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Chile Verfassungsentwurf an Boric10.07.2022: Am Montag den 4. Juli fand die feierliche Übergabe des Verfassungsentwurfs an den chilenischen Präsidenten Gabriel Boric statt. Die monatelange Arbeit des Konvents ist damit beendet. "Eine historische Phase demokratischer Arbeit geht hiermit zuende", erklärte die Präsidentin des chilenischen Verfassungskonvents, María Elisa Quinteros. Am 4. September wird in einem Referendum über ihre Annahme entschieden. 

Geht es nach dem Verfassungsentwurf, dann wird der neoliberale Staat soll durch das Modell eines "sozialen und demokratischen Rechtsstaates" ersetzt werden. Prinzipien der Plurinationalität und des Naturschutzes nehmen großen Raum ein.

 

"Dieser Verfassungsvorschlag, den wir heute überreichen, soll die Grundlage sein für das gerechtere Chile, von dem wir alle träumen. Viele Generationen haben für diesen Traum gearbeitet. Was uns angetrieben hat, war die Hoffnung auf ein neues gesellschaftliches Abkommen, das uns alle mit berücksichtigt."
María Elisa Quinteros, Präsidentin des chilenischen Verfassungskonvents

 

Verfassungsentwurf in Chile vorgelegt

übernommen von amerika21, 8.7.2022

Der Verfassungskonvent in Chile hat den lang erwarteten Entwurf für eine neue Verfassung vorgelegt. Dem Entwurf waren zwölf Monate Beratungen unter Einbeziehung von Vorschlägen aus der Gesellschaft vorangegangen. Über den Text des Grundgesetzes wird am 4. September in einem landesweiten und obligatorischen Plebiszit abgestimmt.

Am Montag wurde der finale Text bei einer offiziellen Zeremonie dem amtierenden linken Präsidenten Gabriel Boric vorgestellt. Die Übergabe des Verfassungsentwurfs an Boric und das offizielle Ende der Arbeit der verfassungsgebenden Versammlung wurden von Kundgebungen und Mobilisierungen verschiedener Gruppen im ganzen Land begleitet.

Nach der abschließenden plenaren Sitzung des Verfassungskonvents erklärte Tammy Pustilnick, eine der Koordinator:innen des Konvents: "Wir sind mit dem Ergebnis sehr zufrieden. Von den 538 Anträgen für Konkretisierung, über die im Plenum abgestimmt werden musste, wurden nur vier für die ständigen Artikel abgelehnt, so dass wir sagen können, dass der Harmonisierungsausschuss seine Aufgabe erfüllt hat." Man werde einen "kohärenten, systematisierten und klar formulierten Text für die Volksabstimmung vorlegen".

Der Entwurf enthält neben Kapiteln zur Gewaltenteilung u.a. auch Kapitel zu Natur und Umwelt, demokratischer Beteiligung, guter Regierungsführung und öffentlichem Dienst und zur regionalen staatlichen und territorialen Organisation. Vor allem territoriale und kulturelle Fragen und eine Neuorganisation staatlicher Institutionen in Bezug auf das Wahlrecht, die Einrichtung von Regionalkammern statt eines Senats und eine mögliche Auflösung der umstrittenen Carabineros de Chile, waren in den vergangenen Monaten stark diskutiert worden (amerika21 berichtete).

Der erste Artikel des Textes definiert Chile als "sozialen und demokratischen Rechtsstaat", der "multinational, interkulturell, regional und ökologisch" ist. Als wichtiger neuer Verfassungsgrundsatz wird in dem Entwurf festgehalten, den derzeitigen "subsidiären" neoliberalen Staat durch ein Modell eines Rechtsstaats zu ersetzen, in dem sich der Staat aktiv für das Wohlergehen der Menschen einsetzt und der die Pluralität Chiles anerkennt.

In den zwei Monaten bis zum Plebiszit haben Chilen:innen jetzt Zeit sich über die Inhalte des neuen Verfassungstextes zu informieren. "Der 4. September wird ein historischer Tag sein, unabhängig vom Ausgang des Plebiszits. Deshalb arbeiten wir daran und werden dies auch weiterhin tun, sicherzustellen, dass die Abstimmung in Kenntnis der Sachlage erfolgt", sagte Ministerin Camila Vallejo dazu auf einer Veranstaltung. Dort stellte sie als Abschluss der ersten Phase der Informationskampagne ein Video der Regierung vor, das über den Prozess der Erarbeitung, die Verfassungsgeschichte und den Inhalt des neuen Textes informiert.

