28.10.2021: Bei den Kommunalwahlen in Niedersachsen am 12. September kam DIE LINKE im Landesdurchschnitt auf 2,8%, bei der vorhergehenden Wahl 2016 waren es noch 3,3%. Entgegen dem Landestrend legt das in Göttingen kandidierende Linksbündnis "Göttinger Linke" um 1,4 Prozentpunkte auf 7.7% (10.367 Stimmen) zu (2016: 6,3%) und kommt jetzt auf vier Mandate im Stadtrat (2016: drei Mandate). Gunnar Siebecke sprach für kommunisten.de mit Hendrik Falkenberg von der Wähler*innengemeinschaft Göttinger Linke. Hendrik Falkenberg ist auch Mitglied der marxistischen linken.
Hendrik, zunächst einmal einen Glückwunsch zum Mandat im Ortsrat Grone in Göttingen. Du bist für die "Wähler*innengemeinschaft Göttinger Linke" bei den Kommunalwahlen im September angetreten. Kannst Du uns zunächst kurz erläutern, wer diese Wähler*innengemeinschaft ist?
Hendrik: Die heutige "Göttinger Linke" geht auf die "Linke Liste Göttingen" (LLG) zurück, die vor genau 30 Jahren, 1991, zum ersten Mal zum Rat der Stadt und einzelnen Ortsräten kandidierte. Die Gründungsmitglieder waren die DKP, die in den Jahren zuvor bereits zwei Mal im Rat vertreten war, einige linksorientierte andere Gruppen, die sich gerade in Göttingen konstituierende PDS sowie drei oder vier Einzelpersonen. Sie hatten festgestellt, dass die gesamte Linke, die fortschrittliche Bewegung durch die Zerschlagung der DDR einen herben Rückschlag erlitten hat. Sie hatten ausgelotet, auf welchen politischen Feldern sie zusammenarbeiten können. Diese Zusammenarbeit war so erfolgreich, dass die Linke Liste Göttingen 10 Jahre lang ein Mandat im Rat der Stadt hatte.
Frage: Warst Du damals schon dabei bzw. wie bist Du dazugekommen?
Hendrik: Ich selbst war zu dem Zeitpunkt in einer antifaschistischen Stadtteilgruppe in meinem Kietz tätig. Wir verteilten Flugblätter gegen das Auftreten von Neofaschisten im Stadtteil und führten – besonders vor den unterschiedlichen Wahlen – Veranstaltungen zu den kandidierenden neofaschistischen Parteien durch. 2001 hatten wir uns entschlossen, Antifaschismus auch "wählbar" zu machen und kandidierten zum Ortsrat in Grone. Wir boten damals sowohl der PDS als auch den Grünen an, gemeinsam im Stadtteil zu kandidieren, was zu dem Zeitpunkt aber beide noch ablehnten.
Zur Kommunalwahl 2006 konstituierte sich die Linke Liste Göttingen neu, jetzt als "Wähler*innengemeinschaft Göttinger Linke". Zusammen mit der Partei DIE LINKE, der WASG, der DKP und ein paar mehr Einzelpersonen kandidieren wir seitdem nun wieder gemeinsam – im festen Bewusstsein, dass wir in der Kommunalpolitik gemeinsam mehr für die arbeitenden Menschen erreichen können. Seit dieser Zeit bin ich selbst dabei.
Frage: Gibt es etwas Besonderes bei dieser Form gemeinsamer Kommunalpolitik im Vergleich zur Arbeit von z.B. Fraktionen der Partei DIE LINKE oder auch der DKP?
Hendrik: Nein und natürlich auch ja:
Nein, weil es eine Politik ist, die sich an den Bedürfnissen der arbeitenden Menschen orientiert, u.a. bezahlbarer Wohnraum, flächendeckende Kita-Versorgung, Orientierung auf außerparlamentarische Arbeit etc.. Das werden natürlich auch die genannten Fraktionen im Großen und Ganzen so handhaben. Und natürlich eine antikapitalistische Ausrichtung – soweit dies im Rahmen von Kommunalpolitik möglich ist.
Aber Ja, es gibt natürlich auch Unterschiede und die will ich gern benennen: Wir stehen nicht gegeneinander in der Kommunalpolitik und auch nicht bei Kandidaturen. Wir stehen ständig in einer gemeinsamen Diskussion und müssen uns bei jedem Thema wieder "zusammenraufen", zu "unserer" Linie finden. Das schafft Vertrauen untereinander: Was der Eine nicht weiß, dazu kann der Andere etwas beitragen. Und so sehen wir uns auf kommunalpolitischer Ebene nicht als Konkurrenz sondern als Ergänzung – auch in weitergehenden Fragen.
