12.09.2022: Eine internationale Forschergruppe ist kürzlich zu dem Ergebnis gekommen, dass viele der Kippelemente wohl noch empfindlicher auf die Erderhitzung reagieren als anfangs gedacht. Bereits bei einer Erwärmung von 1,5 Grad würden mehrere Kipppunkte überschritten ++ isw-report zu Klimazerstörung, Verhandlungen und Ansätzen zur Überwindung der Klimakatastrophe ++ isw-forum am 24. September: "Klima-Imperialismus Planetarische Ausbeutung und Neo-Kolonialismus"
"Mit der Stabilität des Klimas, die gut zehntausend Jahre lang im Holozän gehalten hat, ist es womöglich schon jetzt endgültig vorbei. "Die Gefahr rückt schneller näher als gedacht", heißt es in der Neubewertung einer internationalen Forschergruppe, die sich seit 2008 mit den Risiken von irreversiblen, möglicherweise abrupten Veränderungen – den Klima-Kippelementen – beschäftigt. Die Erde habe mit der aktuellen Erwärmung von 1,1 Grad über dem vorindustriellen Niveau einen "sicheren" Klimazustand bereits verlassen, und schon bei der im Pariser Klimavertrag angepeilten Erwärmung um 1,5 Grad würden mehrere Schwellenwerte mit einiger Wahrscheinlichkeit überschritten, warnen die Forscher. Dies führe womöglich dazu, dass fünf der mittlerweile sechzehn Kipppunkte des Weltklimas unwiederbringlich aus dem Gleichgewicht geraten." [1]
Jedes Jahr, jeder Monat, jede Woche, jeder Tag, jede Stunde, die vergeudet wird, werden nicht mehr rückholbar sein bezüglich der Erderwärmung. In den vergangenen dreißig Jahren fanden 26. Klimakonferenzen statt. Doch der Globus steuert nahezu unaufhaltsam auf die Klimakatastrophe und das nächste Massenaussterben zu.
"Das höherrangige Gut, das uns als Menschen vereint, wäre eigentlich das Überleben als Gattung, doch sie rufen keinen Klimanotstand aus, bekämpfen lieber einander, reden nicht miteinander, teilen die Welt lieber machtpolitisch neu ein, rüsten auf, leben im Vorgestern, während sie durch die Gegenwart stolpern und die Zukunft faktisch aufgeben.
Keine Demokratie wird das überleben, keine Autokratie, keine Diktatur, keine Nation und keine zivilisierte Gesellschaft. Es wird, wenn es überhaupt noch gehen sollte, nur noch in Kooperation gehen, niemals in wirtschaftlicher, kriegerischer oder gesellschaftlicher Konkurrenz", schreibt Robert Zion in einem Kommentar. "Vor dem sechsten Massenaussterben der Erdgeschichte habe ich keine Angst, auch nicht vor dem Ende dieser Plunder- und Plünderökonomie. Sehr wohl aber davor, dass man sich solch ein hohles Geseiere von Leuten, die es jahrzehntelang komplett verkackt haben, wohl zukünftig als ständige Begleitmusik antun muss. Nichts kapiert, nichts gemacht - und die Klappe werden sie trotzdem nicht halten. Die ändern nur ihre Phrasen, während die Welt weiter mit Konsumplunder, Dreck und Waffen vollgestopft wird."
In dieser Situation gibt der isw-report »Vom "Rio-Erdgipfel“ bis Glasgow – 30 Jahre in Etappen in die Klimakatastrophe« einen Überblick wie es nach 26 Klimakonferenzen um das Klima bestellt ist. Was müsste geschehen, um das 1,5-Grad-Ziel noch zu erreichen, den Klimakollaps zu verhindern?
* Willy Sabautzki gibt einen Überblick über die Beschlüsse der Klimakonferenzen und die Berichte des IPCC.
* Helmut Selinger plädiert für eine Neuausrichtung der Klimaverhandlungen und stellt ein Berechnungsmodell für die konkreten Klimaschulden vor. (Leseprobe)
* Franz Garnreiter: Klimazerstörung in Zeiten zunehmender sozialer Spaltung und zügelloser Militarisierung.
* John P. Neelsen: Indien – von nachholender zu nachhaltiger Entwicklung?
