27.11.09: Nicht oft wird ein deutscher Außenminister nach einem Staatsbesuch anderer Länder so lächerlich gemacht, wie Guido Westerwelle jetzt nach seinem 'Antrittsbesuch' in Israel am 23./24. November. Schon der Begriff 'Antrittsbesuch', den auch offiziell das Auswärtige Amt in Berlin verwendet, hat ja einen gewissen Beiklang von 'Befehlsempfänger' in sich. Ganz im Sinne dieser Rolle, vermied es Guido, auch nur im Geringsten bei seinen Gastgebern anzuecken und war aller Freund, selbst mit dem Halbfaschisten Avigdor Liebermann (Israels Außenminister) schien er sich blendend zu verstehen, wie Bilder der Begegnung mit ihm zeigen.
Am heftigsten kritisierte Westerwelles Auftreten wohl die Münchener Abendzeitung. Sie bezeichnete Westerwelle als "Außenminister-AZUBI" und ergänzte: "Und so hat der frühere Spaß-Guido mit dem losen Mundwerk in der üblichen atemlosen Antrittsbesuchs-Hetze erkennbar vor allem eines versucht: ja keinen Fehler zu machen. Aus dem spritzigen Redner ist ein geradezu hölzerner Plattitüdenverbreiter geworden." Die Nürnberger Zeitung schrieb "Mit der im Heiligen Land praktizierten Teflon-Politik - wer nichts sagt, beziehungsweise nur Allgemeinplätze von sich gibt, bietet auch keine Angriffsfläche - wird Westerwelle und mit ihm die deutsche Außenpolitik im Nahen Osten allerdings auf absehbare Zeit weiter nur den Claqueur geben können." Demgegenüber verblüffend sind dann die unterschwelligen Allmachtsphantasien der Berliner Tageszeitung "Als Zugpferd (für den sogenannten Friedensprozess) würde sich Westerwelle zwar kaum eignen: Dazu reicht Deutschlands Einfluss dann doch nicht weit genug. Doch Hand in Hand mit US-Präsident Obama könnte er den Druck sicher verschärfen." Als ob auch nur einer von beiden die wirkliche materielle Entrechtung und Kolonisierung der palästinensischen Nation zu seinem Anliegen machen würde.
In Israel hielt sich Guido Westerwelle an die vorgegebenen Rituale und von den USA und seiner Chefin in der Bundesregierung vorgegebenen Positionen: Zuerst Besuch in Israel, Beteuerung der besonderen Unterstützung Israels, Würdigung der Opfer des Holocaust, dann Besuch bei den palästinensischen Autonomiebehörden in Ramallah; Unterstützung der Zwei-Staaten-Lösung und etwas eigene Verwaltung der palästinensischen Autonomiebehörden, leichte Kritik an der Siedlungspolitik Israels und vehemente Bekundung eines aggressiven Vorgehens gegen das angebliche militärische Atomprogramm Irans. Aber auch: kein Wort über den Bantustan-Charakter eines evtl. von Israel akzeptierten Palästina-Staates, kein Wort über die widerrechtliche Aneignung der Wasserresoucen des Westjordanlandes durch Israel, kein Wort gegen die de-facto Annektion Ostjerusalems durch Israel, kein Wort über die unmenschliche Knebelung und Strangulierung der Menschen im Gaza-Streifen, kein Wort zum völkerrechtswidrigen Charakter der Annektion der von Israel besetzten Gebiete durch die Siedlungspolitik und die vollständige Unrechtsmäßigkeit der Siedlungen, natürlich auch kein Wort über die als Menschen zweiter Klasse in Israel behandelten Palästinenser.
Das aber ist der eigentliche Kern des Kampfes zwischen den Zionisten Israels und der palästinensischen Nation: das Fehlen bzw. das Negieren einer de-facto Gleichberechtigung aller Menschen, gleich welcher Herkunft und Glaubensrichtung in dieser Region, was in dem zionistischen Ziel, Israel zu einem 'Staat (allein) des jüdischen Volkes' zu machen, seinen politischen Ausdruck findet. Ein Ende dieser Politik zu fordern und herbeizuführen, das ist der eigentliche Schlüssel zum Frieden im Nahen Osten. Den Mantel des Schweigens und Vergessens darüber zu legen, ist demgegenüber kontraproduktiv. In diesem Sinne und lohnender, als weitere Einzelheiten über den Auftritt von Westerwelle in Israel zu kommentieren, nachstehend ein Blick auf die vorher erwähnte Politik, den 'Staat des jüdischen Volkes' zu schaffen:
Historisch bestimmte in der post-Nakba Zeit eine Kombination von militärisch strategischen, demographisch-siedlungsbezogenen sowie zionistisch ideologischen Erwägungen Israels Landpolitik gegenüber den palästinensischen Bürgern Israels, einschließlich der internen Flüchtlinge. Die internen Flüchtlinge, die 25% der insgesamt 1 Million palästinensischen Bürger Israels ausmachen, werden im israelischen Recht als ‚Anwesende Abwesende‘ bezeichnet. Insbesondere die Land- und Siedlungsexpansion gehörte immer schon zum Kern des Konfliktes zwischen den zionistischen Immigranten/Siedlern und den einheimischen Palästinensern.
