20.11.2020: Sahrauische Regierung erklärt gesamte Westsahara zum Kriegsgebiet und fordert internationale Konzerne zum Rückzug aus den besetzten Gebieten auf ++ Siemens verstößt gegen Urteile des europäischen Gerichtshofes und baut neuen Windpark in besetzten Gebieten ++ Western Sahara Resource Watch fordert internationale Investor*innen auf, sich von Siemens zu trennen
Am Mittwoch erklärte die Regierung der Demokratischen Arabischen Republik Sahara (DARS) das gesamte Territorium der Westsahara "einschließlich seiner Land-, See- und Lufträume" zum Kriegsgebiet. Allen in den von Marokko besetzten Gebieten tätigen Unternehmen wirde geraten, ihre Aktivitäten zu beenden.
" Es ist an der Zeit, dass internationale Unternehmen in dem Gebiet ihre Sachen packen und das Gebiet verlassen"
Sylvia Valentin, Western Sahara Resource Watch
"Da jetzt wieder Artillerie in der Westsahara abgefeuert wird, ist es an der Zeit, dass internationale Unternehmen in dem Gebiet ihre Sachen packen und das Gebiet verlassen", sagt Sylvia Valentin, Vorsitzende von Western Sahara Resource Watch. "Eine anständige Risikobewertung und ein verantwortungsbewusster Geschäftsansatz hätten sie schon vor langer Zeit zu der Schlussfolgerung geführt, dass eine Zusammenarbeit mit einer Besatzungsmacht auf annektiertem Land nicht etwas ist, was sie tun sollten. Unternehmen und Regierungen, die bisher die eindringlichen Proteste der Sahrauis gegen die Plünderung ihres Territoriums unter Verletzung des Zustimmungsrechts der Sahrauis ignoriert haben, sollten jetzt ihre Verluste hinnehmen."
Es geht dabei um das Gebiet zwischen Mauretanien und Marokko, das 1975 nach dem Ende als spanische Kolonie für unabhängig erklärt, aber dann zum großen Teil direkt von Marokko annektiert wurde. Völkerrechtswidrig. Kaum ein Land erkennt die Herrschaft Marokkos dort an, auch der Europäische Gerichtshof nicht. Seit Jahrzehnten gibt es in der Bevölkerung Widerstand gegen die marokkanische Besetzung; bis zum Waffenstillstand 1991 auch militärisch.
Am Morgen des 13. November 2020 endete der Waffenstillstand, als marokkanische Truppen im Gebiet namens Guerguerat in der südwestlichen Ecke der Westsahara die Waffenstillstandslinien durchbrachen und auf befreites Gebiet eindrangen. Gewaltsam öffneten sie die illegale Handelsroute von der Westsahara nach Mauretanien, die seit dem 20. Oktober von sahrauischen Demonstrant*innen blockiert wurde. Die Demonstrierenden fordern, dass die UN-Mission endlich ihr Mandat umsetzt und das von vor 30 Jahren vereinbarte Referendum über die Selbstständigkeit der Westsahara organisiert. Sie wehren sich auch gegen die wirtschaftliche Ausbeutung ihrer Heimat.
Live-Zoom-Gespräch mit Najla Mohamedlamin Montag, 23.11.2020, 19:00 Uhr Infos hier |
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Interview mit Nadjat Hamdi, |
Marokko nutzt die Route durch Guerguerat, um Produkte aus der Westsahara zu exportieren, die dann über den Hafen von Nouadhibou, Mauretanien, weitertransportiert werden. In den Tagen nach Beginn der Blockade des Handelspunktes bildeten sich lange Schlangen wartender Lastwagen, die Fischerei- und andere Produkte aus den besetzten Gebieten transportieren. Mit der Blockade trafen die Sahrauis den marokkanischen Staat dort, wo es am meisten weh tut: am Geldbeutel.
"Der Hauptgrund für die Besetzung ist wirtschaftlicher Natur, es geht um die Plünderung der natürlichen Ressourcen", sagt Lahcen Dalil, ein sahrauischer Journalisten aus der marokkanisch besetzten Stadt Laayoune. Dabei geht es um Fisch, Phosphat, … - und auch Sonne und Wind. Die Gewinne aus den illegalen Geschäften kommen dem marokkanischen König zugute, sagt Lahcen Dalil, nicht den Sahrauis - und wohl auch nicht den meisten Marokkaner*innen. "Jede ausländische Firma legitimiert und stabilisiert die marokkanische Besetzung", kritisiert Lahcen Dalil.
