12.12.2009: Fast ein Jahr ist mittlerweile seit dem barbarischen Bombardement des Gaza-Streifens durch Israel vergangen. Not und Elend, Unterversorgung und kathastrophale hygienische und medizinische Lebensbedingungen regieren das Leben der dortigen Palästinenser. Eine Folge nicht nur der Zerstörung wichtiger Infrastrukturen durch die israelischen Bomben im Januar 2009, sondern Auswirkungen der inzwischen auch schon seit über zwei Jahren aufrecht erhaltenen Blockade und weitgehenden Sperrung der Grenzübergänge zu Israel und zu Ägypten. Jetzt scheint eine erneute bzw. weitere Verschärfung dieser Strangulierung und 'Geiselhaft' der Gaza-Bevölkerung zu kommen.
Vor zwei Tagen berichtete die israelische Zeitung Haaretz, dass Ägypten angeblich an der Errichtung einer unterirdischen Stahlwand an der Grenze des Gaza-Streifens mit Ägypten arbeite, um die 'illegale' Versorgung der palästinensischen Bevölkerung durch das umfangreiche Tunnelsystem (man schätzt derzeit wieder, dass ca. 800 einzelne Tunnel genutzt werden) zu unterbinden. Geplant sei die Stahlwand etwa 100 Meter vor der Grenze bis zu einer Tiefe von 30 Metern und in einer Länge von 9-10 Kilometern.
Man darf durchaus an der Wahrheit dieser Nachrichten zweifeln. Ein irgenwie irrsinniges Konzept, welches zudem nichts brächte, weil viele Tunnel tiefer als 35 Meter in der Erde liegen. Ägyptische Offizielle stritten auch ab, dass man an einem solchen Bau arbeite. Dennoch wurden diverse auffällige Erdarbeiten auf ägyptischer Grenzseite wahrgenommen. Fotografien zeigen Erdbohrer in Aktion und Bewohner in der Nähe berichteten, dass in die gebohrten Löchern nachts von den Arbeiter Metallgegenstände eingebracht würden. Das spricht dann eher für ein System von Sensoren, die Erdarbeiten an Tunneln und Bewegungen bei deren Nutzung feststellen können. (Hier einige Bilder und ergänzende Informationen dazu.) Offizielle Auskünfte staatlicher Stellen über die Hintergründe der Baumaßnahmen sind nicht zu erhalten, wie Zeitungen und Journalisten berichteten.
Die Geheimhaltung der neuen Anlagen zur Kontrolle der Grenze und zur Eleminierung des 'Schmuggels' von Waren aller Art durch Ägypten ist Ausdruck der Widersprüche, in denen das Land sich bewegt. Israel und die USA üben permanenten Druck aus, damit das 'Gefängnis mit Meeresblick', wie der Gaza-Streifen auch von Palästinensern genannt wird, auch an der ägyptischen Grenze erhalten bleibt. Seit eh und je sind die Tunnel von Ägypten nach Gaza, deren Ausschaltung immer wieder gefordert wurde, der israelischen Regierung ein Dorn im Auge. Deswegen bombardiert Israel regelmäßig die Tunnelzugänge (auch) auf ägyptischem Territorium und lässt Waren- und Personenverkehr oberirdisch nur auf allerkleinstem Niveau und sporadisch zu, nicht nur bei den eigenen Grenzübergängen zum Gaza-Streifen, sondern auch beim Übergang Rafah nach Ägypten. Nach dem mehr als dreiwöchigen Gazakrieg Anfang 2009 waren unter anderen deutsche und amerikanische Experten auf der ägyptischen Sinai-Halbinsel unterwegs, um gemeinsam mit den Ägyptern einen Plan zur Kontrolle und Ausschaltung der Tunnel in den Gazastreifen zu erstellen. Die jetzt geplanten und im Bau befindlichen Sensoren sollen als Umsetzung dieser Pläne dem Druck der USA geschuldet und von den USA und der EU finanziert sein.
Wohl hauptsächlich auf Grund des Druckes aus Israel und den USA beteiligt sich Ägypten auch oberirdisch an der Blockade des Gazastreifens. Mehrere Quellen berichten, dass auf ägyptischer Seite in diesem Jahr die Kontrolle und Beschränkung an dem offiziellen Übergang Rafah noch verschärft wurde. Dies führt selbst auf der ägyptischen Grenzseite zu absurden Beschränkungen. So wurde es bespielsweise einem Ägypter verboten, einen gekauften Ventilator in sein Haus zu nehmen. Und einem jungen Mann wurde von der ägyptischen Polizei verboten, Möbel in sein neues Haus im Grenzbereich zu bringen. Ventilator, Bett, Schränke und Kühlschrank hätten ja sonst evtl. durch die Tunnel an notleidende Menschen in Gaza weiter gegeben werden können.
