23.02.2011: Sprunghaft, um 18 Prozent beziehungsweise 304,4 Milliarden Euro sind die Schulden von Bund, Länder und Gemeinden bis Ende 2010 angestiegen. Es war der "höchste absolute Zuwachs des Schuldenstandes in einem Jahr seit Bestehen der Statistik", schreibt das Statistische Bundesamt. Die Staatsverschuldung erreichte damit den Rekordstand von fast zwei Billionen Euro (1.988 Milliarden Euro) - eine Zahl mit zwölf Nullen. Jeder Bundesbürger - ob Kind ob Greis - stand damit mit 24.450 Euro in der Kreide.
Beim Bund erhöhten sich die Schulden um 21,9 % (+ 230 Milliarden Euro) auf 1.284 Milliarden Euro. Für ihn wird es zunehmend schwieriger, genügend Gläubiger für seine horrenden Schulden zu finden. Da 2011 Tilgungen für auslaufende Bundesanleihen anstehen, muss der Finanzminister 2011 neue Wertpapiere (Bundesanleihen und Schatzanweisungen) in Höhe von 302 Milliarden Euro an den Finanzmärkten platzieren. Bei den ersten Emissionen fand der Bund nicht genügend Bieter für seine Wertpapiere, weshalb Investmentbanken davon ausgehen, dass Berlin höhere Renditen als bisher bieten muss.
Die Länder waren zum 31. Dezember 2010 mit 595,3 Milliarden Euro verschuldet. Der Zuwachs betrug hier 13 Prozent = 68,6 Milliarden Euro.
Auch die Kommunen verzeichnen ein Rekorddefizit und stehen vor dem finanziellen Kollaps. Die Verschuldung der Gemeinden und Gemeindeverbände einschließlich ihrer Extrahaushalte erhöhte sich zum Ende des Jahres 2010 um 4,9 % (+ 5,6 Milliarden Euro) auf 119,4 Milliarden Euro.
Öffentliche Armut, privater Reichtum
Die Relation der gesamten Staatsverschuldung zum BIP erreichte Ende 2010 80,0 %. Vor der Finanzkrise, Ende 2007 waren es "nur" 65 Prozent.
Wesentlich zum Anstieg beigetragen haben nach Angaben des Statistischen Bundesamtes die Staatshilfen für die Banken, insbesondere die 2010 neu gegründeten bzw. in Geschäftsbetrieb gegangenen "Bad Banks". Allein "die Übertragung von Risikopapieren der Hypo Real Estate in die FMS Wertmanagement sowie die Stützungsmaßnahmen der Ersten Abwicklungsanstalt für die WestLB erhöhten den Schuldenstand zum Jahresende um 232,2 Milliarden Euro", schreiben die Statistiker (pressemitteilung, 21.2.11).
Die Banken aber, die zu Lasten der Steuerzahler gerettet wurden, verdienen prächtig an der ganzen Rettungsaktion. Allein der Bund muss zur Bedienung seiner Schulden in diesem Jahr über vierzig Milliarden Euro an Zinsen an seine Gläubiger bezahlen. Pro Bundesbürger sind das knapp 500 Euro. Der Zinsendienst ist der zweitgrößte Etatposten - jeder achte Euro des Bundeshaushalts geht dafür drauf (12 Prozent). Es handelt sich dabei gewissermaßen um regelmäßige staatliche Transferleistungen an Banken und Geldbürger. Man kann es auch als die dritte Umverteilungsrunde zugunsten von Kapital und Reichen bezeichnen: Und zwar nach der Primärverteilung, die sich immer mehr zugunsten der Gewinn- und Vermögenseinkommen verschiebt; nach der fiskalpolitischen Umverteilung, die Spitzenverdiener, Bezieher von Gewinneinkommen und Erben/Vermögende immer mehr entlastet und Lohnsteuerzahler und Verbraucher (Mehrwertsteuer) immer mehr belastet. "Bei einer ständig steigenden Verschuldung muss auch bedacht werden, dass die Gläubiger des Staates in erster Linie oberen Einkommensschichten entstammen. So wird durch Zinszahlungen in jeder Periode Einkommen von der großen Gruppe der durchschnittlich wenig verdienenden Steuerzahler (Träger der Zinslast) zur kleinen Gruppe der im Durchschnitt hochverdienenden Zinsempfänger umverteilt, ein verteilungspoltisch fragwürdiges Ergebnis", heißt es in "Die Wirtschaft Heute" ( Meyers Lexikonverlag).
