14.04.2010: Viele Menschen im Irak hatten gehofft, dass die Wahlen vom 7. März eine nationale Einigung fördern könnten, um einen souveränen und demokratischen Irak, frei von jeder Besatzung aufzubauen. Aber es sieht so aus, als ob auf diesem Kampf noch ein weiter Weg zu gehen ist. Denn tatsächlich wiederbelebte der Wahlkampf die religiös-sektiererische Polarisierung, die erneut schrecklich aufflammte.
Die veröffentlichten Ergebnisse ergaben für die Liste des früheren Ministerpräsidenten Ayad Allawi einen kleinen Vorsprung gegenüber der Liste des noch amtierenden Ministerpräsidenten Nouri al-Maliki. Mit 91 gewonnenen Parlamentssitzen für Allawis Liste und 89 für al-Malikis Liste, sind beide weit entfernt von einer Mehrheit zur Bildung einer neuen Regierung im Parlament, welches insgesamt 325 Sitze umfasst. Sie werden die Unterstützung anderer Listen und Gewählter gewinnen müssen, was ein längerer Prozess sein wird. Die Wahlergebnisse selbst sind zudem weiterhin umstritten und wie andere fordert auch die KP Iraks eine Überprüfung und weitgehende Neuauszählung der Wählerstimmen.
Die Liste von Ayad Allawi umfasste abgespaltenen Gruppen der früheren Sunnitisch-islamischen Front, einiger Stammesgruppen und früherer Baathisten. Allawi, selbst ein weltlich orientierter Schiite und früherer Baathist, stellte sich als Vertreter der gesamten sunnitischen Bevölkerung des Iraks dar, sprach aber aber mit verschiedenen Losungen die Unterstützer der Baathisten an. (Sunniten machen im Irak 20% der Bevölkerung aus, Schiiten 60%, Kurden und einige kleinere religiöse bzw. ethnische Gruppen 20%.) Gleichzeitig zeigte er sich aber im Wahlkampf als Sekularist und sprach damit die weit verbreitete Enttäuschung der Iraker über die religiös orientierten Parteien. Auf dieser Basis gewann er viele Stimmen.
Die Liste von Maliki betrieb ebenfalls einen Wahlkampf mit einem weltlichen Programm - gewann damit bereits im letzten Jahr die Provinzwahlen - und wurde neben seiner eigenen schiitisch-islamischen Dawa-Partei noch von anderen Schiiten und einer ganzen Reihe von unabhängigen sunnitischen Persönlichkeiten und Stammesvertretern getragen.
Manche Kenner glauben, dass Allawi, der auf ansehnliche frühere CIA-Beziehungen zurück blicken kann, zumindest in manchen USA-Kreisen als der mehr kooperative 'Partner' angesehen wird. Maliki dagegen hat einen härteren nationalistischen Standpunkt in Angelegenheiten eingenommen, wie etwa dem Truppenabzug der USA und der Öl-Industrie des Iraks. Etliche Iraker sehen Allawis Liste hinsichtlich einer Abwehr des iranischen Einflusses als eine den USA-Interessen besser entsprechende an.
Drittstärkste Parlamentsfraktion mit 70 Sitzen wurde eine schiitisch-islamischen Liste, die vom Obersten Islamischen Rat und der religiösen Gruppe von Moktada al-Sadr getragen wurde. Dieser Gruppe werden enge Verbindungen zum Iran nachgesagt.
Die viertgrößte Gruppe im Parlament bilden die Vertreter der Kurdischen Allianz mit 43 Sitzen, in ihr sind die zwei dominierenden kurdischen Parteien, sowie kleinere Gruppen und die Kurdische Kommunistischen Partei vertreten. Eine neue unabhängige kurdische Partei Goran (Wandel) erzielte 8 Sitze.
Aus der Sicht von Salam Ali von der Kommunistischen Partei des Iraks (IKP) möchten die USA sicher stellen, dass die zukünftige Regierung, gleich von wem gebildet, hinreichend schwach und instabil sein wird, damit sie von ihnen manipuliert werden kann. "Ich denke zwar, dass sie jemand anderen als Maliki vorziehen würden," meinte Ali, "aber die USA können alle diese Blöcke beinflussen, selbst diejenige, die dem Iran nahe stehen."
