10.11.2017: Während in der Großen Halle des Volkes in Peking der Parteitag der KP Chinas tagte, warnte der Gouverneur der chinesischen Zentralbank, Zhou Xiaochuan, vor dem Ausbruch einer neuen Finanzkrise. Der derzeit an den Finanzmärkten zu beobachtende "exzessive Optimismus" könnte sich in einem "Minsky-Moment" entladen, so Zhou.
"Wenn es in einer Volkswirtschaft zu viele prozyklische Faktoren gibt, dann werden zyklische Schwankungen verstärkt und es kommt zu einem exzessiven Optimismus. Die Gegenkräfte akkumulieren sich und führen dann schlussendlich zu einem sogenannten Minsky-Moment", sagte Zhou am Rande des 19. Parteikongresses der Kommunistischen Partei Chinas.
Zhou bezieht sich dabei auf den 1996 verstorbenen US-amerikanischen Linkskeynesianer Hyman Minsky, der einmal sagte: "Stabilität führt zu Instabilität. Je größer und je länger die Stabilität ist, umso unstabiler wird alles, wenn die Krise eintritt." Der Begriff 'Minsky-Moment' bezeichnet einen plötzlichen Einbruch nach einer langanhaltenden Phase steigender Preise. Zu den häufigsten Auslösern solcher Marktzusammenbrüche gehören Währungsschwankungen und zu hohe Schuldenstände. Insbesondere in China sei ein starker Zuwachs bei den Schulden von Unternehmen und Bürgern zu verzeichnen, sagte Zhou. Der Internationale Währungsfonds schätzt, dass die gesamte Schuldenlast des nichtfinanziellen Bereichs in China bis zum Jahr 2022 das Dreifache der gesamten Wirtschaftsleistung erreichen wird. Im vergangenen Jahr soll das Niveau bei etwa 2,4 gelegen haben.
Die chinesische Regierung werde das Risiko plötzlicher Anpassungen bei den Blasen von Anlagepreisen kontrollieren und den Kampf gegen die im Land weit verbreiteten finanziellen Schneeballsysteme weiterführen. "Wir sollten uns darauf fokussieren, eine dramatische Anpassung zu verhindern", sagte Zhou. Als Anhänger von Minsky denkt er, dass zu hohe Schulden einen Finanzcrash und eine wirtschaftlichen Absturz verursachen.
Der britische Ökonom Michael Roberts bezweifelt, dass die Ursache der Krisen im 'Minsky-Moment' liegt. Er meint, nur wenn die Profite sowohl im Finanzsektor wie auch im produzierenden Sektor fallen, dann folgt ein ökonomischer Einbruch. Eine Finanzkrise alleine mit fallenden Finanzprofiten führt nach Roberts zu keinem Wirtschaftsabsturz, wenn die Profite im produzierenden Sektor steigen oder stabil sind. Dies gelte für alle Krisen nach 1945 und vor allem auch für die globale Finanzkrise 2008 und die folgende Große Rezession, so Roberts.
Nichtsdestoweniger ist ein Finanzkrach - Crash bei Aktienkursen, Banken, Vermögen - üblicherweise der Auslöser - nicht die Ursache - einer Krise. Unter diesem Gesichtspunkt lohnt es sich, die aktuelle Situation zu betrachten.
IMF: Weltwirtschaft hat sich erholt
Der jüngste Global Financial Stability Report (GFSR) des Internationalen Währungsfonds IMF vom Oktober kommt zu dem Ergebnis, dass sich das globale Finanzsystem erholt habe. Die Banken seien stabiler, die Vermögen stiegen auf Rekordhöhe, US-Präsident Trump plant niedrigere Steuern für Unternehmen, die Eurozone ist aus der Krise gekommen und in China bleibt das Wachstum in der Spur. Die lange Depression scheint vorüber zu sein, folgt man dem IMF.
Der IMF stellt aber auch fest, dass zu der Erholung ganz wesentlich die "außerordentliche politische Unterstützung" beigetragen habe.
Als politische Unterstützung kann man werten, dass die Banken erfolgreich Schulden auf die Staaten abgewälzt haben. Allein die großen Zentralbanken halten inzwischen Schuldtitel von Regierungen in Höhe von 37% des Bruttosozialprodukts, vor der globalen Finanzkrise waren es 10%.
Politische Unterstützung ist auch, dass die Zentralbanken die Finanzmärkte mit Geld überflutet und den Leitzins auf Null gesenkt haben. Und nun gebe es zu viel Geld für zu wenig lukrative Investitionsmöglichkeiten, stellt der IMF fest. Die Geldflut der Zentralbanken hat zu einer enormen Ausdehnung der Kredite und einer Vermögensblase geführt; Banken, Vermögensverwalter und Schattenbanken gehen immer höhere Risiken ein. Diese Blase könnte in den nächsten Jahren platzen und die globale Erholung zum Entgleisen bringen, sorgt sich der IMF.
