20.02.2012: Unter dem Motto "Die große Transformation. Neue Modelle schaffen" hatten sich Ende Januar Konzernbosse und SpitzenpolitikerInnen im schweizerischen Davos zum Weltwirtschaftsforum versammelt. Der Kapitalismus könne nicht bleiben wie er ist, sagte Klaus Schwab, der Davos Gründer. Zeitgleich schallte aus dem 12.000 km entfernten Porto Alegre die Antwort über den Atlantik: "Wir sind die 99 Prozent des Planeten, gegen ein Prozent der Reichen". Das Weltsozialforum tagte unter dem Motto "Kapitalistische Krise, soziale und ökologische Gerechtigkeit - Eine andere Welt ist möglich" an dem Ort, an dem es vor elf Jahren begonnen hatte.
Davos war früher ein Luftkurort für Lungenkranke und Schwindsüchtige. Jetzt kommen alljährlich die "Eliten" der Weltwirtschaft und die SpitzenpolitikerInnen ins entlegene Graubündner Alpental, um über den Kapitalismus zu diskutieren. 40 Staats- und Regierungschefs, 1.600 Unternehmer und Minister aus 19 der G20-Länder waren es diesmal. Wurde bei den früheren Treffen die neoliberale Globalisierung in Siegerlaune gefeiert, so standen diesmal der kranke Euro, die Schwindsucht der Weltwirtschaft, die Krise des Kapitalismus und die Angst vor Rezession und Depression auf der Tagesordnung. "Wir sind das Sanatorium der Welt", versuchte der Gründer des Davoser Weltwirtschaftsforums (WEF), Klaus Schwab, bei der Eröffnung zu beruhigen.
Das System ist längst überholt
"Das System, das uns in die Krise geführt hat, ist längst überholt, aber wir verleugnen diese Realität zu unserem eigenen Nachteil", hatte er allerdings in einem Interview mit der Financial Times Deutschland in Vorbereitung des WEF noch geäußert. Kritische Diskussion seien durchaus notwendig, meinte er mit Blick auf die Occupy-Bewegung, jedoch würden die "Proteste dann gefährlich, wenn sie als Klassenkampf angesehen werden". Arthur Rubinstein, Mitbegründer des US-Finanzinvestors Carlyle, war in Davos dann ebenfalls der Meinung: "Das Spiel ist bald aus für die Art des Kapitalismus, die wir bisher erlebt haben. Wir haben dafür drei bis vier Jahre, um unsere Probleme zu lösen."
Doch außer Reden über einen "grünen" und "nachhaltigen Kapitalismus" und eine bessere Regulierung der Finanzmärkte blieb die Frage, wie die "neuen Modelle" des Kapitalismus denn aussehen könnten, auf dem Davoser Treffen doch noch ziemlich im Allgemeinen und umstritten.
Zwar bekam jede TeilnehmerIn die Tagungsunterlagen in einer Tasche mit der Aufschrift "Entschlossen, den Zustand der Welt zu verbessern", aber diesen liegt dann doch mehr am Herzen, diese "drei bis vier Jahre" zu nutzen, um die Welt noch besser auszubeuten.
Gescheiterte Rezepte werden jetzt für Europa vorgeschlagen
Zeitgleich trafen sich in Porto Alegre, Brasilien, die HerausforderInnen dieser ungerechten Weltwirtschaftsordnung. Im Jahr 2001 hatte hier das erste Weltsozialforum (WSF) stattgefunden. In diesen elf Jahren hat sich die Welt gewandelt. So hat Brasiliens Präsidentin Dilma Rousseff die Einladung zum Kapitalisten-Treffen in der Schweiz ausgeschlagen und war nach Porto Alegre gereist.
"Unsere Länder opfern angesichts des Drucks von Finanzgruppen und Ratingagenturen nicht ihre Souveränität", sagte sie dort und verwies darauf, dass in Lateinamerika "ein Pol von Entwicklung und Demokratie" aufgebaut werde. Lateinamerika finde "progressive und demokratische Antworten auf die internationalen Ungleichgewichte", während der Sparzwang zu Arbeitslosigkeit, Ausländerfeindlichkeit, Autoritarismus und einer Lähmung des Kampfes gegen die Klimakatastrophe führe. "Wir kennen diese Geschichte aus den 80er und 90er Jahren, als das neoliberale Modell unser Land in die Stagnation geführt hat, zum Verlust demokratischen und souveränen Raumes, als Armut, Arbeitslosigkeit und sozialer Ausschluss vertieft wurden. Heute werden diese gescheiterten Rezepte in Europa vorgeschlagen", warnte sie und rief zum Widerstand gegen die neoliberale Politik auf.
