Im Interview

23.03.2023: Interview mit Hanaa Edwar, Feministin und Gründerin der Vereinigung Amal: "Bush und Blair haben die Macht auf ethnischer Basis aufgeteilt. Die Oktoberbewegung kämpfte für ein Land ohne ausländische Einmischung mit einer neuen politischen, wirtschaftlichen und sozialen Perspektive."

 


Hanaa Edwar, Pazifistin, Feministin, während der Diktatur Saddams ins Exil gezwungen, Gründerin der Vereinigung Amal, einer Nichtregierungsorganisation, die Projekte für Frauen fördert, "Herausragende arabische Frau des Jahres" 2013, ist eine unermüdliche Aktivistin.[1] Zwanzig Jahre nach der Invasion vermittelt sie uns ein klares Bild der Realität. Sie hat den Optimismus verloren, der durch die "Oktoberrevolution" geweckt wurde, als eine Million Iraker:innen, vor allem junge Menschen, am 25. Oktober 2019 auf dem Tahrir-Platz in Bagdad demonstrierten, aber sie gibt nicht auf.

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15. November 2019: Ein Aufstand für den Wandel


Hanaa Edwar:
Zwanzig Jahre nach dem Angriffskrieg der Vereinigten Staaten und anderer westlicher Truppen gegen den Irak unter dem Vorwand des Besitzes von Massenvernichtungswaffen und der Verletzung der Menschenrechte, und dem Sturz des diktatorischen Regimes von Saddam Hussein ist der Traum von einem Land ohne Diktatur und mit einem demokratischen Regime nicht in Erfüllung gegangen. Seit 20 Jahren werden wir von einem sehr schwachen Regime regiert, das seine Macht auf eine ethnisch-religiöse Trennung stützt: Schiiten, Sunniten und Kurden. Man hat uns ein demokratisches Regime versprochen, aber die Macht bleibt in den Händen der konservativen Kräfte, die nach der Besatzung die Demokratie beschlagnahmt haben. Sie haben zugestimmt, die Macht zu teilen, ohne dass es eine Opposition gibt, und es hat nie einen Übergang zu einem demokratischen System gegeben. In den letzten Jahren hat die Zivilgesellschaft jedoch die Möglichkeit der freien Meinungsäußerung - Zeitungen, Fernsehen und Internet - genutzt, um Kampagnen zur Verteidigung der Menschenrechte zu fördern, NGOs zu unterstützen und eine Frauenquote im Parlament zu erreichen.

Frage: Hat dies zu Veränderungen im Regime geführt?

Hanaa Edwar: Die Politik des Regimes basiert nach wie vor auf einer konfessionellen Spaltung: Die Schiiten bilden die Mehrheit der Bevölkerung und beanspruchen die Macht für sich. Die Schwäche der Staatsapparate hat das Eindringen des Stammeswesens in die Justiz begünstigt: Bei Streitigkeiten, sogar bei Morden, wenden sich die Iraker nicht an die Justiz, sondern an die Stammesautorität, was das Justizsystem schwächt.

Und wie steht es um die Sicherheit?

Hanaa Edwar: Die erste Entscheidung nach der Besetzung war der Wiederaufbau der Armee und des Sicherheitsapparats auf ethnisch-religiöser Basis, wobei die Mitglieder nach ihrer Zugehörigkeit und nicht nach ihrer Kompetenz ausgewählt wurden. Dieses System förderte die Korruption durch die Verteilung von Geld durch die Besatzer. Von den ersten Tagen der Invasion an ließen die US-Soldaten, anstatt öffentliche Gebäude zu schützen, die Plünderung von Banken und Ministerien zu. Korruption und mangelnde Sicherheit haben die Ausbreitung von Milizen und Terrorismus begünstigt. Die Milizen unterstehen ausländischen Mächten und verteidigen nicht die Interessen der Iraker. Noch schlimmer sind terroristische Gruppen wie Al-Qaida, die sich zu Daesh (Islamischer Staat) entwickelt und 2014 ein Drittel des Landes besetzt hat. Daesh hat vor allem Minderheiten mit Massakern und Völkermord angegriffen: Jesiden, Katholiken, Turkmenen, Shabeki. Die Sexsklaverei wurde von mutigen jesidischen Frauen angeprangert, von denen viele verschwunden sind.

