Eindrucksvoller Gewerkschaftsaktionstag in Frankreich mit fast 500.000 Teilnehmern und 200 Demonstationen
14.09.2017: "Das ist eine erste Mobilisierung, die sich als erfolgreich ankündigt". So bewertete Philippe Martinez, Generalsekretär des Gewerkschaftsbundes CGT, den ersten gewerkschaftlichen Aktionstag in Frankreich am 12. September. Und er hatte guten Grund dafür.
Fast eine halbe Million Teilnehmer an rund 200 von den Gewerkschaften initiierten Demonstrationszügen im ganzen Land – das waren mehr als am ersten Aktionstag gegen das "Loi Travail" im März 2016 (das französische Innenministerium kam nach zusammengezählten Polizei-Schätzungen allerdings nur auf 223.000 Teilnehmer). Hervorzuheben ist: der 12.9. war ein gewöhnlicher Dienstag, also Arbeitstag, was bedeutet, dass viele der Teilnehmer an diesem Tag oder mindestens stundenweise die Arbeit niederlegten, um daran teilnehmen zu können. Mehr als 4.000 betriebliche Streik-Aufrufe hat es gegeben.
Zusammen mit der CGT, dem ältesten und nach wie am stärksten in den Betrieben verankerten französischen Gewerkschaftsbund, gehörten auch die Vereinigung der autonomen Gewerkschaften, "Solidaires" und die FSU, Gewerkschaft der Beschäftigten des Bildungswesens, zu den Initiatoren dieses ersten Aktionstages. Er richtete sich gegen die "Reform des Arbeitsrechts", die Staatspräsident Macron mit Hilfe von "Ordonnanzen" (Präsidentenerlassen) ohne Debatte und Abstimmung im Parlament am 25. September in Kraft setzen will.
In den Demonstrationszügen waren aber neben den Blöcken von CGT und "Solidaires" auch mehrfach Gruppen von anderen Gewerkschaftsbünden wie "Force Ouvrière" (FO) und CFDT (zweitgrößer sozialpartnerschaftlich orientierter Gewerkschaftsbund) mit ihren Fahnen, T-Shirts und Transparenten zu sehen, obwohl die Führungen dieser beiden Dachverbände die Beteiligung abgelehnt hatten. Von der FO hatten immerhin 55 Bezi9rksorganisationen (die Mehrheit der vorhandenen) und 13 Fachgruppen-Vereinigungen sich für die Teilnahme entschieden. Die Exekutivkommission der FO hatte in einer Erklärung zwar in den vorgesehenen Ordonnanzen "zahlreiche soziale Rückschritte" kritisiert, aber einen Aufruf zu Protestaktionen abgelehnt. In Lyon und Brest beteiligten sich auch der Metallarbeiterverband und die Vereinigung der Sozialarbeiter in der CFDT an den Demonstrationen.
CGT-Chef Martinez hob in einer Erklärung hervor: "Anders als im letzten Jahr beim Loi El Khomri ist heute keine Gewerkschaft mit diesen Ordonnanzen einverstanden. Denn diese gehen weiter als das, was die Regierung Valls (unter Hollande) machen wollte, in der Macron übrigens Minister war. Der Mobilisierung ist es gelungen, die Orientierungen des damaligen Präsidenten und seiner Regierung zu bremsen. Jetzt, da Macron Präsident der Republik geworden ist, will er das Arbeitsrecht weiter verschlechtern, die Präsenz von Gewerkschaftsvertretern in den Betrieben schwächen, die betrieblichen Vertretungsgremien zusammenlegen. Das ist ein Projekt, das vor allem dazu bestimmt ist, den Unternehmern volle Macht zu verschaffen, absolut kein Projekt, um die Beschäftigten zu schützen".
Zur Teilnahme aufgerufen und sichtbar in den Zügen vertreten waren auch der nationale Studentenverband UNEF sowie die nationale Schülerunion UNL, plus ein dutzend weitere Jugendorganisationen, darunter die Kommunistische Jugendbewegung, die Jungsozialisten und die jungen Grünen. Zur Begründung sagte Lila Le Bas, die Vorsitzende der UNEF: "Diese Reform des Arbeitsrechts wird die Unsicherheit der Jugendlichen während der Periode ihrer Berufseingliederung verschärfen. Die Perspektive, einen normalen unbefristeten Arbeitsvertrag mit Vollzeitbeschäftigung (CDI) zu bekommen, rückt damit noch ein bisschen mehr in die Ferne".
