24.10.2018: Donald Trump will INF-Vertrag kündigen ++ neues atomares Wettrüsten droht ++ IPPNW: Es gibt ein kurzes Zeitfenster, in dem die Bundesregierung vermitteln könnte und müsste ++ Grünen-Vorsitzende fordert Abzug der US-Atomwaffen aus Europa ++ Dokumentiert: Stellungnahmen von IPPNW, Naturwissenschaftler*innen für Frieden und DIE LINKE
US-Präsident Donald Trump will den Vertrag über das Verbot von atomar bestückten Mittelstreckenraketen (INF-Vertrag) einseitig aufkündigen. Russland erwiderte sofort, man werde dann "nach einer Wiederherstellung des Gleichgewichts in diesem Bereich suchen". Ein neues atomares Wettrüsten, ähnlich dem in den 1980er Jahren, würde mit der Aufkündigung des INF-Vertrages ausgelöst.
Das INF-Abkommen, das 1987 zwischen den USA und der Sowjetunion unterzeichnet wurde, war eine der größten diplomatischen Errungenschaften des 20. Jahrhunderts. Der Vertrag führte zur Zerstörung von 2692 Kurz- und Mittelstreckenraketen und trug wesentlich dazu bei, das atomare Wettrüsten zu beenden.
"Europa hatte zweimal Krieg der dritte wird der Letzte sein gib bloß nicht auf, gib nicht klein bei das weiche Wasser bricht den Stein." (aus "Das weiche Wasser" von der LP "Entrüstung“ der Band "bots", 1981) |
Die Stationierung von SS20-Mittelstreckenraketen auf sowjetischer Seite und von US-amerikanischen Pershing II auf deutschem Boden hatte in den 1980er Jahren Millionen Menschen in Bewegung gebracht.
Am 10. Juni 1982 demonstrierten in Bonn auf den Rheinwiesen 500.000 Menschen gegen den sog. "NATO-Doppelbeschluss" zur beabsichtigten Stationierung von Pershing II.
Am 22. Oktober 1983 bildeten Friedensanhänger*innen eine über 100 Kilometer lange Menschenkette zwischen Stuttgart und Neu-Ulm mit der Botschaft: "Nein" zur Stationierung US-amerikanischer Atomraketen in der Bundesrepublik. Im gesamten Bundesgebiet nahmen an diesem Tag insgesamt 1,3 Mio. Menschen an den Protesten gegen die geplante Stationierung teil.
Über vier Millionen Bundesbürger*innen unterzeichneten den "Krefelder Appell", einen Aufruf der westdeutschen Friedensbewegung an die damalige Bundesregierung, die Zustimmung zur Stationierung neuer atomarer Mittelstreckenraketen in Europa (NATO-Doppelbeschluss) zurückzuziehen und innerhalb der NATO auf eine Beendigung des atomaren Wettrüstens zu drängen.
Mit der Unterzeichnung des INF-Vertrages durch US-Präsident Ronald Reagan und den Generalsekrtär der KPdSU Michail Gorbatschow am 8. Dezember 1987 (Foto) wurde eine Phase nuklearer Abrüstung eingeleitet.
Jetzt droht ein neues atomares Wettrüsten.
Die Grünen-Vorsitzende Annalena Baerbock hat als Antwort auf die beabsichtigte Kündigung des INF-Vertrages einen Abzug der US-Atomwaffen aus Europa gefordert. "Gerade wenn der INF-Vertrag als letzter Pfeiler der europäischen Sicherheit wegbricht, ist es richtig, Europas Teilhabe an der nuklearen Abschreckung der USA gegenüber Russland zu beenden", sagte Baerbock. Alles andere bestärke das gefährliche Spiel des Wettrüstens.
Sie verlangt zudem, dass Deutschland dem UN-Atomwaffenverbotsvertrag beitrete. "Das wäre die richtige Antwort auf Russlands Aufrüstung und amerikanische Alleingänge, die Frieden und Sicherheit in der Welt bedrohen", so die Grünen-Vorsitzende.
