Deutschland

Logo aufstehen Sammlungsbewegung06.09.2018: Am Dienstag war es endlich so weit. Linken-Fraktionschefin Sahra Wagenknecht präsentierte gemeinsam mit der SPD-Linken Simone Lange, dem Ex-Grünen-Chef Ludger Volmer, dem Dramaturgen Bernd Stegemann sowie dem Kommunikationschef der Bewegung Hans Albers ihre seit Längerem angekündigte und mit Spannung erwartete Initiative »aufstehen«.

 

Sahra Wagenknecht verwies in ihrem Eingangsstatement darauf, dass in Deutschland "das Klima rauer und die soziale Spaltung tiefer" wird. Deutschland sei in "eine handfeste Krise der Demokratie" geraten. Die Ereignisse in Chemnitz zeigten, "dass wir dringend einen neuen Aufbruch brauchen".

Die Bewegung »aufstehen« verstehe sich nicht als neue Partei, sondern als Bündnis, das neue Mehrheiten in Deutschland erreichen will, betonte Wagenknecht. Strategisches Ziel sei eine rot-rot-grüne Mehrheit im Deutschen Bundestag sowie eine rot-rot-grüne Bundesregierung. "Ich möchte nicht auf Dauer Oppositionsreden halten, ich möchte, dass es eine andere Politik gibt", sagte sie. Dafür müsse die politische Mehrheit von SPD, Linken und Grünen "neu erkämpft" werden.

Die Bewegung werde "überall da in Erscheinung treten, wo es Menschen gibt, die unzufrieden sind, die Ängste haben, die sich abgehängt fühlen". Dabei denkt Wagenknecht ausdrücklich auch an AfD-Wähler: "Es ist so, dass zurzeit auch Leute AfD wählen, die sich abgehängt fühlen." Diese Menschen wolle sie zurückgewinnen, jedoch "nicht die Rassisten und nicht die Nazis - die sind bei der AfD gut aufgehoben". Zu den rassistischen Krawallen in Chemnitz meinte sie: "Es sind nicht plötzlich 8.000 Leute Nazis. Man treibt die Leute nach rechts, indem man sagt, das seien alle Nazis. Wir müssen deren Sorgen ernst nehmen“, und fügt hinzu: "Es gibt Leute, die AfD wählen und die Ereignisse in Chemnitz nicht gutheißen. Die will ich zurückgewinnen."

Die Flüchtlingspolitik ist "nicht unser zentrales Thema", sagte Wagenknecht. "Unser zentrales Thema ist die soziale Frage." Wagenknecht betonte, dass nicht die Flüchtlinge der Grund für "wachsende Unzufriedenheit und empfundene Ohnmacht" seien, sondern, so der Gründungsaufruf, "die Krise des Sozialstaats und globale Instabilitäten". Die Flüchtlingsentwicklung hat zu zusätzlicher Verunsicherung geführt", heißt es dort weiter. "In einem Land mit sozialem Zusammenhalt wäre die Aufnahmewilligkeit wesentlich größer", sagte Wagenknecht am Dienstag.

Dem Vorwurf, dass ihre Sammlungsbewegung eine Gründung von oben und gar keine echte Bewegung sei, begegnete Wagenknecht mit dem Argument, dass der Gründungsaufruf von einem breiten Bündnis von 80 Initiator*innen aus unterschiedlichen Parteien, Gewerkschaften oder dem Wissenschafts- und Kunstbetrieb getragen werde. Aber vor allem gelte, dass sich mehr als 100.000 Menschen als Unterstützer*innen registriert hätten. "Eine Bewegung, die mit 100.000 Menschen startet, ist nicht von oben", sagte sie. Der Juso-Vorsitzende Kevin Kühnert wies umgehend zurück, dass er Unterstützer von »aufstehen« sei. "Mit Erstaunen habe ich heute erfahren, dass ich durch das Eintragen in einen Newsletter zu einem von 100.000 »Aufstehen«-Gründungsmitgliedern geworden bin", so Kühnert. Das finde er befremdlich.

