Wirtschaft

isw_forum19_190512_SoSch_00523.08.2012: An der Podiumsdiskussion beim 20. Forum des ISW (Institut für sozialökologische Wirtschaftsordnung) im Mai dieses Jahres wurde klar, dass nicht nur nach Alternativen zum Kapitalismus, sondern auch nach den Akteuren zu suchen sei, die diese Alternativen ins Werk setzen könnten. Renate Börger von attac, Andreas Schlutter von “Echte Demokratie jetzt” und Uwe Fritsch, VW-Betriebsrat aus Braunschweig schilderten aus sehr unterschiedlichen Perspektiven, welche Ergebnisse die Suche nach Alternativen in ihrem politischen Zusammenhang bisher ergeben haben. Die Diskussionsleitung hatte Walter Listl. Alle Referate und die Podiumsdiskussion im O-Ton sind im neuen ISW-report 89 veröffentlicht. Wir dokumentieren hier die Beiträge von Uwe Fritsch.

Walter Listl: Meine Frage an Uwe Fritsch: Wonach suchen die VW-Beschäftigten? Bewegt sich da was – oder gibt es da diese Beißhemmungen gegenüber dem Kapital? Und ist bei der Suche nach Alternativen zum Kapitalismus die IG Metall eher Teil des Problems oder der Lösung?

Uwe Fritsch: Ich komm ja nun aus einem kleineren Teil des VW-Konzerns. Wir haben nur 8.000 Beschäftigte. Nur wenige Kilometer weiter arbeiten in Wolfsburg 53.000. Insofern will ich da nicht repräsentativ für alle VW-KollegInnen reden. Was mir aber gar nicht gefällt, ist, wenn da gesagt wird, die KollegInnen hätten kein Bewusstsein. Jeder, mit dem ich im Betrieb rede, hat Bewusstsein. Es mag einem manchmal nicht gefallen. Aber er hat eins! Das ist jetzt nicht semantisch gemeint. Das hat was mit der Einstellung zu den KollegInnen zu tun. Sie haben ein Bewusstsein, kein Kein-Bewusstsein. Das bitte ich zu beachten, sonst wird die Perspektive schief, mit der man an Betriebs- oder Gewerkschaftsarbeit rangeht. Wir haben einen Organisationsgrad von 97 Prozent, auch im Angestelltenbereich einen sehr hohen Organisationsgrad. Trotzdem steht auch bei uns nicht der Sozialismus auf der Tagesordnung.

Durch die Zukäufe der Vergangenheit sind weltweit 500.000 Menschen direkt bei Volkswagen beschäftigt, davon 250.000 in Deutschland. Wir haben in der Tarifrunde 150.000 KollegInnen im Flächentarifvertrag, mit MAN, Audi, VW-Sachsen und nur noch 100.000 im Haustarifvertrag. Auch da hat sich das Unternehmen verändert.

Im Querschnitt stehen die Tagesprobleme im Vordergrund. Das ist in allererster Linie der sichere Arbeitsplatz. Das steht ganz vorneweg. 75 Prozent sagen: dafür muss der Betriebsrat in erster Linie sorgen. Dann kommt: eine gute Bezahlung. Das gilt vor allem für die Beschäftigten, die stärker von Ausbeutung betroffen sind, weil sie im Schichtbetrieb arbeiten müssen, rund um die Uhr, an sechs Tagen die Woche. Das heißt: gesund bleiben, Arbeit und Familie gut vereinbaren können und früh in Rente gehen. Das sind die Probleme, mit denen man täglich als Betriebsrat zu tun hat. Aber wir erleben auch eine Veränderung der Kultur der Arbeit. Ich bin jetzt 30 Jahre bei Volkswagen beschäftigt und hab in der Zeit eine explosionsartige Entwicklung der Produktivkräfte erlebt. Vor 30 Jahren sind mit 7.000 Beschäftigten rund 1 Millionen Achsen im Jahr hergestellt worden. Wir stellen heute 7,4 Millionen Achsen her, in einer hochspezialisierten Fertigung, kaum noch taktgebundene Tätigkeiten und auf der anderen Seite Produktionsverhältnisse, die sich sehr schleichend verändern, wo das Kapital aber merkt, dass sie so nicht mehr gehen, dass sie sich verändern müssen. Wenn ich da an die Zunahme von Teamarbeit denke, an die Arbeit von Teamsprechern, an Teamtafeln, auf denen Produktivität, Zielerreichung, Qualität aushängen – da fehlt nur noch der Bestarbeiter, dann sehe ich da eine Anleihe z.B. an Arbeitsbrigaden in sozialistischen Produktionsverhältnissen.