Nach Angaben der marokkanischen Staatsfirma OCP, die illegal eine Phosphatmine im besetzten Gebiet betreibt, stammen 95 Prozent der benötigten Energie aus Windrädern von Siemens Gamesa. | Die EU-Kommission ignoriert mit dem Fischerei-Abkommen mit Marokko Völkerrecht und Europäischen Gerichtshof |
Erst die Hilfe internationaler Unternehmen mache die Besatzung für den marokkanischen Staat profitabel, klagt auch die Organisation Western Sahara Resource Watch. "Sie tragen daher eine Mitverantwortung für die jetzt eskalierende Situation, in der sich Marokko abgesichert genug sieht, die Öffnung seiner illegal gebauten Handelsroute militärisch durchzusetzen und so das Waffenstillstandsabkommen zu brechen", so Western Sahara Resource Watch in einer Erklärung.
Die Liste internationaler Unternehmen, die in den besetzten Gebieten aktiv sind, ist lang - darunter viele deutsche. So hat HeidelbergCement über die Tochterfirma Ciments du Maroc ein Mahlwerk in Laayoune, Köster Marine Proteins GmbH betreibt im großen Umfang Handel mit Fischmehl aus den besetzten Gebieten. Dazu kommen Unternehmen wie DHL International GmbH, Continental AG, ThyssenKrupp, die in der besetzten Westsahara aktiv sind.
Aber im Zentrum der Kritik steht Siemens.
Siemens unterstützt offen die Annexion der Westsahara durch Marokko
"Es ist an der Zeit, dass globale Investor*innen weitere Beteiligungsprozesse mit Siemens stoppen und sich von Siemens trennen."
Sylvia Valentin, Western Sahara Resource Watch
850 Megawatt will Marokko alleine durch Windkraft erzeugen. Zwei der fünf großen Windparks sind dafür in den besetzten Gebieten gebaut worden; vor allem mit Turbinen von Siemens. Zusammen mit Solaranlagen soll damit bald die Hälfte des marokkanischen Energiebedarfs gedeckt werden. Dafür hat Siemens sogar im Nordteil des Landes eine eigene Fabrik für Windkraft-Technologie gebaut. Ein Milliarden-Großprojekt, das die italienische Firma ENEL Green Power mit der marokkanischen NAREVA betreibt. Und die wiederum ist ein Tochterunternehmen der königlichen Holding SNI, der laut der spanischen Zeitung "El País" 30 Prozent an der gesamten Wirtschaft Marokkos gehört.
Vor etwas mehr als acht Jahre unterzeichnete Siemens erstmals einen Vertrag mit Marokko über den Bau von Energieinfrastruktur in der besetzten Westsahara. Das Unternehmen bezeichnete das völkerrechtswidrig besetzte Gebiet als "Südmarokko".
Jetzt hat es das wieder getan. In einer Pressemitteilung von Anfang September gab Siemens Gamesa Renewable Energy (SGRE) bekannt, dass es einen großen neuen Auftrag für die Lieferung von Windkraftanlagen für ein Projekt in dem Gebiet erhalten hat, das von einem Unternehmen betrieben wird, das dem marokkanischen König gehört. [1]
Das neue Abkommen umfasst die Lieferung, den Transport, die Installation, die Inbetriebnahme und das Testen von 87 Einheiten der Windturbine SG 3.4-132 für die Erzeugung von jährlich über 300 Megawatt Strom und einen 5-Jahres-Servicevertrag für den, wie Siemens es nennt, "Windpark Boujdour, der sich im Süden Marokkos befindet".
