22.04.2010 Es ist schon eine beeindruckende und herausragende Konferenz, die heute in der zentral-bolivianischen Stadt Cochabamba zu Ende geht. Etwa 15-20.000 Menschen sind dem Aufruf von Boliviens Staatspräsident Evo Morales Ayma zu einer alternativen 'Weltkonferenz über Klimawandel und das Recht der Mutter Erde' gefolgt und diskutierten damit verbundene Fragestellungen und erarbeiteten Forderungen für den nächsten Weltklimagipfel der UNO im Herbst 2010 in Cancun (Mexiko) in 17 thematischen Schwerpunkten.
Morales gehörte neben einer Reihe von anderen Vertretern der Entwicklungsländer zu den schärfsten Kritikern von Verlauf und Ergebnis des UN-Klimagipfels in Kopenhagen im Dezember 2009. Dort hatten die großen Industriestaaten, allen voran die USA und der EU-Block, unter Einsatz ihrer höchsten Repräsentanten versucht, Ergebnisse durchzusetzen, mit denen die Bewältigung der Auswirkungen des Klimawandels und die Maßnahmen gegen den Klimawandel ungerecht und anmaßend auf die Entwicklungsländer verlagert werden sollten. Diese wurden zudem in arroganter, undemokratischer Weise von nächtlichen Arbeitskreisen zur Erstellung einer Abschlusserklärung ausgeschlossen. Morales war einer, der am lautesten und offensten auf der COP15 gegen diese G8-Kungelei (mit Beteiligung von Barack Obama und Bundeskanzlerin Merkel) protestierte. Und er rief noch Ende 2009 zu dem jetzigen alternativen Gipfel in Cochabamba in einer Einladung vom 5.1.2010 (siehe Anlage) auf.
Der Kongress in Cochabamba wird, dem Aufruf und der Einladung von Evo Morales entsprechend, von Organisationen, Regierungen und Einzelpersonen getragen, die alle zusammen eine 'Bewegung von unten' bilden und insbesondere mit der schon erwähnten Abwälzung großer Anteile der Klimabewältigung auf die Entwicklungsländer durch die Zentren des imperialistischen Weltsystems nicht einverstanden sind. Neben den sozialen Bewegungen aus etwa 150 Ländern der Welt sind die linken Präsidenten der 'Allianz Bolivarianische Alternative für die Völker unseres Amerikas' (ALBA) präsent: der Venezolaner Hugo Chávez, Rafael Correa aus Ekuador, Daniel Ortega für Nicaragua, Paraguays Staatschef Fernando Lugo und Evo Morales selbst natürlich auch, der die Begrüßungsrede im Stadion der Universität von Tiquipaya hielt. Insgesamt beteiligen sich ca. 70 Regierungen an der Konferenz. Vertreten sind die UN-Organisationen UNICEF, FAO, UNESCO, UNFPA, WTO, OICA, OPS, FIDA. Unmöglich, alle Anwesenden aufzuzählen, seien doch einige der teilnehmenden Organisationen benannt: attac, Greenpeace, 350.org, Via Campesina, Greenhouse Development, Eco Village, Carbon Trade Watch, feria internacional del aqua, South Center.
Ein im Kern antiimperialistischer Zusammenschluss um das Thema des Kampfes gegen den Beitrag des Menschen zum Klimawandel. Dementsprechend reagierte auch die andere Seite: US-Präsident Obama strich erst kürzlich die finanzielle Hilfe der USA gegen den Klimawandel für Bolivien, Ecuador und andere Staaten, die gegen die Kopenhagener Abschlusserklärung opponierten. Und nicht nur das. Verschiedene Regierungsvertreter auf der jetzigen Klimakonferenz in Cochabamba berichteten, dass die Obama-Regierung und andere entwickelte Länder auf ihre Länder Druck ausgeübt hätten, nicht teilzunehmen.
