Europa

19.12.2025: Die EU einigt sich auf einen neuen Ukraine-Milliardenkredit. Brüssel und Berlin scheitern jedoch an ihrer Forderung, eingefrorene russische Staatsgelder für Kiew einzusetzen. Nun wird es ein "abgesicherter" Kredit auf Kosten der EU-Steuerzahler. ++ Rückschlag für deutsche "Führungsrolle in Europa" ++ Unterzeichnung des Mercosur-Abkommens verschoben

 

Mit mehr als eine Stunde Verspätung wurde gestern (18.12.) die Tagung der EU-Staats- und Regierungschefs in Brüssel eröffnet. Landwirte, die gegen das Abkommen zwischen der EU und dem Mercosur protestierten, hatten den Zugang blockiert.

Im Vordergrund des zweitägigen Gipfels steht die Finanzierung des Ukraine-Krieges. Vor allem geht es dabei um die Frage, ob die eingefrorenen russischen Vermögen enteignet werden sollen, um damit die weitere militärische Unterstützung Kiews zu finanzieren. 

Das von Bundeskanzler Merz und EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen vorgeschlagene Konzept sah im Grundsatz vor, auf einen erheblichen Teil der Auslandsguthaben der russischen Zentralbank zuzugreifen, die beim belgischen Finanzdienstleister Euroclear lagern und dort aufgrund von EU-Sanktionen eingefroren sind. Die EU hätte sich also kein Geld auf den Finanzmärkten leihen müssen. Konkret geht es um 90 Milliarden Euro, also rund die Hälfte des russischen Gesamtguthabens von 185 Milliarden Euro. Sie sollen 2026/27 in zwei Tranchen von je 45 Milliarden Euro an die EU übertragen und von ihr als Kredit an Kiew weitergeleitet werden. Euroclear soll per Gesetz gezwungen werden, die Mittel herauszurücken.

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Wegen der möglichen rechtlichen Konsequenzen – Brüssel könnte für den Diebstahl vor Gericht haftbar gemacht werden – hatte der belgische Regierungschef Bart De Wever mit einer Blockade gedroht.  (siehe auch: "Nur Costa antwortet Trump. Russische Vermögenswerte, das Problem wird immer komplizierter")

Bundeskanzler Friedrich Merz rief die europäischen Partner vor dem Gipfel noch einmal auf, der Konfiszierung des in der EU eingefrorenen russischen Staatsvermögens für die Unterstützung der Ukraine zuzustimmen. "Aus meiner Sicht ist das in der Tat die einzige Option", sagte der Bundeskanzler. Er machte deutlich, dass die Aufnahme von Schulden als einzige denkbare Alternative für ihn nicht infrage komme. Er sprach von einer "Schicksalswoche" für Europa. 

Hieß es bisher, dass die russischen Gelder als "Reparationszahlungen für den Wiederaufbau" der Ukraine verwendet werden sollen, so spricht Merz jetzt offen davon, dass sie den Krieg für weitere zwei Jahre finanzieren sollen - ein Krieg, den man angeblich "so schnell wie möglich" beenden möchte.

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Würde diese von Merz ins Spiel gebrachte und von der EU-Kommission unterstützte Idee abgelehnt werden, so wäre das "für Merz persönlich, für Deutschland und für ganz Europa ein Desaster", warnte die die Vorsitzende des Ausschusses für Sicherheit und Verteidigung des EU-Parlaments, Marie-Agnes Strack-Zimmermann (FDP). "Wenn die EU-Regierungschefs jetzt nicht selbstbewusst und entschlossen agieren, dann verzwergt sich die EU endgültig." [1]

Obwohl dieses Thema im Zentrum der Tagung stand, sprach der EU-Rat den ganzen Tag über andere Themen. Das Darlehen an die Ukraine wurde auf der Tagesordnung ganz nach hinten verschoben. Allerdings nicht, um Zeit zum "Arbeiten und Studieren" zu gewinnen, wie der italienische Außenminister Antonio Tajani gefordert hatte – Italien steht der Enteignung russischer Vermögenswerte skeptisch gegenüber und versteckt sich hinter Belgien -, sondern um den belgischen Premierminister De Wever davon zu überzeugen oder zu zwingen, sich mit den Garantien zur Teilung des immensen Risikos zufrieden zu geben, das sein Land eingeht. Belgien erhielt Unterstützung von Giorgia Meloni aus Italien, Viktor Orban aus Ungarn, Robert Fico aus der Slowakei und Andrej Babis aus der Tschechischen Republik. Auch Frankreich, Bulgarien und Malta stehen dem Plan der EU-Kommission skeptisch gegenüber.

