24.11.2010: Noch während die 6. Faktenschlichtung stattfand, versammelten sich letzten Samstag wieder über 15.000 Kundgebungsteilnehmer gegen das Projekt Stuttgart 21 vor dem Stuttgarter Hauptbahnhof. Diesmal unter dem Motto "Schwarzer Donnerstag - Wir klagen an!" in Erinnerung an den brutalen Polizeieinsatz im Stuttgarter Schlossgarten am 30. September. Zeitgleich fand eine Kundgebung der Projektbefürworter inmitten der Fußgängerzone statt. Viel Prominenz war aufgefahren worden. Neben Bahnchef Grube sprachen die FDP-Fraktionschefin im Bundestag, Birgit Homburger, der Bundesentwicklungsminister Dirk Niebel (FDP)und der Unions-Fraktionschef im Bundestag, Volker Kauder (CDU). Abgesagt aber hatte der Betriebsratsvorsitzende von Porsche, Uwe Hück.
Ob aus eigener Einsicht, oder ob es Signale aus der IG Metall waren, jedenfalls schien es Huck vorzuziehen, sich nach der machtvollen Kundgebung des DGB am 13.11.2010 in Stuttgart nicht demonstrativ in die Reihen der Befürworter zusammen mit der Bundesprominenz einzuordnen. Auf der Kundgebung hat zwar kein direkter Vertreter des Aktionsbündnisses gegen Stuttgart 21 sprechen können, aber der IGM.-Vorsitzende Huber unterstützte die Forderung nach einer Volksbefragung zu Stuttgart 21 und der DGB-Landeschef machte noch einmal deutlich, „als Dachverband der Gewerkschaften unterstützen wir das Aktionsbündnis gegen Stuttgart 21 – das wissen viele nicht.“
Das Kräfteverhältnis der Kundgebungsteilnehmer pro und contra kann durchaus zum Maßstab genommen werden, dass es Grube und Ministerpräsident Mappus nicht gelungen ist, über die Faktenschlichtung die Stimmung zu drehen. Das Gegenteil scheint der Fall zu sein. Zu offensichtlich trat zu Tage, dass die Bahn nicht sachlich begründen kann, warum sie 12 Mrd Steuermittel für Stuttgart 21 und die Neubaustrecke vergraben will, die dann woanders fehlen. Stuttgart 21 ist und bleibt eine Immobilienspekulation, mit dem die Bahn die Bilanz für einen Börsengang aufhübschen will und bei der die Stadt und das Land über die Spekulation mit den Grundstücken selber verdienen und anderen riesige Profite sichern will. Allein das Investitionsvolumen für die freiwerdenden innerstädtischen Flächen beläuft sich auf über 10 Mrd Euro.
Bei der nächsten Schlichtung soll nun über die Kosten geredet werden. Es scheint unwahrscheinlich, dass die Bahn und der Bund wirklich die Fakten auf den Tisch legen werden. Zuviel ist vorher schon verschleiert und gelogen worden. So musste Verkehrsminister Ramsauer auf Einspruch des Bundesrechnungshofes zugeben, dass der Rechnungshof "nie sein Einvernehmen" zu den Finanzierungsverträgen für Stuttgart 21 und die ICE-Neubaustrecke nach Ulm erklärt hat. Dann musste die Bahn zugeben, dass die Kontrolleure des Eisenbahn-Bundesamts (Eba) der Bahn mit einem Schreiben bereits vom 7. September die Freigabe in finanzieller Hinsicht für den Bau von 2 Tunnel im Umfang von 830 Millionen Euro versagt haben. Der Grund: die Gesamtfinanzierung des Vorhabens sei zum jetzigen Zeitpunkt nicht gesichert. Ohne den öffentlichen Druck wäre dieses Dokument nicht dem „Stern“ zugespielt worden.