Der Irak ist ein föderaler Staat, aber die Beziehungen zwischen Bagdad und Erbil sind immer noch angespannt.

Hanaa Edwar: Unmittelbar nach der Besetzung drängten die Vereinigten Staaten auf die Ausarbeitung einer neuen Verfassung. Eine von ihnen 2004 ausgearbeitete vorläufige Verfassung wurde teilweise in die 2005 von den Irakern ausgearbeitete Verfassung übernommen. Damals waren die Voraussetzungen für die Ausarbeitung der Verfassung noch nicht gegeben, wir Frauen hatten um einen Aufschub gebeten, aber die USA und die Schiiten drängten darauf, die Dinge zu beschleunigen. Das Ergebnis ist eine doppeldeutige Verfassung, die Änderungen erforderte, die nie angenommen wurden. Der Irak ist ein föderaler Staat, Kurdistan erhält Befugnisse, aber die Verwaltung von Ressourcen wie Öl und Gas ist unklar. 2017 organisierte die kurdische Regionalregierung ein Unabhängigkeitsreferendum, für das natürlich die Mehrheit der Kurden stimmte und das eine tiefe Krise auslöste, die bis heute nicht gelöst ist, da die Zentralregierung der kurdischen Regierung nicht die ihr zustehenden Haushaltsbefugnisse überträgt und die Kurden alle Einnahmen aus dem Ölexport behalten. Kurdistan ist vom Irak halb unabhängig.

Dies ist nicht der einzige Widerspruch in der irakischen Verfassung.

Hanaa Edwar: In der Verfassung ist nicht klar, ob der Irak ein säkularer oder ein religiöser Staat ist. In Artikel 2 heißt es: "Der Islam ist die offizielle Religion des Staates und die Grundlage der Gesetzgebung", aber dann wird hinzugefügt: "Kein Gesetz darf gegen die Scharia, gegen die Grundsätze der Demokratie oder gegen die in der Verfassung verankerten Rechte und Freiheiten erlassen werden". Welche Gesetzgebung ist also im Irak möglich?

In der Verfassung gibt es auch einen Artikel, gegen den die Frauen mobil gemacht haben.

Hanaa Edwar: Artikel 41. Nach dem Personalstatut von 1959 waren alle Iraker gleichberechtigte Bürger, nur einige Minderheiten konnten ihrer religiösen Zugehörigkeit den Vorzug geben. Dieses Gesetz wurde abgeschafft, um ein Personenstatut (in Bezug auf Heirat, Scheidung, Erbschaft usw.) einzuführen, das auf der unterschiedlichen Religionszugehörigkeit beruht; die Frauen haben sich gegen diesen Artikel gewehrt und ihn bisher erfolgreich blockiert.

Frauen, insbesondere junge Frauen, waren die Protagonistinnen der so genannten "Oktoberrevolution". Gibt es die Bewegung, die 2019 ausbrach, noch?

Hanaa Edwar: Die Oktoberbewegung sprach alle Probleme unserer Gesellschaft an: Korruption, Arbeitslosigkeit, Souveränität, Würde. Die jungen Menschen auf den Straßen kämpften für einen Irak ohne ausländische Einmischung und mit einer neuen politischen, wirtschaftlichen und sozialen Vision.

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18.2.2020: Irakische Frauen rufen zu internationaler Unterstützung auf

 

Die Repression war brutal: Während der Proteste 2019 und 2020 wurden mehr als 700 Menschen getötet, ermordet, viele verschwanden. Alle Ausschüsse, die diese Verbrechen untersuchen sollten, kamen zu keinem Ergebnis. Straflosigkeit ist ein weiteres schwerwiegendes Problem des Irak.

Die Bewegung ist immer noch lebendig, aber sie konzentriert sich mehr auf einzelne, der vielfältigen Probleme im Land. Viele der Demonstrationen im Irak richten sich gegen die Arbeitslosigkeit, die bei jungen Menschen bis zu 25 Prozent beträgt. Achtundneunzig Prozent der Einnahmen stammen aus dem Ölgeschäft. Mehr als 70 Prozent des Haushalts werden für die Gehälter von vier Millionen Staatsbediensteten verwendet. Wenn der Ölpreis sinkt, zahlt die Regierung keine Gehälter mehr.