Vor der Nakba 1948 (Nakba = Katastrophe) waren die Palästinenser überwiegend eine Landbevölkerung; sie machten die überwältigende Mehrheit im Land aus und ihnen gehörte das meiste Land, während die jüdische Bevölkerung in Palästina (der Yischuv) 1947 ungefähr ein Drittel der Gesamtbevölkerung stellte aber nur rund 6% des Landes besaß. Entsprechend bestimmte die Suche nach Land das zionistische Projekt in der Zeit vor 1948. In gewisser Hinsicht war der lange Kampf des israelischen Staates gegen die palästinensische Bevölkerung innerhalb lsraels ein Kampf um ‚mehr Land‘. Dieser war im Wesentlichen durch die Prämissen und Grundprinzipien des jüdischen Staates bestimmt:
- das 'Zusammenbringen' aller Juden in Israel (kibbutz galoyut)
- der Erwerb, die Übernahme und Eroberung von Land (kibbush haadama)
- die Konsolidierung jüdischer Demographie in einem Staat, der ausschließlich für die Juden gemacht war, die mehrheitlich noch in Israel anzukommen hatten, auf Kosten der verdrängten, 'transferierten' und intern umgesiedelten Palästinenser
- jüdische 'Bevölkerungsverteilung' im gesamten Land (pezur ochlosiya)
- Judaisierung Galiläas (yehud hagalil).
Die Bindung der zurückgebliebenen palästinensischen Bürger in Israel zu dem Land ihrer Vorfahren kann man kaum genug betonen. Vor der Nakba war die palästinensische Gesellschaft größtenteils eine ländliche Gesellschaft, Landwirtschaft war die wichtigste Quelle zur Sicherung des Lebensunterhalts und das Bebauen des Landes das Rückgrat der palästinensischen Ökonomie. Für die indigenen Einwohner Palästinas war das Land ein Mittel zur Sicherung des Lebensunterhaltes, ein Symbol von Identität, Überleben und Sicherheit angesichts der Vertreibungen, Enteignung und Zerstreuung ihrer Landsleute 1948. Die Frage der Landnutzung und Landentwicklung war immer besonders wichtig für das Überleben der palästinensischen Bevölkerung innerhalb Israels.
Die Vertreibung durch Landenteignung ist wahrscheinlich der bedeutendste Aspekt der Deprivationspolitik, die Israel gegen diese nationale Minderheit richtet. Basierend auf der zionistischen Prämisse, mehr Land für die zukünftigen jüdischen Einwanderer und Siedler zu benötigen, zerstörte die israelische Politik der Landkonfiszierung den Lebensunterhalt vieler israelischer Araber, schränkte die Entwicklung arabischer Orte sehr ein und drohte, das Überleben einer in Israel territorial verankerten palästinensischen Bevölkerung zu unterminieren.
Die Nakba führte zu einer schwerwiegenden Zerrüttung der Ökonomie der verbliebenen palästinensischen Bevölkerung in Israel, einschließlich der internen Flüchtlinge. Als Folge des Krieges von 1948-49 und der Waffenstillstandsabkommen zwischen Israel und den arabischen Ländern im Jahr 1949 erhielt Israel die Kontrolle über mehr als 5 Million Acre palästinensischen Landes, mehrheitlich Eigentum der internen Flüchtlinge. Deren Eigentum belief sich auf rund 300.000 Dunum Land, das der israelische Staat als ‚Eigentum von Abwesenden‘ deklarierte. Kurz nach dem 1948er Krieg konfiszierten die israelischen Behörden beinahe 1 Million Acre Land palästinensischer Flüchtlinge. Zuerst übernahm der israelische Staat das Land der ‚externen Flüchtlinge‘, die nicht zurückkehren durften - während die verbliebene palästinensische Bevölkerung später Gesetzen und Vorschriften unterstellt wurde, die sie erfolgreich des Großteils ihres Landes beraubten. Die Geschichte der Enteignung begann unmittelbar nach 1948. Das massive Bemühen, arabisches Land, das palästinensischen (internen und externen) Flüchtlingen gehörte, zu übernehmen, wurde gemäß strenger Legalität durchgeführt. Das Land wurde auf der Grundlage von Gesetzen enteignet, die das israelische Parlament verabschiedet hatte, und wurde in jüdische Kontrolle und Besitz übergeben.
