27.02.2025: Während sich in Brüssel der Assoziationsrat EU-Israel traf, verweigerte Tel Aviv zwei Abgeordneten und zwei Mitarbeitern der Verwaltung des Europäischen Parlaments die Einreise nach Israel und schob sie zurück. ++ Trotz Krieg und Besatzung: EU will Beziehung zu Israel normalisieren
"Israel ist ein Schurkenstaat, und dieser schändliche Schritt zeigt, wie sehr sie das Völkerrecht missachten. Europa muss Israel nun zur Rechenschaft ziehen. Wir brauchen konkrete Maßnahmen, einschließlich Sanktionen."
Lynn Boylan (Sinn Fein), Vorsitzende der EU-Palästina-Delegation des Europäischen Parlaments
Am späten Montagvormittag (24.2.) landete die Delegation des Europaparlaments für die Beziehungen zu Palästina am Flughafen Ben Gurion bei Tel Aviv. Einigen ihrer Mitglieder wurde jedoch von den israelischen Behörden die Einreise verweigert, obwohl sie im Rahmen einer organisierten Mission im Auftrag der Delegation des Europäischen Parlaments für die Beziehungen zu Palästina reisten.
Es handelte sich um die Vorsitzende der EU-Palästina-Delegation, die irische Abgeordnete Lynn Boylan (Sinn Fein), die französisch Abgeordnete Rima Hassan (La France Insoumise) und zwei Beamte. Beide Europaabgeordnete sind Mitglieder der Linksfraktion The Left im EU-Parlament und haben in der Vergangenheit die israelische Politik kritisiert.
Die Delegation wollte über Israel nach Palästina reisen, um dort Gespräche mit den palästinensischen Behörden zu führen. Lynn Boylan wies darauf hin, dass die EU der größte Geber von Unterstützung für Palästina sei und dass ihre Beamten und gewählten Vertreter im Rahmen dieser Arbeit vor Ort in Palästina sein müssten. Außerdem "sollten wir uns mit Mitgliedern der Knesset und auch mit israelischen Politikern treffen“, sagte Lynn Boylan. Die Delegation sei an der Ausübung ihrer Tätigkeit gehindert worden sei, obwohl die Reise vor einigen Monaten bei den israelischen Behörden angemeldet und genehmigt worden sei, fügte sie hinzu.
Die EU-Delegation habe ihre Pässe, Telefone und iPads abgeben müssen und sei fast eineinhalb Stunden lang verhört worden, sagte Boylan. Sie seien fotografiert und die Fotos in den sozialen Medien verbreitet worden. Dann wurde die Delegation auf einen Flug zurück nach Belgien geschickt, und ihre Sachen wurden ihnen vor dem Abflug zurückgegeben.
Am selben Tag führte der israelische Außenminister Gideon Saar in Brüssel Gespräche mit hochrangigen EU-Beamten über die Beziehungen EU-Israel.
"Es ist besonders beleidigend, dass dies am selben Tag geschah, an dem die EU selbst im Rahmen des Assoziationsrates EU-Israel in Brüssel eine Reihe von Gesprächen mit Israel führte, aber Europaabgeordnete und Beamte, die versuchten, durch Israel zu reisen, blockiert und abgeschoben wurden“, empörte sich Boylan. "Dies ist nicht nur eine schwere Beleidigung für EU-Abgeordnete, sondern stellt auch ein echtes Problem für die diplomatischen Beziehungen zwischen der EU und Israel dar", so Boylan.
"Diese völlige Missachtung durch Israel ist das Ergebnis des Versäumnisses der internationalen Gemeinschaft, das Land zur Rechenschaft zu ziehen", sagte Boylan in einer Erklärung. "Israel ist ein Schurkenstaat, und dieser schändliche Schritt zeigt, wie sehr das Land das Völkerrecht missachtet. Europa muss Israel nun zur Rechenschaft ziehen. Wir brauchen konkrete Maßnahmen, einschließlich Sanktionen."