Ich sag das nicht aus Spaß, sondern um zu verdeutlichen, wie das Kapital versucht, das beste aus diesen anderen Produktionsverhältnissen zu übernehmen, weil es die Diskrepanz zwischen Entwicklung der Produktivkräfte und der Produktionsverhältnisse spürt, und auch die Risiken für seine Profitmaximierung. Die Beschäftigten gewinnen da im Produktionsprozess ein Stück Teilautonomie. Sie können und müssen sich auch ein Stück selbst organisieren. Sie kriegen eben nur noch die Ziele vorgegeben. Mit "Mach 18" steht bei Volkswagen ein Zehnjahresplan auf der Tagesordnung, mit dem Ziel bis 2018 der größte Automobilhersteller der Welt zu werden. Wenn man sieht, wie das Unternehmen dieses Ziel planmäßig angeht, mit extremem Wachstum, Auseinandersetzungen um Schichtsysteme etc. dann sind das die Herausforderungen, vor denen die KollegInnen stehen. Gesellschaftliche Fragen rücken da weiter nach vorn. Denn Erfolg von Volkswagen, heißt auf der anderen Seite: Probleme bei den französischen Automobil-Beschäftigten oder denen bei Opel. Das ist dann für die gewählten Betriebsräte nicht unbedingt einfach, die Partikularinteressen vor Ort mit gesamtgesellschaftlichen Interessen aller Beschäftigten unter einen Hut zu bringen. Das wäre die eigentliche Aufgabe meiner Organisation, der IG Metall, über den betrieblichen Rahmen hinaus diese gesamtgesellschaftlichen Interessen stärker zu formulieren.

Es gibt da eine Auseinandersetzung in den Gewerkschaften – auch wenn sie nicht öffentlich geführt wird – über Rolle und Bedeutung der Gewerkschaften in dieser Gesellschaft. Haben sie noch einen Anspruch auf gesamtgesellschaftliche Gestaltung und Interessenvertretung oder überlassen sie das den Parteien? Ein Beispiel: In der Tarifrunde werden Einstiegshilfen für Schulabgänger gefordert, deren schulische Leistungen erhöhten betrieblichen Anforderungen nicht entsprechen und deshalb zusätzlich ein Jahr auf Kosten des Betriebes fit gemacht werden. Das halte ich für den völlig falschen politischen Ansatz. Die IG Metall muss fordern und durchsetzen, dass dieses Schulsystem grundlegend erneuert wird. Bildung gehört nicht in Unternehmerhand, sondern in die Gesellschaft. Es gibt unterschiedliche Strömungen in den Gewerkschaften. Das Thema Wirtschaftsdemokratie spielt auch bei uns eine ganz entscheidende Rolle. Unser Bezirksleiter Hartmut Meine hat bewusst als IG Metaller in einem Buch zu "Wirtschaftsdemokratie – Beschreibung eines Weges" geschrieben, weil uns als GewerkschafterInnen unterm Strich die Umsetzung unserer beschlossenen, gesellschaftlichen Forderungen und eine Offensive dafür fehlt.

Die KollegInnen im Betrieb wissen doch, dass diese Gesellschaft ungerecht ist, aber es fehlt der Ausblick: Wie soll’s denn anders gehen? Wohin soll sich diese Gesellschaft verändern? Was kann ich dafür tun? Das ist die Aufgabe und Verantwortung von Gewerkschaften, die weit über die rein betriebliche, tarifliche Interessenvertretung hinausgeht. Das ist nicht leicht. Ein Beispiel: Diskriminierung ist bei uns im Betrieb verboten. Wer dagegen verstößt, fliegt. Aber was man da im Betrieb manchmal über Griechenland und die Menschen dort hört, ist wirklich grenzwertig. Dass die Schulden und die Arbeitsplatzprobleme dort auch was mit unserer Exportpolitik, mit unseren Banken und mit Volkswagen zu tun haben, darüber muss man die KollegInnen geduldig aufklären.

Walter Listl: Ich möchte noch mal zu Uwe Fritsch kommen und einem vielleicht heiklen Problem, das wir in einem isw-report "Klimakiller Konzerne" behandelt haben. Konkret meine ich das Problem, dass der automobile Individualverkehr in eine ökologische Katastrophe führt. Wie findet sich so ein Problem bei den Beschäftigten wieder? Wie geht ein Gesamtbetriebsrat damit um? Und wie geht er mit dem permanenten Spaltpilz der Standortkonkurrenz um?