Selenskyi: "Ohne EU-Gelder kein Betrieb mehr für Drohnenfabriken"

Als Gast nahm der ukrainische Regierungschef Wolodymyr Selenskyj teil. Mit allen Mitteln versuchte er, die Abstimmung über die für die Ukraine bestimmten eingefrorenen russischen Vermögenswerte zu einem Punkt ohne Umkehr für die Europäische Union zu machen. Wenn diese Gelder nicht nach Kiew fließen würden, wäre das "ein großes Problem”, aber nicht nur für Kiew, betont der ukrainische Präsident, "sondern auch für die Europäische Union, die jetzt Einigkeit zeigen muss und nicht zusammenbrechen darf”.

EU Rat 2025 12 18 Selenskyj

Es versteht sich von selbst, dass für Selenskyj europäische Einheit gleichbedeutend ist mit einer geschlossenen Haltung an der Seite seines Landes. Bei dieser Propagandamaßnahme wurde er von den Führern der Koalition der Willigen, Frankreich und Deutschland, sowie von den Spitzenpolitikern in Brüssel unterstützt. Und dann gibt es noch die Besorgten, allen voran Polen und die baltischen Staaten, deren Position der polnischen Premierministers Donald Tusk zusammenfasste: "Entweder heute Geld oder morgen Blut".

Zum ersten Mal erklärte Selenskyj, dass, sollte bis Ende des Jahres keine Entscheidung getroffen werden und sein Land die für das nächste Frühjahr vorgesehenen Darlehen als Vorschuss für die russischen Kriegsreparationen nicht erhalten, "die Produktion von Drohnen in der Ukraine erheblich zurückgehen wird”. Und Drohnen sind derzeit die wichtigste Waffe, mit der der Krieg um die Ukraine geführt wird. Darüber hinaus mangelt es an Raketen für die Luftabwehr. Aber es geht nicht nur um die Kriegsmaschinerie. Der gesamte Verwaltungsapparat, die Gehälter der Soldaten, die Reparaturen der Energieinfrastruktur, der Kauf von Lebensmitteln aus dem Ausland, kurz gesagt, der Staat, hängen von den Finanzmitteln ab, die die westlichen Verbündeten bereitstellen.

Neue Milliardenkredite für die Ukraine, aber ohne russische Staatsgelder

Auch nach stundenlangen Verhandlungen konnten sich die EU-Staats- und Regierungschefs nicht auf die Überweisung eingefrorener russischer Staatsgelder an die Ukraine einigen.

Während die Kommission verzweifelt versuchte, den Plan zur Verwertung russischer Vermögenswerte zu retten, schmiedete eine separate Gruppe von Ländern unter der Führung Belgiens und Italiens heimlich Pläne, um ihren bevorzugten Plan B wiederzubeleben: eine gemeinsame EU-Schuldenaufnahme.

Im Ergebnis mussten sich die Regierungschefs auf einen Notfallplan einigen, der auf einer gemeinsamen EU-Schuldenaufnahme basiert und seit Wochen vom belgischen Premierminister Bart De Wever und von Italien vorangetrieben wurde, aber bis wenige Stunden vor Abschluss der Vereinbarung als aussichtslos galt. Während diese Option für die südlichen Länder attraktiv war, hat Deutschland und seinen nordeuropäischen Verbündeten die Übernahme von Anleihen für ihre hoch verschuldeten Partnerländer immer abgelehnt.

Letztendlich gaben jedoch die Dringlichkeit des Finanzierungsbedarfs der Ukraine den Ausschlag.

"Dies erwies sich als die realistischste und praktischste Lösung", erklärte der französische Präsident Emmanuel Macron gegenüber Reportern.