Und Stefan Bach vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) schreibt: "Die Schulden des einen sind die Forderungen des anderen. Die Staatsverschuldung bietet den privaten Sektoren der Volkswirtschaft breite und (zumindest bisher) sichere Anlagemöglichkeiten" (DIW-Wochenbericht, 50/2010, S. 6). In seiner Untersuchung zu "Staatsverschuldung und gesamtwirtschaftliche Vermögensbilanz" kommt er zu dem Ergebnis, dass zunehmende Staatsverschuldung und wachsende Geldvermögen miteinander korrespondieren. "Öffentliche Armut, privater Reichtum" … "diese Beschreibung passt auch auf die Entwicklungstrends von Staatsverschuldung und Staatsvermögen einerseits sowie Privatvermögen andererseits über die letzten Jahrzehnte in Deutschland. Während die privaten Vermögen beträchtlich gestiegen sind, wurde die staatliche Vermögenssubstanz zunehmend ausgezehrt" (ebenda, S. 8).
Sparpaket: Soziale Kriegserklärung
Um das gigantische Haushaltsdefizit des Bundes zu schrumpfen und die von der Großen Koalition im Grundgesetz verankerten "Schuldenbremse" einzuhalten, verabschiedete die schwarz-gelbe Koalition Mitte des Jahres 2010 das "größte Sparpaket in der Geschichte der Bundesrepublik" (FAZ). Damit sollen bis 2014 über 80 Milliarden Euro eingespart werden, davon 32 Milliarden Euro im Sozialbereich und 13 Milliarden Euro durch Stellenstreichungen und Gehaltskürzungen im Öffentlichen Dienst. Im Sozialbereich sind vor allem Arbeitslose und Hartz-IV-Empfänger betroffen. Heribert Prantl von der SZ (9.6.10) sieht darin einen "Verstoß gegen das Verursacherprinzip. Die Suppe, die die sozial Schwachen jetzt auslöffeln sollen, haben ganz andere eingebrockt". Diese aber werden nicht oder wie die Banken, nur mit "Peanuts" zur Kasse gebeten. "Das Sparpaket der schwarz-gelben Koalition erspart sich jedwede Mehrbelastung der Gut- und Sehr-Gut-Verdiener. Es erspart sich jedwede Belastung der Hochvermögenden und der Millionenerben. … Es erspart sich den Zugriff auf diejenigen, die das Desaster auf den Finanzmärkten angerichtet haben".
Mit ganzen zwei Milliarden Euro pro Jahr sollen die Banken sich an den Kosten der Finanzkrise beteiligen. Zwei Milliarden - soviel streicht allein die Deutsche Bank in einem guten Quartal an Profit ein: unter anderem aus Zinsen von Bundesobligationen und aus der Emission und dem Handel mit Staatsanleihen.
Insgesamt werden Banken und Unternehmen so gut wie nicht mit dem Sparpaket belastet. Was hier zu "Lasten" des Kapitals aufgeführt wird, sind Augenwischereien, Luftnummern und Mogelpackungen. Die Peanuts der Banken sollen erst ab 2012 bezahlt werden, in welcher Form ist noch gar nicht festgelegt. Die Brennelementesteuer (2,3 Milliarden Euro pro Jahr) ist Teil des Deals mit den Atomkonzernen im Hinblick auf die Laufzeitverlängerung der Atommeiler. Die Atomindustrie profitiert mit 6 bis 8 Milliarden pro verlängerten Laufjahr. Von der Ökosteuer bleibt ein Betrieb verschont, sofern er nachweisen kann, im globalen Wettbewerb zu stehen. Die ökologische Luftverkehrsabgabe wird auf die Passagiere abgewälzt. Die Bahndividende geht zu Lasten von notwendigen Investitionen bei der Bahn (Winterchaos). Und bei der Kürzung der Militärausgaben ab 2013 handelt es sich um eine reine Luftbuchung.
Die Kürzungen im Sozialbereich gehen dagegen voll zu Lasten der Arbeitslosen, der Hartz-IV-Eltern und anderer Eltern. Insbesondere die massiven Kürzungen bei den Arbeitsmarktinstrumenten leiten einen sozialpolitischen Systemwechsel ein. Prantl: "Aus bisherigen Pflichtleistungen sollen Ermessensleistungen werden; die Job-Agenten sollen nach eigenem Gutdünken entscheiden, ob sie Leistungen gewähren oder nicht. Das ist der Einstieg in die Umwandlung des Sozialstaats in einen Almosenstaat".
Text: Fred Schmid
(Vorabdruck aus isw-wirtschaftsinfo 44, Bilanz 2010 - Ausblick 2011; erscheint Anfang April 2011)
Foto: Bundes der Steuerzahler
(Die Schuldenuhr des Bundes der Steuerzahler berücksichtigt jetzt auch die öffentlichen Schulden, die aus den neu gegründeten staatlichen „Bad Banks“ resultieren. Der BdSt folgt damit einer Entscheidung des Statistischen Bundesamts. Mehr dazu hier)