Europa

alt30.11.2010:   Während die deutsche Bundeskanzlerin, Angela Merkel, in den von Wikileaks veröffentlichten diplomatischen Dokumenten der USA als "sehr wenig kreativ" abqualifiziert wurde, braucht der ungarische Ministerpräsident Viktor Orbán solche Bewertungen wahrlich nicht zu fürchten. Am Donnerstag der vergangenen Woche (24.11.) kündigte er über seinen Sprecher Péter Szijjártó und seinen Wirtschaftsminister Matolcsy auf einer Pressekonferenz Einzelheiten einer Veränderung des ungarischen Rentensystems an, die an reaktionärem Einfallsreichtum wohl kaum zu überbieten ist.

Ungarn hat seit 1997 ein Rentensystem, das gemäß neoliberaler Ideologie neben einem staatlichen Anteil auch eine "obligatorische private Zusatzrente" umfasst.  Auf der Leistungsseite bedeutete das im Grundsatz für die Masse der Werktätigen, dass sie etwa ein Viertel ihrer Ruhestandsbezüge aus dieser privaten Zwangsversicherung erhielten, die anderen drei Viertel bezogen sie vom Staat. Hinsichtlich der Beitragszahlungen bedeutete das alte ungarische Rentensystem neben der Einzahlung von knapp 25% aus dem Bruttogehalt für die staatliche Rentenfinanzierung eine Abgabe von zusätzlich 8% des Bruttogehaltes für die "obligatorische private Zusatzrente" an ein privatwirtschaftliches Pensionsfondsystem. Hinter diesem Fondsystem stehen große Finanzkonzerne, wie OTP, AXA und ING Bank.

Nunmehr hat die Regierung Orbán die Absicht, das Rentensystem in seiner Gesamtkonzeption umzustürzen. In Zukunft soll es keine auf dem 'Umlageverfahren' beruhende Finanzierung der Renten mehr geben, bei dem die jeweils arbeitende Generation der Ruhestandsbevölkerung  die Renten zahlt. In Zukunft wird jedem Beitragszahler ein persönliches Konto zugeordnet werden und er erhält daraus später nach dem Anteil seiner Beitragszahlung eine Rente, nach der Regel "Du bekommst zurück auf Basis dessen, was du eingebracht hast." Zur Einleitung dieses Verfahrens beabsichtigt die Regierung jetzt die de-facto Liquidierung der "obligatorischen privaten Zusatzrente". Deshalb hat sie bereits vor kurzem die Beitragszahlungen für diese Rente von 3 Mio. betroffenen Menschen für 14 Monate quasi beschlagnahmt und dem staatlichen Pensionssystem zugeführt. Bis Ende 2011 wird das einen Betrag von etwa 1,2 Mrd. EUR ergeben.

Nun kündigte die Regierung auf der erwähnten Pressekonferenz an, dass die bisherige obligatorische private Rentenversicherung in eine freiwillige private Rentenversicherung umgewandelt würde, und dass sich deswegen die Teilnehmer dieser privaten Zwangsversicherung bis Januar 2011 zu entscheiden hätten, ob sie ihre entsprechenden Beiträge (auch die aus der Vergangenheit!!) wieder in die staatliche Rentensicherung einbringen möchten oder nicht. Falls sich 90%  Einzahler der bisherigen "obligatorischen privaten Zusatzrente" für eine Rückkehr in das rein staatliche Rentensystem entschieden, würde das dem Staat für 2011 eine Einnahme in der gigantischen Höhe von 2.700 Milliarden Forint (fast 10 Mrd. EUR bzw. rund 8% des BIP) bescheren, wie Wirtschaftsminister Matolcsy stolz auf der Pressekonferenz hervorhob.