Deutschland und die meisten anderen Nato-Staaten hatten sich im Juli des vergangenen Jahres nicht an der UN-Abstimmung beteiligt, bei der mehr als 120 UN-Mitgliedsstaaten den Vertrag zum Verbot von Atomwaffen beschlossen haben. Ein Beitritt Deutschlands hätte zur Folge, dass die Atomwaffen am Standort in Büchel abgezogen werden müssten.
Auch die abrüstungspolitische Sprecherin der Linksfraktion im Bundestag, Sevim Dagdelen, fordert von der Bundesregierung die Unterzeichnung des internationalen Vertrags über ein Verbot von Atomwaffen, den Verzicht auf die nukleare Teilhabe sowie den Abzug der US-Atomwaffen aus Büchel in Rheinland-Pfalz. Sie fordert die Bundesregierung auf, sich auf allen diplomatischen und politischen Ebenen für die Beibehaltung des INF-Vertrags stark zu machen, der Stationierung von US-Mittelstreckenraketen auf deutschem Boden eine Absage zu erteilen und in der NATO ein Veto gegen ein Aufstellen dieser Waffensysteme in anderen europäischen NATO-Staaten einzulegen.
Wir dokumentieren die Stellungnahmen der
- "Internationalen Ärzte zur Verhütung des Atomkrieges / Ärzte in sozialer Verantwortung IPPNW"
- "NaturwissenschaftlerInnen-Initiative - Verantwortung für Frieden und Zukunftsfähigkeit"
- Linksfraktion im Bundestag:
Atomare Bedrohung für Europa -
Atomwaffenverbotsvertrag im europäischen Interesse
Donald Trump will INF-Vertrag kündigen
Die ärztliche Friedensorganisation IPPNW weist aufgrund der angedrohten Aufkündigung des INF-Vertrages auf die Gefahr eines neuen atomaren Wettrüstens in Europa hin. Der Vertrag, der die Stationierung von Mittelstreckenraketen verbietet, ist einer der wichtigsten Pfeilern der europäischen Sicherheitsarchitektur.
"Noch haben die USA den INF-Vertrag nicht gekündigt. Es gibt ein kurzes Zeitfenster, in dem die Bundesregierung vermitteln könnte und müsste, denn es geht um die Sicherheit Europas", erklärt Dr. med. Alex Rosen, Vorsitzender der IPPNW.
Eine Neuverhandlung des INF könne dann eine Chance sein – wenn Verhandlungen über einen allgemeinen Rüstungsbegrenzungsvertrag neben Russland und den USA weitere Staaten wie China einbeziehen und alle Abschuss- sowie Raketenabwehrsysteme umfassen würden.
Die nukleare Abschreckung als Mittel zur Sicherheit birgt immer die Gefahr, dass es zu Eskalationsspiralen und schließlich zum Einsatz von Atomwaffen kommt. Deswegen ist es so wichtig, dass alle Staaten ihre Verpflichtungen aus Artikel VI des Nichtverbreitungsvertrages erfüllen.
Diese Verpflichtungen beinhalten ein Ende des Wettrüstens und die Abschaffung von Atomwaffen. Der Vertrag zum Verbot von Atomwaffen (TPNW) vom Juli 2017 ist angesichts der drohenden atomaren Aufrüstung im europäischen und damit auch im deutschen Sicherheitsinteresse. Die IPPNW fordert die Bundesregierung erneut auf, dem Abkommen beizutreten. Das wäre ein wichtiges Signal an die USA und Russland. Die Friedensorganisation kritisiert, dass deutsche Bundeswehrsoldaten in Büchel regelmäßig den Einsatz atomarer Massenvernichtungswaffen üben.
An dieser Situation haben sowohl Russland als auch die USA ihren Anteil
"Die Ankündigung von Donald Trump aus dem INF-Vertrag auszusteigen ist ein Zeichen, dass die Beziehung zwischen den USA und Russland wieder an einem Tiefpunkt angekommen sind. An dieser Situation haben sowohl Russland als auch die USA ihren Anteil. Beide werfen sich gegenseitig den Bruch des Vertrags vor. Die kürzlichen Aufrüstungsschritte beider Seiten, vor allem die Entwicklung von Mittelstrecken-Marschflugkörpern, aber auch die russische Stationierung von Kurzstreckenraketen in Kaliningrad und der Aufbau eines Raketenabwehrsystems durch die USA in Rumänien und Polen widersprechen aus Sicht der IPPNW definitiv dem Geist des INF-Abkommens, auch wenn bis heute keine stichhaltigen Beweise für einen tatsächlichen Vertragsbruch vorliegen," so Rosen.
