Europa

17.06.2011: Während sich die EU über den weiteren Weg zur Eindämmung der Euro-Krise nicht einigen kann, eskaliert in Griechenland der Konflikt. "Die Situation ändert sich jede Minute" schreibt Nikos Chountis, EP-Abgeordneter von SYRIZA, am heutigen Morgen. Premier Papandreou versucht verzweifelt seine parlamentarische Mehrheit zu retten, während die Proteste der Bevölkerung immer umfassender und wütender werden. Griechenland steckt in einer tiefen politischen Krise. "Der Unmut über immer neue Sparprogramme ist zur Gefahr für Griechenlands Demokratie geworden", schreibt heute die Süddeutsche Zeitung. So werden Tatsachen auf den Kopf gestellt: Nicht "Sparprogramme", Diktat der Troika und Aushebelung der parlamentarischen Demokratie gefährden die Demokratie, sondern die demokratischen Proteste.

EU streitet über Griechenland
Kommende Woche treffen sich die Staats- und Regierungschefs der EU-Mitgliedsländer in Brüssel, um über die Hilfe für den angeschlagenen Staatshaushalt Griechenlands zu beraten. Die griechische Regierung sitzt auf einem Schuldenberg von 350 Mrd. Euro, 160 Prozent der jährlichen Wirtschaftsleistung des Landes. An den Finanzmärkten kann sich Griechenland kein Geld mehr leihen. Ausländische Banken sind bereits weitgehend aus griechischen Staatsanleihen geflohen und haben die hochgiftigen "Wertpapiere" an die Europäische Zentralbank abgegeben. Jetzt haben auch griechische Großbanken damit begonnen, sich von Staatsanleihen ihres Landes zu trennen.

Die Ratingagentur Standard & Poor's hat vor der Krisensitzung der EU-Finanzminister dieser Woche die Kreditwürdigkeit Griechenlands auf "CCC" herabgestuft; die schlechteste Bonitätsnote weltweit. Selbst Länder wie Jamaika oder Pakistan werden besser bewertet. "Kein anderes Land hat ein Rating in der CCC-Kategorie", bestätigte Standard& Poor's. Mit dieser Abwertung soll die Beteiligung der Banken an einer eventuellen Umschuldung verhindert werden. Sogar gegen die "freiwillige Beteiligung der Banken" - ein Vorschlag von Finanzminister Schäuble - wird damit geschossen. Eine Beteiligung der Banken würde die Rettung des griechischen Haushalts noch teurer machen, denn viele Milliarden Euro müssten dann her, um die Banken zu retten, die nach der Abschreibung der wertlosen Staatspapiere vor der Pleite stünden. Bisher konnten sich die Regierungen der EU-Mitgliedsländer nicht auf ein gemeinsames Vorgehen einigen.

Griechenland vor dem Ausverkauf
Derweilen eskalieren in Griechenland die Auseinandersetzung. Nach der neuen Vereinbarung mit der IWF-EZB-EU-Troika soll das ganze öffentliche Vermögen, einschließlich von Elektrizität, Wasser, Telekommunikation, Infrastrukturen usw. dem privaten Kapital angeboten werden. Der Staat wird sogar die strategischen Anteile verkaufen, die er in der Telekommunikation Griechenlands (OTE), der Öffentlichen Energiegesellschaft (DEI) und an allen anderen Unternehmen von öffentlichem Interesse besitzt. Außerdem werden die Gehälter und Pensionen im öffentlichen Sektor weiter reduziert. Steuersätze werden für kleine und mittlere Einkommen erhöht. Neue Steuern werden auf Getränke, Zigaretten und auf vielen andere Güter des täglichen Bedarfs erhoben. "Es gibt lediglich zwei Fragen, die das neue Programm nicht im Geringsten berührt: die Auseinandersetzung mit dem großen Steuerbetrug und mit der "schwarzen" (ungesetzlichen und nicht versicherten) Beschäftigung", heißt es in einer Information der Linkskoalition Synaspismos.

"Wir schulden nichts - wir verkaufen nichts, wir zahlen nichts - raus!"
Die bisherigen Sparprogramme haben nur zur Verarmung der Bevölkerung geführt und die Wirtschaft abgewürgt. Die Milliarden, die nach Griechenland fließen, landen direkt auf den Konten der Banken, und trotzdem wächst der Schuldenberg immer weiter an.
"Wir schulden nichts - wir verkaufen nichts, wir zahlen nichts - raus!" heißt es auf den Transparenten auf dem Syntagma-Platz vor dem Parlament. Die "Bewegung der Plätze" erreichte einen beispiellosen Schwung in Griechenland. Mehr als 300.000 Menschen versammelten sich in Athen und legten das Stadtzentrum und die weitere Umgebung einen ganzen Tag lahm.