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Als Zugeständnis an Deutschland öffneten die Staats- und Regierungschefs die Tür für die Verwendung der eingefrorenen russischen Vermögenswerte zur Rückzahlung des Darlehens an die Ukraine. Dies muss jedoch noch in Zukunft ausgearbeitet werden.

Im Abschlussdokument des EU-Gipfels über Kredite für die Ukraine findet sich kein Wort zu den eingefrorenen russischen Vermögenswerten, wie aus dem nach dem Treffen veröffentlichten Papier hervorgeht. Der Text enthält Vereinbarungen über die Gewährung von Hilfe in Höhe von 90 Milliarden Euro an Kiew durch Kredite auf den Finanzmärkten, die durch den Haushalt der Europäischen Union garantiert werden. Von diesen Verpflichtungen sind Ungarn, Tschechien und die Slowakei ausgenommen. Außerdem wird erwähnt, dass das Thema Ukraine auf dem nächsten Gipfeltreffen diskutiert werden soll.

"Der EU-Gipfel hat beschlossen, der Ukraine für den Zeitraum 2026/2027 einen Kredit in Höhe von 90 Milliarden Euro auf der Grundlage von Kreditnahmen auf den Finanzmärkten zu gewähren, die durch den EU-Haushalt garantiert sind. Die Mobilisierung von Finanzmitteln für den Haushalt der Europäischen Union als Kreditgarantie für die Ukraine hat keinerlei Auswirkungen auf die finanziellen Verpflichtungen der Tschechischen Republik, Ungarns und der Slowakei."
Abschlusserklärung des EU-Gipfels

Nach dem Gipfeltreffen, das in den frühen Morgenstunden endete, erklärte von der Leyen in Begleitung der dänischen Ministerpräsidentin Mette Frederiksen, das vorrangige Ziel sei erreicht worden: die Finanzierung der Ukraine.

"Das Fazit nach dem heutigen Tag lautet, dass unsere Unterstützung für die Ukraine gesichert ist", sagte Frederiksen gegenüber Reportern.

Rückschlag für deutsche "Führungsrolle in Europa"

Dennoch wurde das Prinzip, Russland für die der Ukraine zugefügten Schäden bezahlen zu lassen, nicht umgesetzt. Die europäischen Mitgliedstaaten werden Kredite auf den Finanzmärkten aufnehmen und dafür Zinsen zahlen. Die Kommission erklärte, dass das Darlehen an die Ukraine zinsfrei sei und Kiew es mit Reparationszahlungen aus Moskau zurückzahlen werde. Es ist jedoch keineswegs garantiert, dass Russland jemals Reparationen für seine Invasion zahlen wird, und das Darlehen wird wahrscheinlich zu einem Zuschuss werden – bezahlt von den Steuerzahlern der EU.

"Natürlich hat es einigen Leuten nicht gefallen ... sie wollen [den russischen Präsidenten Wladimir] Putin bestrafen, indem sie ihm sein Geld wegnehmen", sagte De Wever und bezog sich dabei auf den ursprünglichen Plan, Russlands Vermögenswerte zu nutzen. Aber "Politik ist keine emotionale Angelegenheit", und "die Vernunft hat gesiegt".[2]

Obwohl alle Beteiligten so tun, als würde ihnen das Abkommen einen Sieg bescheren, war dies nicht die Lösung, für die sich Deutschland und die Kommission im Vorfeld des Gipfels eingesetzt hatten. Es bedeutet einen herben Rückschlag für Bundeskanzler Friedrich Merz und seine angestrebte "Führungsrolle in Europa" und EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen.

Friedrich Merz wertet die Lösung trotzdem als "großen Erfolg" und beharrte vor Journalisten auf seiner Wahrnehmung, dass "die Ukraine ein zinsloses Darlehen in Höhe von 90 Milliarden Euro erhalten wird, wie ich vorgeschlagen habe".

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Ein weiterer Schlag für die Einheit der EU ist, dass drei Länder – Ungarn, die Slowakei und die Tschechische Republik – nicht daran teilnehmen werden.