Uwe Fritsch: Es gibt bei den Beschäftigten keine kritische Haltung zu den hergestellten Produkten von Volkswagen. An erster Stelle steht die Angst um den sicheren Arbeitsplatz. Das Thema Umbau muss man vom Kopf auf die Füße stellen. Wir haben in Braunschweig 8000 Beschäftigte, sind ein hochspezialisierter Betrieb zur Herstellung von Achsen, also von Autoteilen. Das ist eine Produktion mit extremer Spezialisierung. Was sollen wir mit den 8000 Beschäftigten herstellen an alternativen Produkten? Genau das spüren die Kollegen, dass wir da keine Antwort haben. Genau da rührt auch ihre Angst her vor ökologischökonomisch sinnvollem Umbau. Das ist auf einzelbetrieblicher Ebene nicht zu lösen. Da muss man anders rangehen. Wir haben das versucht in der Tarifrunde 2006, relativ erfolgreich. Wir haben dem Konzern einen "Innovationsfonds II" aus dem Kreuz geleiert. Da kriegen wir 20 Millionen Euro pro Jahr, über deren Verwendung der Betriebsrat mitbestimmt, für Produkte außerhalb der Automobilwirtschaft. Jährlich 20 Millionen Euro zur Entwicklung von Ideen. Erste Idee ist ein Blockheizkraftwerk. Da nimmt man einen Motor, 5-Zylinder Diesel, den baut man um auf Gas, kann damit ein Vier-Familien-Haus heizen und Strom produzieren. Das ist ökologischer Umbau mit Lichtblick. In diesem Jahr ist das in Serie gegangen. Es sollen 5000 Motoren umgebaut werden. In Salzgitter werden aber allein in einem Werk pro Jahr 1,2 Millionen Motoren hergestellt. Nur damit hier die Dimensionen klar sind. Dieser Umbau dauert. Das geht nicht von heute auf morgen. Bei uns ist Elektromobilität das Thema. Wir sind nominiert als Batteriehersteller. Wir schweißen aus 400 Lithium-Ionenzellen eine Batterie zusammen, wiegt 300 Kilo, man fährt damit 150 Kilometer, danach muss die acht Stunden aufgeladen werden. Das geht dann tausend Mal, dann sind sie fürs Automobil nicht mehr nutzbar. Ihr seht, da stehen wir ganz am Anfang. Das ist bei weitem noch nicht das, was wir brauchen. Ich wäre nur froh, wenn wir bei allen Dax-Konzernen jährlich 20 Millionen Euro zur Entwicklung alternativer Produkte hätten. Wobei man im Kapitalismus sehen muss: wenn die gut verkauft werden, wollen alle sie produzieren, d.h. ohne gesellschaftliche Veränderungen wird auch der Umbau der Auto-Industrie schwerlich zu machen sein. Sonst läuft das weiter wie bisher. Der Erfolg von Volkswagen ist der Totengräber für Opel und andere. Es gibt eben nur einen begrenzten Markt für Fahrzeuge und Überkapazitäten.

Da kommen wir zur Frage, was national und übernational zu tun ist. Ich habe den großen Vorteil, bei einem Unternehmen zu arbeiten, das aus historischen Gründen, auf die ich hier nicht eingehen kann, eine andere Form der Mitbestimmung hat. Im Volkswagen- Aufsichtsrat, dem ich angehöre, ist es so, dass Eröffnungen und Schließungen von Standorten nur mit Zwei-Drittel-Mehrheit erfolgen können. Für alle KollegInnen z.B. von MAN, die jetzt zum Konzern gehören, für die gilt sofort das VW-Gesetz. Das gilt auch für alle ausländischen Standorte. So ist es uns zwei Mal gelungen, dass wir in Südafrika eines der ältesten Volkswagenwerke vor der Schließung retten konnten, weil es dafür im Aufsichtsrat keine Mehrheit gab. Und auch das jetzige Audi-Werk in Brüssel ist so gerettet worden.