Dieses Vertrauen hat dann auch dazu geführt, dass die Göttinger Linke eng mit der Kreistagsfraktion der Partei DIE LINKE zusammenarbeitet. Im Landkreis kandidiert die Göttinger Linke nicht. Dort stellt die Partei DIE LINKE Wahllisten auf, auf denen auch parteilose Kandidatinnen der Göttinger Linken zu finden sind.
Frage: Redet ihr auch über eure Unterschiede? Bringen diese euch weiter, hemmen sie in der Findung gemeinsamer Standpunkte oder verblassen Unterschiede in der politischen Aufgabenstellung?
Hendrik: Wir haben in unserer Satzung [1] vereinbart, dass unsere Gemeinsamkeiten in der Kommunalpolitik vorherrschen. Bei der Diskussion um unser Kommunalwahlprogramm [2] - das Wahlprogramm der Wähler*innengemeinschaft in Göttingen ist gleichzeitig auch das Wahlprogramm der Partei DIE LINKE im Landkreis Göttingen - hatten wir neun bunt gemischte Arbeitsgruppen gebildet, Dabei war es vollkommen egal, wer welcher Partei oder Gruppe angehört. In diesen Gruppen haben rund 40 Genoss*innen mitgearbeitet. Auf drei stadt- und landkreisweiten sogenannten kommunalpolitischen Ratschlägen haben wir diese Arbeitsgruppen gebildet und deren Ergebnisse solidarisch ausgewertet. Eine Redaktionsgruppe hat dann diese Auswertungen, in Absprache mit den Arbeitsgruppen, zum Programm zusammengefasst. Und ja: Bei dieser solidarischen Arbeit verblassen die Unterschiede in anderen Fragen tatsächlich. Andererseits kommen wir ja bei allen Gesprächen natürlich auch auf weitergehende Fragen. Diese können wir gut gemeinsam diskutieren. Noch einmal: Auch diese Diskussionen schaffen das notwendige, gegenseitige Vertrauen.
Wir können, z.B. bei Bundestagswahlen, auch gut mit zwei Info-Tischen von der Partei DIE LINKE und der DKP, die nebeneinander stehen, leben. Wir kennen unsere Gemeinsamkeiten und diskutieren unsere unterschiedlichen Auffassungen zu anderen Fragen.
Frage: Mit welchen Forderungen seid ihr angetreten, habt ihr die Menschen damit gleich gewinnen können oder haben sich in der Diskussion am Infostand, auf Veranstaltungen neue Fragen ergeben, die dann in den Wahlkampf einbezogen wurden?
Hendrik: Ich will hier nicht auf die Info-Tische im Wahlkampf eingehen, wobei wir insgesamt sicher 15 davon in der ganzen Stadt durchgeführt haben. Unsere Forderungen sind Ergebnis aus der in den letzten Jahren geleisteten Arbeit, bei der wir ja in allen Fragen mit den Menschen zusammenkommen: Sei es bei der Arbeit im Rat der Stadt oder den Ortsräten, sei es bei den Fridays for Future -Demonstrationen, den Friedenskundgebungen, den Mieter*innenintiativen etc. oder auch bei unserem (fast) monatlichen "kommunalpolitischen Arbeitskreisen". Diese werden von der Wähler*innengemeinschaft und der Partei DIE LINKE im Kreistag gemeinsam durchgeführt. Und hier hat jede/r Interessierte Zutritt; darüber hinaus laden wir dann auch gezielt andere Menschen ein, die uns einmal weiterbilden und zum Anderen natürlich auch inhaltlich ergänzen. Im übertragenen Sinn: Infostände finden das ganze Jahr über statt – aber auch im wahrsten Sinn des Wortes.
Frage: Ihr seid mit 4 Sitzen in den Göttinger Stadtrat und mit je einem in zwei Ortsräte eingezogen. Herzlichen Glückwunsch! Weißt Du bereits, wie Deine Arbeit im Ortsrat Grone weiter laufen wird? Gibt es Themenfelder, Bereiche, in denen Du Eure Schwerpunktforderungen vertreten willst?
Hendrik: Wir hatten in unserer Stadtteilgruppe vor den Wahlen ein Wahlflyer[3] mit den Themen erstellt, an denen wir z.T. schon seit Jahren "dran" sind. Das sind zum Einen die Auseinandersetzungen um die Wohnungen der ADLER AG, das heißt um ungerechtfertigte Mieterhöhungen, undurchsichtige Nebenkostenabrechnungen und umfangreiche Modernisierungen mit denen die Mieten in die Höhe getrieben werden. Jüngst wurde bekannt, dass Adler diese Wohnungen an einen anderen Miethai verkaufen will. Dies werden wir, zusammen mit der Mieterinitiative, die sich in Grone gebildet hat, außerparlamentarisch bekämpfen und dabei helfen natürlich unsere Möglichkeiten im Ortsrat.
