01.01.2014: Durch die Medienwelt rauscht der Begriff einer "Willkommenskultur" für Flüchtlinge und Migrant_innen! Im Januar 2013 forderte der Bundespräsident Gauck bei einem Besuch in Nürnberg Migrant_innen "mit Freude und offenem Herzen zu empfangen". Wie so oft bei diesem Präsidenten war es eher eine Aussage für die Kanzel, die in seine Reihe von Demokratie- und Freiheitsduselei passte. Regierungspolitik in diesem Land hat nie eine Willkommenskultur entwickelt – spätestens mit der Asylgesetzänderung von 1993 wurde diese beerdigt. Doch Politiker reden gern darüber. Die Realität einer Flüchtlings- und Migrationspolitik, die alles andere als eine Willkommenskultur ist, soll damit schöngeredet werden.
Dass im Mai 2013 die Bundesregierung und ihre Beauftragte für Migration, Flüchtlinge und Integration eine Konferenz zum "Ausbau der Willkommenskultur" durchführte, veränderte die Lebens- und Arbeitssituation der hier lebenden Flüchtlinge und Migranten nicht im geringsten. Ebenso wenig der 6. Integrationsgipfel am 28. Mai im Bundeskanzleramt. Von Aydan Özo?uz, seinerzeit Integrationsbeauftragte der SPD, jetzt die der Großen Koalition, bezeichnete diesen Gipfel als „ein nettes Kaffeekränzchen“. „Da wird nicht viel Falsches gesagt – aber es bringt nicht wirklich was“, so die SPD-Politikerin. Ob sie es nun besser macht, darf zumindest hinterfragt werden: erstens kommt sie aus der Hamburger SPD, deren Umgang mit den Lampedusa-Flüchtlingen bundesweit für Negativschlagzeilen sorgt(e), zweitens sieht der Vertrag der Koalition keine wesentlichen Verbesserungen für Flüchtlinge und Migrant_innen vor. Die Residenzpflicht soll zwar gelockert, aber nicht abgeschafft werden. Auch das Bleiberecht ist nicht für alle vorgesehen, abgeschoben wird weiterhin und die Flüchtlingsabwehrpolitik nach Dublin II bleibt bestehen.
Hier einige Zahlen: Laut Pro Asyl wurden 2012 in Deutschland über 60.000 Entscheidungen über Asylanträge getroffen. Die Anerkennung als Flüchtling erhielten nur 8.764 Personen (14,2 %). Für weitere 13,5% wurde ein Abschiebungsverbot ausgesprochen, weil ihnen im Herkunftsland etwa die Todesstrafe, Folter oder Gefahr für Leib und Leben drohen. Dabei wurden die üblichen Qualitätsstandards bei der größten Gruppe, den Balkanflüchtlingen, bewusst missachtet. Nach Einwirkung des Bundesinnenministers gab es ab Herbst 2012 sogar pauschale Ablehnungs-Schnellverfahren durch das Bundesamt für Flüchtlinge aus Serbien und Mazedonien.
Im Jahr 2012 wurden zudem 7.651 Personen aus Deutschland abgeschoben. Besonders betroffen mit rund 1.500 Abschiebungen waren serbische Staatsangehörige, unter ihnen vorwiegend Angehörige der Roma-Minderheit.
Der Koalitionsvertrag von CDU/CSU/SPD gibt nun sogar die Möglichkeit, Flüchtlingen dieser Länder das Asylrecht zu verweigern, denn Serbien, Mazedonien und Bosnien-Herzegowina gelten jetzt als sogenannte "sichere Herkunftsländer".
Der Einteilung in gute, richtige Flüchtlinge und denen, die angeblich nur aus wirtschaftlichen Gründen fliehen, wird damit bewusst verstärkt.
In dieses Horn einer unterschiedlichen Behandlung bläst jetzt die bayerische CSU. Dabei nimmt sie die Argumente reaktionärer, rassistischer bis hin zu faschistischen Organisationen gegen Flüchtlinge und Migrant_innen auf und wendet sie gegen EU-Bürger_innen und EU-Recht. Dieses sieht mit der Arbeitnehmerfreizügigkeit den freien Zugang von EU-Bürger_innen zur Beschäftigung innerhalb der EU vor. Seit dem 1. Januar 2014 fallen darunter auch Rumänien und Bulgarien. Die CSU stellt mit der Parole "Wer betrügt, der fliegt" in einer Beschlussvorlage für ihr Jahrestreffen in Wildbach Kreuth u.a. fest: "Der fortgesetzte Missbrauch der europäischen Freizügigkeit durch Armutszuwanderung gefährdet nicht nur die Akzeptanz der Freizügigkeit bei den Bürgern, sondern bringt auch Kommunen an die Grenzen ihrer finanziellen Leistungsfähigkeit." Die CSU möchte deshalb den Zugang zu den "deutschen Sozialsystemen" erschweren.