Der Ex-Grünen-Chef Ludger Volmer sagte, dass »aufstehen« so viel gesellschaftlichen Druck erzeugen wolle, "dass die Parteien gar nicht mehr anders können, als sich den Problemen zuzuwenden, die sie in den vergangenen Jahren vernachlässigt haben" und so ein linkes Gegengewicht zu rechten Parteien geschaffen werde. Volmer kritisierte seine Partei, weil sie sich vom Pazifismus und sozialer Orientierung verabschiedet habe. Dass er diese Kritik nur an seine Partei richtete und nicht auch an sich selbst, macht sie nicht besonders glaubwürdig. War er es doch als Staatsminister im Außenministerium, der gemeinsam mit Joschka Fischer die Grünen von grün zu olivgrün umfärbte. "Das war der »linke« Grüne, der zu rot-grünen Regierungszeiten als treuer Knappe Joschka Fischers an vorderster agitatorischer Front stand, als es um die deutsche Beteiligung am völkerrechtswidrigen Jugoslawien-Krieg ging. Auch beim Afghanistan-Krieg stand er als Staatsminister im Auswärtigen Amt wieder eisern Gewehr bei Fuß", kritisiert Pascal Beucker das Auftreten von Volmer. (Pascal Peuker: Der Grüne an Sahras Seite, taz)  Zur Frage der »offenen Grenzen« meinte Volmer: "Offene Grenzen führen zu nichts außer der Aufgabe des Nationalstaats."

Gründungsaufruf: Gemeinsam für ein gerechtes und friedliches Land

Am Dienstag wurde neben der Liste der Erstunterzeichner auch der mit ebenfalls großer Spannung erwartete Gründungsaufruf (https://www.aufstehen.de/gruendungsaufruf/) veröffentlicht.  Ein erster im Mai veröffentlichter Entwurf (#fairLand - Für ein gerechtes und friedliches Land) hatte den Eindruck erweckt, Wagenknecht wolle mit ihrer Sammlungsbewegung am rechten Rand fischen. So war darin etwa die Rede davon gewesen, dass man "kulturelle Eigenständigkeit" und den "Respekt vor Tradition und Identität wahren wolle". Solche Begriffe finden sich in der neuen Fassung nun nicht wieder.

"Die Flüchtlingskrise hat in Deutschland zu großer Verunsicherung geführt. Wir lehnen Rassismus und Ausländerfeindlichkeit ab. Aber ….", hatte es im Entwurf geheißen. Ebenso zweideutig war formuliert, ob nicht doch die Flüchtlinge Schuld am "Mangel an Sozialwohnungen, überforderte Schulen oder fehlende Kita-Plätze" haben.

Im Gründungsaufruf heißt es jetzt, "die Zerstörung des sozialen Zusammenhalts, wachsende Unzufriedenheit und empfundene Ohnmacht schaffen einen Nährboden für Hass und Intoleranz. Auch wenn der Hauptgrund für Zukunftsängste die Krise des Sozialstaats und globale Instabilitäten und Gefahren sind: Die Flüchtlingsentwicklung hat zu zusätzlicher Verunsicherung geführt. … Wir lehnen jede Art von Rassismus, Antisemitismus und Fremdenhass ab. Gerade deshalb halten wir die Art und Weise, wie die Regierung Merkel mit den Herausforderungen der Zuwanderung umgeht, für unverantwortlich. Bis heute werden Städte, Gemeinden und ehrenamtliche Helfer weitgehend allein gelassen. Viele bereits zuvor vorhandene Probleme wie der Mangel an Sozialwohnungen, überforderte Schulen oder fehlende Kita-Plätze haben sich weiter verschärft. Am Ende leiden vor allem die ohnehin Benachteiligten."

Aufgenommen wurde die Hilfe für "Kriegs- und Klimaflüchtlinge", auch wenn offen beliebt, wo ihnen geholfen werden soll.