Die französische Europaabgeordnete Rima Hassan von La France Insoumise sagte: "Der Staat Israel will offensichtlich verhindern, dass gewählte Vertreter das Ausmaß der von ihm begangenen Menschenrechtsverletzungen vor Ort mit eigenen Augen sehen. Diese Entscheidung, Abgeordnete bei der Ausübung ihrer Pflichten zu behindern, ist eine weitere Folge der Straflosigkeit, die Israel genießt. Wir werden weiterhin Israel anprangern und auf Sanktionen gegen den Staat Israel drängen, solange er die Rechte der Palästinenser verletzt.“
"Wir sind nicht verpflichtet, ausländische Beamte hereinzulassen, wenn sie für den Boykott arbeiten oder die Legitimität Israels untergraben“, begründete der ultraorthodoxe Innenminister Moshe Arbel die Einreiseverweigerung.
Während für Lynn Boylan kein offizieller Grund für die Verweigerung der Einreise genannt wurde, erklärte der israelische Innenminister Moshe Arbel in Bezug auf Rima Hassan, die französische Politikerin habe "sich konsequent für Boykotte gegen Israel eingesetzt und zahlreiche öffentliche Äußerungen sowohl in den sozialen Medien als auch in Medieninterviews abgegeben".
Treffen des EU-Israel-Assoziationsrates: Trotz Krieg und Besatzung will EU die Beziehung zu Israel normalisieren
Die Proteste wegen des diplomatischen Zwischenfalls fallen mit den Forderungen der Linksfraktion The Left zusammen, das Assoziierungsabkommen EU-Israel wegen der "schwerwiegenden Verstöße gegen das Völkerrecht in Gaza und im Westjordanland, die einem Verbrechen des Völkermords gleichkommen", auszusetzen.
Israels Außenminister Gideon Saar war am selben Montag, an dem Israel EU-Abgeordneten die Einreise verweigerten, zu einem diplomatischen Besuch in Brüssel. Er nahm gemeinsam mit den 27 EU-Außenministern und der EU-Außenbeauftragen Kaja Kallas am EU-Israel-Assoziationsrat teil, der erstmals seit drei Jahren zusammengetreten ist.
Die Sitzung am Montag wurde einberufen, da Spanien und Irland im vergangenen Sommer eine Neubewertung des 1995 geschlossenen Assoziierungsabkommens und eine Aussetzung des Forums wegen Israels Kriegsverbrechen in Gaza gefordert haben.
Doch die Mitgliedsstaaten sind in Bezug auf die Beziehungen zu Israel nach wie vor stark gespalten und einflussreiche Kräfte in der EU wollen die Zusammenarbeit mit Israel sogar ausbauen. Auf die Seite Israels haben sich während des Gazakrieges vor allem Deutschland, Ungarn und Tschechien geschlagen. Nach dem vorläufigen Ende der Kampfhandlungen haben sie nun Oberwasser. Zwar gibt es immer noch Streit mit Israel, etwa über die Zweistaatenlösung oder die Zusammenarbeit mit dem Palästinenser-Hilfswerk UNWRA. Dennoch könne man die bilaterale Zusammenarbeit ausbauen.
Auf jeden Fall stand am Montag die ursprüngliche Initiative Spaniens und Irlands, das Assoziierungsabkommen zwischen der EU und Israel zu überprüfen, "nicht zur Debatte", wie es aus diplomatischen Kreisen heißt. "Die Idee ist, den Dialog aufrechtzuerhalten und kein Tribunal über Israel abzuhalten“, sagte ein hochrangiger Diplomat gegenüber der Deutschen Welle.