Auch die führenden Politiker der linken Parteien und Bewegungen nahmen an den Demonstrationen teil, so der Nationalsekretär der PCF, Pierre Laurent, in Paris, und der Wortführer der Bewegung "La France Insoumise", Jean-Luc Mélenchon, in Marseille. In Paris beteiligte sich auch der ehemalige Präsidentschaftskandidat der "Sozialisten" (PS), Benoît Hamon, mit seiner inzwischen neu gegründeten Vereinigung M1717, die sich von der PS getrennt hat. Die provisorische PS-Nationalleitung hatte in einem Kommuniqué zwar erklärt, da die PS "alle gewerkschaftlichen Schritte unterstützt, die sich gegen die Ordonnanzen Macron-Pénicaud (Arbeitsministerin) richten", es jedoch unterlassen, einen Aufruf in diesem Sinn zur Teilnahme am 12. September zu formulieren.
In den Demonstrationszügen - die größten mit jeweils 60.000 Teilnehmern in Paris und Marseille - waren neben Beschäftigten der Privatindustrie, die in erster Linie von der vorgesehenen Verschlechterung des Arbeitsrechts betroffen sind, auch zahlreiche Beschäftigte der öffentlichen Dienste, viele Jugendliche und Rentnerinnen und Rentner. Auch die Schausteller (Jahrmarkbudeninhaber) hatten sich mit ihren Wagen an den Aktionen beteiligt und mit ihren langsam fahrenden Fahrzeugen in manchen Straßen eine "Aktion Schneckentempo" veranstaltet, die größere Staus verursachte.
Manche Teilnehmer der Demos brachten auch ihren großen Zorn über die abschätzige Bemerkung zum Ausdruck, die Macron drei Tage vorher bei einem Besuch in Griechenland gegenüber den Gegnern der Reform gemacht hatte. In einer Ansprache im Garten der französischen Schule in Athen hatte der französische Präsident versucht, seine Festigkeit gegenüber allen Protesten zu demonstrieren, indem er u. a. erklärte: "Ich werde in Nichts nachgeben. Weder gegenüber den Faulenzern noch gegenüber den Zynikern und Egoisten". Einige Teilnehmer der Gewerkschaftsdemonstrationen hängten sich daraufhin demonstrativ ein Schild um: "Ich bin ein Faulenzer". Andere kamen mit einem Transparent: "Die Faulenzer sind unterwegs!". Ein im Französischen sich reimender Sprechchor lautete: "Macron, t’es foutu, les fainéants sonst dans la rue!" (Macron, du bist erledigt, die Faulpelze sind auf der Straße").
Alles in allem lässt sich festhalten, da die Gewerkschaftsaktionen vom 12. September größer und breiter geworden sind, als es noch vor einigen Wochen für möglich gehalten wurde. Barbara Kostolnik vom ARD-Studio Paris warf deshalb in der Überschrift über ihren Bericht schon die Frage auf: "Proteste in Frankreich Beginn eines heißten Herbstes?".
Für eine solche Prognose ist es allerdings noch zu früh. Sicher ist jedoch, da nach diesem Auftakt weitere Gewerkschaftsaktionen folgen werden, der nächste landesweite Aktionstag schon nur neun Tage später am 21. September, dem Vortag der geplanten Verabschiedung der Ordonnanzen im Ministerrat.
Die CGT hat in ihrer Erklärung zum 12. September hervorgehoben: "Die CGT wird ihre Arbeit zur Information und Mobilisierung aller Beschäftigten, Arbeitslosen und Rentner gegen die Macron-Ordonnanzen fortsetzen". Sie werde aber nicht nur in Kritik und Protest verharren, sondern zugleich ihren eigenen schriftlich vorgelegten Vorschlag "für ein Arbeitsrecht des 21. Jahrhunderts" verfechten. Die CGT werde "alles tun, um die Vereinigung der Welt der Arbeit voranzubringen und auszuweiten mit allen Gewerkschafts- und Jugendorganisationen". Es sei ihr Ehrgeiz, "noch stärkere Mobilisierungen zustande zu bringen, um sich allen sozialen Rückschritten der Regierung Macron entgegenzustellen".
txt: Georg Polikeit
fotos: CGT: Karte der Mobilisierungen | Solidaires
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