28.03.2012: Der Bundestag wird am Donnerstag, den 29. März 2012, in erster Lesung über den Fiskalpakt und den Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) beraten, der Anfang des Jahres von den Staats- und Regierungschefs der EU vorgelegt und vom EU-Gipfel am 2. März 2012 beschlossen wurde. Zu dem „Vertrag über Stabilität, Koordinierung und Steuerung in der Wirtschafts- und Währungsunion“ hatten die Koalitionsfraktionen CDU/CSU und FDP einen Gesetzentwurf vorgelegt.
Die DKP verurteilt diesen Vertrag, weil damit eine Politik radikalisiert und institutionalisiert wird, die die gegenwärtige katastrophale Situation für die Mehrheit der Bevölkerung mit herbeigeführt hat.
„In der Praxis hat sich inzwischen erwiesen“, erklärte der Parteivorstand der DKP Anfang Februar auf seiner Sitzung, „dass die europaweit exekutierten ‚Sparprogramme’ nicht aus der Krise herausführen, sondern im Gegenteil die Krise vertiefen und zu steigender Arbeitslosigkeit und Armut führen. Der ‚Fiskalpakt’ ist eine Kriegserklärung zur Zerstörung öffentlicher sozialer Dienstleistungen und grundlegender sozialer Arbeiterrechte und politischer Rechte der Bürger Europas. Auf endlose Zeit soll ein ständig wachsender Anteil des gesellschaftlich geschaffenen Reichtums in die Taschen der Banken und Reichen fließen. Gleichzeitig geben die EU und die Regierungen damit dem Finanzkapital, d. h. den Banken, Finanzinvestoren, Ratingagenturen, Konzernen und Superreichen, noch mehr Macht, während parlamentarische Rechte weiter eingeschränkt werden.“
Erst vor kurzem forderten die Unternehmerverbände von der Bundesregierung, eine härtere Sparpolitik „entschlossen umzusetzen“. In der gemeinsamen Erklärung von BDA, BDI, DIHK und ZDA vom 16. März heißt es u. a.: „Strukturelle Defizite am Standort Deutschland müssen entschlossen angegangen werden – etwa die Anpassung der sozialen Sicherungssysteme an den demografischen Wandel, die Weiterentwicklung der Besteuerungssystematik und ein konsequenter Bürokratieabbau.“ Sie fordern „bis zur Bundestagswahl im nächsten Jahr die Weichen für die Zukunft richtig zu stellen.“ Dazu gehöre auch eine gesetzliche Wiederherstellung der „Tarifeinheit“. Passend dazu forderte die Carl-Friedrich-von-Weizsäcker-Stiftung das Arbeitskampfrecht für Millionen Beschäftigte noch weiter einzuschränken
Das Kapital bläst zum Angriff. Weitere Errungenschaften der Arbeiter- und Gewerkschaftsbewegung sollen eingestampft werden, um den „freien Kapitalverkehr“ ungehindert zu gewährleisten. Es ist sicher kein Zufall, dass zu diesem Zeitpunkt die Europäische Kommission beschlossen hat, Deutschland erneut vor dem Europäischen Gerichtshof zu verklagen, weil sie einem Urteil zum Volkswagen- Gesetz nicht vollständig entsprochen habe. Das VW-Gesetz begrenze den Stimmrechtsanteil unabhängig vom tatsächlichen Anteil an den Aktien des VW-Konzerns auf maximal 20 Prozent. Doch die folgenschwerste Beschuldigung, die ins Feld geführt wird, ist, das VW-Gesetz verstoße gegen die Regeln des „freien Kapitalverkehrs“.
Nicht der mörderische Kriegseinsatz der Nato in Afghanistan, der brutale Bundeswehreinsatz an den „deutschen Grenzen“ am Hindukusch rief irgendeine EU-Kommission auf den Plan. Aber, welch ein Verbrechen, welch ein eklatanter Verstoß gegen dieses kapitalistische System, wenn der „freie Kapitalverkehr in der EU behindert“ wird. Das muss verfolgt, geahndet und geändert werden.