* Christian Zeller: Ökologische Schuld anerkennen und fossile Industrie zurückbauen – Ansätze zur Überwindung der Klimakatastrophe.
isw-report 129
Vom "Rio-Erdgipfel2 bis Glasgow – 30 Jahre in Etappen in die Klimakatastrophe
36 Seiten
4,00 Euro zzgl. Versand
hier bestellen: https://www.isw-muenchen.de/produkt/report-129/
Leseprobe
Helmut Selinger
Klimaschutz als weltumspannendes Handeln
Neuausrichtung der Klimaverhandlungen – Berechnungsmodell konkreter Klimaschulden
Das Klimasystem ist ein über die ganze Erde, d.h. über alle Kontinente und Polargebiete verteiltes und die verschiedenen Sphären – von den Landmassen und den jeweils dazugehörenden Biosphären über die verschiedenen Weltmeere und Polargebiete bis zur globalen Atmosphäre in den unterschiedlichen Höhen, über Troposphäre und Stratosphäre – umfassendes, vielfältig miteinander verwobenes System.
Wie sich aus dieser Tatsache völlig logisch ergibt, ist und kann der Kampf gegen die vom Menschen verursachte substantielle Änderung dieses Klima-Systems nur ein internationaler, die ganze Erde umspannender Kampf sein.
Insofern ist die unmittelbar nach dem 1. IPCC-Bericht 1990 folgende Aktivität der Vereinten Nationen – der "Erdgipfel" in Rio de Janeiro 1992 mit fast allen Staaten der Erde als Teilnehmer – die völlig richtige Reaktion der Menschheit auf diese neu erkannte globale Problematik gewesen. Und auch die in Rio verabschiedete Klimarahmenkonvention und die danach und daraus etablierte Dynamik der jährlichen Klimagipfel waren zunächst der logische und folgerichtige Weg, um das Problem des Klimawandels als globales Problem anzugehen. Leider waren die zeitliche und immer mehr auch die inhaltliche Konsequenz und Zielstrebigkeit der Aktivitäten zunehmend aufgrund systemischer Widerstände und Unzulänglichkeiten viel zu gering und sind bis heute gegenüber dem riesigen Problem des Klimawandels blamabel unangemessen.
Inzwischen gab es nun schon 26 (!) derartige Klimagipfel – aber die THG-Emissionen steigen weiter und weiter.... Stattdessen müssten die Emissionen nach aller wissenschaftlicher Erkenntnis stark abnehmen, um baldmöglichst völlig zu verschwinden bzw. Netto Null zu erreichen, damit die akkumulierte THG-Menge in der Atmosphäre nicht mehr zunimmt und so die Klimaerwärmung aufgrund des menschengemachten Treibhauseffektes gestoppt wird. Es besteht also eine zunehmend größere Lücke zwischen der dringenden Notwendigkeit zu einer drastischen Abnahme der globalen THG-Emissionen bis auf Null und der traurigen Realität sogar noch weiter zunehmender THG-Emissionen.
Dadurch treibt die menschengemachte Klimaerwärmung weiter auf eine globale Klimakatastrophe und viele chaotische Zustände in allen Regionen der Erde zu. Wie oben schon dargestellt, sind schon viel zu viele Jahre verstrichen, insbesondere auch durch eine völlig unzureichende und gescheiterte internationale Klimapolitik.
Verbindliche internationale Klimaverhandlungen – Klimaschulden – Berechnungsmodell
Um die Klimakatastrophe in Zukunft dauerhaft abzuwenden, ist sicher eine tiefgreifende antikapitalistische revolutionäre Änderung der gesamten globalen Wirtschafts- und Gesellschaftsweise notwendig. Dazu bedarf es aber wahrscheinlich einer längeren Phase revolutionärer Umbrüche und Kämpfe. (Siehe dazu Christian Zeller im letzten Kapitel) Da der Klimawandel aber schon in großem Umfang begonnen hat, braucht es schnelle Klimaschutz-Maß-nahmen – gerade auch auf internationaler Ebene, die eine globale Wirkung in relevanter Größenordnung entfalten können.
