16.04.2021: Am 7. November finden in Nicaragua die Präsidentschafts- und Parlamentswahlen statt. Vor drei Jahren, während der massiven Proteste gegen die Regierung, schienen die Tage von Nicaraguas Präsident Daniel Ortega gezählt. Doch nun sieht es danach aus, dass er das Land auch nach den Wahlen im November 2021 regieren wird. Acht Monate vor der Wahl hat die politische Partei FSLN einen großen Vorsprung vor einer zersplitterten Opposition, die für die Mehrheit der Bevölkerung keine echte Alternative zur regierenden FSLN darstellt. Die USA arbeiten gemeinsam mit der Opposition an Putschplänen.
Am 7. November finden in Nicaragua die Präsidentschafts- und Parlamentswahlen statt. Nach einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts M&R Consultores vom 13. April liegt die FSLN mit ca. 60 Prozent weit in Führung. Damit hält der Trend der steigenden Zustimmung beginnend mit der ersten Umfrage im August 2019 bis zur jetzigen sechsten Umfrage an. Wären die nationalen Wahlen während des Zeitraums dieser Umfrage abgehalten worden, hätte die FSLN mit einer Zustimmung zwischen einer Untergrenze von 47,1 % und einer Obergrenze von 74,3 % rechnen können. Im Gegensatz dazu hätten die Gruppen, die die aktuelle Opposition bilden, zwischen einer Untergrenze von 6,7 % und einer Obergrenze von 22,4 % erreichen können. [1]
Politische Sympathie |
Stimmabgabe, wenn jetzt Wahlen wären |
Entwicklung von August 2019 - März 2021 |
In den Oppositionsparteien finden sich vor allem Karrierepolitiker*innen, viele von ihnen aus der traditionellen Rechten, aber auch sandinistische Dissident*innen, Unternehmer*innen sowie ein paar Vertreter*innen der Zivilgesellschaft und der oppositionellen Studierenden- und Bauernbewegung. Ihre Verbindungen zum Großkapital oder zur alten konservativen Elite, die zwischen 1990 und 2007 neoliberale Regierungen anführte, bieten der ärmeren Bevölkerungsmehrheit keine glaubhafte Alternative zur Regierung.
Erfolge in der Pandemiebekämpfung
Im Unterschied zu den oppositionellen Parteien verfügt die FSLN über Strukturen im ganzen Land und von ihren traditionellen sozialen Bindungen aus der Zeit der Revolution (1979-1990). Auf diese funktionierenden Netzwerke in den Stadtvierteln und Gemeinden stützt sich die Regierung auch in der Pandemiebekämpfung. Hausbesuche, bei denen Gesundheitspersonal und FSLN-Aktivist*innen landesweit über Präventionsmaßnahmen informierten, haben eine positive Wirkung entfaltet. In Nicaragua sind die Auswirkungen der Corona-Pandemie offensichtlich nicht so verheerend wie in vielen anderen Ländern Lateinamerikas. Es kam auch nicht zu der von einigen Regierungskritiker*innen prognostizierten Überlastung der öffentlichen und privaten Krankenhäuser.
Im Gegensatz zu den Nachbarländern Honduras, Guatemala, El Salvador verlassen nur sehr wenige Menschen Nicaragua. Das Land hat die niedrigste Mordrate in Zentralamerika, es gibt keine Gangs oder Kartelle.
Wachsende Wirtschaft
Multilaterale Geldgeber (Weltbank, IWF, Inter-Amerikanische Entwicklungsbank und CABEI) loben ausnahmslos das transparente Management und die Ergebnisse ihrer Kreditportfolios. Keine Regierung hat jemals so viel Geld in den Tresoren der Zentralbank BNC gehabt wie die jetzige, die laut Daten der BCN im Februar den Rekordwert von 27.155 Millionen Córdobas erreichte. Die Regierung injiziert mehr als 1,2 Milliarden Córdobas in die Wirtschaft und erreichte eine Stabilisierung der Wirtschaft.