Die Bewegung der Plätze hat auch die griechischen Gewerkschaften "wiederbelebt". Nach einer Serie von sektoralen Streiks fand am Mittwoch ein landesweiter Generalstreik statt, ausgerufen von den zwei griechischen Gewerkschaftsdachverbänden (GSEE und ADEDY) und unterstützt von der Hellenischen Konföderation der Fachleute, Handwerker und Kaufleute (GSEVEE) und der Nationalen Konföderation des griechischen Handels (ESEE).

Nikos Chountis berichtet: "Ein zweites Mal innerhalb weniger Tage waren mehr als 200.000 Menschen auf den Straßen von Athen und zeigten, dass sie die neuen Sparmaßnahmen nicht akzeptieren und dass sie nicht mehr bereit sind, für die Banken zu zahlen. Das Parlament war blockiert durch die Menschen und durch schwer ausgerüstete Polizei. Provokationen konnten letztendlich doch nicht erreichen, dass die Menschen den Platz verlassen und so ist der Syntagma-Platz gegenüber dem Parlament nach wie vor besetzt." (Videoclip unten)

Technokratenregierung
Währenddessen manöveriert Papandreou, um die parlamentarische Mehrheit nicht zu verlieren. Nachdem sein Versuch scheiterte, die konservative Nea Demokratia in die Regierung einzubinden und er zusehend den Rückhalt in der eigenen Partei PASOK verliert, setzt er auf eine Regierungsumbildung bei der in den Schlüsselministerien die bisherigen Minister durch "erfahrene, gut-ausgebildete nichtparlamentarische Persönlichkeiten" ersetzt werden sollen.

Nikos Chountis dazu: "Aber das ist keine Lösung. Die Lösung ist, diese Politik zu beenden, die nur den Banken und Finanzmärkte nützt. Diese Regierung betreibt nicht nur eine Politik, die im völligen Gegensatz zu dem Programm steht, mit dem sie gewählt wurde, sondern sie aht auch jegliche Legitimität verloren. Und deshalb fordern wir Neuwahlen."

Legitimitätskrise der Politik
Jüngste Umfragen belegen allerdings, dass nicht nur PASOK an Legitimität verloren hat. "Haut ab, alle 300" (Anm.: das Parlament hat 300 Abgeordnete), diese Losung auf den Plätzen bringt die Volksmeinung auf den Punkt. Nach einer Umfrage im Auftrag der Zeitung Kathimerini haben über 75 Prozent der GriechInnen jegliches Vertrauen in die politischen Parteien verloren. Erstmals seit Beginn der Krise würde bei Neuwahlen die konservative ND mit 31 Prozent (2009: 33,5) an erster Stelle liegen. PASOK verlöre 17 Prozentpunkte und käme noch auf 27 Prozent. Die rechtsextreme LAOS steigt auf acht Prozent (2009: 5,6). KKE würde von 11 Prozent gewählt (2009: 7,6) und SYRIZA (Koalition von Synaspismos mit anderen linken und kommunistischen Gruppen und Parteien) käme auf 6,5 Prozent (2009: 4,6).

Diese Entwicklung bestätigt die Analyse von Christoforos Vernardakis vom Nicos Poulantzas Institut, Athen, dass dieser Vertrauensverlust nicht nur die konservative und sozialdemokratische Partei betrifft, sondern auch die linken oppositionellen Parteien (KKE, Synaspismos) sowie die Gewerkschaften. So ist zwar die Legitimität des herrschenden Systems in einer schweren Krise, aber es fehlt eine politische Kraft, die eine politischen und gesellschaftlichen Wechsel herbeiführen könnte. Das Problem sei, dass die Kämpfe rein defensiv seien und die Linke gesellschaftlich nicht mehrheitsfähig sei, so Vernardikis. Vor diesem Hintergrund wachse die Gefahr einer autoritären Lösung. Seiner Meinung nach müssten erstens die Proteste weiterentwickelt werden; zweitens müsse ein linkes, regierungsfähiges Alternativprogramm erarbeitet werde, das zu einer Allianz von sozialen Bewegungen, Gewerkschaften, KKE, Synaspismos und - zumindest Teilen - von PASOK führen könne.

txt: lm

siehe auch: Fliegt Griechenland aus dem Euro?

 

Videoclip: Leute rüsten sich mit Schlagstöcken aus, unter den Augen der Aufstandsbekämpfungspolizei

Farkha Festival Komitee ruft zu Spenden für die Solidaritätsarbeit in Gaza auf

CfD communist solidarity dt
zum Text hier
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Friedfertig statt kriegstüchtig – Strategien für eine Politik jenseits der KriegslogikLogo Friedensratschlag Kassel

Friedenspolitischer Ratschlag am 30. November und 1. Dezember 2024 in Kassel
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Hilfswerk der Vereinten Nationen für Palästina-Flüchtlinge

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