Zum Anderen fordern wir immer wieder ausreichend Kita-Plätze oder auch flächendeckend freies WLAN für unseren Stadtteil, mit seinem hohen Anteil an sozial benachteiligten Bürgern. Wir haben aber auch neue Anregungen aufgenommen, die wir in den vergangenen Monaten in Gesprächen mit Nachbar*innen bekommen haben.
Die SPD hat nach Jahrzehnten ihre absolute Mehrheit im Ortsrat verloren. Da ist es ja schon möglich, dass es, bei übereinstimmenden Positionen, zu neuen Verhältnissen bei ortsbezogenen Themen kommen kann. Ich sehe hier vor allem die Frage des Erhalts und des Neubaus bezahlbarer Wohnungen, nachdem auch die neue SPD-Oberbürgermeisterin sich im Wahlkampf in diese Richtung sehr "weit aus dem Fenster gelehnt" hat.
Bei genauem Betrachten der Ergebnisse der Kommunalwahl konnten wir feststellen, dass wir in vier Wahllokalen zwischen 12% und bis zu 19% der Stimmen erzielten, bei 8.5% im Durchschnitt. Hier haben genau die Menschen gewählt, die in den ADLER-Wohnungen leben und mit denen wir in den letzten Jahren viel "gearbeitet" haben: Infoveranstaltungen, Kundgebungen, Beratungsangebote und vieles mehr. Viele dieser Menschen haben allerdings nur wenig Anteil an dem politischen Diskurs, das zeigt die Wahlbeteiligung von insgesamt nur 20% bis max. 32%. Aber diejenigen, die zur Wahl gegangen sind, haben unsere Arbeit und Haltung honoriert. Das macht uns Mut, vor allem hier weiterzuarbeiten. Wir stehen vor der Frage, wie wir unsere Politik verbreitern können, sowohl qualitativ als auch quantitativ. Aber das wird sicher ein längerer Diskussionsprozess.
Frage: Hast Du für Dich und Deine eigene Arbeit Schwerpunkte überlegt? Gibt es Deinerseits Wünsche, was in den nächsten Jahren erfolgen müsste?
Hendrik: Na ja, Schwerpunkte … . Als Einzelner in einem kleinen Ortsrat ist man ja eher "Allrounder" denn Spezialist. Aber zusammen mit unserer Stadtteilgruppe werde ich vor allem an der Wohnungspolitik weiterarbeiten.
Dieses Politikfeld brennt den Menschen hier auf den Nägeln: ADLER hat die "normalen" Maßnahmen eingeleitet, wie die anderen großen Wohnungsgesellschaften auch: Modernisierung mit anschließender Mieterhöhung! Hier begleiten wir die Mieter*innen bei den unsagbaren Zuständen vor und in den Häusern. Wir haben ein Mietertelefon eingerichtet, bei dem sich immer wieder Betroffene melden und uns mit Informationen versorgen. Wir machen hier Mut sich zu wehren und geben unser Wissen über Hilfs- oder auch Beratungsangebote weiter.
Wenn ich mir etwas wünsche, wäre das eine regelmäßige marxistische Bildungsarbeit, zu der wir auch unsere Nachbar*innen einladen können. So hatten wir bis zur Coronapandemie in Göttingen einen Bildungszirkel, den "Club Marx". Menschen, die sich selbst als marxistisch verstehen und aus den unterschiedlichsten Professionen kommen, hatten etwa zweimonatlich – meist gemeinsam mit der Rosa-Luxemburg-Stiftung - zu unterschiedlichen Themen, u.a. auch Wohnungspolitik, eingeladen. Sehr vereinzelt zwar, aber trotzdem konnten wir dabei auch schon Nachbarn aus dem Stadtteil begrüßen. Die Fortsetzung dieser Arbeit wäre einer meiner "geheimen" Wünsche.
Anmerkungen
[1] Satzung:
https://www.goettinger-linke.de/satzung/
[2] [Wahlprogrammm:
https://www.die-linke-goettingen.de/fileadmin/lcmskvgoettingen/KV/wahlen/Wahlen_2021/GoettingerLinke_DieLinke_wahlprogramm2021_web.pdf
[3] Flyer Grone:
s. Anhang