Der große Verlierer der neuen Ost-West-Konfrontation könnte Europa sein.
Vor dem Abschluss des INF-Vertrages vor 30 Jahren gab es ein unkontrolliertes Wettrüsten zwischen den Großmächten. Wäre damals durch Absicht oder einen Fehler ein Atomkrieg ausgebrochen, wäre Europa ausgelöscht worden.
Mit der Kündigung des Vertrages durch die USA droht ein Rückfall in die Zeiten des Kalten Krieges. Schon heute spricht die US-Regierung von einer Stationierung neuer US-Atomwaffen in Europa, worauf Russland voraussichtlich mit eigenen Stationierungen reagieren würde.
"Wir fürchten ein unkontrolliertes Wettrüsten", erklärt die IPPNW-Abrüstungsexpertin Xanthe Hall. "Da sowohl die USA als auch Russland viel Geld in die Modernisierung ihrer Atomwaffenarsenale gesteckt haben, wollen sie diese Systeme auch zur Geltung bringen. Rüstungskontrollverträge stehen einem Wettrüsten im Wege", so Xanthe Hall, "wir brauchen aber nicht weniger, sondern mehr internationale Abrüstungsverträge".
Rettet den INF-Vertrag zur Vernichtung aller landgestützten Mittelstreckenraketen in Europa!
Die Naturwissenschaftlerinitiative "Verantwortung für Frieden und Zukunftsfähigkeit" wurde vor mehr als 30 Jahren gegründet in der Auseinandersetzung gegen die Stationierung der nuklearen Mittelstreckenraketen in Europa, die in den achtziger Jahren ein Antrieb für den Aufschwung der Friedensbewegung war. Die Absicht der Trump-Administration, den Vertrag zum Verbot dieser Waffen aufzukündigen, gefährdet den Weltfrieden.
Aus der Besorgnis vor einer erneuten Stationierung atomarer Mittelstreckenraketen und mit der Warnung vor den Gefahren eines atomaren Wettrüstens wenden wir uns an die Öffentlichkeit unseres Landes, an die Politik und an die Friedensbewegung:
Lassen Sie uns gemeinsam das INF-Abrüstungsabkommen verteidigen. Als bisher einziges Abkommen hat es zur Verschrottung einer ganzen Kategorie von Atomwaffen, also zu realer Abrüstung geführt. Es kann daher auch als Null-Lösung in anderen Bereichen dienen. Dieses von Michael Gorbatschow und Ronald Reagan im Dezember 1987 unterzeichnete Abkommen ist eine historische Errungenschaft des weltweiten Abrüstungsprozesses und darf nicht einer wahnwitzigen Aufrüstungs- und Konfrontationspolitik des jetzigen Präsidenten der USA Donald Trump und seiner rechtskonservativen Regierung geopfert werden.
Ende des INF Vertrages wäre das Ende einer internationalen Abrüstungs- und Rüstungskontrollpolitik, die Europa und die Welt sicherer gemacht hat
Das Ende des INF Vertrages wäre mehr als die Beendigung eines Vertrages, es wäre das Ende einer internationalen Abrüstungs- und Rüstungskontrollpolitik, die Europa und die Welt sicherer gemacht hat vor den Gefahren eines Atomkrieges. Nur wenn wir dieses Abkommen verteidigen, kann die Tür zu einer Welt ohne Atomwaffen weiter geöffnet werden. Das Ende dieses Vertrages wäre ein schwerer politischer Schlag auch gegen den Atomwaffenverbotsvertrag. Ein ungehemmtes atomares Wettrüsten droht.
Wenn es Verletzungen des INF Abkommens gegeben haben sollte, hat das INF-Vertragswerk dazu klare Regelungen. Die entsprechende Kommission der beiden Unterzeichnerstaaten muss einberufen werden. Dieses ist seit 2017 nicht mehr geschehen. Propagandistische Anklagen helfen nicht weiter und lenken von den wahren Motiven ungehemmter Aufrüstung ab.
