Europa

Gaszaehler 227.10.2021: Gestern (26.10) stand das heiße Eisen der Energiepreiskrise, ausgelöst durch die in wenigen Monaten um 200 % gestiegenen Gaspreise auf dem internationalen Markt, auf der Tagesordnung der EU-Umweltminister*innen. Doch wie schon bei der Tagung des Europäischen Rates in der vergangenen Woche kam es zu keiner Einigung.

 

Die EU-Umweltminister*innen konnten sich bei ihrem gestrigen Treffen in Luxemburg, wie schon der Europäische Rate in der vergangenen Woche, auf keine gemeinsame Position zur Energiepreiskrise einigen.

19 EU-Mitgliedsländer haben bereits nationale Maßnahmen ergriffen, um eine Explosion der Proteste zu vermeiden - von Preisstopps bis hin zu Zuschüssen für die am meisten gefährdeten Familien (34 Millionen Europäer*innen haben Probleme die Energierechnung zu bezahlen). Dabei wählen sie aus dem von der EU-Kommission vorgeschlagenen "Werkzeugkasten" die Instrumente aus, die sie auf nationaler Ebene für am besten geeignet halten, um die Notlage kurzfristig zu bewältigen.

Hieß es zunächst, Russland verursache vorsätzlich die aktuell hohen Erdgaspreise auf dem europäischen Markt, wurde es um diesen Vorwurf inzwischen leiser. Inmitten der Diskussion über stark gestiegene Gaspreise, veröffentlichte der russische Energieriese Gazprom seine Zahlen: In den ersten neuneinhalb Monaten dieses Jahres wurde mehr Gas ins Ausland geliefert als im Vorjahr. Allein nach Deutschland sei die Menge im Vergleich zum Vorjahreszeitraum um 28,2 Prozent gestiegen, teilte das Unternehmen mit.

Die Bundesregierung erklärte auf eine Anfrage des Abgeordneten Klaus Ernst (DIE LINKE), welche Faktoren die Preistreiber hinter den aktuell rapide steigenden Gaspreisen seien und inwiefern es Hinweise auf Nicht-Einhaltung von Vertragsverpflichtungen russischer Energielieferanten gibt: "Angesichts der konjunkturellen Erholung, des Einflusses der CO2 -Bepreisung und der steigenden Bedeutung von Erdgas in der Verstromung traf ein insgesamt verringertes Angebot auf eine erhöhte Nachfrage, die den Kurzfristpreis massiv in die Höhe getrieben hat. Der Bundesregierung liegen keine Erkenntnisse über die Nicht-Einhaltung von Vertragsverpflichtungen russischer Energielieferanten vor.“

Beim Treffen der Umweltminister*innen traten wieder drei gegensätzliche Lager zu Tage, die jede gemeinsame Entscheidung blockieren:

Es gibt die "Markt"-Fraktion: In einem gemeinsamen Schreiben mahnen neun nordeuropäische Staaten "große Vorsicht vor Eingriffen in die Gestaltung der Energiebinnenmärkte" an: Angeführt von Deutschland, Österreich, Dänemark, Estland, Finnland, Irland, Luxemburg, Lettland und den Niederlanden (mit Unterstützung von Belgien und Schweden) drängen sie darauf, nicht in Marktmechanismen einzugreifen, die "seit Jahren funktionieren" und Stromausfälle verhindert haben. Diese Gruppe setzt auf die Liberalisierung des Energiesektors, lehnt langfristige Lieferverträge ab, und glaubt, dass ein freier Gashandel den Energiemarkt austarieren würde.

Die (südeuropäische) Fraktion, die eine stärkere Regulierung fordert, hat vorerst eine Niederlage erlitten: Sie wird von Spanien angeführt, das vorgeschlagen hat, die Energiepreise von den Gaspreisen zu trennen und gemeinsame Gaseinkäufe zu initiieren (nach dem Modell der Impfstoffe, das sich bewährt hat). Um "Asymmetrien" auf dem EU-Markt zu vermeiden, sollen die "Energiepreisbildung in Ausnahmesituationen" wie den derzeitigen geregelt werden sowie Maßnahmen zur "Vermeidung von Finanzspekulationen auf dem ETS-Markt" [1] ergriffen werden können. Frankreich und Italien sind in dieser Gruppe. Man hat sich an sie gewandt, um Gruppen von "Freiwilligen" für mögliche gemeinsame Einkäufe zu bilden.

Die dritte Gruppe bilden die osteuropäischen Länder, die immer noch stark auf Kohle setzen, dem Handel mit CO2-Zertifikaten kritisch gegenüberstehen und einen "Stopp" aller umweltpolitischen Maßnahmen (sowie mehr Geld für den Übergang) fordern.

Energiekommissar Kadri Simson räumte gestern ein: "Es gibt keine Einigung zwischen den Staaten über neue Maßnahmen". Für Simson kann "jeder Staat seinen eigenen Energiemix wählen und seinen eigenen Weg zur Dekarbonisierung festlegen".

Wird Atomstrom grün?