Abgeschwächt wurde auch die Beschreibung, dass Freizügigkeit und Zuwanderung für viele nur Konkurrenz um schlecht bezahlte Arbeitsplätze bedeuteten. Jetzt heißt es dort nur noch, dass viele das so "sehen". "Viele von ihnen sehen in Freizügigkeit und Zuwanderung vor allem eine verschärfte Konkurrenz um schlecht bezahlte Arbeitsplätze." Statt eines angeblichen Fakts wird also eine Wahrnehmung benannt.

"Gegenüber früheren Entwürfen ist die aktuelle Fassung bei den Themen »Nationalismus«, Heimat und Begrenzung von Zuwanderung »herabgedimmt«, die Anlehnung an rechten Populismus ist zurückgenommen", schreiben Joachim Bischoff und Björn Radke. (Sozialismus: Linke Sammlungsbewegung »aufstehen«

In dem Aufruf heißt es, es gebe in der Bevölkerung zwar "Mehrheiten für eine neue Politik: für Abrüstung und Frieden, für höhere Löhne, bessere Renten, gerechtere Steuern und mehr Sicherheit. Für höhere öffentliche Investitionen in Bildung und Infrastruktur. Aber es gibt keine mehrheitsfähige Parteienkoalition, die für eine solche Politik steht." In anderen europäischen Ländern seien aus dem Niedergang der etablierten Parteien neue Bewegungen entstanden, die die Politik verändert haben, heißt es. Aufstehen sei "keine neue Partei, sondern eine überparteiliche Sammlungsbewegung", die "Diskussionen organisieren und im Ergebnis für unsere gemeinsamen Forderungen gesellschaftlichen Druck entfalten" will. "Wir werden interessanten Ideen und kreativen Gedanken ein Podium bieten. Vor allem aber werden wir die Forderungen, die die Menschen am meisten bewegen, auf die Straße und in die Politik tragen."

Reaktionen auf »aufstehen«

Nach der Vorstellung von »aufstehen« in der Bundespressekonferenz ging LINKEN-Bundesgeschäftsführer Jörg Schindler auf Distanz. "Die Initiative «aufstehen« ist ein Projekt von Sahra Wagenknecht und Oskar Lafontaine, das ist kein Projekt der Partei Die LINKE", sagte er. Von Mitgliedern und Mandatsträger*innen erwarte man, dass sie vor allem zu den Landtagswahlen in Bayern und Hessen "ihre ganze Kraft" einsetzten, "dass wir als Partei DIE LINKE gestärkt hervorgehen", sagte Schindler. Auch von der Bundestagsfraktionschefin Wagenknecht erwarte er, dass sie sich "mit voller Kraft dafür einsetzt", dass die Fraktion gestärkt werde und als Vertretung der Partei im Parlament dargestellt werde.

Bernd Riexinger, Ko-Vorsitzender der Partei DIE LINKE, rief auf, "jeden Anschein von Spaltung und des Zurückweichens" zu vermeiden. "Gerade in Zeiten, in denen der braune Mob wieder ungehindert auf Menschenjagd gehen kann, muss die gesellschaftliche Linke ihre Geschlossenheit und ihre klare Haltung gegen Rechts demonstrieren", sagte er und reif auf, "entschlossen in die politische Auseinandersetzung darüber (zu) gehen, in welcher Gesellschaft wir leben wollen". In einem Interview hatte er geäußert: "Um gesellschaftlichen Druck aufzubauen, reicht es nicht aus, wenn man sich im Netz betätigt. Dafür muss man auf die Straße gehen und demonstrieren, aktiv Streiks unterstützen, politische Bildungsarbeit machen, in die Viertel gehen, in denen keiner mehr was von Parteien wissen will. Wenn die Sammlungsbewegung das machen will, ist sie willkommen."

Thüringens linker Ministerpräsident Bodo Ramelow hält die Initiative für einen Fehler. "Eine Bewegung muss von unten heraus entstehen und nicht in einer Partei", sagte er. Die Sammlungsbewegung "polarisiert nicht in der Gesellschaft, sondern sie polarisiert aktuell eher die Linke als Partei. Das halte ich für falsch".