Die EU hatte zur Vorbereitung der Sitzung eine 57-Punkte-Erklärung verfasst, die die eigenen internen Differenzen austariert und sowohl Tadel als auch Lob für Israel enthält, was ein Diplomat als "alles für jeden" bezeichnete. [1]
In dem Dokument betont die EU die "engen und für beide Seiten vorteilhafte Beziehungen" zwischen Israel und der EU. Es gehe darum, die "Zusammenarbeit voranzutreiben, auch durch mögliche Verhandlungen über Partnerschaftsprioritäten". Außerdem würden die Beziehungen der EU zu Israel "auch ein wichtiger Bestandteil der neuen umfassenden EU-Strategie für den Nahen Osten und des neuen Mittelmeerpakts sein".
Die EU begrüßt zwar den brüchigen Waffenstillstand im Gazastreifen und fordert die Hamas auf, die Geiseln freizulassen, bedauert jedoch zutiefst die inakzeptable Zahl von Zivilisten, insbesondere Frauen und Kindern, die ihr Leben verloren haben, und die katastrophale humanitäre Lage, die insbesondere durch die unzureichende Einfuhr von Hilfsgütern in den Gazastreifen verursacht wurde.
"Die EU begrüßt zwar die Zunahme der Hilfslieferungen nach Gaza seit Inkrafttreten der Waffenruhe, bekräftigt jedoch ihre Forderung nach einem vollständigen und ungehinderten Zugang für humanitäre Hilfslieferungen in den Gazastreifen und dass die Hilfe wirksam an die Bedürftigen verteilt werden kann, auch durch UN-Organisationen und insbesondere das UNRWA. Den vertriebenen Bewohnern des Gazastreifens sollte eine sichere und würdevolle Rückkehr in ihre Häuser in Gaza ermöglicht werden", heißt es unter Punkt 6.
Die EU-Staaten pochen außerdem auf die Umsetzung von Entscheidungen des Internationalen Gerichtshofs (IGH/ICJ) und des Internationalen Strafgerichtshofs (IStGH / ICC)). Die von Deutschland mitgetragene Erklärung steht damit im Kontrast zur Ankündigung des designierten Kanzlers Friedrich Merz (CDU) vom Montag, bald Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu nach Deutschland einzuladen – trotz eines internationalen Haftbefehls durch den IStGH.
Brüssel spricht sich außerdem "entschieden gegen Israels Siedlungspolitik aus" und "verurteilt aufs Schärfste die weitere Eskalation im Westjordanland infolge zunehmender Gewalt durch Siedler, der Ausweitung illegaler Siedlungen, israelischer Militäroperationen und zunehmender Terroranschläge gegen Israel".
Die EU forderte Israel außerdem auf, "eine spürbare Verbesserung der Bewegungsfreiheit und des Zugangs für die Palästinenser zu ermöglichen" und fügte hinzu, dass sie "alle Maßnahmen ablehnt, die die Tragfähigkeit der Zweistaatenlösung untergraben".
Israel: EU-Beziehungen dürfen nicht "als Geiseln gehalten" werden
Israels Außenminister reiste mit einer eigenen 149-Paragraphen-Erklärung an, die alles von Tourismus bis hin zur Zusammenarbeit im Verkehrswesen abdeckt, mit Warnungen vor einem zunehmenden Antisemitismus in Europa und der Forderung an die EU-Staaten, Gesetze zur Bekämpfung des Antisemitismus zu fördern.
Der Text enthält Gegenargumente zu erwarteter EU-Kritik in Bezug auf Gaza und besagt, dass Israel "gezwungen war, in den Krieg zu ziehen ... um die militärischen und staatlichen Fähigkeiten der Hamas zu zerschlagen, die Geiseln zu befreien und die Sicherheit seiner Bürger wiederherzustellen".
Israel besteht darauf, dass es "erhebliche Anstrengungen unternommen hat, um die Bereitstellung humanitärer Hilfe für Gaza zu ermöglichen und zu erleichtern", und machte die Plünderungen durch die Hamas für die Schwierigkeiten bei der Verteilung der Hilfe verantwortlich.