Dann konnten die Grünen mit einem Gutachten belegen, dass die finanziellen Zuwendungen des Landes für die Neubaustrecken nicht Rechtens sind. Der Staatsrechtler Hans Mayer sieht es als verfassungswidrig an, dass das Land sich mit seinem Geld an Aufgaben des Bundes beteiligt. Das Land will sich mit 824 Millionen um Tiefbahnhof und mit 950 Millionen Euro an der Neubaustrecke beteiligen. Weitere 600 Mio hat Mappus als Zuwendungen für die Rheintal-Trasse zugesagt, die wegen Geldmangels auf Grund von Stuttgart 21 nicht gebaut werden kann.
Jetzt hat der Stern veröffentlicht, dass in der nichtöffentlichen BAST (Betriebliche Aufgabenstellung) aus dem Jahr 2002 die Kosten bereits mit 4,2 Mrd angegeben worden sind. Die Erklärung der Bahn: Es handelt sich um einen redaktionellen Fehler im Zusammenhang mit der Währungsumstellung von DM auf Euro im Jahr 2002. Korrekt hätte es 4,2 Mrd DM heißen müssen. Projektkritiker weisen aber darauf hin, dass auch die umgerechneten Beträge nicht mit den damals gültigen Zahlen übereinstimmten. Denn bereits 1996 wurdendie Kosten mit 4,893 Mrd. DM angegeben.
Die drei Wirtschaftsprüfungsgesellschaften Pricewaterhouse-Coopers (PWC), SUSAT sowie die Märkische Revision sollen nun die Wirtschaftlichkeitsberechnung der Deutschen Bahn AG für das Projekt Stuttgart 21 unter die Lupe nehmen, auch die Kosten für die Neubaustrecke Wendlingen–Ulm. Direkte Einblicke in die Wirtschaftlichkeitsberechnungen verweigert die Bahn nicht nur den Teilnehmern der Faktenschlichtung, sondern auch den Mitgliedern des Verkehrsausschusses des Bundestages.
Offen bleibt auch die Frage, wie Bahnchef Grube Ende 2009 ein Einsparungspotezial von 900 Mrd Euro versprechen konnte, um unter die definierte Obergrenze von 4,5 Mrd zu kommen. Jetzt wurde bekannt, dass die Wirtschaftsprüfer von PWC erst im April dieses Jahres den Auftrag erhielten, die geplanten Einspareffekte zu berechnen. Hätte Grube diesen Taschenspielertrick nicht angewendet, hätte das Projekt zu diesem Zeitpunkt eingestellt werden müssen, weil nach Berechnungen der Bahn zu diesem Zeitpunkt Stuttgart 21 bei 4,9 Milliarden Euro plus Planungskosten gelegen hatten.
Von dem „bestgeplanten und durchgerechneten“ Projekt bleibt nach den Faktenschlichtungen nicht viel übrig. Schon jetzt gibt Mappus die Losung aus, dass die aufgedeckten Fehler beseitigt werden sollen. Dafür sollen dann aber die Projektgegner die Mehrkosten mittragen. Am nächsten Dienstag will Heiner Geisslernach der 9. und letzten Faktenschlichtung seinen Schlichterspruch verkünden. Dann endet auch die sogenannte Friedenspflicht für die Bahn, d.h. , die Bahn will dann wieder mit Baumassnahmen beginnen, um weitere Fakten zu schaffen.
Für den 11. Dezember ruft das Aktionsbündnis auf zur überregionale Großkundgebung und Demonstration unter der Losung „Stuttgart ist überall – NEIN zu Stuttgart 21“
Text: mami
Neuerscheinung: Stuttgart 21 – Oder: Wem gehört die Stadt
Herausgeber sind Volker Lösch / Gangolf Stocker / Sabine Leidig / Winfried Wolf
Mit einem Vorwort von Walter Sittler.
Das Buch ist eine eine Mischung aus hintergründigen Beiträgen von Experten, scharfsinnigen journalistischen Beschreibungen, Fakten, Argumenten, Alternativen; und Einblicken in die Entstehung und die bewegende Wirklichkeit des Protestes gegen Stuttgart 21.