Auch der Koordinierungskreis der Emanzipatorischen Linken (Emal.Li) befürchtet, dass »aufstehen« Gräben in der gesellschaftlichen Linken mehr vertiefe, als es dazu beitrage, dass sie überwunden werden. , heißt es in einer Erklärung vom Dienstag. Progressive Politik dürfe nicht »nur zum Ziel haben, AfD-Wähler*innen dazu zu bewegen, andere Parteien zu wählen, die mit weniger Verharmlosung von Rassismus und weniger Denunziation von Emanzipationsbewegungen als die AfD daher kommen.« Stattdessen müsse es darum gehen, ein emanzipatorisches Gegenmodell zum Rechtsruck und zum gesellschaftlichen Rollback zu formulieren und Lösungen anbieten, die »eine grundsätzliche Kritik an den gesellschaftlichen Zuständen artikulieren«.
(Emanzipatorische Linke: Zur Gründung von "Aufstehen!" "Wir brauchen eine mutige LINKE!")

Ablehnende Töne kommen auch vom Bundesvorstand des Forum Demokratischer Sozialismus (fds). "Die Anlage und Öffentlichkeitsarbeit von »aufstehen« vermittelt der LINKEN Basis, also unseren Genossinnen und Genossen den Eindruck, sie müssten sich entscheiden, 'stehe ich auf oder nicht, für wen werbe ich auf der Straße?'", wird in der Erklärung kritisiert und die Fragen gestellt: "Geht es jetzt nicht besonders darum, mit Vernunft und Moral für den Zusammenhalt der Gesellschaft, für die Wertschätzung einer und eines Jeden innerhalb und außerhalb der Partei zu kämpfen? Sollten wir nicht endlich zur Kenntnis nehmen, dass das Gebaren, antidemokratisch, autoritär, nationalistisch und fremdenfeindlich eingestellt zu sein, nichts mit dem sozialen Status, etwa Arbeit und Einkommen zu tun hat? Brauchen neue gesellschaftliche Herausforderungen nicht vielmehr neue Antworten?" Weiter heißt es: "Wir wollen soziale und Menschenrechte mit individuellen Freiheitsrechten zusammenbringen, um damit eine zukünftige Gesellschaft sozialer Gerechtigkeit und individueller Freiheit zu ermöglichen. Eine offene Gesellschaft – dafür stehen wir seit vielen Jahren auf. Dafür bleiben wir standhaft. Für uns ist die Akzeptanz vielfältiger Lebensweisen gleichwertig mit dem Kampf um soziale Gerechtigkeit. Gleichbedeutend mit einem gesellschaftlichen Zusammenhalt, der nicht danach fragt, woher jemand kommt und wohin jemand geht. Wir brauchen Aufklärung, Emanzipation, Mitbestimmung und Solidarität. In wirklicher Solidarität haben Abschottung und Ausgrenzung keinen Platz."
(fds: Zur Gründung der linken Sammlungsbewegung #aufstehen "Standhaft bleiben und neue Antworten entwickeln")

Unterstützung erhielt »aufstehen« dagegen vom Ko-Vorsitzenden der Linksfraktion im Bundestag Dietmar Bartsch. Es gebe einen Kulturkampf von rechts, sagte Bartsch am Dienstag im SWR-»Tagesgespräch«. Da sei ihm jede Idee, die etwas dagegen tue, willkommen. Er rate dringend, zu schauen, ob es ein »Aufstehen« gebe. Der Titel sei klug gewählt, fügte Bartsch hinzu. Er stehe für die Stärkung der Linken und wenn dieses Projekt dabei helfe, sei das nur gut. "Die LINKE zeigt an vielen Stellen, wie aktiv wir sind", betonte Bartsch. "Aber wir müssen ja konstatieren, dass die Linke allein nicht fähig ist, die gesellschaftlichen Veränderungen durchzusetzen, die notwendig wären."