Nun geht also auch die CSU mit offener Ausländerfeindlichkeit auf Stimmenfang für die nächsten Wahlen. Die NPD hatte es im Bundestagswahlkampf mit Parolen wie "Geld für die Oma, statt für Sinti und Roma" vorgemacht, eine Volksverhetzung wurde darin von Gerichten nicht gesehen. Jetzt nimmt die CSU diesen rassistischen Faden im Vorfeld der anstehenden Kommunalwahlen in Bayern auf, richtet aber den Blick damit bereits auch auf die Europawahl im Mai 2014.
Denn für die leeren Kassen der Kommunen ist die Politik der Herrschenden in der EU und im Bund verantwortlich. Sie sind nicht Ergebnis einer zu großen "Freizügigkeit" und der Zahlungen an Flüchtlinge, wie die CSU uns weismachen will. Sie sind Ergebnis einer Klientelpolitik – für Banken und Konzerne, für Kriegs- und Rüstungspolitik. Dazu werden die Sozialsysteme in allen Staaten der EU, nicht nur in Deutschland, immer weiter abgebaut und dem Profitstreben unterworfen. Wohlgemerkt mit Willen und Hilfe der CSU.
Die außergewöhnliche Direktheit der CSU-Politiker kann nur vordergründig von der SPD für ihre Empörung genannt werden. Denn das zum Jahresende veröffentlichte dpa-Interview mit dem Ersten Bürgermeisters in Hamburg, Olaf Scholz (SPD), und seiner Verteidigung der Flüchtlingspolitik schlägt in dieselbe Kerbe. Fakt ist: beide entwickeln Argumente und sind für Regelungen, die Menschen und ihre Rechte in verschiedene Kategorien einteilen. Und dies wird nicht nur theoretisch getan, sondern auch in der Praxis mit Entzug sozialer Leistungen und demokratischer Teilhabe durchgesetzt, bis hin zur Abschiebung.
Insofern ist Kenan Kolat, Vorsitzender der Türkischen Gemeinde in Deutschland (TGD) zuzustimmen, der zum o.g. Integrationsgipfel feststellte: „Wir lieben uns und sitzen zusammen“, doch konkret werde es selten. „Ein nächster Gipfel – oder ich sage mal, ein Anti-Rassimus-Gipfel – müsste sich auch mit den politischen Ereignissen in Deutschland beschäftigen und Vorschläge machen“, so Kolat weiter. Man müsse sich auch mit einem institutionellen und strukturellen Rassismus beschäftigten, fordert er.
Ich füge hinzu: Diese Debatte darf nicht auf die BRD beschränkt bleiben, sie muss parallel auch europaweit geführt werden.
Der beginnende EU-Wahlkampf muss genutzt werden, den Widerstand gegen die Festung Europa, für ein Europa ohne Mauern weiter voranzubringen. Dazu gehört die Forderung nach Aufhebung aller Bestimmungen des Schengen-Abkommens zur Abschottung der EU Außengrenzen gegen Flüchtlinge, nach einem Ende der menschenrechtswidrigen Abschiebungspraxis in den EU-Staaten. Die Auflösung von Abschiebelagern, der EU-Agentur FRONTEX und Eurosur müssen durchgesetzt werden, ebenso die Forderungen für gleiche politische und soziale Rechte für alle in den EU-Staaten lebenden Menschen mit dem Recht auf Asyl.
Dazu gehört die Forderung nach einem fairen Handels-, Wirtschafts-, Wissens- und Technologieaustausch zur sichtbaren Reduzierung und schließlich der Überwindung der Entwicklungsrückstände der Länder, damit die durch kapitalistische Ausbeutung entstandene „Nord-Süd- Kluft“ überwunden wird. Und zwar ohne die von kapitalistischem Profitstreben bestimmten „westlichen“ Wirtschafts- und Konsummodelle aufzudrängen oder überzustülpen. Das Eintreten der EU für die Beseitigung der Verschuldung der Entwicklungsländer durch generelle Streichung ihrer Schulden – Teilnahme der EU an entsprechenden internationalen Entschuldungsprogrammen ist ein weiterer Punkt.
Dies sind nur einige der Vorschläge, durch die nach deren Umsetzung eine Willkommenskultur Wirklichkeit werden kann.
Doch solidarisches Handeln mit den Flüchtlingen und Migrant_innen für ihre Rechte, der gemeinsame Kampf der Menschen in Europa für eine demokratische, soziale, ökologische und friedliche EU können und müssen heute entwickelt werden. Dazu will ich beitragen und sage denen, die mitmachen: Willkommen 2014!
Bettina Jürgensen