27.10.2011: Die Endergebnisse der Richterwahlen in Bolivien am Sonntag vor einer Woche stehen jetzt kurz vor ihrer offiziellen Bekanntgabe. Am Montag dieser Woche teilte das Oberste Wahlgericht (Tribunal Supremo Electoral - TSE) die Auszählung von 99 Prozent der Stimmzettel mit. Die Zahlen, die auf der Internet-Seite des Wahlgerichts fortlaufend aktualisiert werden, weisen auf ein Unentschieden zwischen gültigen und ungültigen Stimmzetteln hin. Das Verhältnis dieser Stimmabgaben hat Bedeutung als Ausdruck des Einflusses der 'Bewegung des Sozialismus' (MAS) unter Führung von Staatspräsident Evo Morales und der bolivarischen Opposition bei diesen Wahlen.
Medien hatten am Wahlabend vorschnell andere Zahlen verbreitet. Bei nur drei Prozent ausgezählter Stimmen vermeldete der TV-Sender ATB, 40% gültige Stimmen stünden 60% ungültige gegenüber. Die Bevölkerung hätte der Morales-Regierung damit eine klare Absage erteilt, so die voreilige Interpretation.
Für die Wahl der obersten Richter des Verfassungsgerichtes ergaben jedoch die jüngsten Resultate 42,2% gültiger Stimmen, 43,9% warfen einen leeren Stimmzettel in die Wahlurne. Beim Obersten Verwaltungsgericht war das Verhältnis 42 zu 42,1 Prozent, beim Agrar- und Umweltgericht 42,4 zu 42,5 Prozent. Unabhängige Beobachter internationaler Organisationen bezeichneten die Wahl als frei und fair.
Über fünf Millionen Wahlberechtigte waren am 16. Oktober erstmals in der modernen Geschichte der Demokratie dazu aufgerufen, ihr oberstes Justiz-Personal direkt an der Wahlurne zu bestimmen. Die Bürger des Andenlandes konnten dabei zwischen 116 Kandidaten auswählen. Diese waren, wie in der neuen Verfassung von 2009 vorgesehen, vom Parlament vorher ausgewählt worden, wo die Regierung der 'Bewegung zum Sozialismus' (MAS) eine Zweidrittel-Mehrheit inne hat.
Die Opposition Boliviens hatte diese Vorauswahl als undemokratisch kritisiert und zur ungültigen Stimmzettelabgabe aufgerufen. In den traditionellen Oppositions-Departamentos Tarija, Santa Cruz, Beni und Pando lehnte eine deutliche Mehrheit die Richterwahl ab, die zu einer Abstimmung gegen die amtierende Linksregierung umfunktioniert wurde. Besonders 'kreative Freunde' der Demokratie nutzten die Abstimmung, um den politischen Gegner zu beleidigen und beschrieben die Stimmzettel mit rassistischen Anti-Morales-Parolen und homophoben Beleidigungen gegen Vize-Präsident Álvaro García Linera.
Die 116 Kandidaten durften weder einer Partei angehören noch in der Vergangenheit politische Ämter inne gehabt haben. Die Richter und Richterinnen können per Abwahlverfahren jederzeit ihrer Ämter enthoben werden. Über die Hälfte der Gewählten sind Frauen.
Die direkte Wahl von Richtern in Bolivien stellt weltweit ein einzigartiges demokratisches Experiment dar. Bei einer Wahlbeteiligung von über 80% haben mehr als 1,7 Millionen Bolivianer dem neuen Justiz-Personal ihre Stimme und damit Legitimität verliehen. Das TSE wies deshalb durch seinen Sprecher Ramiro Paredes die Behauptung einer niedrigen Wahlbeteiligung zurück. Zudem hätten sich auch die Null-Stimmen Wähler als informierte Bürger gezeigt. Die verbliebene Stimmenanzahl von Wählern, die den Wahlzettel ohne Votum und blanko abgegeben habe, sei fehlenden Informationen über die Kandidaten oder dem schwer verständlichen Wahlprozess geschuldet, so der TSE-Sprecher.
In den letzen Jahren war die Wahlbeteiligung in Bolivien sukzessive gestiegen. Nahmen 1993 trotz Wahlpflicht 72% ihre demokratischen Rechte wahr und gingen 2002 noch nur 71% zur Wahl, waren es 2005 bereits 84% und im Rekord-Jahr 2009 sage und schreibe 95% der im Wahlregister Eingetragenen. Wegen ihrer Einzigartigkeit sei die Richterwahl jedoch nicht mit vorherigen Abstimmungen zu vergleichen, wird Paredes in der Tageszeitung Cambio zitiert.
siehe auch: Internet-Potal des TSE
Text: Benjamin Beutler / Quelle: Lateinamerikaportal amerika21.de