Im Jahr 1955 beschrieb der damalige Verantwortliche für Arabische Angelegenheiten bei der israelischen Tageszeitung Haaretz, Moshe Keren, diesen Prozess als "einen Massenraub unter dem Deckmantel des Gesetzes". Hunderttausende Dunam wurden der arabischen Minderheit weggenommen. Die palästinensischen Bürger innerhalb Israels, einschließlich der internen Flüchtlinge, wurden für 18 Jahre unter eine repressive Militärverwaltung gestellt (1948-66).
Viele Beobachter wissen nicht, dass der Ausnahmezustand, den Israel 1948 erklärt hat, immer noch gilt. Obwohl die unmittelbare Militärregierung, die für die arabischen Gebiete Israels eingesetzt worden war, 1966 abgeschafft wurde, waren die Verteidigungsvorschriften, die ursprünglich 1945 von der britischen Mandatsmacht erlassen worden waren, von der Knesset in einem speziellen Gesetz beibehalten und der Ausnahmezustand war nie wirklich aufgehoben worden. Die Vorschriften sind mit einigen Veränderungen bis zum heutigen Tag gültig. Darüber hinaus haben israelische Regierungen seit dem Ende der Militäradministration gesetzliche und administrative Maßnahmen ergriffen, die darauf abzielen, das Land der zerstörten Dörfer zu konfiszieren, um die Rückkehr der internen Flüchtlinge zu verhindern.
Die Verteidigungs- (Notstands-)Regelungen, die das wichtigste gesetzliche Instrument für politische Repressionen innerhalb Israels nach 1948 darstellten, bildeten die gesetzliche Grundlage für das System direkter Militärherrschaft. Tatsächlich gab es die Militärverwaltung nur in den Gebieten, in denen die Mehrheit der arabischen Bevölkerung wohnte. Entsprechend dieser Vorschriften können die Behörden immer noch Gebiete zu geschlossenen Militärgebieten erklären, Land konfiszieren, Zeitungen schließen, Menschen ohne Gerichtsverfahren verhaften und sogar des Landes verweisen.
Ein Paragraph zur Verwertung unbestellten Landes (1948) erlaubte es dem israelischen Landwirtschaftsminister, arabisches Eigentum zu beschlagnahmen, das brach lag. Beschlagnahmungen wurden durch das Absperren eines Gebietes gemäß den Verteidigungs-(Notstands-)Regelungen realisiert, was in Folge die Bebauung des Gebietes verhinderte und seine Enteignung ermöglichte. Solches Land wurde von dem Verwalter des Eigentums der Abwesenden an jüdische Siedler und Farmer verpachtet, an alte sowie an neue. (…)
Offiziell waren das Kriegsrecht und die Militärverwaltung für die palästinensische Bevölkerung Israels aus Gründen der Sicherheit eingesetzt worden. Jedoch wurden damit auch eine Reihe anderer genannter sowie verdeckter Zielsetzungen verfolgt:
a. Das erste Ziel war es, die Rückkehr palästinensischer ‚externer‘ Flüchtlinge in ihre Häuser, Dörfer und Städte innerhalb Israels zu verhindern.
b. Das zweite und das dritte Ziel bezogen sich speziell auf die internen Flüchtlinge; das zweite Ziel war es, „halb-verlassene“ [arabische] Stadtviertel und Dörfer sowie einige, die nicht verlassen waren, zu evakuieren und ihre Bewohner in andere Teile des Landes umzusiedeln. Einige wurden von einem 'Sicherheitskordon' entlang der Grenzen evakuiert, andere wurden entfernt, um Platz für Juden zu machen.
c. Der dritte Zweck war es, die Anzahl interner Flüchtlinge in Israel zu verringern.
d. Das vierte Ziel war, Kontrolle und Aufsicht über die israelisch palästinensischen Bürger auszuüben, die von der jüdischen Bevölkerung getrennt und isoliert waren.
Das Gesetz über das Eigentum ‚Abwesender‘ (19501 Die fortlaufende Landenteignung) ist wahrscheinlich das explosivste Thema in der Beziehung zwischen der palästinensischen Bevölkerung in Israel und dem jüdischen Staat. Es ist ein Thema, das großen Ärger und Bitterkeit bei den palästinensischen Bürgern Israels ausgelöst hat und das sie dazu gebracht hat, selbst aktiv zu werden. Die Aktivitäten erreichten einen Höhepunkt am Tag des Bodens am 30. März 1976, der mit einem friedlichen Generalstreik begann und zu einer Konfrontation mit der israelischen Grenzpolizei eskalierte, bei der sechs Palästinenser erschossen wurden.
