01.12.2022: Europäischen Konferenz zur Unterstützung und Solidarität mit dem saharauischen Volk (EUCOCO) in Berlin ++ Ampel-Regierung folgt Donald Trump und akzeptiert die illegale Besatzung Marokkos auf Kosten der Saharauis ++ Annalena Baerbock: hinsichtlich der Westsahara nur "in Nuancen Unterschiede“ zwischen der deutschen und marokkanischen Sichtweise ++ Sevim Dağdelen (MdB, DIE LINKE): "Es geht einzig um Energie, weil man sich mit dem Wirtschaftskrieg gegen Russland selbst in eine prekäre Lage gebracht hat"
Am Freitag und Samstag findet in Berlin die 46. Europäischen Konferenz zur Unterstützung und Solidarität mit dem saharauischen Volk (EUCOCO) statt. [1] An der Konferenz, die seit 45 Jahren ununterbrochen in wechselnden Städten stattfindet, nehmen jedes Jahr Vertreter:innen von Regierungen, die die Demokratischen Arabischen Republik Sahara (DARS) anerkennen, Vertreter:innen europäischer und nationaler Institutionen, politische und gewerkschaftliche Organisationen, Vereine der Freundschaft und Solidarität mit dem saharauischen Volk, Nichtregierungsorganisationen sowie Persönlichkeiten aus den Bereichen Justiz und Kultur teil.
In diesem Jahr findet die Konferenz in einem komplizierten internationalen Kontext statt, der durch den Bruch des Waffenstillstands durch Marokko, die Wiederaufnahme des bewaffneten Kampfes durch die Polisario und den Stillstand im UN-Prozess gekennzeichnet ist.
Nach russischem Überfall auf die Ukraine, strategische Allianz der NATO mit Marokko
Seit der damalige US-Präsident Donald Trump im Dezember 2020 die Souveränität Marokkos über das besetzte Gebiet der Westsahara anerkannte, haben auch andere NATO-Länder begonnen, sich von der Position der UNO und dem Friedensabkommen von 1991 zu entfernen, das ein Referendum über die Unabhängigkeit vorsah. Beschleunigt wurde dieser Prozess nach dem russischem Überfall auf die Ukraine. Für die USA und die NATO erhält die Stärkung der strategischen Allianz mit Marokko eine neue Dringlichkeit, da die USA die südliche Flanke der EU sichern und die europäische Einheit um ihre Führung herum stärken wollen. Während die Europäische Union die russische Aggression an ihrer Ostflanke zu Recht verurteilt, unterstützen ihre führenden Staaten an ihrer Südgrenze einen marokkanischen Plan [2] zur Lösung des Konflikts, der auf die illegale Annexion eines afrikanischen Landes durch ein anderes hinauslaufen würde.
Ampel-Regierung folgt Donald Trump
Während der Regierungszeit von Angela Merkel (CDU) hatte Deutschland die Position der UNO unterstützt und stets auf die UN-Resolutionen verwiesen, um eine "gerechte, praktikable, dauerhafte und für alle Seiten akzeptable Lösung des Konflikts" unter "Achtung des humanitären Völkerrechts und der Menschenrechte" zu erreichen. Da Merkel den Autonomieplan Marokkos und den Kurs des ehemaligen US-Präsidenten Donald Trump ablehnte, der kurz vor seinem Abgang die Souveränität Marokkos über die Westsahara anerkannt hatte, zog Rabat sogar seinen Botschafter aus Berlin ab.
Als sich die Ukraine-Krise zuzuspitzen begann, war Deutschland das erste Land, das sich mit der Westsahara wieder näher befasste. Die Ampel-Regierung ist zunehmend an Projekten für erneuerbare Energien und Plänen zur Herstellung von grünem Wasserstoff im Maghreb interessiert und hat eine stärkere politische, wirtschaftliche und technologische Präsenz in Nordafrika zu einer Priorität gemacht. Und da die Spannungen mit Russland zunahmen, wurde diese "strategische Option" zu einer "absoluten Priorität".
Im Januar schickte Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier (SPD) einen Brief an den marokkanischen König Mohammed VI., in dem er erklärte, dass "Deutschland den 2007 vorgelegten Autonomieplan als ernsthafte und glaubwürdige Bemühung und als gute Grundlage für eine Beilegung dieses regionalen Konflikts betrachtet". Zur Belohnung hat Marokko die diplomatischen Beziehungen zu Berlin wieder normalisiert.
Spanien folgte umgehend der geänderten Linie der deutschen Regierung. Mitte März "modifizierte" der spanische Regierungschef Pedro Sánchez (PSOE) die Haltung Spaniens, ohne vorher seinen Koalitionspartner von Unidas Podemos zu konsultieren. Er entschuldigte sich beim marokkanischen König diplomatisch für die medizinische Behandlung des Präsidenten der Demokratischen Arabischen Republik Sahara, Ibrahim Ghali, in einem spanischen Krankenhaus und erklärte, dass der Autonomieplan Marokkos die "ernsthafteste, glaubwürdigste und realistischste" Lösung des Konflikts darstelle. Voran war die Öffnung der Grenze zu Mellila durch marokkanische Grenzsoldaten gegangen und einem folgenden Ansturm von Flüchtlingen auf die spanischen Enklave in Nordafrika.
