bestätigung, rassistische Aktionen, Hetze und Taten wurden weiter verübt.
Nach dem Anschlag auf die Düsseldorfer Synagoge im Oktober 2000 demonstrierten zig-tausende in dieser Republik gegen Rassismus und Antisemitismus. Dieser "Aufstand der Anständigen" setzte Menschen unterschiedlicher sozialer und politischer Zugehörigkeit in Bewegung, viele gingen erstmals gegen Rassismus auf die Straße. Ein Ende der faschistischen Verbrechen hat dies nicht bewirkt. Unzählige Übergriffe, öffentliche Hetze durch Nazis, Aufmärsche und Kundgebungen gingen weiter. Deutlich wird dies durch die Anschläge und Morde, auch die des NSU.
Mehr Menschen werden aktiv!
Immer mehr Menschen haben sich in den vergangenen Jahren den Aktionen, Demonstrationen und Blockaden gegen Naziaufmärsche angeschlossen. Die Akzeptanz auch für Aktionen des zivilen Ungehorsam ist gestiegen. Die Bündnisse sind breiter geworden, immer häufiger werden ultrarechte Aktivitäten gestoppt. Wir übersehen dabei nicht, dass die Versuche, antifaschistischen und antirassistischen Protest und Aktionen zu spalten, politisch gewollt ist und teilweise auch bei den Menschen ankommt: die Einen werden kriminalisiert, die Anderen belobigt.
Bereits 2013 wird von den Regierenden über eine neue "Willkommenskultur" geredet, die Zahl der Flüchtlinge nimmt zu, die sich widersprechenden Aussagen der Politik zum Umgang mit den Geflüchteten ebenso. Die Festung Europa wird ausgebaut, das Erschrecken über die Toten im Mittelmeer wird genutzt, um öffentlich über Auffanglager in Nordafrika nachzudenken. Einerseits werden die Menschen aufgefordert die "Willkommenskultur" zu zelebrieren, andererseits wird mit den Forderungen "deutsche Sprache am Küchentisch" und "wer betrügt der fliegt" Stimmung gegen Flüchtlinge gemacht.
Willkommenskultur
Mit den Demonstrationen von Pegida & Co. werden auch die Proteste und der Widerstand gegen Rassismus immer lauter. Es beginnt der Versuch einer Willkommenskultur von unten. Den hier eintreffenden Flüchtlingen wird von überraschend vielen Menschen Hilfe und Unterstützung geboten. Gleichzeitig offenbart sich die Hilflosig- und Unfähigkeit der Behörden und Institutionen. Diese übernehmen, wenn überhaupt, oftmals nur noch koodinierende Aufgaben, um den Anforderungen der Solidarität für Kleidung, Essen, Sprachunterricht und vielen anderen Dingen gerecht zu werden. Vorschläge und Forderungen aus den Initiativen für Flüchtlinge werden aufgenommen und umgesetzt (und als Idee und Werk der Kommune usw. dargestellt), wie die Herausgabe von Fahrrädern aus städtischen Fundbüros für die Flüchtlinge, die Kostenübernahme für Internetanschlüsse, die Beschlagnahme leerstehender Kaufhäuser zur kurzfristigen Unterbringung.
Die Aktiven in den Flüchtlingsinitiaiven beklagen teilweise zu wenig Hilfe durch die Ämter, stellen andererseits aber fest, dass sie selbst viele Dinge viel schneller, weil unbürokratischer, umsetzen können. Diese Aktivitäten und die dabei einhergehenden Diskussionen können dazu führen, dass gesellschaftliche Zusammenhänge erkannt werden. Mit den Fragen dazu werden alle aktiven Flüchtlingshelfer*innen konfrontiert: wie ist es um Sozialleistungen, Gesundheitsvorsorge, Wohnraum bestellt? Weshalb und woher kommen die Flüchtenden? Weshalb gibt es keine Arbeit, günstige/freie Bildungs- und Kulturangebote?
Wiederholungstäter
Alle solidarisch aktiven Menschen zum Schutz, der Unterstützung und für gemeinsame Aktivitäten mit den Flüchtlingen müssen sich durch die erneute Änderung des „Asylgesetzes“ verhöhnt fühlen. Während sie dabei sind, eine echte Willkommenskultur zu entwickeln, kommen die Wiederholungstäter in den Regierungen und höhlen das Grundrecht auf Asyl ein weiteres Mal aus.
Die extreme Rechte und ihre Helfer zündeln bereits wieder. Die Gewalt und Übergriffe auf Unterkünfte für Flüchtlinge nehmen zu, die herschende Politik schürt dies mit Diskussionen über eine "Verabschiedungskultur" (CDU-Fraktionschef Liebing im Landtag Schleswig-Holstein), Transitrouten, die Schaffung weiterer "sicherer Herkunftstaaten".
Aktiv bleiben!
Gegen reaktionäre und neoliberale Politik, gegen faschistische Kräfte und ihre Gewalt müssen wir aktiv bleiben. Doch die Erfahrungen der Menschen in Initiativen und der Flüchtlinge und Migrant*innen kann das Nachdenken und den Einsatz zur Veränderung und Erneuerung der europäischen Gesellschaften verbreitern. Dies zu erreichen müssen insbesondere linke Kräfte daran arbeiten, die Bedürfnisse der Flüchtlinge und der schon hier Lebenden zu einem gemeinsamen Anliegen zu bündeln, die verschiedenen Bewegungen zu verbinden und gemeinsam für Umverteilung, bezahlbaren Wohnraum für Alle, Investitionen in kommunale Infrastruktur, Bildung und Kultur, Gesundheitsvorsorge, Schaffung von Ausbildungs- und Arbeitsplätzen zu kämpfen. Die Mitglieder der marxistischen linke werden sich daran beteiligen.
Kommentar von Bettina Jürgensen, Vorstand marxistische linke Foto: Uwe Hiksch
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