Die Wahl Anfang März wurde auf der Basis eines umstrittenen Gesetzes durchgeführt, das mit starkem Druck der USA zustande kam. Die Anforderungen zum Gewinn eines Parlamenstsitzes würden kleinere Listen benachteiligen und die vorhandenen großen Parteien bevorzugen, kritisierten viele Iraker.
Und genau das geschah auch. Die IKP, bisher mit zwei Sitzen im Parlament, wird im neuen Parlament nicht mehr vertreten sein. Dabei hielt sie (in Bagdad) eine der größten Wahlkundgebungen und -demonstrationen des Landes mit 15.000 Teilnehmern ab (s.a. Anlage). Die meisten kleineren Listen gingen ebenso in der Wahl leer aus.
Die Kurdische Allianz und die schiitisch-islamische Liste von al-Sadr sind in dieser Situation die Schlüsselfiguren bei der Bildung der neuen Regierung.
Ungeheure Geldsummen, in einem vorher im Irak nie erlebten Ausmaß, spielten in der Wahl eine große Rolle. Viel davon kam aus Saudi-Arabien. Alle großen Wahllisten hatten ihre eigenen Fernsehstationen über Satellitenverbindungen, die für sie warben. Eine dieser Stationen und ein tatsächliches Sprachrohr Allawis, Al-Sharkia, wird von Saudi-Arabien finanziert. Eine andere, Al-Arabia, die ebenfalls Allawi unterstützte, ist zumindest teilweise in saudi-arabischem Besitz. Der Geldfluss ermöglichte auch eine gigantische Flut von Wahlkampf-Großplakaten. Der Widerspruch zwischen deren glühenden Wahlkampfversprechungen und der tagtäglichen Wirklichkeit - Elektrizitätsausfall, Arbeitslosigkeit, unzureichende öffentliche Dienstleistungen - erzürnte viele Iraker.
Allawi zog zudem Vorteile aus dem Streit im Vorfeld der Wahl um den Ausschluss von Kandidaten der früheren Baath-Partei. Gemäß einem in 2008 vom Parlament verabschiedeten Gesetz schloss eine Kommission 500 der mehreren Tausend Kandidaten von der Wahl aus. Man unterstellte ihnen weiter für die Baath-Partei wirken zu wollen. Al-Maliki hatte tausende früherer niederer Mitglieder der Baath-Partei wieder in das politische und soziale Leben der Gesellschaft integriert. Das war ein Teil der Anstrengungen im Lande, die Spaltungen zu überwinden. Seine schiitisch-islamischen Gegener jedoch versuchten die Angelegenheit gegen ihn zu nutzen. Um seine eigene schiitische Wählerschaft zu erhalten, unterstützte al-Maliki den Ausschluss der Baathisten durch die Wahlkommission. Umgekehrt warf Allawi Maliki vor, die Sunniten klein zu halten.
Salam Ali von der IKP erklärte, dass "die USA sich sehr direkt und offen einmischten und Druck machten, über den Status der Kandidaten erst nach der Wahl zu entscheiden. Die USA erzeugten viel Unmut." Der Ärger trieb die Wahlbeteiligung bei Allawis Wählerschaft nach oben.
Sich auf die Bejubelung der Wahlen durch US-Präsident Barack Obama als einen großen Erfolg beziehend, kommentierte der britische Politologe Toby Dodge in 'The Guardian': "Die Auswirkungen und Folgen des 7. März' sind noch nicht absehbar und beginnen sich als viel weniger gut darzustellen, als Obama hoffte."
Salam Ali betonte die Bedeutung des Aufbaus einer Bewegung zur Änderung des Wahlsystems. Das gegenwärtige Gesetz "ist passend für die großen Blöcke entworfen worden, und um sie an der Macht zu halten. Alle von ihnen behaupten, dass sie gegen das religiöse Sektierertum sind. Aber in Wirklichkeit sind sie durch dieses System an die Macht gekommen. Das Wahlgesetz stützt es wirksam. Wirklicher Wandel kann und wird nur durch Bewegung von 'unten' zustande kommen."
Text: Susan Webb (People's World) / Foto: DVIDSHUB