Auch die LINKEN-Bundestagsabgeordnete Sevim Dagdelen unterstützt »aufstehen«. "Ich sehe die Sammlungsbewegung als Aufbruch, der hilft, den Vormarsch der Rechten zu stoppen. Dafür wollen wir die sozialen Themen, die Millionen auf den Nägeln brennen, endlich wieder in den Mittelpunkt der gesellschaftlichen Diskussion stellen", sagte sie im Interview mit dem Nachrichtensender n-tv. "Wir wollen keine neue Partei gründen", äußerte Dagdelen. "Was es braucht, ist ein Aufbruch für eine mehrheitsfähige Parteienkoalition, die eine solche Politik umsetzt." (Sevim Dagdelen, n-tv)
Mitte August hatte es bei ihr noch anders geklungen. "Wir wollen … unsere Parteien umkrempeln, um wieder Wahlen zu gewinnen und dieses Land zu verändern. Wenn wir damit Erfolg haben, braucht es keine neue Partei." (Sevim Dagdelen, moz, 13.8.2018)

Unterstützung erhält »aufstehen« auch von den Thüringer Landtagsabgeordneten Dieter Hausold, Margit Jung, Ina Leukefeld und Jörg Kubitzki. Sie schreiben: "»Aufstehen« bietet jetzt die Gelegenheit gesellschaftliche Kräfte für eine Politik links der Mitte zu sammeln. Möglicherweise öffnet sich ein Fenster für eine progressive gesellschaftlichen Entwicklung, welches schnell wieder verschlossen sein kann.
Wir sehen deshalb die große Chance, dass diese außerparlamentarische Bewegung, trotz mancher Vorbehalte die es auch bei uns gibt, neue Kräfte frei setzt, für einen dezidiert linken Richtungswechsel der Politik, den die Partei DIE LINKE so alleine nicht realisieren kann.
Deshalb wollen wir die linke Sammlungsbewegung »Aufstehen« unterstützen."

Skeptisch äußert sich dagegen das LINKEN-Parteivorstandsmitglied Raul Zelik: "Aufstehen ist eben auch ein Projekt, um bestehende Beschlüsse in der LINKEN zu umgehen. Wagenknecht will mit einem anderen Migrationskurs und einem nationaleren Zuschnitt der Sozialpolitik punkten. Sprich: Sie will die LINKE dadurch stärken, dass sie Zugeständnisse, an das herrschende politische Klima macht. (Raul Zelik: Aufstehen im Spagat zwischen herrschendem politischen Klima und linken Inhalten

Der Landesvorstand Berlin der Partei DIE LINKE stellt in einem Beschluss fest, der "Gründungsaufruf umfasst vor allem Vorschläge, die schon lange zum Forderungskatalog der LINKEN gehören". Und weiter: "Unsere Stärke liegt im gemeinsamen Kampf mit sozialen Bewegungen, die sich aus der Gesellschaft heraus entwickeln und die wie wir für eine offene Gesellschaft eintreten – seien es lokale Mieten-Initiativen, die Seebrücken-Aktivist*innen oder Anti-Nazi-Bündnisse. Mit ihnen gemeinsam wollen wir für die Überwindung der kapitalistischen Verhältnisse und für einen demokratischen Sozialismus streiten." (Als Partei DIE LINKE.Berlin gemeinsam für die offene und solidarische Gesellschaft eintreten)

 