Über die Rolle von Gas und Atomkraft wird unter den EU-Mitgliedsstaaten seit längerem heftig gestritten. Die EU-Kommission arbeitet schon seit Monaten an einem neuen EU-Standard für nachhaltige Investitionen, die sogenannte EU-Taxonomie. Dieser Standard wird zum Beispiel definieren, welche Energiequellen als nachhaltig gelten. Energiequellen, die von der EU als nachhaltig eingestuft werden, werden in den nächsten Jahren hoch im Kurs sein, denn die Einstufung als nachhaltige Investition hat immense Folgen: In Zukunft werden sich Banken, Versicherungen und andere Finanzinvestoren bei ihren Anlageentscheidungen nach diesem EU-Standard richten. Zudem werden auch Fördergelder, europäische und nationale Beihilfen und Steuergelder in die Energiequellen fließen, die das Nachhaltigkeitslabel bekommen. Ist eine Energiequelle nicht Teil der EU-Taxonomie, dann wird sie nicht verboten, aber ihre Finanzierung ungleich schwieriger.

In Frankreich wurde am Montag eine von der Regierung in Auftrag gegebene Studie des Netzbetreibers Rte über die Zukunft des französischen Stromnetzes vorgestellt. Sie skizziert sechs Szenarien, um zwei Prioritäten im Jahr 2050 zu erfüllen: die Gewährleistung der Versorgungssicherheit und die Einhaltung der Kohlenstoffneutralität, wie im Pariser Abkommen festgelegt. Die Szenarien reichen von 100 % erneuerbaren Energien bis zu 50 % Kernkraft, wobei fünf der sechs Szenarien davon ausgehen, dass Frankreich noch lange Zeit auf Kernkraft angewiesen sein wird.

Im Dezember muss die "Taxonomie" der europäischen Energiequellen definiert werden: Deutschland will Gas einbeziehen, Frankreich (mit 10 anderen Ländern) will der Kernkraft das grüne Nachhaltigkeitslabel verpassen.

Beim letzten EU-Gipfel am 22. Oktober kündigte EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen an, in Kürze einen Vorschlag für das EU-Nachhaltigkeitslabel vorzulegen, der auch Atomkraft und Gas beinhaltet. Die Folge: Neue Atomkraftwerke und selbst Gaskraftwerke, die nicht dem modernsten Entwicklungsstand entsprechen, könnten dann auf einen Geldsegen hoffen. Investitionen in Atomkraft und Gas bekämen also fast das gleiche Nachhaltigkeitslabel wie der Bau von Windrädern und Solaranlagen.

Ein Super-GAU für die Erneuerbaren Energien!

In einer vom grünen Europaabgeordneten Sven Giegold gestarteten Petition heißt es: "Schon heute ist immer öfter der Strom aus Erneuerbaren Energien günstiger als Atom und Gas. Die Erneuerbaren werden günstiger, Atom und Gas immer teurer. Wer jetzt auf Atom und Gas setzt, der wird höhere Stromkosten für private Verbraucher und Unternehmen ernten. Zusammen mit den massiven Umwelt- und Klimaschäden bei der Gewinnung von Uran und fossilem Gas (Methan-Lecks!) wird klar: Atom und Gas sind weder grün noch ökonomisch sinnvoll! ..
Die Gewinnung von Strom aus Atomkraft und Gas ist nicht nachhaltig. Atom und Gas dürfen daher im Rahmen der EU-Taxonomie nicht als nachhaltige Investition eingestuft werden! Der EU-Vorschlag darf nicht vorgelegt werden, bevor die neue Bundesregierung im Amt ist!" [2]

 

Anmerkungen

[1] Der EU-Emissionshandel (European Union Emissions Trading System, EU ETS) ist ein Instrument der EU-Klimapolitik mit dem Ziel, die Treibhausgasemissionen (wie CO2) unter möglichst geringen volkswirtschaftlichen Kosten zu senken, indem eine begrenzte Zahl an Emissionsrechten ausgegeben und anschließend auf einem Markt gehandelt wird. Das EU ETS ist der erste grenzüberschreitende und weltweit größte Emissionsrechtehandel. Bisher wird er seinem Anspruch nicht gerecht, weil den Emittenten viel zu viele Zertifikate bereit gestellt wuden und die Zertifikate zu billig sind, um eine steuernde Wirkung zu entfalten.
Eine Kritik des EU ETS: Granz Garnreiter, isw, 2019: "Das Emissionshandelssystem der EU. Totales Systemversagen und dennoch Bestrebungen zur Ausdehnung"
https://www.isw-muenchen.de/2019/09/das-emissionshandelssystem-der-eu-totales-systemversagen-und-dennoch-bestrebungen-zur-ausdehnung/
oder
kommunisten.de: Internationaler Währungsfond: Markt versagt bei Kampf gegen Klimaerwärmung

[2] Petition von Sven Giegold an EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen und EU-Kommissar Frans Timmermans: "Super-GAU für Europas Energiewende: Stoppt das Greenwashing von Atomkraft und Gas!"
https://www.change.org/p/eu-kommissionschefin-ursula-von-der-leyen-und-eu-kommissar-frans-timmermans-super-gau-f%C3%BCr-europas-energiewende-stoppt-das-greenwashing-von-atomkraft-und-gas


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Dies ist ein Moment, der zum Handeln auffordert. Lassen Sie uns gemeinsam für die Menschlichkeit eintreten und denjenigen, die es am meisten brauchen, die dringend benötigte Hilfe bringen.

Hilfswerk der Vereinten Nationen für Palästina-Flüchtlinge

Spenden: https://donate.unrwa.org/gaza/~my-donation


 

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