Die Ampel-Regierung akzeptiert die illegale Besatzung Marokkos auf Kosten der Saharauis
"Der Westen sagt uns, wir sollen einfach unsere Realität akzeptieren - die Realität der Besatzung. Warum haben wir nicht das gleiche Recht auf Selbstbestimmung wie die Ukrainer? Diese Heuchelei zeigt das wahre Gesicht Europas, das mehr an unserem Land und unseren Ressourcen interessiert ist als an den Menschen in der Westsahara."
Nazha El Khalidi, Journalist [3]
Im Rahmen ihres Antrittsbesuchs in Marokko Ende August 2022 hat Bundesaußenministerin Annalena Baerbock (Grüne) mit der Regierung Marokkos die Wiederaufnahme und Vertiefung der deutsch-marokkanischen Beziehungen vereinbart. Sie beteuerte, dass es zwischen der deutschen und marokkanischen Sichtweise hinsichtlich der Westsahara nur "in Nuancen Unterschiede“ gebe.
In einer Antwort auf eine Anfrage der Obfrau der Linksfraktion im Auswärtigen Ausschuss, Sevim Dağdelen, erklärt die Bundesregierung am 16. November: "Marokko hat im Jahr 2007 mit seinem Autonomie-Plan einen wichtigen Beitrag eingebracht, um zu einer politischen Lösung im Rahmen der Vereinten Nationen zu kommen." [4]
Für Dağdelen "verstetigt" sich der "Kuschelkurs" gegenüber dem autokratischen Königreich Marokko, mit dem "die Ampel-Regierung die illegale Besatzung Marokkos auf Kosten der Sahrauis" akzeptieren will. Es gehe einzig darum, "Energie über Marokko beziehen zu können, weil man sich mit dem Wirtschaftskrieg gegen Russland selbst in eine prekäre Lage gebracht hat", meint Dağdelen.
Offen antwortet die Bundesregierung auf die Frage, dass man sich dafür einsetze, "Erzeugungspotenzial für grünen Wasserstoff" zu erschließen, und eine "langfristige und verlässliche Zusammenarbeit" mit Rabat anstrebe: "Das Interesse an Projekten für erneuerbare Energien und an Plänen zur Herstellung von grünem Wasserstoff von Deutschland in Marokko war aufgrund der großen Potentiale für erneuerbare Energien, der fortschrittlichen Energiepolitik und der Nähe zu Europa stets sehr groß und rückt angesichts aktueller Entwicklungen wieder in den Fokus." [4]
Bundesregierung: "keine Kenntnisse" über Gewalt und Menschenrechstverletzungen
Ausweichend sind die Antworten der Bundesregierung, die vorgibt, eine "wertegeleitete Außenpolitik" zu betreiben, zum Thema Repression und Menschenrechtsverletzungen durch die marokkanischen Besatzer: "Die Bundesregierung verfolgt die Berichte internationaler Menschenrechtsorganisationen zur Lage in Marokko mit großer Aufmerksamkeit. Zur Wahrung der Menschenrechte und rechtsstaatlicher Prinzipien ist die Bundesregierung regelmäßig im Gespräch mit der marokkanischen Regierung, sowie nationalen und internationalen Menschenrechtsorganisationen."
Obwohl sie also "die Berichte internationaler Menschenrechtsorganisationen zur Lage in Marokko mit großer Aufmerksamkeit" verfolgt, erklärt sie, "keine Kenntnisse" darüber zu haben, "ob die völkerrechtswidrige Besetzung der Westsahara nur durch Androhung bzw. Anwendung von Gewalt aufrechterhalten wird".
Dabei kommen bei Angriffen Marokkos mit von Israel gelieferten Drohnen sogar unbeteiligte Menschen ums Leben. Menschenrechtsorganisationen wie Human Rights Watch (HRW) kritisieren, dass Marokko "weiterhin hart gegen Journalisten, Aktivisten, Kommentatoren in sozialen Medien" vorgehe. "In der Westsahara verfolgen die marokkanischen Behörden weiterhin Aktivisten, die sich für die Selbstbestimmung der Saharauis einsetzen." Angeprangert werden auch "Folter" und ungerechte Verfahren mit langen Haftstrafen auf Basis von "gefälschten Geständnissen". [5]
Die Bundesregierung und insbesondere Außenministerin Baerbock bräuchten nur auf die UN-Sonderberichterstatterin zur Verteidigung der Menschenrechte, Mary Lawlor, hören, die deutlich sagt: "Menschenrechtsaktivisten werden nicht nur weiterhin für ihre legitimen Aktivitäten kriminalisiert, sie werden auch zu unverhältnismäßig langen Haftstrafen verurteilt, und während ihrer Inhaftierung sind sie grausamer, unmenschlicher und erniedrigender Behandlung und Folter ausgesetzt." [6]
"Während man die Menschenrechte im Mund führt, sind es offenbar allein zynische Machtinteressen, auf deren Altar man die Menschen in der Westsahara und das Schicksal der Flüchtlinge in Tindouf opfert, indem man sich nun einseitig auf die Seite des marokkanischen Königshauses stellt und so die bisherigen Positionen der Bundesregierung aufgibt", klagt Sevim Dağdelen die Bundesregierung an.