In der ersten Klagebegründung machte Generalanwalt Colmer noch ein weiteres deutlich: Er kritisierte, dass im VW-Gesetz die Errichtung und die Verlegung von Produktionsstätten von der Zustimmung einer Mehrheit von zwei Dritteln der Mitglieder des Aufsichtsrats abhängig gemacht wird. Also, der Einfluss der Gewerkschaft und der Betriebsräte im Aufsichtsrat ist ihm ein Balken im Auge. Maßgeblich wegen der daraus resultierenden gewerkschaftlichen Mitbestimmungsrechte soll das VW-Gesetz zu Fall gebracht werden.
Widerstand gegen die Zerschlagung des VW-Gesetzes, breiter Protest gegen die Ratifizierung des „Fiskalpaktes“ und ein gemeinsamer Kampf um Alternativen sind notwendig zu entwickeln. Thematiken die auch in Gewerkschafts- und Betriebsversammlungen behandelt werden können.
„Europa neu begründen“ – Wissenschaftler und Gewerkschafter für ein anderes Europa und gegen die selbstzerstörerische Politik des Fiskalpakts
Aus Anlass der Bundestagsberatung wenden sich Gewerkschafter und Wissenschaftler mit einem Aufruf „Europa neu begründen“ an die Öffentlichkeit. In einer Pressemitteilung der IG Metall heißt es dazu:
Das Projekt Europa steht auf der Kippe. Sozial, politisch und ökonomisch steckt die Europäische Union in einer Existenzkrise. Forciert wurde diese Krise durch neoliberale Deregulierungspolitik und gewissenlose Gier der Finanzeliten, die gegen Krisenländer spekulieren und eine finanzmarktkonforme Politik erzwingen wollen. Öffentliche Ausgaben sowie Arbeits- und Sozialeinkommen werden durch europäische Vorgaben radikal gekürzt, Lohnabhängigen, Arbeitslosen und Rentnern werden die Kosten der Bankenrettung aufgebürdet. Gleichzeitig droht irreparabler Schaden für die politische und soziale Demokratie in den Mitgliedsstaaten. Griechenland droht im Würgegriff der „Troika“ aus Europäischer Kommission, Europäischer Zentralbank und Internationalem Währungsfonds zu ersticken. Deshalb ist es höchste Zeit für grundlegende Veränderungen. Wenn Europa eine Zukunft haben soll als ein solidarisches und demokratisches Projekt, müssen die Weichen politisch neu gestellt werden.
Deshalb rufen Wissenschaftler und Gewerkschafter auf: „Europa neu begründen! Den Marsch in den Ruin stoppen! Die Krise durch Solidarität und Demokratie überwinden!“ Sie plädieren für eine europäische soziale Bürgerbewegung, die gegen die desaströse und selbstzerstörerische Krisenpolitik und für einen radikalen Politikwechsel antritt. Ein erster Schritt auf diesem Weg muss die Ablehnung der vorliegenden Fassung des Fiskalpakts – auch durch den Deutschen Bundestag – sein.
Initiatorinnen des Aufrufs sind der Vorsitzende der Vereinten Dienstleistungsgewerkschaft (ver.di), Frank Bsirske, das DGB-Bundesvorstandsmitglied Annelie Buntenbach, der Wirtschaftsprofessor Rudolf Hickel (Memorandum-Gruppe), der Sozialwissenschaftler Steffen Lehndorff und IG-Metall-Vorstandsmitglied Hans-Jürgen Urban. Zu den Erstunterzeichnern gehören unter anderem der Philosoph Jürgen Habermas, der Ökonom Gustav Horn sowie eine Reihe von Gewerkschaftern wie der DGB-Vorsitzende Michael Sommer, der 2. Vorsitzende der IG Metall, Detlef Wetzel, und der IG-BAU-Vorsitzende Klaus Wiesehügel.
Unter http://www.europa-neu-begruenden.de/ sind der Text des Aufrufs und die Liste der Unterzeichner zu finden.
Text: W. Teuber / IG Metall