"Die große Transformation" stand auch in Porto Alegre auf der Tagesordnung. Der Chef der Welternährungsorganisation FAO erklärte: "Der Kampf gegen den Hunger ist nicht ein Kampf einer einzelnen Regierung. Es ist die Gesellschaft, die vereint entscheidet, dass der Hunger aufhört." Damit der Hunger aufhört, müsse der neoliberale Kapitalismus überwunden werden - diese Einsicht einigt das vielfältige Volk des WSF.
Die ökologische Frage hatte bei diesem Treffen einen höheren Stellenwert. Geht es doch auch darum, für den im Juni in Rio anstehenden UN-Umweltgipfel "Rio+20" ein Alternativprogramm zu erarbeiten. Der portugiesische Soziologe Boaventura Sousa Santos warnte in Porto Alegre, "Rio+20" werde lediglich den Kapitalismus bestätigen. Ein "grüner Kapitalismus" sei keine Lösung für die Probleme der Armen, der Umwelt oder der Menschenrechte. "Wir müssen andere ökologische, postkapitalistische Modelle finden."
Hugo Braun, Mitglied des Koordinierungskreises von Attac Deutschland und des Internationalen Rates des Weltsozialforums, sagte in einem Interview mit dem ZDF: "Vergleichen wir die Umweltsituation mit der vor 20 Jahren, so müssen wir konstatieren, dass es leider viel schlimmer statt besser geworden ist. Wir strapazieren die Erde maßlos. Dabei zeigt sich, dass das marktwirtschaftliche System offensichtlich nicht in der Lage ist, unsere größten Probleme zu lösen. Das Streben nach Profiten und Gewinnmaximierung kann die Umwelt nicht retten." Und weiter: "Es geht darum, welches Wachstum wir fördern und wofür wir unsere endlichen Ressourcen einsetzen. Für die Rüstungsindustrie etwa werden riesige Milliardensummen völlig unnütz verpulvert! Dazu kommen die Unsummen von Produkten, die kein Mensch wirklich braucht, die nur ein oberflächliches Konsumbedürfnis befriedigen. Dagegen brauchen wir Wachstum bei der Bildung, beim Ausbau des Gesundheitswesens und der ökologisch verträglichen Landwirtschaft. Wir brauchen einen Systemwechsel! Wir müssen Alternativen zum krisengebeutelten Kapitalismus entwickeln und uns fragen, welche Zukunft wir wollen. Wie wollen wir zusammenleben? Wie wollen wir den Hunger beenden in einer an sich reichen Welt? Wie wollen wir nachhaltig und fair miteinander wirtschaften? Wir wissen aber bereits, dass im Mittelpunkt des neuen Systems eine solidarische, Ressourcen schützende Ökonomie stehen muss. Jeder soll eine faire Lebenschance bekommen - unabhängig davon, wo er geboren wurde. Das heißt: Es geht auch um die Verteidigung elementarer Menschenrechte. In dieser Programmdiskussion befinden wir uns."
Grüner Kapitalismus keine Lösung
In der Abschlusserklärung der Versammlung der sozialen Bewegungen (Anlage) wird die Schlussfolgerung gezogen:
"Die globale Erwärmung ist das Ergebnis des kapitalistischen Systems der Produktion, der Verteilung und des Verbrauchs. Transnationale Konzerne, Finanzinstitutionen, Regierungen und internationale Institutionen, die dem System dienen, wollen die Treibhausgase nicht reduzieren. Jetzt versuchen sie, die "grüne Ökonomie" als Lösung für die Umwelt- und Lebensmittelkrise durchzusetzen, was das Problem nicht nur verschärft, sondern auch zur weiteren Vermarktung, Privatisierung und Kapitaldurchdringung des Lebens führt. Wir weisen all diese falschen 'Lösungen' dieser Krisen zurück, einschließlich Biosprit, GMOs, Geoingeneering und Kohlenstoffmärkten, weil sie alle nur neue Masken des Systems sind.
(...)
Wir erklären, dass die Menschen nicht weiterhin für diese Systemkrise bezahlen müssen und dass es keine Lösung innerhalb des kapitalistischen Systems gibt!
Auf der Tagesordnung stehen massive Herausforderungen, die von uns verlangen, unsere Kämpfe und unsere Massenmobilisierungen zu vernetzen.
Inspiriert durch die Geschichte unserer Kämpfe und die Stärke von Bewegungen wie dem Arabischen Frühling, Occupy Wall St., den "Empörten" und den Kämpfen der chilenischen Studenten, ruft die Versammlung der Sozialen Bewegungen die Volkskräfte und die Aktivisten aller Länder auf, zu Aktionen zu mobilisieren, die weltweit koordiniert werden, um zur Emanzipation und zur Selbstbestimmung der Menschen beizutragen und den Kampf gegen den Kapitalismus zu verstärken."
txt: lm
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