Seit 1976 ist der 30. März ein ‚Nationaltag‘ für Gedenken und Proteste der palästinensischen Bevölkerung - Proteste, die sich hauptsächlich direkt gegen die staatliche Politik der Landenteignung und Landnutzung richten. Der israelisch palästinensische Rechtsanwalt und führende Experte in Landfragen Hanna Naqqara verdeutlichte die Auswirkungen der israelischen Landpolitik auf die internen Flüchtlinge in einem wichtigen Memorandum vor dem Arabischen Volkskongress in Nazareth am 17.Februar 1979:
"Zehntausende Araber sind immer noch weit weg von ihren zerstörten Dörfern und ihrem gestohlenen Land. Es gibt ein Heer von lokalen Flüchtlingen aus Saffuriyya, al-Mujaydil, Ma'lul, Hittin, Nimrin, al-Shajara, 'Arab al-Khisas, 'Arab al-Baqqarah, al-Kabri, al-Mansura, al-Zib,al-Bassa, 'Amqa, Shaykh Dawud, al-Birwa, al-Damun, al-Ruways, al-Ghabisiyya, Iqrit, Kafr Bir'im, 'Anan, Farradiyya, al-Manshiyya, Mi'ar, Sha'b, al-Nahr, al-Sai'ra, Suhmata, Tarbikha, Umm al-Faraj und andere. Dieses Heer lokaler Flüchtlinge ist durch die fortwährende ethnische Politik von Regierungen geschaffen worden, die dazu da sind und daran arbeiten, ein einheimisches Volk zwangsweise zu vertreiben und ein neues Volk anzusiedeln."
Die jüngste Folge dieser Landpolitik war die Krise in Ummal-Fahem, einer arabischen Stadt in der Wadi 'Ara Region, die im Mai 1998 begann,als die israelische Regierung ankündete, eine nahe gelegene Militäreinrichtung' auszubauen und dafür 4.500 Acre lokaler arabischer landwirtschaftlicher Nutzfläche zu enteignen. Während des dreitägigen Aufruhrs, der auf die örtliche Demonstration am 27. September 1998 folgte, wurden mehr als 400 arabische Bewohner bei Zusammenstößen mit der Grenzpolizei verletzt. (...)
Darüber hinaus überträgt die Israelische Landbehörde (ILA) weiterhin intern Land an den Jüdischen Nationalfonds (JNF) – 1991 waren es 12.500 Acre, 1998 10.000 Acre, um nur einige jüngere Beispiele zu nennen. In Wirklichkeit gibt es kaum eine Trennung zwischen der ILA und dem JNF, da letzterer sechs der 13 Mitglieder des ILA-Vorstandes nominiert (die anderen sind Regierungsoffizielle). Professor Amnon Rubinstein kritisierte in einem Artikel in Haaretz vom 13. Oktober 1991: „Diese Übertragungen stellen ein schwerwiegendes Problem dar, weil Land, das eigentlich zur Nutzung aller israelischer Bürger gedacht war, an eine Agentur übergeben wird, die Land nur an Juden verkauft und verpachtet.“ Entsprechend der Selbstdefinition wird dieses Land, ob es von der ILA oder von dem JNF kontrolliert wird, beinahe ausschließlich für das Erreichen der zionistischen Ziele wie jüdische Besiedlung und Bevölkerungsverteilung genutzt. Diese Politik der Landnutzung führte unvermeidbar zu der massiven Enteignung der palästinensischen Bevölkerung, die internen Flüchtlinge eingeschlossen.
Obwohl die palästinensischen Bürger Israels jetzt noch 20% der Gesamtbevölkerung ausmachen, kontrollieren sie nur 2% der kommunalen Gebiete des Landes. Hochwürden Riah Abu al-Assal aus Nazareth (1998 als anglikanischer Bischof von Jerusalem eingesetzt) sagte folgendes dazu: „1948 waren 16,5 Dunam pro Kopf für die arabische Minderheit erlaubt. Heute sind rund 0,5 Dunam erlaubt Wir haben keinen Platz mehr, um unsere Toten zu begraben... Ich übertreibe nicht. Ich lebe in einer Stadt namens Nazareth, die zur überfülltesten Stadt des Landes geworden ist ... Auf dem griechisch-orthodoxen Friedhof in Nazareth - und die griechisch-orthodoxe Gemeinde zählt über 11.000 Menschen - werden die Gräber derer ausgegraben, die vor zehn Jahren gestorben sind, um die neuen Toten zu begraben.
Anm.: 1 Acre entspricht 4047 qm oder 4 Dunum.
Auszug aus: Present Absentees and indigenous Resistance (S. 23-36), in: Nur Masalha (Hrsg.), Catastrophe Remembered, Zed Books London/New York, 2005.
Dank an Nur Masalha und Zed Books. Aus dem Englischen von Katja Hermann
Text: hth / Foto: commons.wikimedia.org