Kerem PortraitKerem Schamberger, Vorstandsmitglied im Institut Solidarische Moderne (ISM) und aktiv in der marxistischen linken meint, dass »aufstehen« ein Ansatz sein könnte, wenn der Fokus auf das »Populäre«, nämlich auf das schon heute von einer Mehrheit Gewünschte: »bessere Renten, höhere Löhne, eine Reichensteuer und dass Konzerne stark besteuert werden«, nicht den Blick auf die Notwendigkeit der Überwindung der wachstumsfixierten kapitalistischen Wirtschafts- und Lebensweise verstellt. "Wenn es die Bereitschaft gibt, über die nationalen Fragen hinaus für eine gemeinsame solidarische Europapolitik und gegen die europäische Abschottungspolitik zu streiten, der globalen Frage der imperialen Lebensweise nicht auszuweichen und von der Unverhandelbarkeit der universellen Menschenrechte auszugehen, dann gibt es Gemeinsamkeiten", sagt Schamberger. Das ISM und in kleinem Maßstab die marxistische linke arbeiten schon länger an einem Projekt der Zusammenführung linker politischer Kräfte und gesellschaftlicher Bewegungen. Wenn »aufstehen« da jetzt auch mitmache, sei das nur zu begrüßen, so Schamberger.
Die große Resonanz auf »aufstehen« zeige, so Schamberger, das große Bedürfnis nach Zusammenarbeit und Sammlung der Kräfte. Die Aufgabe, die sich stelle, erfordert die Schnittmengen zu finden, Gemeinsamkeiten zu stärken und eine strategische Allianz der linken Kräfte zu ermöglichen. Dabei müsse an bestehende Protestbewegungen wie Blockupy, TTIP, attac, die Refugee Gruppen, Europa neu begründen, die Seebrücke, Grundeinkommensbewegung, Solidarity Cities, die Klimabewegung, Degrowth, feministische und queere Bewegungen und viele andere angeknüpft werden, die hunderttausende Menschen gegen Rassismus, Austerität, Finanzspekulation, ungerechte Verteilung, Klimawandel, das Sterben im Mittelemeer auf die Straßen bringen.
Was eine wirkliche demokratische Sammelbewegung ausmacht, hätten die Menschen in den vergangenen Wochen gezeigt, als sie in vielen Städten gegen rechte Hetze und Gewalt sowie für Seenotrettung auf die Straße gingen. "Mit der Bewegung »No PAG« gegen das neue Polizeiaufgabengesetz, mit #ausgehetzt, mit »Seebrücke«, mit den Helferkreisen für Geflüchtete, den Bündnissen gegen Rassismus und gegen die Ausgrenzung von Flüchtlingen und Migrant*innen, aktuell gegen die Abholzung des Hambacher Waldes, haben wir echte Sammlungsbewegungen. Die müssen gestärkt und miteinander vernetzt werden", sagt Schamberger. Maßgeblich werde die Frage sein, ob sich »aufstehen« daran beteiligt. Ein Lackmustest werde die Demonstration »#unteilbar - Für eine offene und freie Gesellschaft – Solidarität statt Ausgrenzung!« am 13. Oktober in Berlin werden, meint Schamberger.

Heribert Prantl schreibt in der Süddeutschen Zeitung: "Die Sammlungsbewegung »Aufstehen« ist soeben erst aufgestanden und hat schon erheblich mehr Unterstützer, als Grüne, FDP oder Linke Mitglieder haben. Das ist bemerkenswert. Das offenbart ein bisher offenbar ungestilltes Bedürfnis vieler Menschen, sich zu engagieren - gegen den Druck von Rechtsaußen, gegen die Dominanz des Rechtsradikalen im öffentlichen Raum, gegen die Renaissance des Nationalen und des Nationalistischen.
Es gibt ein aktivierbares zivilgesellschaftliches Reservoir gegen AfD und Pegida, aus dem die klassischen Parteien bisher nicht schöpfen konnten. Statt Gift, Galle oder Häme auf die neue Sammlungsbewegung zu schütten, sollten sich diese Parteien, Linke und SPD eingeschlossen, überlegen, warum das so ist." (Heribert Prantl: Die Bewegung muss sich von Wagenknecht emanzipieren, Süddeutsche Zeitung)

Just am Tag, an dem die SPD in einer Umfrage das schlechteste Ergebnis ihrer Geschichte prognostiziert bekommt und für die Landtagswahl in Bayern hinter den Neofaschisten der AfD liegt, bezeichnet die SPD-Parteizeitung vorwärts die Initiative »aufstehen« als "Bewegung für Verlierer". (vorwärts: "Aufstehen": Eine Bewegung für Verlierer)
Da passt der bissige Kommentar des als links geltenden SPD-Vize Ralf Stegner, der am Dienstag bei Twitter kundtat, dass Bewegungen bei Frieden oder Klimaschutz sinnvoll sein könnten: "Aber als Instrument konkurrierender Parteien unter der Führung notorischer Separatisten und ausgewiesener SPD-Gegner wie Sahra Wagenknecht und Oskar Lafontaine? Auf so was fallen aufrechte Sozis nicht rein."