Israels Außenminister Gideon Saar sagte, das Treffen zeige den "Wunsch, wieder normale Beziehungen aufzunehmen". "Das bedeutet nicht, dass es keine Meinungsverschiedenheiten gibt. Man muss wissen, wie man damit umgeht", fügte er hinzu. Er warnte, dass die Beziehungen zwischen Israel und der EU "nicht als Geisel des israelisch-palästinensischen Konflikts genommen werden dürfen".
Zudem bekräftigte er, dass sich Israel nicht davon abbringen lassen wird, den Vernichtungskrieg und die ethnischen Säuberungen gegen die Palästinenser fortzuführen. "Wir haben die Bedenken einiger Mitgliedstaaten gehört. Ich habe erklärt, dass wir alles, was wir dort tun, tun, um uns selbst zu schützen", sagte er. "Wir müssen es tun, um ... unsere Bürger zu verteidigen, und das werden wir auch weiterhin tun."
Protest gegen "Normalisierung" der Beziehungen zu Israel
"Zum ersten Mal in der Geschichte der EU werden die Minister*innen den Vertreter eines Staates empfangen, gegen dessen Premierminister und ehemaligen Verteidigungsminister ein Haftbefehl des Internationalen Strafgerichtshofs vorliegt."
Direktor*innen der europäischen Amnesty-Sektionen
Menschenrechtsorganisationen kritisierten die EU-Staaten vor dem Treffen scharf. Energischer Widerspruch kommt von Parlamentariern aus 17 EU-Ländern, vor allem aber aus der Zivilgesellschaft. Statt wieder "business as usual" mit Israel zu machen, müsse der Assoziationsrat ausgesetzt werden, heißt es in einem offenen Brief an die neue EU-Außenbeauftragte Kaja Kallas, den die International Federation for Human Rights (FIDH), Human Rights Watch, Oxfam und mehr als 100 weitere NGOs unterschrieben haben.
Sie berufen sich auf Artikel 2 des Assoziierungsabkommens. Darin wird die Achtung von Demokratie und Menschenrechten zur Grundlage der Zusammenarbeit erklärt. Israel habe die Menschenrechte aber während des Gazakrieges und im Westjordanland massiv verletzt, heißt es in dem Schreiben. Dies hätten auch die UNO und der Internationale Strafgerichtshof eindeutig festgestellt.
Amnesty International fordert die EU auf, die Waffenlieferungen an Israel zu stoppen, den Handel mit illegalen Siedlungen zu verbieten und Rechenschaft für Völkerrechtsverbrechen einfordern.
In der Erklärung heißt es:
"Überall in Europa fordern die Menschen ein Ende des Genozids an den Palästinenserinnen in Gaza. Seit 16 Monaten gehen Menschen auf die Straße, organisieren sich in Gewerkschaften, unterzeichnen Briefe und Petitionen, unterstützen Spendenaktionen und errichten Zeltlager an Universitäten, um Gerechtigkeit für die Betroffenen von Genozid und Kriegsverbrechen zu fordern und dafür zu sorgen, dass die jahrzehntelange brutale Besatzung und Apartheidspolitik Israels gegen die Palästinenserinnen endlich beendet wird.
Aber es gibt eine Kluft zwischen den Gesprächen, die in unseren Häusern, an unseren Arbeitsplätzen und Schulen geführt werden, und denen, die in den Machtzentralen der EU stattfinden. Und es besteht die Gefahr, dass diese Kluft größer wird."[2]
Anmerkungen
[1] European Union's position for the Association Council's 13th meeting (Brussels, 24 February 2025)
https://www.parlament.gv.at/dokument/XXVIII/EU/12498/imfname_11455390.pdf
[2] Amnesty International, 22.2.2025: Nicht in unserem Namen: Keine EU-Unterstützung für Israels Genozid, Besatzung und Apartheid
https://www.amnesty.at/news-events/news/nicht-in-unserem-namen-keine-eu-unterstuetzung-fuer-israels-genozid-besatzung-und-apartheid/