20.07.2018: Am 27. Juni 2018 hatte der Rechtsausschuss des Deutschen Bundestages zu einer Expert*innenanhörung eingeladengeladen, um die Anträge der Fraktionen Die Grünen, FDP und DIE LINKE zum § 219a StGB fachlich-inhaltlich zu beleuchten. Das ist durchaus üblich bei Fachthemen. Eingeladen waren Expert*innen, die die sechs Bundestagsfraktionen benannt haben. Die Anhörung war so gut besucht, dass sie in einen extra großen Raum verlegt wurde.
Linke, Grüne und FDP sind sich einig: Die sachliche Information darüber, welche Ärzte und Ärztinnen Abbrüche anbieten und mit welchen Methoden dies geschieht, sollte erlaubt sein. Linke und Grüne plädieren deswegen für die gänzliche Streichung. Die FDP will eine Reform des Paragrafen, die Ärztinnen und Ärzten Rechtssicherheit verschafft. CDU, CSU und AfD wollen das Gesetz nicht verändern. Die SPD ist ebenfalls für die Abschaffung des Paragrafen, zog aber ihren Gesetzesentwurf aber einen tag vor der Unterzeichnung des Koalitionsvertrages zurück. Sie hofft auf eine Einigung innerhalb der Großen Koalition. Einzelne Stimmen aus der SPD melden immer wieder erwartungsvoll, man strebe weiterhin die Streichung des 219a an.
Laut Kriminalstatistik werden seit einigen Jahren jährlich zwischen 25 und 30 Ärzte und Ärztinnen angezeigt, weil sie für Schwangerschaftsabbrüche geworben haben sollen. Auch wenn es in den seltensten Fällen zu Verurteilungen kommt – wie im Fall der Gießener Ärztin Hänel – sorgte die Möglichkeit einer Anzeige für Ängste, so die Berliner Gynäkologin Tennhardt in der Anhörung. Für ihre Statements wie "Danke, dass ich als Frau und Frauenärztin hier sprechen darf. Ich glaube, ich bin einige der wenigen Betroffenen hier im Raum" bekam sie wiederholt Applaus von der voll besetzten Tribüne, die Ausschussvorsitzender und Sitzungsleiter Brandner von der AfD deswegen zwischenzeitlich räumen lassen wollte. Aktivistinnen vom Bündnis für sexuelle Selbstbestimmung demonstrierten mit T-Shirts, auf denen "abortion saves lifes" ("Abtreibung rettet Leben") oder "Recht auf Information zum Abbruch" stand. Sie wurden durch die Polizei entfernt und müssen mit einer Strafanzeige rechnen.
Eine politische Lösung in Berlin scheint derzeit die einzige Alternative auch für die mitregierende SPD zu sein. Auf dem letzten SPD-Parteitag wurde beschlossen, dass es bis zum Herbst eine Einigung mit der Union geben müsse. Sollte bis dahin kein Kompromiss in der Bundesregierung oder zwischen den Fraktionen zum § 219a StGB gefunden werden, wollen die Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten mit "reformwilligen" Fraktionen oder einzelnen Abgeordneten Gruppenanträge stellen. Indirekt könnte das eine Drohung mit dem Koalitionsbruch bedeuten, denn der Koalitionsvertrag schließt wechselnde Mehrheiten im Bundestag aus, was man aber auch aus praktischer Sicht der Sozialdemokrat*innen ausschließen müsste.
Die Kriminalisierung von Ärztinnen und Ärzten geht derweil weiter: Am 29. August steht vor dem Kasseler Amtsgericht in erster Instanz eine Entscheidung gegen Nora Szász und Natascha Nicklaus an. Ein Frauenbündnis ruft dort zu einer Kundgebung zu deren Unterstützung auf. Am 6. September findet vor dem Landesgericht Gießen die Entscheidung in zweiter Instanz im Verfahren gegen Kristina Hähnel statt. Mit ihrem in erster Instanz vor dem Amtsgericht verloren Verfahren war es zu einer bundesweiten Bewegung gekommen. Auch an diesem Tag wird es wieder Demonstrationen und Kundgebungen geben. Am 22. September 2018 findet in Berlin eine Demonstration vom Bündnis für sexuelle Selbstbestimmung statt. Sie steht unter dem Motto: "219a ist erst der Anfang! Leben schützen heißt Schwangerschaftsabbruch legalisieren!” Am 28. September kommt es ebenfalls zu einer Demonstration des jüngst in Hamburg gegründeten lokalen, gleichnamigen, Bündnisses in Hamburg.
Man muss davon ausgehen, dass die juristische Entscheidungen von den Frauenärztinnen verloren gehen werden, denn die Rechtsprechung zum 219a ist einschlägig. Der Weg zum Bundesverfassungsgericht bzw. Europäischen Gerichtshof ist daher die wirkliche Alternative, sollten sich im Bundestag auch im Herbst keine Mehrheiten finden. Denn auch Berufsfreiheit der Ärztinnen und Ärzte wird nach Ansicht vieler juristischer Expertinnen und Experten unzulässig beschränkt, auch das ergab die Anhörung am 27. Juni. Denn die ist nach Art. 12 GG zugesichert. Informationsverbote über berufliche Leistungen fallen eindeutig unter diese Kategorie.