Demgegenüber erklären Sozialdemokrat*innen um den SPD-Bundestagsabgeordneten Marco Bülow: "Wir müssen unsere Kräfte bündeln, wir müssen auf- und zusammenstehen, uns gemeinsam für eine progressive Politik einsetzen. Daher unterstützen wir die Grundidee der Sammlungsbewegung #aufstehen."

Auszug aus der Erklärung von Sozialdemokrat*innen zu #aufstehen:

" Es ist nicht mehr fünf vor zwölf. Es ist zwölf Uhr. Die Politik des “Weiter so” führt zu einer Spirale aus Ungleichheit, Aufrüstungen, ökologischem Kollaps und dem Aufstieg rechter Kräfte in ganz Europa. Die politische Linke, die all dies hätte verhindern sollen, ist zersplittert und gespalten. Was immer die Unterschiede zwischen uns im linken Spektrum sind, wir müssen uns jetzt darüber hinwegsetzen, um uns für eine gerechtere, nachhaltigere Gesellschaft zu engagieren, bevor es komplett zu spät ist.
Wir müssen unsere Kräfte bündeln, wir müssen auf- und zusammenstehen, uns gemeinsam für eine progressive Politik einsetzen. Daher unterstützen wir die Grundidee der Sammlungsbewegung #aufstehen. Wir sind überzeugt, dass es eine linke Bewegung braucht, die soziale Gerechtigkeit universell und global begründet und endlich wieder die Themen auf die Agenda setzt, die in einem Klima von Hass und Hetze in den vergangenen Jahren sträflich vernachlässigt wurden: Sozialpolitik, Bildung, Pflege, Klimaschutz oder bezahlbares Wohnen. Zu dieser Linken gehört in unseren Augen auch eine Migrationspolitik, bei der Ursachenbekämpfung vor Ort, faire Handelsbeziehungen, sichere Aufnahme und Integration zusammengehören.
Wir wollen eine offene, tolerante Gesellschaft, die sich immer weiter vernetzt und in der die Menschen wieder zusammenfinden, statt sich zunehmend auseinanderzudividieren. Wir sind überzeugte Europäer*innen, die regional und global denken. Wir setzen uns ein und engagieren uns für internationale Solidarität. Solidarität ist für uns unteilbar, sie gilt weltweit, deutschlandweit und regional vor Ort. (...)
Wir brauchen deswegen die Öffnung der Parteien nach außen. Wir sollten die herkömmlichen Strukturen aufbrechen, kooperieren und gemeinsam neu denken, neue Ideen entwickeln und damit neue Möglichkeiten schaffen.
Wir begrüßen den Vorstoß durch die linke Sammlungsbewegung #aufstehen und plädieren dafür, dass sich ihr so viele Vertreter*innen der politischen Linken wie möglich anschließen. Eine pauschale Ablehnungshaltung gegenüber #aufstehen, ohne Alternativen anzubieten, und ein Festhalten am „Weiter so“ halten wir für ignorant." (Erklärung von Sozialdemokrat*innen zu #aufstehen)

Nicht wehren kann sich »aufstehen« gegen Beifall von falscher Seite. Obwohl sich die Gründungserklärung deutlich nach rechts abgrenzt - -"Wir lehnen jede Art von Rassismus, Antisemitismus und Fremdenhass ab" – hält dies AfD-Partei- und Fraktionschef Alexander Gauland nicht davon ab, die Initiative zu begrüßen: Die Linken-Fraktionschefin sei "in der Lage, linke Scheuklappen abzulegen und jenseits von Pathos und Ideologie die tatsächlichen Sorgen und Nöte breiter Schichten des Volkes zu identifizieren".


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