Ein Vorschlag, der sehr schnell umgesetzt werden könnte und die vorhandenen Strukturen der internationalen Klimapolitik im Rahmen der UNFCCC nutzt, soll im Folgenden dargestellt und beschrieben werden:
Ein erster Schritt zu einer solchen neuen internationalen Klimapolitik wäre eine grundsätzliche Veränderung der Art und Weise und der Methode der internationalen klimapolitischen Konferenzen und Verhandlungen:
Zunächst ist das Prinzip der Freiwilligkeit und der relativen Unverbindlichkeit in der internationalen Klimapolitik grundsätzlich in Frage zu stellen und zu verändern. Angesichts der Klima-Notstandsituation auf der Erde sollte es nicht mehr zulässig sein, dass nach dem Einstimmigkeitsprinzip ein einzelner Staat einen vernünftigen Mehrheitsbeschluss blockieren kann. Es sind wirklich mehr als genug am Ende unverbindlicher Appelle ergangen und frommer Reden gehalten. Es sollte also darum gehen, dass effektive und sanktionsbewehrte Klima-Maßnahmen mit Mehrheit global durchgesetzt und nicht durch einige wenige Staaten blockiert werden können.
Bisher ist es so, dass viele Entwicklungsländer oft demütig bitten, dass die Industrieländer ihre viel zu geringen Versprechen doch etwas erhöhen bzw. in Zukunft ihre kleinen, früher gegebenen Versprechungen überhaupt einhalten. Man kämpft diplomatisch um Worte, z.B. ist die sog. CBDR-Wendung (Common but Differentiated Responsibilites) lediglich eine höfliche aber letztlich unverbindliche Umschreibung, dass die reichen Länder eine viel größere Schuld an dem menschengemachten Klimawandel haben – aufgrund ihrer enorm hohen Emissionen in der Vergangenheit und leider auch noch heute (s.u.) – und deshalb eine sehr viel höhere Verantwortung zur Bewältigung der Klimakrise in all ihren Facetten und eigentlich konkret bezifferbare Klimaschulden tragen müssen.
In Zukunft sollten also nicht mehr nur höfliches Bitten und freiwillige "Zugeständnisse", sondern angesichts des weltweiten Klima-Notstandes handfeste Verpflichtungen die Dynamik der Klimapolitik bestimmen. Die Verpflichtungen einzelner Staaten müssen im Kern auf neutralen, transparent, objektiv und wissenschaftlich für alle Staaten analog gültigen Kriterien beruhen.
28. isw-forum: Klima-Imperialismus Planetarische Ausbeutung und Neo-Kolonialismus
Samstag, 24. September 2022
Uhrzeit: 13-18:00 Uhr
Ort: im EineWeltHaus München, Gr. Saal E01 Schwanthalerstr. 80, Rgb. (U4/5 Theresienwiese)
und online via Zoomkonferenz (Meeting-ID: 869 9613 3952)
In der aktuellen Auseinandersetzung um Klimaschutzmaßnahmen wird klar, dass diese zu Lasten des globalen Südens und der dort lebenden Menschen gehen werden. Die Lebensweise unter kapitalistischen Produktions- und Lebensbedingungen führt zu einer Externalisierung der Folgeschäden. Dazu zwei Beispiele: Die Ampel-Koalition will bis 2030 den Strombedarf zu 80% aus sog. Erneuerbaren Energien decken. Dies geht nur durch Energieimporte, etwa aus geplanten Sonnenkraftwerken in afrikanischen Ländern. Durch die mit Milliardensummen finanzierten Exklaven der Energieproduktion werden die Menschen vor Ort ihres Territoriums und ihrer Bewegungsfreiheit beraubt. Das Landgrabbing wird sich weiter beschleunigen. Der zunehmende Bedarf von Lithium und Kupfer für die Elektromobilität, unser „grüner“ Umbau, führt in den exportierenden Ländern in Lateinamerika zu massiven Schäden und konterkariert deren Bemühungen um Umweltschutz.
- Prof. Dr. Ulrich Brand, Politikwissenschaftler und Autor
Klima-Imperialismus – seine Bedeutung für das Nord-Süd-Verhältnis - Kathrin Hartmann, Freie Schriftstellerin, Rechercheteam “Die Anstalt”, Autorin
Externalisierung von Klimaschutzmaßnahmen und ihre Bedeutung für den globalen Süden - Dr. Kerem Schamberger, Kommunikationswissenschaftler, isw, Mitarbeiter bei medico international
Fluchtursache Klimakatastrophe – wie die Welt durch den globalen Kapitalismus unbewohnbar gemacht wird
Anmerkungen
[1] FAZ, 8.9.2022: Hat die Erde den „sicheren“ Klimazustand schon verlassen?
https://www.faz.net/aktuell/wissen/klimawandel-1-5-grad-ziel-kann-den-kollaps-wohl-nicht-verhindern-18302840.html