Das bedeutet aber – wir haben seit 20 Jahren einen europäischen Betriebsrat und seit 10 Jahren einen Weltbetriebsrat – dass man auch über die Verteilung von Fahrzeugproduktion redet. Dazu gehört auch ein großes Vertrauen der KollegInnen in solche Gremien. Ich bin ja Mitglied im Weltbetriebsrat. Da sitzen manchmal mehr Dolmetscher hinter einem als Betriebsräte mit einem am Tisch. Da hast Du unterschiedliche nationale Gewerkschaftskulturen. In Spanien sind dann da zwei Gewerkschaften, die miteinander konkurrieren. Und auf der anderen Seite sitzt das Unternehmen, das hat eine Hauptsprache, das ist Englisch und ein Hauptziel, das ist Maximalprofit. Und dann sagt da der südafrikanische Kollege von der NUMSA, der auch im ANC ist, mit einem Riesenstolz: "Wir sind auf dem Weg zu gesellschaftlicher Veränderung, wir sind auf dem Weg zum Sozialismus." Meldet sich der polnische Kollege von Solidarnocs und sagt: "Das hatten wir vierzig Jahre. Lasst es." Das ist das Spannungsfeld, in dem Du da die Ausein- polnischen Kollegen mal die Produktion von 5000 Autos nach Südafrika abgeben, damit die ihre Bude nicht geschlossen kriegen. Das ist die Kunst der internationalen Zusammenarbeit auf der Basis des VW-Gesetzes. Das ist ganz entscheidend für die Erfahrungen, die wir machen.

Wir waren in China, wir waren in den indischen Werken, in der Tschechischen Republik und in Polen. Da siehst du die gleichen Maschinen und Anlagen, die gleichen Takte, die gleichen Tätigkeiten. Worin unterscheiden sich diese Werke? Die unterscheiden sich im Wesentlichen durch die Dauer und Länge der Arbeitszeit und damit direkt durch die Profitmarge. Aber sie unterscheiden sich nicht mehr wie früher durch den Automationsgrad. Wenn wir nicht solche Mitbestimmungsmöglichkeiten über die Schließung und Öffnung von Standorten hätten, wäre letztlich allein die jeweilige Profitrate ausschlaggebend für Unternehmensentscheidungen. Und die richtet sich nicht nach den Investitionskosten, die sind überall gleich, sondern nach den Amortisationskosten, Umweltauflagen etc. Bei GM und Opel gibt es solche Mitbestimmungsmöglichkeiten nicht. Die Solidarität der Beschäftigten zwischen den Standorten ist da schwerer herzustellen. Fazit: Wir brauchen ein VW-Gesetz oder ein ähnliches Gesetz für viele andere, internationale Konzerne, auch für Banken und Energiekonzerne. Damit eben nicht das Kapital alleine über Grenzen hinweg entscheiden kann, wo Standorte eröffnet oder geschlossen werden. Das hätte bei Nokia geholfen, das Werk in Bochum zu erhalten. Das wäre ein Teil von Wirtschaftsdemokratie. Und genau darum führt die Europäische Kommission so einen massiven Kampf gegen so ein kleines VW-Gesetz, dass die Verfügungsgewalt des Kapitals nur so minimal einschränkt und für das wir europaweit 160.000 Unterschriften gesammelt haben.

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Farkha Festival Komitee ruft zu Spenden für die Solidaritätsarbeit in Gaza auf

CfD communist solidarity dt
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Farkha2023 21 Buehnentranspi

Farkha-Festival 2024 abgesagt.
Wegen Völkermord in Gaza und Staatsterror und Siedlergewalt im Westjordanland.
hier geht es weiter zum Text


 

 

UNRWA Gazakrieg Essenausgabe

UNRWA Nothilfeaufruf für Gaza
Vereint in Menschlichkeit, vereint in Aktion

Mehr als 2 Millionen Menschen, darunter 1,7 Millionen Palästina-Flüchtlinge, zahlen den verheerenden Preis für die Eskalation im Gazastreifen.
Zivilisten sterben, während die Welt zusieht. Die Luftangriffe gehen weiter. Familien werden massenweise vertrieben. Lebensrettende Hilfsgüter gehen zur Neige. Der Zugang für humanitäre Hilfe wird nach wie vor verweigert.
Unter diesen Umständen sind Hunderttausende von Vertriebenen in UNRWA-Schulen untergebracht. Tausende unserer humanitären Helfer sind vor Ort, um Hilfe zu leisten, aber Nahrungsmittel, Wasser und andere lebenswichtige Güter werden bald aufgebraucht sein.
Das UNRWA fordert den sofortigen Zugang zu humanitärer Hilfe und die Bereitstellung von Nahrungsmitteln und anderen Hilfsgütern für bedürftige Palästina-Flüchtlinge.
Dies ist ein Moment, der zum Handeln auffordert. Lassen Sie uns gemeinsam für die Menschlichkeit eintreten und denjenigen, die es am meisten brauchen, die dringend benötigte Hilfe bringen.

Hilfswerk der Vereinten Nationen für Palästina-Flüchtlinge

Spenden: https://donate.unrwa.org/gaza/~my-donation


 

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