28.11.2011: Zahlreiche Protestaktionen begleiten Anfang Dezember die Afghanistan-Regierungskonferenz in Bonn, zu der u.a. Präsident Karzai, UN-Generalsekretär Ban Ki Mun und US-Außenministerin Clinton erwartet werden. Mehr als 100 Delegationen mit weit über 1.000 Teilnehmern sollen am 5. Dezember 2011, zehn Jahre nach der ersten Petersberg-Konferenz, auf Außenministerebene über die Zukunft Afghanistans beraten. Am Vorabend nimmt auch Kanzlerin Merkel am Gala-Diner im Hotel Petersberg teil. Dazu schreibt die UZ in ihrer kommenden Ausgabe:
Petersberg II verfolgt ein doppeltes Ziel. Der Krieg soll bis 2014 weitgehend afghanisiert sein, während sich die NATO-Mächte die langfristige Kontrolle über das strategisch wichtige Land sichern wollen.
Schon in den letzten Jahren hatten Armee und Gendarmerie des Kabuler Regimes wesentlich höhere Verluste als die westlichen Besatzungsarmeen. Künftig will sich die US-Army auf das Training der afghanischen Armee, auf Spezialoperationen und sogenannte Präzisionsangriffe aus der Luft konzentrieren. Das senkt die Kosten, die mit dem Einsatz von 130.000 westlichen Soldaten völlig aus dem Ruder gelaufen sind, und bietet gleichzeitig eine Rückversicherung für die Zukunft.
Bei Bedarf kann die US-Army oder die NATO eingreifen und die Fähigkeit zur "Machtprojektion" in den rohstoffreichen kaspischen Raum bleibt erhalten. Experten rechnen mit 10.000 Agenten und Spezialtruppen und weiteren 20-30.000 Armeesoldaten, die die US-Interessen in Afghanistan nach 2014 sichern werden. Dieser Fortgang des Krieges mit anderen Mitteln wird hinter der Floskel vom "Abzug der Kampftruppen" versteckt und soll mit Hilfe eines Regierungsabkommens ein demokratisches Tarnmäntelchen erhalten. Zwischen dem Kabuler Regime und der US-Regierung sind schon seit einem Jahr Geheimverhandlungen darüber im Gange. Im November 2010 unterzeichneten die Regierung Karzai und die NATO ein Abkommen über "robuste und andauernde Partnerschaft" für die Zeit nach dem ISAF-Mandat.
Zwar tönt Karzai vor der Petersberg-Konferenz von angeblichen Bedingungen, die er an den Verbleib der Besatzungstruppen knüpfen will, aber als Präsident von US-Gnaden, dessen korrupte Regierung neben der ausländischen Besatzung der zentrale Grund für die Stärke der Aufstandsbewegung im Lande ist, kann er sich zwar eine öffentliche Show leisten, aber nicht einmal seine Armee selber bezahlen. Die Loja Dschirga, die Ende November in Kabul tagte, soll nach der Lesart westlicher Medien mit ihrer Abschlusserklärung die US-Regierung mächtig erschreckt haben. Dort wurde u.a. gefordert, dass nach einem Militärabkommen mit Washington ausländische Soldaten keine nächtlichen Razzien (Night Raids)mehr durchführen sollen. Das dürfte den Amerikanern indes ziemlich schnuppe sein. Ohnehin überlassen sie das wahllose Eintreten von Haustüren und den Terror gegen die Hausbewohner schon heute zum großen Teil ihren afghanischen Lehrlingen. Sie sollen bei 95 Prozent der nächtlichen Überfälle beteiligt sein. Ansonsten beschränkte sich die Erklärung aufs Unverbindliche wenn sie formuliert, dass die US-Truppen "nicht für alle Zeiten" in Afghanistan bleiben sollen. Welche Stützpunkte sich die USA am Hindukusch sichern wollen, wie viele Soldaten zu welchem Zweck wie lange stationiert bleiben, darüber erhielten die Versammlungsteilnehmer keinerlei Information.
Neben den Verhandlungen mit der Karzai-Regierung betreiben die USA seit längerem eigene Gesprächskanäle mit Teilen des afghanischen Widerstandes. Immer wieder gibt es Meldungen , man würde dabei über eine Aufteilung Afghanistans in Einflusszonen reden. So solle der Süden an die Taliban gehen, während sich die USA auf die Kontrolle des Nordens beschränken wollten. Tatsache ist, dass bislang die vollständige Beendigung der ausländischen Besatzung die Kernforderung der Taliban für eine Verhandlungslösung ist. Dass der Krieg militärisch zu gewinnen ist, glaubt im Westen niemand mehr, dennoch wird weiter die militärische Karte gespielt. Ein absurdes Machtpoker, das zahllose Menschenleben kostet.
Auch die Bundesregierung hält eisern die Stellung am Hindukusch. Zwar soll die Obergrenze des Mandats um 450 Soldaten vermindert werden, gleichzeitig ist für 2012 eine Verstärkung der Kampfkraft der Truppe durch Verlegung von vier Tiger-Kampfhubschraubern geplant. Die Ausgaben für Interventionseinsätze der Bundeswehr wurden im Militäretat 2012 um 250 Millionen Euro aufgestockt.
Freiwillig wird die Bundeswehr kaum abziehen. Dazu ist massiver Druck der Antikriegsbewegung nötig. Mit den Protesten gegen die Kriegskonferenz auf dem Petersberg besteht eine gute Gelegenheit dazu.
Text: Arno Neuber (Vorabdruck aus der UZ vom 02.12.11) Plakat: afghanistanprotest.de