Boujdour ist eine Stadt an der mittleren Küste des Teils der Westsahara, der seit 1975 unter der militärischen Besetzung Marokkos steht. Und genau wie im Jahr 2012 bezeichnet SGRE die Westsahara wieder als einen integralen Bestandteil Marokkos. Dabei ist der Europäische Gerichtshof in der Zwischenzeit in vier Urteilen zu dem Schluss gekommen, dass die Westsahara und Marokko "getrennte und unterschiedliche" Gebiete sind, und dass Handelsabkommen mit Marokko nicht für die Westsahara gelten können. Siemens hat nie die Erlaubnis des sahrauischen Bevölkerung und ihrer Vertretung erhalten, in der Westsahara tätig zu werden, sondern behauptet stattdessen, lokale Interessenvertretungen zu "konsultieren", bei denen es sich jedoch um marokkanische Institutionen auf dem Gebiet handelt.
Das Unternehmen habe keine Absicht gezeigt, die Rechte der Sahrauis zu respektieren, erklärt Sylvia Valentin, Vorsitzende von Western Sahara Resource Watch. Anscheinend habe das Unternehmen immer noch keine Ahnung, in welchem Land es investiert, und dass das sahrauische Volk dem zustimmen müsse, so Sylvia Valentin.
In einer Erklärung fordert Western Sahara Resource Watch die Investor*innen zum Rückzug aus Siemens auf. "Wir fordern alle Investor*innen, die versucht haben, auf Siemens in dieser Angelegenheit einzuwirken, dringend auf, das Unternehmen auszuschließen. … Doch dieser jüngste Vertrag und die Einschätzung des Unternehmens über den Status des Territoriums zeigen, dass das Unternehmen in seinem Verständnis von unternehmerischer Verantwortung keinen Zentimeter weiter gekommen ist. Es ist an der Zeit, dass globale Investor*innen weitere Beteiligungsprozesse mit Siemens stoppen und sich von Siemens trennen. Es gibt einen grundlegenden Mangel in der Haltung des Unternehmens gegenüber den UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte, den Menschenrechten und der Due Diligence. Internationale Banken und Investor*innen, die sich an Menschenrechtsrichtlinien orientieren, können kein Geld in ein Unternehmen investieren, das solche Bedenken grundsätzlich ignoriert."[2]
Seit Jahren ist das völkerrechtswidrige Engagement von Siemens in der Westsahara ein Thema auf den Aktionärsversammlungen. Trotz immer mehr Anfragen von Aktionär*innen weicht der Vorstand des Konzerns immer wieder Fragen nach der Legalität seiner Aktivitäten in dem Gebiet aus.
zum Thema Turbulente Aktionärsversammlung bei Siemens |
In einem Antrag der Kritischen Aktionäre zur Nichtentlastung von Vorstand und Aufsichtsrat heißt es:
"Anders als von Siemens angenommen bringt die Stromproduktion den Sahrauis keinen nachhaltigen Nutzen. Nach Angaben der marokkanischen Staatsfirma OCP, die illegal eine Phosphatmine im besetzten Gebiet betreibt, stammen 95 Prozent der benötigten Energie aus Windrädern von Siemens Gamesa. Die Pensionsfonds der norwegischen und schwedischen Regierung sind zu dem Schluss gekommen, dass OCP mit dem Export dieser nicht erneuerbaren Rohstoffe gegen internationales Recht verstößt.
Der Wert des Phosphats von drei Schiffsladungen entspricht etwa der Höhe der humanitären Hilfe, die die sahrauischen Flüchtlinge in einem Jahr erhalten. Siemens Gamesa trägt durch seine Windräder direkt zu dieser Plünderung und der weiterhin andauernden Besetzung bei. Der Vorstand von Siemens hat eine klare Verantwortung gegenüber den Tätigkeiten von Siemens Gamesa, schließlich ist die Siemens AG Mehrheitseigentümerin."[3]
Siemens hat bereits mit seiner Beteiligung am "Adani-Projekt" der "Carmichael-Mine" im Nordosten Australiens, die eines der größten Kohlebergwerke der Welt werden soll, einen fulminanten Imageschaden erlitten. (siehe kommunisten.de: Turbulente Aktionärsversammlung bei Siemens)
Jetzt droht der nächste Image-Gau.
verwendete Quellen: Western Sahara Resource Watch (https://wsrw.org), Sahara Press Service (https://www.spsrasd.info/news/en), SWR (https://www.tagesschau.de/wirtschaft/oekostrom-westsahara-101.html) u.a.
Anmerkungen
[2] https://wsrw.org/a180x4842
[3] https://www.kritischeaktionaere.de/siemens/gegenantraege-2020-2/