Anmerkungen
[1] https://eucocoberlin.fpolisario.eu/de/46-eucoco/
[2] Mitte April 2007 übergab die marokkanische Regierung ihren Autonomieplan für die Westsahara an den damaligen Uno-Generalsekretär Ban Ki Moon. Der Konflikt in der Westsahara geht auf das Jahr 1975 zurück, als das Gebiet kurz davor stand, die Unabhängigkeit von seinem Kolonisator Spanien zu erlangen. Unter dem Druck der Vereinigten Staaten, die nicht wollten, dass die linke Unabhängigkeitsbewegung Frente por la Liberación de Saguia el Hamra y Río de Oro (Frente Polisario) einen unabhängigen Staat führt, übertrug Madrid die Verwaltungshoheit über die nördlichen zwei Drittel des Landes an Marokko und das südliche Drittel an das benachbarte Mauretanien. Anfang 1976 gründete die Polisario die Demokratische Arabische Republik Sahara (DARS), die von 84 Ländern anerkannt wurde (einige haben ihre Anerkennung inzwischen wieder zurückgezogen oder bis zu einer Konfliktlösung suspendiert). Die DARS ist Vollmitglied der Afrikanischen Union, deren Charta einseitige Änderungen der kolonialen Grenzen verbietet. Im anhaltenden Krieg besiegte die Polisario im Jahr 1979 Mauretanien. Mauretanien trat seinen Teil der Westsahara an die DARS ab, der jedoch sofort von Marokko besetzt wurde.
Mehr als ein Jahrzehnt lang bekämpfte Marokko - mit französischer und US-amerikanischer Unterstützung - weiterhin die Polisario-Guerilla und unterdrückte gleichzeitig gewaltsam die saharauische Bewegung im besetzten Gebiet der Westsahara, das es als Teil Marokkos betrachtet.
1991 wurde der bewaffnete Kampf der Polisario durch einen von der UNO vermittelten Waffenstillstand eingestellt. Vereinbart wurde ein von den Vereinten Nationen überwachtes Referendum über die Unabhängigkeit. Das Unabhängigkeitsreferendum, dem damals alle Seiten zugestimmt hatten, kam aufgrund der Verweigerungshaltung Marokkos nie zustande.
Im 2007 vorgelegten Autonomieplan hält Marokko an seinem Anspruch auf Souveränität über die Westsahara fest, die es als integralen Teil seines Staatsgebiets betrachtet. Marokko erklärt sich jedoch bereit, der Region eine Autonomie in administrativen, steuerlichen und kulturellen Belangen zu gewähren. Die Saharauis sollen eine Vertretung im Parlament und in anderen nationalen Institutionen erhalten.
Die Frente Polisario und ihr Mentor Algerien bezeichnen den Plan als grundsätzlich unannehmbar, weil er die Unabhängigkeit der Westsahara ausschließt. In einem eigenen Vorschlag an die UNO spricht die Befreiungsfront von engen Sicherheits- und Wirtschaftsbeziehungen einer durch eine Volksabstimmung unabhängig gewordenen Westsahara mit Marokko.
Nachdem Marokko die Waffenstillstandsvereinbarung von 1991 verletzte und seine Streitkräfte in eine fünf Kilometer lange Pufferzone zwischen dem von Marokko besetzten Gebiet und dem Grenzübergang El Guergarat nach Mauretanien verlegte, nahm die Polisario im November 2020 den bewaffneten Kampf gegen die Besetzung wieder auf.
ausführlicher: kommunisten.de, 18. Dezember 2020: "Westsahara: Der vergessene Konflikt" https://kommunisten.de/rubriken/analysen/8060-westsahara-der-vergessene-konflikt
[3] Tribune, 5.4.2022: Western Sahara Is Still Fighting for Freedom
https://tribunemag.co.uk/2022/04/western-sahara-moroccan-occupation-self-determination-spain-united-nations-nato
[4] Deutscher Bundestag, Drucksache 20/4495, 16.11.2022
https://dserver.bundestag.de/btd/20/044/2004495.pdf
[5] Human Rights Watch: Morocco and Western Sahara
https://www.hrw.org/world-report/2022/country-chapters/morocco/western-sahara
[6] UNO-Hochkommissariat für Menschenrechte, 1. Juli 2021: Morocco: UN human rights expert decries “clampdown” on human rights defenders
https://www.ohchr.org/en/press-releases/2021/07/morocco-un-human-rights-expert-decries-clampdown-human-rights-defenders
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