Nicaraguas Finanzminister Iván Acosta verglich kürzlich in einer Pressekonferenz die 2 Prozent Wachstum des Bruttoinlandsprodukts Nicaraguas mit den 7,4 Prozent, die Lateinamerika verloren hat. Er verwies darauf, dass es nach einer Stagnation in der zweiten Hälfte des Jahres 2020 zu einer Steigerung der Exporte und zu einer Diversifizierung der Produkte kam. "Diejenigen, die T-Shirts produzierten, begannen die Produktion von Masken und anderen Gegenständen, die mit der öffentlichen Gesundheit verbunden sind" sagte er, so dass in den Exportzonen "etwa 10.000 neue Arbeitsplätze" entstanden.
Zugleich punktet die Regierung mit der Verteilung von Lebensmitteln und der Verbesserung der Infrastruktur sowie der Organisierung von sportlichen, kulturellen und ökologischen Aktivitäten.
Umsturzstrategien statt Wahlen
Angesichts dieser Entwicklung geht es den führenden Köpfen der Opposition gar nicht mehr darum, die Regierungsübernahme durch ein überzeugendes Programm mit vertrauenswürdigen Politiker*innen auf demokratischem Weg zu erreichen. Sie bauen mit Unterstützung der USA, in Anlehnung an die Strategie des "selbsternannten Übergangspräsidenten" von Venezuela Juan Guaidó, darauf, auch ohne Unterstützung der breiten Bevölkerung das Land zu destabilisieren und die Regierung mittels eines "plötzlichen politischen Übergangs" [2] zu übernehmen.
Am 10. März trafen sich mehrere Präsidentschaftskandidat*innen und weitere Vertreter*innen der nicaraguanischen Opposition - Felix Maradiaga von der Blau-Weiße Bürgerallianz (UNAB), Miguel Mora von der evangelikalen Partei der Demokratischen Wiederherstellung (PRD) sowie Luis Fley von der Ex-Contrabewegung Demokratische Kraft Nicaraguas (FDN) - mit dem venezolanischen Oppositionspolitiker Juan Guiadó und einigen seiner Mitarbeiter*innen.
Ein ähnliches Treffen hatte bereits vorher, am 3. März, mit der Demokratischen Erneuerungsunion (UNAMOS), ehemals Sandinistische Erneuerungsbewegung (MRS), gegeben. Laut Medienberichten ging es dabei schwerpunktmäßig darum, wie international Druck aufgebaut werden könnte, um die Ziele der nicaraguanischen Opposition zu erreichen. Guiadó habe diesbezüglich seine Unterstützung angeboten. Es sei "ein Vergnügen" gewesen, sich mit Guaidó auszutauschen "über die Bemühungen, die wir, die demokratischen Kräfte, unternehmen, um die Diktaturen von Ortega und Maduro zu besiegen" kommentierte Suyen Barahona, Präsidentin von UNAMOS, die Beratung mit Juan Guiadó.
US-Sanktionen gegen Nicaragua und Vorbereitung eines Staatsstreiches
Die USA haben der nicaraguanischen Opposition in den letzten Jahren über USAID, NED und andere Regierungskanäle mehr als 200 Millionen Dollar - allein zwischen Ende 2017 und dem 1. Mai 2020 mehr als 31 Millionen Dollar - zur Verfügung gestellt, wovon ein Großteil sowohl zur Förderung der Propaganda der Opposition in den Medien als auch zur Finanzierung des Putschversuchs 2018 verwendet wurde.
Nun hat eine überparteiliche Gruppe von US-Senatoren unter der Leitung von Bob Menendez (Demokratische Partei, Vorsitzender des Ausschusses für auswärtige Beziehungen des Senats) und mit Unterstützung des berüchtigten Kuba-Hassers Marco Rubio (Republikaner), einen Gesetzentwurf eingebracht, der zusätzlich zu den im Nica-Gesetz 2018 vorgesehenen Sanktionen zusätzliche Sanktionen gegen Nicaragua vorsieht - ein weiterer Versuch, die Wahlen zu sabotieren und einen Sieg der FSLN zu verhindern.