Um das Ziel von 90% Rückkehrern in die Arme der zukünftigen ungarischen staatlichen Rentenversicherung zu erreichen, hat sich die Regierung auch die geeigneten Hebel ausgedacht. So kündigte man auf der Pressekonferenz an, dass diejenigen, die nicht ganz in die staatliche Rentenversicherung zurückkehrten, überhaupt keine staatliche Rente mehr erhalten werden. Oder dass, wie Matolcsy an seinem eigenen Beispiel deutlich machte, die im jetzigen System Verbleibenden, bis zu 70% ihrer ihnen bisher rechtmäßig zustehenden und durch eingezahlte Beiträge erreichten Gesamtrente verlieren würden. Um der Sache noch mehr Fahrt zu geben, hat man im gleichen Atemzug, die Arbeit der privaten Rentenversicherer weiter erschwert, eigentlich verunmöglicht: die maximale Obergrenze für die operativen Kosten wurde von 4,5 auf 0,9% reduziert, die Managementgebühr von 0,8 auf 0,2% der eingezahlten Beiträge vermindert. Kein Versicherer wird auf dieser Basis arbeiten können.

Ungarn hätte mit einer erfolgreichen Umsetzung der angekündigten Rentenreform jedoch vor allem und auf einen Schlag sein Defizit bei der Finanzierung des Staatshaushaltes in einen deutlichen Budget-Überschuss umgewandelt. Denn auch wenn Orbán über seinen Sprecher verlautbaren ließ, dass die "Finanzen des Rentensystems nicht zweckentfremdet" würden, sein Wirtschaftsminister und andere Fidesz-Vertreter machen aus anderen Überlegungen der Regierung kein Geheimnis. Matolcsy hatte mehrfach erläutert, dass damit "Löcher in Haushalt" gestopft werden und Schulden zu zahlen sind, u.a. die gegenüber dem IWF, aber auch die Defizite, die nach dem Auslaufen der Krisensteuern ab 2012 anfallen. Die Verwendung der Beiträge zur privaten Zwangsrente für den allgemeinen Schuldendienst steht sogar im Haushaltsentwurf Ungarns für 2011. Und Matolcsys Prahlen auf der Pressekonferenz mit zusätzlich erwarteten 10 Mrd. EUR im Staatshaushalt 2011 hat zudem nur Sinn, wenn zumindest erhebliche Teile davon anderen Zwecken als einer Rentenzahlung zugeführt werden, was de-facto einer Rentenkürzung in noch offener Höhe gleich kommt.

Dass damit internationale 'Finanzanleger' zu Lasten einiger privater Finanzkapitalisten im Versicherungsgewerbe gut bedient werden ist die eine Seite, die natürlich auf der Pressekonferenz zur Vorstellung der ungarischen 'Großen Rentenreform' am letzten Donnerstag keine Rolle spielte. Dagegen wurde dort in schon peinlich anmutender Form die rosige Zukunft eines ungarischen Wirtschaftswachstums von über 5% gemalt. Doch weder dafür gab es glaubwürdige Argumente noch für eine Sicherung der Rentenhöhe der Werktätigen im zukünftigen System. 

Gegen das private Rentensystem war von Ministerpräsident Orbán, seinen Ministern und anderen Führern des Fidesz vorbereitend ein regelrechter Feldzug geführt worden: das sei Lotterie, Casino und wörtlich eine "Zockerbude". Man könne es als Staat, der für seine Bürger verantwortlich ist, nicht zulassen, dass man mit der Zukunft der Menschen spekuliert und die Gelder in riskante Anlagen gesteckt werden. Die betroffenen Werktätigen scheinen der Alternative der Regierung Orbán aber ebenfalls nicht zu trauen: 80% der Ungarn glauben laut jüngsten Umfragen, dass das staatliche Rentensystem für ihre Lebensanforderungen nicht ausreichend sein wird. Und trotz der angekündigten Drohungen sind 37% der Betroffenen sich noch sicher, dass sie von ihrem privaten Rentenversicherer nicht weggehen wollen.

Viktor Orbán ist allerdings auf Rattenfängermethoden nur bedingt angewiesen. Mit seiner Zweidrittel-Mehrheit im Parlament könnte er selbst das bereits gegen die Rentenreform ins Spiel gebrachte Verfassungsgericht in wenigen Tagen aushebeln.

Text: hth  /  Quelle: Pesterlloyd  /  Foto: Fidesz

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