26.03.2018: Das war eine klare Warnung an Frankreichs Staatschef Macron: am gewerkschaftlichen Aktionstag für die öffentlichen Dienste haben sich am 22. März mehrere hunderttausend Französinnen und Franzosen an rund 180 Kundgebungen und Demonstrationen im ganzen Land beteiligt; mehr als 500.000 Teilnehmer*innen nach Angaben des linken Gewerkschaftsbundes CGT, aber immerhin 323.000 auch laut dem französischen Innenministerium.
Der Protest richtete sich in erster Linie gegen die von der Regierung beabsichtigte Streichung von rund 120.000 Stellen in verschiedenen öffentlichen Diensten. Außerdem waren die kürzlich beschlossene Einführung eines "Karenztages" im Krankheitsfall, an dem es weder Lohnfortzahlung noch Krankengeld gibt, und das "Einfrieren" des Indexpunktes für die Höhe der Gehälter Stein des Anstoßes.
Die Beteiligten bekundeten, wie die CGT in einer Erklärung hervorhob, ihr Festhalten am Prinzip von öffentlichen Diensten gegen die Privatisierungsabsichten der Regierung. Sie wollen den Erhalt und den Ausbau der öffentlichen Dienste und dafür mehr Mittel und Personal, damit sie ihre Angebote nicht nur im Interesse der Beschäftigten, sondern auch der Nutzer*innen entsprechend den heutigen Möglichkeiten verbessern können.
Eine Besonderheit des Aktionstages vom 22. März war es, dass erstmals wieder seit langer Zeit eine breite gewerkschaftliche Einheit zustande kam. Alle sieben relevanten Gewerkschaftsbünde (CGT, FO, FSU, CFE-CGC, CFTC, Solidaires et FA-FP) der öffentlichen Dienste hatten sich trotz ihrer unterschiedlichen Grundhaltungen, eher aktionsbereit oder eher auf sozialpartnerschaftliche Verhandlungen ausgerichtet, zu einer gemeinsamen Aktionsfront zusammengeschlossen.
In einem Leitartikel der kommunistischen Tageszeitung "Humanité" hieß es dazu am 23.3., dass der unbestreitbare Erfolg der gewerkschaftlichen Demonstrationen ein Zeichen der zunehmenden Besorgnis in der Bevölkerung gegenüber der neoliberalen Offensive von Staatschef Macron und "ein Indiz eines neuen Klimas im Land" sei. Die anfänglich abwartende Haltung in weiten Teilen der Bevölkerung gegenüber der Politik Macrons und die "Erstarrung" angesichts seines nun sicht- und spürbar werdenden rigorosen Vorgehens scheine sich zu verflüchtigen.
In den Demonstrationszügen waren die Westen, Fahnen und Transparente der unterschiedlichen Berufsgruppen, von den Staatsbediensteten und Angestellten der Territorialverwaltungen über das Justizpersonal und die Lehrer*innen und Beschäftigten im Bildungswesen bis zum Personal der öffentlichen Krankenhäuser zu sehen. In Paris vereinigten sich am Nachmittag auf dem geschichtsträchtigen Platz der Bastille ein Demonstrationszug der verschiedenen öffentlichen Dienste mit rund 40 000 Teilnehmern, ausgehend vom Stadtviertel Bercy im 12. Arrondissement, mit einer gesonderten Demonstration von 25 000 Eisenbahner*innen aus dem ganzen Land, ausgehend vom entgegengesetzt liegenden Gare de l’Est (Ostbahnhof).
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Für die Eisenbahner*innen war dies der Auftakt zu dem von den vier stärksten Gewerkschaftsbünden (CGT, UNSA, SUD und CFDT) beschlossenen, für drei Monate vereinbarten "perlenartigen" oder "punktartigen Streik" gegen die von der Regierung geplante "Reform" des staatlichen Eisenbahnunternehmens SNCF. Dieser beginnt am 3. April und dauert im Rhythmus von zwei Tagen Streik und drei Tagen Pause bis Ende Juni. Im Demo-Zug der Eisenbahner*innen zogen auch Abordnungen von Gewerkschaften aus den Nachbarländern mit, so aus Belgien, Spanien, Großbritannien, der Schweiz und Deutschland.
Außer Paris gab es die größten Kundgebungen mit oft mehreren zehntausend Beteiligten in Marseille, Toulouse, Lyon, Nantes, Rennes, Rouen, aber auch mit rd. 5.000 Teilnehmern in Straßburg.
Unterstützt wurde die Aktion auch durch Abordnungen der Parteien der politischen Linken, meist unter Beteiligung ihrer zentralen Führungspersonen, so Pierre Laurent von der PCF, Jean-Luc Mélenchon von der Bewegung der "Insoumises" ("Unbeugsamen"), Olivier Besancenot von der "Neuen Antikapitalistischen Partei" (NPA), Benoît Hamon, Ex-Präsidentschaftskandidat der "Sozialisten", mittlerweile aus der PS ausgetreten und Anführer der Vereinigung "Génération.s", Vertreter*innen der Grünen-Partei EELV und anderen Linksgruppen. Diese Parteien und Vereinigungen hatten schon Tage vor dem 22. März in einer gemeinsamen Erklärung ihre Solidarität mit dem Anliegen der Gewerkschaften und Demonstrant*innen bekundet. Das war die erste gemeinsame politische Äußerung der Linksparteien seit langem. Auch der kürzlich neugewählte Vorsitzende der "Sozialistischen Partei" (PS), Olivier Faure, bekundete seine Unterstützung, musste allerdings erleben, dass er wegen seiner duldsamen Haltung gegenüber dem neoliberalen Kurs des vorigen Staatspräsidenten Hollande von Demonstranten angegangen und mit Pfui-Rufen bedacht wurde.
Die Gewerkschaften des öffentlichen Dienstes wollten auf einer Zusammenkunft am 23.3. über den Fortgang der Bewegung beraten. Die CGT hat den Vorschlag unterbreitet, am 19. April einen neuen gemeinsamen branchenübergreifenden landesweiten Aktionstag durchzuführen.
Es kennzeichnet die angebliche "Ausgewogenheit" der deutschen Medien, dass die meisten von ihnen den erfolgreichen Aktionstag der Gewerkschaften in Frankreich einfach mit Schweigen übergangen haben.
txt: G. Polikeit