Der erklärte Zweck des Gesetzentwurfs mit dem Titel Reinforcing Nicaragua's Adherence to Conditions for Electoral Reform, RENACER (was ironischerweise Spanisch für "Wiedergeboren" ist) [3] ist es, "die strategische Ausrichtung der diplomatischen Instrumente der Vereinigten Staaten auf die Durchführung freier, fairer und transparenter Wahlen in Nicaragua voranzutreiben und die Verpflichtung der Vereinigten Staaten zu bekräftigen, die Grundfreiheiten und Menschenrechte des Volkes von Nicaragua zu schützen."
Es gelte, "die bestehenden gezielten Sanktionen aufeinander abzustimmen" und "neue Initiativen" zu starten. Die Sanktionen müssten "mit den Regierungen von Kanada und der Europäischen Union" koordiniert werden, heißt es weiter. Zudem verlangt der Gesetzesantrag von der US-Regierung "geheime Berichte über russische Aktivitäten in Nicaragua".
Zusätzlich zur Verhängung noch erdrückenderer Sanktionen gegen Nicaragua würde der Gesetzentwurf Nicaragua effektiv von internationalen Finanzinstitutionen und damit von Krediten, die für Sozial- und Entwicklungsprogramme verwendet werden, ausschließen. Wieder einmal sind es die Ärmsten der Gesellschaft, die darunter leiden werden.
"Der Niedergang der Demokratie in Nicaragua, einschließlich neuer Gesetze, die die politische Beteiligung behindern und die Verfolgung von politischen Dissidenten kodifizieren, ist alarmierend," begründet der demokratische Senator Tim Kaine den Gesetzentwurf.
Zu diesen neuen "alarmierenden" Gesetzen zählt die Reform des Wahlgesetzes, nach dem Parteien künftig keine Gelder mehr aus dem Ausland annehmen dürfen. [4] Dass auch Kandidat*innen keine Gelder aus dem Ausland annehmen dürfen, sei "ein besonderes Problem und besonders restriktiv", beschwert sich Eliseo Núñez Morales, Ex-Abgeordneter verschiedener liberaler Parteien Nicaraguas gegenüber der konservativen Zeitung La Prensa. Dass Funktion von Regierungspräsidien von kommunaler bis zur höchsten Ebene mindestens zu 50 Prozent von Frauen besetzt werden sollen, sei "verfassungswidrig", dass Wahlkundgebungen angemeldet werden müssen, eine "Verstärkung des Polizeistaates", so Núñez. (La Prensa, 12.4.2021)
"Response Action in Nicaragua" - Plan zum Sturz der FSLN
Bereits im Sommer vergangenen Jahres war ein Plan aufgedeckt worden, mit dem die USA einen Staatsstreich in Nicaragua organisieren wollen. Für den nicaraguanischen Journalisten William Grigsby ist der Plan eine Antwort auf die Tatsache, dass die USA erkennen, dass Präsident Daniel Ortega die Wahlen im November 2021 gewinnen wird.
Das Dokument "RFTOP-Nr. 72052420R00004" trägt den Titel "Responsive Assistance in Nicaragua" (RAIN) und beschreibt detailliert die Vorbereitungen für einen "regime change". [5]
"Ziel 2: Nicaragua schafft die Grundlage für künftiges Wirtschaftswachstum und verstärkten Handel durch den Übergang zu einer regelbasierten Marktwirtschaft, die auf transparenten und rechenschaftspflichtigen Regulierungsinstitutionen, fiskalischer und monetärer Stabilität, der Achtung der Rechtsstaatlichkeit und dem Schutz privater Eigentumsrechte beruht."