  Chile Verfassungsentwurf Camila Vallejo  
  Camila Vallejo: "Es ist unsere Pflicht, Ihnen den vollständigen Text der neuen Verfassung ohne Interpretationen zur Verfügung zu stellen, damit Sie darüber debattieren und diskutieren können.
Gehen Sie auf http://chilevotainformado.cl, laden Sie den Text herunter und lernen Sie ihn aus erster Hand kennen, damit Sie am 4. September mit Überzeugung wählen können."
 

 

 

Unterstaatssekretärin Valeska Naranjo erklärte, dass in der ersten Phase der landesweiten Informationskampagne insgesamt 118 Informationsmodule eingerichtet wurden. "Das Plebiszit ist für alle Wahlberechtigten obligatorisch. Mit der Verabschiedung des Verfassungstextes beginnt nun eine neue Etappe, und als Regierung rufen wir dazu auf, sich über zuverlässige Quellen zu informieren", fügte Naranjo hinzu.

Vor diesen Kampagnen haben soziale Bewegungen und unabhängige Medien bereits frühzeitig angefangen, Strategien für die Information über den Verfassungsentwurf zu entwickeln. Ihnen kommt auf Grund der konservativ dominierten Medienlandschaft und vor dem Hintergrund eines anhaltenden Misstrauens in die Regierung eine besondere Rolle zu.

Die verfassungsgebende Versammlung wurde im Oktober 2019 nach dem sozialen Aufstand initiiert. Aufgabe des Konvents war es, einen Entwurf zu erarbeiten, der die aus der Zeit der Pinochet-Diktatur stammenden neoliberalen Verfassungsnormen ersetzt und die rechtliche Grundlage für weitere soziale Transformationsprozesse ändert. Die Versammlung war paritätisch besetzt, hatte eine festgelegte Anzahl von Sitzen für indigene Vertreter:innen und umfasste mehrheitlich Personen ohne traditionellen parteipolitischen Hintergrund.

In den vergangenen Monaten hatten die Rechte und die alte Oligarchie mit Unterstützung der Medien kräftig mobilisiert und mit Desinformationskampagnen massiv Stimmung gegen die neue Verfassung gemacht. Beobachter:innen glauben, dass sie, wenn sie schon innerhalb des Konvents keine Chance auf Einflussnahme auf den Inhalt des Textes durch eine Sperrminorität geltend machen konnten, jetzt versuchen werden, den Prozess im letzten Schritt, dem Plebiszit, zu kippen.

"Mit der Volksabstimmung wird nicht für oder gegen die Regierung gestimmt, sondern es werden die Weichen für die Zukunft Chiles gestellt. Es geht darum, was in den nächsten Jahrzehnten in unserem Land passieren soll."
Gabriel Boric, Präsident von Chile
eingefügt von kommunisten.de

Sollten die Chilen:innen am 4. September für die Annahme des neuen Verfassungstextes stimmen, wäre dies ein historisches Ereignis für das Land. Nicht nur wegen der relativ progressiven Artikel der Verfassung, sondern vor allem auch wegen dem Druck von der Straße zum Start des verfassungsgebenden Prozesses und der Art, wie die Verfassung erarbeitet wurde.


 

Von den Barrikaden zur neuen Verfassung

Chile Adios Neoliberalismo(...)
Die politische Arbeit an der neuen Verfassung ist mittlerweile abgeschlossen. In sieben Kommissionen, die sich unter anderem mit dem politischen System, den Grundrechten, der Umwelt und den Naturrechten, aber auch mit wissensbasierten Systemen und der Kultur beschäftigten, wurden die Verfassungsartikel ausgearbeitet. Diese mussten im Plenum der gewählten Abgeordneten mit einer Zweidrittelmehrheit beschlossen werden. So sind in einer Rohfassung 499 Artikel entstanden. Nach deren Überarbeitung durch eine "Harmonisierungskommission" wird am 4. September das Referendum stattfinden: Alle Bürger:innen ab 16 Jahren sind zur Abstimmung verpflichtet und können so über die Annahme des finalen Textes entscheiden.