Die andere positive Seite der Konferenz ist die starke antikapitalistische Grundhaltung, die ihr zu Grunde liegt. Während Evo Morales in der Einladung vom 5. Januar nur festhielt, dass "der Klimawandel ein Produkt des kapitalistischen Systems ist", wurde er in seiner Begrüßungsrede noch deutlicher:
Kapitalismus sei der größte Feind der Erde, strebe nur nach Profit, rücksichtsloser Ausbeutung der Natur. Er sei eine Quelle für Ungleichheit und auseinander laufende Entwicklungen. Der Kapitalismus erzeuge den weltweiten Klimawandel. In einem von ihm vorgetragenen 'Brief an zukünftige Generationen' wies er auf eine zunehmende Zahl von großen Naturkatastrophen hin, die mit dem Klimawandel zusammenhingen. Er erinnerte an derzeit etwa 50 Millonen Menschen, die wegen Klimaveränderungen emigrierten oder flüchteten. Er prangerte Kriege und Waffenhandel an und fügte hinzu, dass die Mutter Erde nicht gerettet werden könne, wenn der Kapitalismus nicht drastisch verändert oder beseitigt würde. Die industrialisierten Länder hätten die Verpflichtung, mit dem kapitalistischen Wirtschaftsmodell zu brechen.
Diese Positionen entsprachen dem, was auch schon in Kopenhagen eine volkstümliche Hauptlosung und Forderung der meisten alternativen und vieler offizieller Teilnehmer der UN-COP15-Konferenz war: "nicht Klimawandel, sondern Systemwandel!"
Sicher wird die antikapitalistische Stoßrichtung der Cochabamba-Konferenz nicht von allen Teilnehmern in gleicher Weise und in gleicher Konsequenz geteilt werden. Und die damit verbundenen Erkenntnisse in praktische Schritte umzusetzen, wird selbst von denen guten Willens in den jeweiligen Verantwortungsbereichen mühsam oder auch erfolglos sein. Denn viele dieser Schritte, wenn man z.B. an Technologietransfer oder finanzielle Unterstützung der Entwicklungsländer denkt, wird auf Regierungsebene oder auf der Ebene internationaler Institutionen organisiert werden müssen. Aber die Ergebnisse aus den vielen -zig Arbeitsgruppen der Konferenz werden auch in die Vorbereitung des Klimagipfels von Cancun im Herbst 2010 einfließen.
Aber nachdem sich 193 Staaten in Kopenhagen als unfähig erwiesen haben, weltweiter Umweltzerstörung Einhalt zu gebieten, werden neue Formen des Protests und der Einflussnahme 'von unten' - z.B. das in Cochabamba gestern angekündigte 'Weltklimatribunal' oder eine, von Morales in seiner Begrüßungsrede angekündigte alternative 'Organisation der Völker zum Schutz der Natur' - nur hilfreich sein. Gerade von den sozialen Bewegungen Boliviens lässt sich lernen, was Mobilisierung vermag. Sie waren es, die im berühmten 'Wasser-Krieg' von Cochabamba im Jahr 2000 den Verzicht auf eine privatisierte Trinkwasserversorgung erzwangen. Und im 'Gas-Krieg' von 2003 hatten sie Anteil daran, dass kein bolivianisches Gas zu Dumpingpreisen nach Kalifornien verschachert wurde.
Der Kongress von Cochabamba ist ein Forum für Austausch von Erfahrungen, zur Diskussion von großen und kleinen Schritten und zur Bündelung von Kräften gegen das imperialistische, kapitalistische Weltsystem in der weltweiten Bewegung gegen den Klimawandel. Daran ändert auch die wiederholte, fast religiös-archaische und mystifizierende Beschwörung der 'Rechte der Mutter Erde' durch Evo Morales nichts, die aber in ihrer Stoßrichtung antreibend und gleich gerichtet ist, wie die Hauptpositionen der offiziellen Konferenz. Von dieser Bewegung bis zu einer tatsächlichen revolutionären Beseitigung des Kapitalismus in einzelnen Ländern der Welt oder gar in seinen Zentren - das ist aber ohne Zweifel noch ein weiter und sicher nicht gradliniger Weg.
Heute wird die Konferenz mit der Feier des 'Internationalen Tages der Mutter Erde' (ein von der UN-Vollversammlung 2009 angenommener Vorschlag Boliviens) im Felix Capriles Stadium in Cochabamba abgeschlossen.
Text: hth / Foto: via campesina