10.09.2023: G20-Gipfel in Delhi: Alle - außer Kiew - mit der Abschlusserklärung zufrieden ++ keine Verurteilung der russischen Invasion in der Ukraine ++ G20 wird zur G21: Afrikanische Union wird Mitglied ++ Biden präsentiert eine "alternative" Seidenstraße
"Mit der Verabschiedung der Erklärung von Delhi wurde Geschichte geschrieben. Im Konsens und im Geiste vereint, verpflichten wir uns, gemeinsam für eine bessere, wohlhabendere und harmonischere Zukunft zu arbeiten. Mein Dank geht an alle G20-Mitglieder für ihre Unterstützung und Zusammenarbeit."
Man kann alles über Narendra Modi sagen, aber nicht, dass er nicht in der Lage war, den G20-Gipfel in Indien zu einem kleinen diplomatischen Meisterwerk zu machen, das der Welt, wie vom indischen Premierminister gewünscht, das Bild einer Nation vermittelt, die zu Recht an der Spitze auf der Weltbühne steht. Eine Nation, die in der Lage ist, dem "Globalen Süden" die Türen zu öffnen, jenem Teil des Planeten, der von den großen Gipfeltreffen ausgeschlossen ist und der nun - in Modis Vision - in Indien einen Fürsprecher für seine Rechte hat.
Jenseits des textlichen Balanceaktes der Abschlusserklärung, der Abwesenheit von Xi Jinping (und Putin), der Schwierigkeiten einer Zukunft, die durch die Schatten der Konflikte in Europa und des neuen Kalten Krieges im Indopazifik belastet ist, konnte Modi am ersten Tag des Gipfels nicht nur eine gemeinsame Erklärung unter Dach und Fach bringen, sondern er spielte auch ein Ass aus: Er lud Afrika ein, sich an den Tisch der Großen zu setzen, indem er der Afrikanischen Union in der Person des komorischen Präsidenten Azali Assoumani, der 55 Länder vertritt, den Status einer ständigen Mitgliedschaft anbot. Die zweite multinationale Gruppe in der G20 neben der Europäischen Union.
Die Abschlusserklärung ist eine gute diplomatische Lösung, die im Hinblick auf den Ukraine-Krieg alles und nichts sagt, aber sie ist da: Sie verweist auf den G20-Gipfel in Bali im Jahr zuvor (wo die Unterzeichnung bis zum Schluss umstritten war) und auf die UNO, "in einer Weise zu handeln, die mit den Zielen und Grundsätzen der Charta der Vereinten Nationen übereinstimmt". In dem Text heißt es, dass die Staaten auf die Androhung oder Anwendung von Gewalt und Atomwaffen verzichten müssen, um zu versuchen, Territorium zu erobern, indem sie die territoriale Unversehrtheit und Souveränität oder politische Unabhängigkeit eines Landes verletzen. Es wird darauf verwiesen, dass friedliche Konfliktlösung, Diplomatie und Dialog von grundlegender Bedeutung sind, aber auf den 29 Seiten des Textes kommt der Begriff "Invasion" oder "Angriff" nicht vor – lediglich, dass es zur Ukraine-Krise "unterschiedliche Meinungen und Einschätzungen gegeben hat". Die gleiche Formel wie in Bali, wo die Aggression jedoch noch verurteilt wurde. "Die meisten Mitglieder verurteilten den Krieg in der Ukraine aufs Schärfste", hieß es im vergangenen Jahr.
Die Bemühungen der Türkei und der UNO für die Vereinbarungen mit Moskau über Getreidelieferungen werden gelobt. In dem Text wird auch auf russische Forderungen nach einer Lockerung der westlichen Sanktionen eingegangen. So fordert die Erklärung die "unverzügliche und ungehinderte Lieferung von Getreide, Lebensmitteln und Düngemitteln/Zusätzen von der Russischen Föderation und der Ukraine" zu gewährleisten.
Ein Balanceakt, der fast allen gefällt - Russland hat das Abschlussdokument als "ausgewogen" gelobt - und der vor allem in Rekordzeit ausgehandelt wurde.
Lediglich die Regierung der Ukraine mäkelt an dem Text, weil von einer Verurteilung des russischen Angriffskrieges abgesehen wurde. Aus Sicht des ukrainischen Außenministeriums ist die G20-Abschlusserklärung deshalb "nichts, worauf man stolz sein könnte". Eine Teilnahme der ukrainischen Seite an dem G20-Treffen hätte es den Teilnehmern ermöglicht, die Situation besser zu verstehen, heißt es aus Kiew. Ein Seitenhieb auf Modi, der trotz Drucks der G7 den ukrainischen Regierungschef Selenskyj nicht zum G20-Gipfel eingeladen hatte.
Zu den Streitpunkten um das Südchinesische Meer (für Vietnam das Ostmeer) wird nichts gesagt. Auch hier ist niemand unzufrieden. Was die Chinesen anbelangt, bringt Modi jedoch das Ergebnis mit nach Hause, dass er Xi Jinping nicht anlächeln musste und stattdessen Joe Biden schöne Augen machen konnte. Das wurde erwidert.
US-Präsident Joe Biden seinerseits bringt eine Art Seidenstraßen-Alternative zur chinesischen Projekt Belt and Road Initiative mit nach Hause. Bei dem am Vorabend des Gipfels vorgestellten Projekt handelt es sich um eine Absichtserklärung zwischen den USA, Indien, Saudi-Arabien, den Vereinigten Arabische Emiraten und die Europäische Union über ein umfangreiches Eisenbahn- und Seeverkehrsprojekt, das Europa mit dem Nahen Osten und Indien verbinden soll. Biden sprach von einem "historischen Wirtschaftskorridor", betonte aber, dass es sich dabei nicht um eine Alternative zur Belt and Road Initiative handele, sondern um eine Fortsetzung der Asien-Europa-Route, die etwas weiter südlich verläuft.
Die Umwelt und das Klima? Wenig. Die Erklärung enthält keine Verpflichtung zur Abkehr von fossilen Brennstoffen.
zum Thema