Der nun vorliegende Vorschlag unternimmt den Versuch, die indigenen Völker Chiles in ihre Rechte zu setzen und den Staat zu dekolonisieren; ein paritätisches Recht einzuführen, das von der Gleichheit der Geschlechter und geschlechtlicher Selbstbestimmung ausgeht; eine Reform des politischen Systems vorzunehmen, das die politische Macht weg vom Präsidenten hin zum Parlament verstärkt; einen Rat der Regionen statt eines Senats zu schaffen und damit die Dezentralisierung des Staates zu priorisieren. Die demokratischen Zugewinne der neuen Verfassung bestehen vor allen Dingen im Gleichheitsgebot, das allen Unterfangen unterliegt, und so noch in keiner Verfassung der Welt steht. Das könnte umwälzende Folgen in allen Institutionen des Landes haben, da es – wenn das "Apruebo" ("Ich stimme zu") gewinnt – eine geschlechter-paritätische Besetzung verlangt. Auch legt der Entwurf Chile als "sozialen und demokratischen Rechtsstaat" fest. Chile, so heißt es im ersten Absatz von Artikel 1, ist "plurinational, interkulturell und ökologisch". Mit dieser neuen Verfassung würde die Pinochet-Diktatur und das Paradigma des Neoliberalismus, der in Chile seinen Ausgang nahm, ad acta gelegt.

Doch wichtig ist nicht nur das, was nun schwarz auf weiß geschrieben steht und vielleicht so etwas wie eine der ersten Verfassungen der Welt ist, die von den jüngsten sozial-ökologischen, feministischen und dekolonialen Kämpfen geprägt ist. Ebenso wichtig ist der dahinterstehende demokratische Prozess vom Aufstand bis zur permanenten Diskussion über die Zukunft eines Landes und seine künftigen Spielregeln. Während die Rechte schon parallel zur noch tagenden Constituyente gegen alle Veränderung mobilisierte, tagte diese manchmal bis in die Nachtstunden. Die Versammlung wanderte von Ort zu Ort, um dort lokale Anhörungen durchzuführen. Sie bearbeitete nicht nur die vielen Vorschläge, die die einzelnen Kommissionen erhoben hatten, sondern auch die Vorschläge aus der Bevölkerung. So hatte jede:r chilenische Bürger:in sieben Stimmen, um Verfassungsinitiativen außerhalb der Constituyente zu unterstützen. Ab 15.000 Stimmen mussten die eingebrachten Vorschläge dort verhandelt werden.
(…)


Auszug aus "Von den Barrikaden zur neuen Verfassung", von Mario Neumann und Katja Maurer, medico international
hier der vollständige Text: https://www.medico.de/blog/von-den-barrikaden-zur-neuen-verfassung-18678

medico unterstützt soziale Initiativen und Partnerorganisationen in Chile in ihrer Kampagne für die neue Verfassung. Apruebo – Ja zum Neuanfang.
siehe https://www.medico.de/adios


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Mehr als 2 Millionen Menschen, darunter 1,7 Millionen Palästina-Flüchtlinge, zahlen den verheerenden Preis für die Eskalation im Gazastreifen.
Zivilisten sterben, während die Welt zusieht. Die Luftangriffe gehen weiter. Familien werden massenweise vertrieben. Lebensrettende Hilfsgüter gehen zur Neige. Der Zugang für humanitäre Hilfe wird nach wie vor verweigert.
Unter diesen Umständen sind Hunderttausende von Vertriebenen in UNRWA-Schulen untergebracht. Tausende unserer humanitären Helfer sind vor Ort, um Hilfe zu leisten, aber Nahrungsmittel, Wasser und andere lebenswichtige Güter werden bald aufgebraucht sein.
Das UNRWA fordert den sofortigen Zugang zu humanitärer Hilfe und die Bereitstellung von Nahrungsmitteln und anderen Hilfsgütern für bedürftige Palästina-Flüchtlinge.
Dies ist ein Moment, der zum Handeln auffordert. Lassen Sie uns gemeinsam für die Menschlichkeit eintreten und denjenigen, die es am meisten brauchen, die dringend benötigte Hilfe bringen.

Hilfswerk der Vereinten Nationen für Palästina-Flüchtlinge

Spenden: https://donate.unrwa.org/gaza/~my-donation


 

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