RFTOP No: 72052420R00004, Responsive Assistance in Nicaragua - SECTION C, Page 15
Das Dokument legt drei Szenarien fest, die sie "demokratischen Übergang in Nicaragua" nennen:
"RAIN wird diese Aktivitäten gegen eine Vielzahl von Szenarien verfolgen, die im Allgemeinen unter drei Kategorien fallen:
- Freie, faire und transparente Wahlen führen zu einem geordneten Übergang [Anm.: der US-Kandidat gewinnt]
- Ein plötzlicher politischer Übergang erfolgt nach einer Krise [Anm.: ein Putsch führt zu einer von den USA unterstützten Regierung]
- Der Übergang erfolgt nicht geordnet und zeitnah. Das Regime bleibt angesichts des nationalen und internationalen Drucks standhaft. Es ist auch möglich, dass das Regime nach Wahlreformen und einer fairen Wahl an der Macht bleibt, aber ohne Änderungen an der Rechtsstaatlichkeit oder der demokratischen Regierungsführung."
In dem Dokument wird bedauert, dass sich die Opposition nicht auf eine politische Partei oder einen Kandidaten einigen kann. In Erwartung, dass die Opposition die Wahlen nicht gewinnen kann, könnte die beste Option sein, dass die Opposition sich weigert, an Wahlen teilzunehmen und stattdessen auf abrupte Änderungen und die Fähigkeit zu orientieren, schnell zu reagieren können, um "eine neue Regierung zu installieren."
Das Dokument wurde im März oder April 2020 geschrieben und ging davon aus, dass die Covid-Pandemie großen Stress auf das nicaraguanische Gesundheitssystem ausüben würde, und dass dies eine Möglichkeit wäre, eine "Krise" herbeizuführen und "Druck" auszuüben. "Sobald eine große gesundheitliche, politische und wirtschaftliche Krise in Nicaragua entsteht", intensiviert USAID seine neue programmatische Strategie, die zur Destabilisierung des Landes führen wird. Mit anderen Worten, der Plan rechnete mit der Entwicklung von "Unruhe" in der Bevölkerung im Zusammenhang mit Covid-19, die ausgenutzt werden könnte.
Diese Konzeption ging nicht auf, deshalb wird jetzt an einer Verschärfung der Sanktionen und an der Delegitimierung der Wahlen gearbeitet. Mit dieser jüngsten US-Initiative wächst die Sorge, dass die USA versuchen könnten, einen falschen "Interimspräsidenten" wie mit Guaidó in Venezuela zu erzwingen.
Anmerkungen
[1] https://www.myrconsultores.com/nicaragua-rumbo-al-2021-6ta-encuesta-pre-electoral/
[2] aus dem Dokument RFTOP-Nr. 72052420R00004 der US-Regierung mit dem Titel "Responsive Assistance in Nicaragua (RAIN)". Hier als PDF-Datei laden
[3] https://www.menendez.senate.gov/es/noticias/prensa/senadores-menndez-rubio-kaine-colegas-presentan-proyecto-de-ley-para-promover-elecciones-democrticas-en-nicaragua
https://www.foreign.senate.gov/imo/media/doc/Nicaragua%20-%20RENACER%20Act%20-%20section%20by%20section.pdf
[4] Auch in den meisten EU-Ländern sind Parteispenden aus dem Ausland streng reguliert. In Deutschland dürfen Parteien größere Spenden aus dem Ausland nur in ganz engen Grenzen annehmen. Mehr als 1.000 Euro dürfen in aller Regel nur von Deutschen oder EU-Bürgern gespendet werden. Oder von Unternehmen, die sich zumindest zu 50 Prozent im Eigentum von einem Deutschen oder einem EU-Bürger befinden. Die Parteien müssen Auskunft über Herkunft und Verwendung der Mittel geben.
[5] RFTOP No: 72052420R00004, Responsive Assistance in Nicaragua: http://www.tortillaconsal.com/images/usaid_rain_1-8-2020.pdf oder im Anhang