Die Naturwissenschaftlerinitiative fordert die Bundesregierung auf: Nehmen Sie in einer Regierungserklärung öffentlich positiv zu dem Vertrag Stellung. Erklären Sie unmissverständlich, dass eine erneute Stationierung amerikanischer Mittelstreckenraketen auf deutschem Boden nicht infrage kommt und fordern Sie die USA auf, die noch stationierten Atomwaffen aus Büchel abzuziehen.
Wir wenden uns an die Friedensbewegung: protestiert mit uns laut und unüberhörbar gegen eine erneute atomare Aufrüstung. Eine Welt ohne Atomwaffen ist das Ziel, nicht ein atomar bestücktes Europa.
Für die Fraktion DIE LINKE im Bundestag erklärte deren abrüstungspolitische Sprecherin Sevim Dagdelen:
Atomwaffen abziehen statt INF-Vertrag kündigen
US-Präsident Donald Trump hat angekündigt, den Vertrag zur Begrenzung landgestützter nuklearer Mittelstreckenraketen einseitig aufzukündigen. Damit wird ein Grundpfeiler der Sicherheit in Europa untergraben und die Lage auf der Welt gefährlicher. Es droht eine neue atomare Hochrüstung. Schon heute geben die USA mit 700 Milliarden Dollar für Rüstung zehnmal mehr aus als Russland (66 Milliarden Dollar).
Verkürzung der Vorwarnzeiten
Der INF-Vertrag gehört zu den wichtigsten Abrüstungsvereinbarungen in der Zeit des Kalten Krieges. Er wurde am 8. Dezember 1987 anlässlich des Gipfeltreffens von US-Präsident Ronald Reagan und des sowjetischen Generalsekretärs Michail Gorbatschow in Washington geschlossen und verbietet den USA und den Nachfolgestaaten der Sowjetunion bis heute den Bau und Besitz von Raketen mit einer Reichweite von 500 bis 5.500 Kilometern.
Sollten in Europa nun wieder landgestützte Mittelstreckenraketen stationiert werden, erhöht dies die Gefahr eines Atomkrieges, da die Vorwarnzeiten auf wenige Minuten verkürzt werden. Im Fall eines Alarms bleibt kaum Zeit zu prüfen, ob es sich um einen technischen Systemfehler oder einen tatsächlichen Angriff handelt.
Vertragsverletzungen prüfen
Die USA und Russland werfen sich seit mehreren Jahren gegenseitig vor, den INF-Vertrag zu verletzen. Russland verweist dabei auf die Stationierung von Raketenabwehr-Systemen in Osteuropa. Von diesen Abschussrampen könnten auch Marschflugkörper gestartet werden. Washington wiederum kreidet Moskau die Entwicklung und Stationierung von Marschflugkörpern des Typs SSC-8 an, die mit ihrer Reichweite unter das Verbot des INF-Vertrages fallen würden. Russland bestreitet dies allerdings.
Vertragsverletzungen müssen und können im Rahmen des bestehenden Vertragswerkes geklärt werden – nicht durch einseitige Aufkündigung. Russland hat bereits angekündigt, dass es sich zu militärischen Gegenmaßnahmen gezwungen sieht, wenn die Vereinigten Staaten von Amerika aus einem Aus für INF (Intermediate Range Nuclear Forces, zu deutsch: nukleare Mittelstreckensysteme) neue Atomraketen entwickeln sollten.
Absage an Raketenstationierung
Die Bundesregierung muss sich auf allen diplomatischen und politischen Ebenen für die Beibehaltung des INF-Vertrags starkmachen. Sie muss der Stationierung von US-Mittelstreckenraketen auf deutschem Boden eine Absage erteilen. Über ein Veto in der NATO kann zudem ein Aufstellen dieser Waffensysteme in anderen europäischen NATO-Staaten unterbunden werden.
Die Bundesregierung muss friedenspolitisch Verantwortung übernehmen. Dazu gehören die Unterzeichnung des internationalen Vertrags über ein Verbot von Atomwaffen und ein Verzicht auf die nukleare Teilhabe sowie der Abzug der US-Atomwaffen aus Büchel in Rheinland-Pfalz.