Unterzeichnung des Mercosur-Abkommens verschoben

Die Verhandlungen zum Mercosur-Abkommen wurden Ende vergangenen Jahres abgeschlossen. Ziel ist es, die Zölle herunterzufahren und die Exportmärkte so weit wie möglich zu öffnen - also zum Beispiel mehr europäische Autos in Südamerika und mehr landwirtschaftliche Produkte aus Südamerika in Europa zu verkaufen. Mit mehr als 700 Millionen Verbrauchern wäre es die größte Freihandelszone der Welt.

Mercosur Laender


Eigentlich wollte Ursula von der Leyen an diesem Wochenende in Brasilien für die EU ihre Unterschrift unter das Mercosur-Abkommen setzen. Doch dazu hätte sie die Unterstützung der EU-Regierungschef mit einer qualifizierten Mehrheit gebraucht - das heißt von mindestens 15 Mitgliedsländern, die mindestens 65 Prozent der EU-Bevölkerung repräsentieren.

Schon die Eröffnung der Tagung des Europäischen Rates verzögerte sich um eine Stunde aufgrund der Landwirte, die gegen das Abkommen zwischen der EU und dem Mercosur protestierten. Etwa 10.000 Menschen mit tausend Traktoren, überwiegend aus Frankreich und Belgien, besetzten den Platz vor den europäischen Institutionen.

Deutschland gehört zu den treibenden Kräften für dieses Abkommen und drängt auf die Unterzeichnung, weil es hofft, der krisengeschüttelten Autoindustrie etwas Luft zu verschaffen.

Doch während des Gipfels wurde schnell klar, dass die italienische Ministerpräsidentin Giorgia Meloni, die sich in Brüssel als Pragmatikerin einen Namen gemacht hat, versuchen würde, beide Lieblingsprojekte von Merz – russische Gelder für die Ukraine und das Mercosur-Abkommen - zu torpedieren.

Die qualifizierte Mehrheit fehlte, weil unter anderem die drei großen Länder Italien, Frankreich und Polen ausgeschert sind. Österreich und Irland sind skeptisch. Auf der anderen Seite stehen Deutschland, Spanien, Portugal, die Niederlande und die skandinavischen Länder.

Italien, das die Unterzeichnung für "verfrüht“ hält, schwankt zwischen ablehnenden Landwirten und befürwortenden Industriellen. Aber während Frankreich und Polen weiterhin grundsätzlich skeptisch bleiben, hat Italiens Ministerpräsidentin Georgia Meloni nur um höchstens einen Monat Aufschub gebeten. In dieser Zeit will sie noch Fragen klären lassen und die Landwirte in ihrem Land von dem Abkommen überzeugen.

Frankreich, eine großes Agrarland, fürchtet die niedrigen südamerikanischen Preise und auch die Absenkung der Standards. Für Macron "muss die europäische Landwirtschaft geschützt werden”, und er warnt: "Frankreich wird sich entschlossen wehren, wenn die Kommission versucht, etwas mit Gewalt durchzusetzen.”

Der ungarische Ministerpräsident Orbán stellt sich bei seiner Ankunft in Brüssel auf die Seite der Landwirte: "Ein zu 100 % berechtigter Protest.”

Anmerkungen

[1] ntv, 17.12.2025: "Putins langer Arm könnte bis in die Brüsseler Geschäftsführung reichen'"
https://www.n-tv.de/politik/Putins-langer-Arm-koennte-bis-in-die-Bruesseler-Geschaeftsfuehrung-reichen-id30154969.html

[2] Politico, 19.12.2025: EU agrees to €90B Ukraine loan — but VDL and Merz suffer defeat as assets plan fails
https://www.politico.eu/article/european-council-summit-eu-agrees-e90b-ukraine-loan-russian-assets-plan-fails/

Wir werden in unsere Heimat zurückkehren

Palestina Wir werden zurüückkehren

Viva Palästina

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Nach einer längeren Unterbrechung konnten die Genoss:innen der Jugendorganisation der Palästinensischen Volkspartei (PPP) ihre Solidaritätsarbeit in Gaza wieder aufnehmen

Gaza Soliaktion 2024 12 09 5
zum Text hier
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