18.05.2011 - Anlässlich der Vorstellung der Bundeswehrreform und neuer Verteidigungspolitischer Richtlinien durch Verteidigungsminister Thomas de Maizière erklären Peter Strutynski und Lühr Henken in einer ersten Stellungnahme:
Auch wenn Minister de Maizière in seinen neuen Verteidigungspolitischen Richtlinien (VPR) - anders als im gültigen Weißbuch von 2006 - nunmehr die „Landes- und Bündnisverteidigung“ an die erste Stelle der aufgelisteten Bundeswehraufgaben stellt und nicht mehr die „Krisen- und Konfliktbewältigung“ (synonym für weltweite Militärinterventionen), so ist diese Akzentverschiebung nur wohlfeiles Wortgeklingel, um dahinter eine massive Verstärkung der Bundeswehreinsätze im Ausland zu betreiben.
Zu erinnern ist an das neue NATO-Konzept von Lissabon, in dem ebenfalls die Bündnisverteidigung als erstes Ziel genannt wird, während ihre Strukturen und Fähigkeiten gleichzeitig auf weltweiten Interventionismus umgebaut werden. Der Einsatz gegen Libyen ist die erste „Bewährungsprobe“ für die „neue NATO“. Für die Bundeswehr heißt das: Statt derzeit etwa 7.000 gleichzeitig im Ausland einsetzbare Soldaten sollen es künftig rund 10.000 sein. Diese Erhöhung um 43 Prozent qualifizierte selbst de Maizière als „viel mehr als bisher“. Generalinspekteur Wieker nannte die Forderung nach einer erhöhten Zahl von Soldaten im Auslandseinsatz die „zentrale strukturbestimmende Größe“. Wir sagen: Die Bundeswehr erhält so eine effektivere Angriffsqualität. Sie wird erheblich kriegs- und interventionstauglicher.
Es hat sich längst gezeigt – gleich, ob in Somalia, Kosovo oder in Afghanistan -, dass sich der von deutscher Politik nach dem Ende der Blockkonfrontation eingeschlagene Weg, sich an Militärinterventionen zu beteiligen, ein Holzweg ist. Wir sagen: Es gibt keine humanitären Bomben! Und betonen noch einmal: Ein weiteres Festhalten an Kriegshandlungen in Afghanistan verlängert den Krieg. Nur ein unverzüglicher bedingungsloser Abzug der Bundeswehr eröffnet Friedenschancen am Hindukusch.
Minister de Maizière gibt in seinen VPR an, was u.a. „zu den deutschen Sicherheitsinteressen“ gehöre: „einen freien und ungehinderten Welthandel sowie den Zugang zur Hohen See und zu natürlichen Ressourcen zu ermöglichen.“ De Maizière nimmt damit die Forderung nach freiem Zugang zu Rohstoffen seines CDU-Vorgängers Rühe (VPR 1992) wieder auf, die sein Kollege Struck (SPD) in dessen VPR 2003 wieder hatte fallen lassen. Er bestätigt damit ausdrücklich die einschlägigen Äußerungen der beiden zurückgetretenen Politiker Horst Köhler (Bundespräsident) und zu Guttenberg (Verteidigungsminister). Wir sagen: Den Zugang zu Rohstoffen in fremden Ländern mit Gewalt ermöglichen zu wollen, erfüllt den Tatbestand eines Wirtschaftskrieges und ist grundgesetz- und völkerrechtswidrig.
Den freien Zugang zur Hohen See als Sicherheitsinteresse zu formulieren, ist dagegen gänzlich neu. Deshalb soll die Marine beim Abbau der Soldatenzahl von 220.000 auf 175.000 auch die geringsten Einbußen verzeichnen. Ihre relative Bedeutung soll wachsen.
Zu den Hauptaufgaben der Marine zählten bisher Seeraum- und Embargoüberwachung und der Schutz von Seeverbindungen (inkl. Piratenjagd); ergänzt werden diese Aufgaben künftig um die Unterstützung von Landkriegsoperationen durch den Beschuss von See. Dabei hat sich bereits der massive internationale Einsatz der Marine gegen Piraten am Horn von Afrika als Schlag ins Wasser erwiesen. Experten befürchten, dass 2011 sogar ein Rekordjahr in Sachen Piratenüberfälle werden wird. Fachleute sprechen davon, dass eine Verfünffachung der Kriegsschiffe auf 150 notwendig wäre, um die Piraterie im Indischen Ozean militärisch erfolgreich zu bekämpfen. Da diese Kapazitäten weltweit nicht zur Verfügung stehen, erweist sich die Strategie als gescheitert. Wir sagen: Allein zivile Konfliktlösungsansätze und sozio-ökonomische Maßnahmen an Land können nachhaltig die Piraterie bekämpfen. Die deutsche Marinerüstungsstrategie, mit neuen, lange auf See einsetzbaren Fregatten und Korvetten Pirateriebekämpfung betreiben und mit ihnen fremdes Land beschießen zu wollen, ist der falsche Weg. Die Milliarden wären in sozialen Maßnahmen besser angelegt.
Statt die Kriegführungsfähigkeit Deutschlands durch die Bundeswehrreform zu erhöhen, ist ein Paradigmenwechsel nötig. Wir lehnen die Reform ab! Die Bundeswehr gehört abgerüstet und umstrukturiert, sodass sie nicht mehr angriffsfähig ist. Dazu ist es notwendig, sämtliche Kommandobereiche, die für die Kriegsführung systemrelevant sind, aufzulösen und auf angriffsfähige Waffensysteme zu verzichten.
Die Regierung wird nicht umhin können Einschnitte in Rüstungsprogrammen vorzunehmen, um die Einsparsumme von 8,3 Milliarden Euro bis 2015 zu erbringen. Mit billigen Buchhaltungstricks Militärausgaben im Gesamthaushalt verstecken zu wollen, um so einen Beitrag zur Schuldenbremse vorzutäuschen, wird ebenso aufgedeckt werden, wie das Plagiieren von Doktorarbeiten. Im Klartext: Die Bundeswehr wird kleiner, aber teurer.
Die Friedensbewegung wird ihr Engagement gegen den zunehmenden Militärinterventionismus und die damit einhergehende Militarisierung der deutschen Außen- und Innenpolitik verstärken.
Pressemitteilung des Bundesausschusses Friedensratschlag
Für den Bundesausschuss Friedensratschlag: Peter Strutynski (Kassel) und Lühr Henken, (Berlin)
Foto: Verteidigungsminister de Maizière im Bundestag (Bundeswehr-Fotos)