In der vergangenen Woche stürmten ägyptische Sicherheitskräfte ein Lager in As-Salam, einem kleinen Ort in der Nähe von Rafah. Dort beschlagnahmten sie 30.000l Dieseltreibstoff, der durch die Tunnel nach Gaza transferiert werden sollte, und vernichteten ihn. Diese Aktion fand gerade angesichts der extremen Knappheit von Heizöl in Gaza statt, die durch Israels Blockade entsteht. So haben etwa die Krankenhäuser in Gaza nicht mehr genug Brennstoff, um medizinische Geräte zu sterilisieren oder um die Krankenräume der Patienten zu heizen.
Allerdings kann Ägypten sich auch nicht offen als verlängerter Arm israelischer und us-amerikanischer Politik bei der Knebelung der palästinensischen Bevölkerung in Gaza zeigen. Denn die Mehrheit der eigenen Bevölkerung fühlt sich solidarisch mit den Menschen in Gaza und sie weiß, dass die Tunnel derzeit unverzichtbar für das Überleben in Gaza sind. Die von Israel immer wieder als Vorwand für die Zerstörung der Tunnel heran genommenen Waffenlieferungen stehen streng unter der Kontrolle der Hamas und machen nur einen ganz kleinen Teil der Warenbewegungen unter der Erde aus. Und militärische Aktionen aus dem Gaza-Streifen gegen Israel finden so gut wie nicht mehr statt. Und wie die obigen Beispiele zeigen, blockiert auch Ägypten den Transfer normaler Waren nach Gaza mehr oder minder.
Dabei wäre es ein Gebot der Menschlichkeit, die Grenze Ägyptens zum Gaza-Streifen dauerhaft für regulären Waren- und Personentausch zu öffnen. Angeblich denkt Ägypten auch über einen solchen Schritt nach. So äußerte im Zusammenhang mit den oben geschilderten Baumaßnahmen Generalmajor Mohammed EL Zayat, ein ägyptischer Sicherheitsexperte, laut Zeitungsberichten, Ägypten plane die Grenze bei Rafah dauerhaft im Rahmen und nach Abschluss eines Freihandelsabkommens mit den palästinensischen Autonomiebehörden (PA) zu öffnen. Aber ein solches Abkommen setzte natürlich auch eine Verständigung zwischen den beiden dominierenden palästinensischen Organisationen PA (Westjordanland) und Hamas (Gaza-Streifen) voraus. Und hier gibt es bisher trotz der Vermittlungsbemühungen Ägyptens wenig Bewegung und Aussicht auf Fortschritte.
So bleiben die internationalen Proteste gegen die Blockade des Gaza-Streifens und die wiederholten Aktionen von Aktivisten aus aller Welt zur Durchbrechung der Blockade und zur Erzwingung von Versorgungslieferung in den Gaza-Streifen durch größtmögliche Öffentlichkeit ein wichtiges und wesentliches Mittel, um die Grenzöffnung zu bewirken. Mehrfach bereits gab es solche Blockadebrechung von der Seeseite des Gaza-Streifens, zum Teil erfolgreich, zum Teil beendet durch israelische Kriegsschiffe. Auch große Warenlieferungen (hauptsächlich medizinische Mittel) konnten im Sommer erfolgreich über die ägyptische Grenze durchgesetzt werden. Im Juli gelang es z.B. Viva Palestina mit etwa 200 Personen Güter zur medizinischen Versorgung im Wert von 250.000 Dollar im Gaza-Streifen zu übergeben.
Aus Anlass des 1. Jahrestages der brutalen Militäraktion Israels gegen den Gaza-Streifen (über 1400 Tote und ca. 5.000 Verletzte auf palästinensischer Seite) findet in Kürze wieder ein solcher Freiheitsmarsch nach Gaza statt. Mehr als 1.000 Menschen aus 40 Ländern werden zum Jahreswechsel von Kairo aus nach Rafah marschieren und lebenswichtige Versorgungsgüter für die Menschen im Gaza-Streifen mitnehmen. Aus Deutschland nehmen auch Vertreter von DKP und 'Die Linke' teil. Die Anmeldung zur Teilnahme ist bereits geschlossen, weil mit den ägyptischen Behörden über den Zugang zum Gaza-Streifen verhandelt wird und dabei alle Teilnehmer namentlich gemeldet werden müssen. Wichtig bleibt aber für einen Erfolg des Freiheitsmarsches, breite internationale Öffentlichkeit und Aufmerksamkeit zu erzeugen. Dazu bietet ein eigens mit umfangreichen Informationen ausgestattetes Internetportal 'GAZA Freedom March' gute Hilfestellung. Wir werden hier unseren Teil dazu beitragen und (soweit es die technischen Bedingungen ermöglichen) über den Stand und die Durchführung der Aktion weiterhin berichten.
Text: hth