17.02.2020: Im rot-rot-grün regierten Berlin wird ein neuer Ansatz des Regierens versucht: "Regieren in Bewegung" – ein Zusammenspiel und ein produktives Spannungsverhältnis zwischen Parteien, Initiativen, Gewerkschaften und gesellschaftlichen Bewegungen. Dies zeigt sich beispielhaft in den aktuellen Auseinandersetzungen um die Berliner Wohnungspolitik, aber auch bei der Re-Kommunalisierung oder dem Mindestlohn bei öffentlichen Vergaben. Jetzt kooperieren in einem neuen Projekt die Berliner Bildungsverwaltung und »Fridays for Future«.
Die gesellschaftlichen Mobilisierungen und daraus entstehende Kräfteverhältnisse haben zu einer Linksentwicklung in der Berliner Gesellschaft geführt. Eine Zweidrittelmehrheit der Berliner*innen findet den Mietdeckel gut; im Zuge der Kampagne »Deutsche Wohnen & Co. enteignen« wird die Forderung nach Enteignung großer Immobilienkonzerne inzwischen von einer Mehrheit der Berliner*innen unterstützt. Dies wirkt sich auch auf die Koalitionsparteien aus. Damit erweitert sich der Handlungsspielraum für eine progressive Reformpolitik.
zum Thema | |
Berliner Abgeordnetenhaus beschließt Mietendeckel |
|
Berlin: 12,50 Euro Mindestlohn beschlossen |
In einem neuen Projekt kooperiert die Berliner Bildungsverwaltung mit den Schüler*innen und Studierenden von »Fridays for Future«, um den Klimawandel verstärkt an den Berliner Schulen zu thematisieren. Die Proteste der Schüler*innen und Studierenden hätten die Klimakrise auf die politische und gesellschaftliche Tagesordnung gehievt, das soll sich auch in der Bildungspolitik niederschlagen, sagte Bildungssenatorin Sandra Scheeres (SPD) bei der Vorstellung des Projekts. "Wir haben uns verständigt, dass wir konkrete Projekte gemeinsam entwickeln."
Im Konkreten bedeutet dies: Der Senat hat gemeinsam mit den Aktivist*innen zunächst drei Maßnahmen geplant, um dem Klimawandel zu bekämpfen.
Mit sogenannten Klimaverträgen sollen Schüler*innen und Lehrkräfte an ihrer Schule Ideen erarbeiten, welchen Beitrag zum Klimaschutz die jeweilige Einrichtung leisten kann. Dazu könnte etwa die Abschaffung von Einweggeschirr in der Mensa, Lebensmittel aus regionaler Produktion oder der Verzicht auf Klassenreisen mit dem Flugzeug zählen. Ab März soll zudem ein Beirat aus Schüler*innen, Wissenschaftler*innen, Umweltorganisationen und dem Landesschülerausschuss bei der konkreten Ausgestaltung der Verträge helfen.
Der zweite Baustein der Kooperation sieht regelmäßige Klimakonferenzen vor, bei denen Schüler*innen sich in Workshops austauschen und mehr über die Klimakrise und mögliche Lösungen lernen. Von den Konferenzen erhoffen sich die Klimaaktivist*innen auch, andere junge Menschen zu erreichen.
Der dritte Baustein ist eine Materialsammlung, mit der u.a. Informationen über den Klimawandel in Form von Folien bereitgestellt werden. Durch verschiedene Schwierigkeitsgrade und offene Lizenzen können alle Schüler*innen und Lehrkräfte die Sammlung nutzen. "Wir haben eine ganz große Diskrepanz zwischen den wissenschaftlichen Einschätzungen und der Art, wie die Öffentlichkeit diese annimmt", sagte Gregor Hagedorn von den »Scientists for Future«, die die Folien konzipiert haben.
Dass das alleine die Welt vor dem Klimakollaps nicht retten wird, ist auch den Klima-Aktivist*innen klar. "Uns geht es um die politische Bildung", sagt einer von ihnen. Es sei wichtig, über die Klimakrise Bescheid zu wissen und die Erfahrung zu machen, selbst etwas bewegen zu können: "Das ist ja eine enorme Politisierungskraft."
Diese neue Art von Regieren zahlt sich auch für die Koalitionsparteien aus - zumindest in ihrer Gesamtheit. Kamen die drei Koalitionäre bei der Wahl des Abgeordnetenhauses im Jahr 2016 auf 52,4%, so kämen sie nach einer Umfrage von Forsa jetzt auf 57% (die Umfrage fand vor »Thüringen« in der Zeit von 29.1. - 6.2.20 statt) .
foto: Titelseite des Buches "Anders regieren?", herausgegeben vom Institut Solidarische Moderne