Es gibt keinen produktiven Sektor, die zahlreichen Industrieunternehmen aus Saddams Zeiten wurden von den USA stillgelegt, und die Produktion ist nie wieder aufgenommen worden.

Dies ist das Ergebnis der Invasion von Bush, Blair und anderen. Sie besetzten und zerstörten das Land, unsere Sicherheit und Wirtschaft, akzeptierten die Teilung der Macht auf religiös-ethnischer Basis und ließen den Irak dann im Chaos zurück. Aber die Verantwortung liegt auch bei den Vereinten Nationen, die das Embargo und die Invasion des Irak unterstützt haben.


übernommen aus il manifesto, 21.3.2023: «L’Iraq libero e laico nella lotta dei giovani»
https://ilmanifesto.it/liraq-libero-e-laico-nella-lotta-dei-giovani
eigene Übersetzung 

Hanaa Edwar - Herausragende arabische Frau - 2013

Hanaa Edwar ist seit mehr als 40 Jahren eine Aktivistin für die Menschenrechte. Sie ist eines der Gründungsmitglieder der nicht konfessionellen Nichtregierungsorganisation im Irak namens Al Amal. Diese 1992 gegründete Vereinigung setzt sich für die Verbesserung der sozioökonomischen Bedingungen der irakischen Bevölkerung v.a. der Frauen ein. Sie ist außerdem Mitbegründerin und Leiterin des Koordinierungsausschusses des irakischen Frauennetzwerks, dem mehr als 80 Frauenorganisationen aus dem gesamten Irak angehören. Edwar ist auch Mitbegründerin der Bürgerinitiative zum Erhalt der Verfassung. Sie gewann erfolgreich einen Prozess vor dem Obersten Bundesgericht, der das irakische Parlament Ende 2010 zur Wiederaufnahme seiner Sitzungen zwang. Außerdem war sie Mitglied des Exekutivausschusses des Irakischen Nationalkongresses und des Präsidialausschusses des Irakischen Rates für Frieden und Solidarität. Edwar ist seit vielen Jahren im humanitären Bereich tätig und hat in Kurdistan und Bagdad gearbeitet. Die ausgebildete Juristin engagiert sich seit ihrem Studium für die Rechte der Frauen und für zivilgesellschaftliche Organisationen. Schon in jungen Jahren schloss sie sich der Irakischen Kommunistischen Partei und dem irakischen Frauenverband an und wurde 1963 verhaftet. Sie entkam aus dem Gefängnis und floh nach Deutschland, um die irakische Frauenvereinigung bei der Internationalen Weltföderation der demokratischen Frauen zu vertreten. Später siedelte sie in den Libanon und dann nach Syrien über und wurde eine prominente Aktivistin gegen die Diktatur. Edwar führte zahllose Kampagnen für die Gleichstellung der Geschlechter durch, um die Rolle der Frauen in der Entscheidungsfindung und im Verfassungsprozess zu stärken. Im Jahr 2010 gehörte sie zu dem Expertenteam, das zwei Jahre lang an der Ausarbeitung des Gesetzes zum Schutz von Frauen vor häuslicher Gewalt im Irak mitwirkte. 2011 wurde sie vom Internationalen Friedensbüro mit dem Sean-MacBride-Friedenspreis für ihren Beitrag zur Förderung von Demokratie und Menschenrechten und ihren Einsatz gegen Gewalt und Krieg ausgezeichnet. Im Dezember 2011 verlieh ihr die Mission der Vereinten Nationen im Irak die Anerkennungsurkunde für Menschenrechtsverteidiger. Edwar hat einen Abschluss in Rechtswissenschaften der Universität Bagdad.


 

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Mehr als 2 Millionen Menschen, darunter 1,7 Millionen Palästina-Flüchtlinge, zahlen den verheerenden Preis für die Eskalation im Gazastreifen.
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Hilfswerk der Vereinten Nationen für Palästina-Flüchtlinge

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