Die Finanzmärkte schwimmen im Geld
Die Zentralbanken haben in den zurückliegenden zehn Jahren ihre Geldpolitik immer weiter gelockert. Sie senkten den Leitzins auf Null, führten Strafzinsen auf Guthaben ein und überschwemmten die Finanzmärkte mit Geld. So kauft allein die Europäische Zentralbank (EZB) seit Januar 2015 monatlich für 60 Milliarden Euro Schuldscheine aus der Eurozone, erst Staatsanleihen und später auch Unternehmensanleihen. Dieses Programm läuft noch bis zum Jahresende. Bis dahin wird die EZB Wertpapiere in Höhe von 2.200 Milliarden Euro gekauft haben. Ab Januar 2018 wird der monatliche Ankauf auf 30 Milliarden Euro gesenkt. Die Null-Zins-Politik wird weitergeführt. Ende 2011 beschloss die EZB ein Kreditprogramm in Höhe von 1.100 Milliarden zur Unterstützung der Banken. Seit März 2016 erhalten die Privatbanken Kredit über vier Jahre zum Leitzins von Null Prozent. Wenn die Banken das Geld als Kredit an Unternehmen weitergeben, erhalten sie von der EZB sogar eine Prämie.
Kurswechsel
Die lockere Geldpolitik der Zentralbanken hat die Immobilienpreise sowie die Aktienmärkte in Europa und den USA auf den Höchststand getrieben. Doch nun versuchen die Zentralbanken einen Kurswechsel einzuleiten und die Zinssätze zu erhöhen. Dies ist riskant. Der IMF warnt: "Eine zu schnelle Anpassung könnte unerwünschte Turbulenzen auf den Finanzmärkten verursachen, und internationale Auswirkungen … das Handhaben der allmählichen Normalisierung der Geldmengenpolitik erfordert einen feinen Balanceakt. Der Schritt der Normalisierung darf nicht zu schnell sein, ansonsten wird er die erforderliche Unterstützung für die anhaltende Erholung wegnehmen."
Dazu kommt, dass die Zentralbanken ihr Pulver für den Fall einer Krise bereits verschossen haben: Zinssenkung sind kaum noch möglich, die Finanzmärkte schwimmen bereits im Geld und die Regierungen sind so verschuldet, dass wirksame Konjunkturprogramm auch nicht mehr in Frage kommen.
Schuldenberge
Der IMF weist darauf hin, dass die Verschuldung im Nicht-Finanzsektor (Nicht-Finanz-Unternehmen, Privathaushalte, Regierungen) seit 2006 in den G20-Ländern signifikant gestiegen ist, auf 135 Billionen US-Dollar bzw. 235% des Bruttosozialprodukts (GDP).
Die globale Finanzcrash hatte nicht einen Rückgang der Verschuldung zur Folge, sondern im Gegenteil hat die lockere Geldpolitik zu einer höheren Verschuldung der privaten Haushalte und der Unternehmen geführt.
"At the same time, indebtedness among the major global economies is increasing. Leverage in the nonfinancial sector is now higher than before the global financial crisis in the Group of Twenty economies as a whole. While this has helped facilitate the economic recovery, it has left the nonfinancial sector more vulnerable to changes in interest rates." (IMF: Global Financial Stability Report October 2017: Is Growth at Risk?) |
Viele Unternehmen überleben trotz niedriger Gewinne nur, weil sie sich Geld zu niedrigsten Zinssätzen leihen können. Steigen die Zinsen, dann stehen diese Firmen vor der Pleite. Der IMF merkt an: "Die Anhäufung von Schulden ist nicht notwendigerweise ein Problem. Doch eine Lehre aus der globalen Finanzkrise ist, dass übermäßige Schulden die zu einem Problem bei der Bedienung der Schulden führen, zu eine finanziellen Überlastung führen können. Eine andere Lehre ist, dass es in einer Stressperiode unwahrscheinlich ist, dass die Finanzreserven zu Marktpreisen verkauft werden können, und dass verschieden Vermögenswerte in einer Situation der Zahlungsunfähigkeit unverkäuflich sind."
Da Unternehmen mit hohen Schulden in der Regel über geringe Finanzreserven verfügen, kann sich "eine Rückkopplungsschleife entwickeln, die die Finanzierungsmöglichkeiten weiter verschlechtert und einen Ausfall zur Folge hat - wie es während der globalen Finanzkrise der Fall war." (IMF)
Zwar sind die Banken besser aufgestellt als 2007, aber der IMF sorgt sich trotzdem. Denn der Finanzboom hat zu einer noch stärkeren Konzentration des Finanzvermögens bei noch weniger "systemrelevanten Banken" geführt hat. 30 Banken halten ein Vermögen von 47.000 Milliarden US-Dollar - mehr als ein Drittel des weltweiten, auf tausende Banken verteilten Vermögens und Anleihen. Diese 30 Banken kontrollieren 70 Prozent des internationalen Kreditmarktes. Der globale Finanzkrach 2007/2008 war so tief, weil die toxischen Schulden bei wenigen Top-Banken konzentriert waren. Jetzt, 10 Jahre später, ist die Konzentration noch größer. Zudem "verschieben sich die Gefahren für die Finanzstabilität vom Bankensystem zum Nicht-Banken- und Marktsektor des Finanzsystems". (Executive Summary)
Prognose
Der IMF meint, dass die gegenwärtige Boom-Phase vorerst weiter gehen kann. Vermögen und Immobilienpreise steigen in einem überhitzen Markt immer weiter. Dies verführt die Investoren dazu, über ihre traditionellen Risikogrenzen hinauszugehen - auch angetrieben durch die niedrigen Renditen in klassischen Bereichen auf Grund der Null-Zins-Politik der Zentralbanken.
Dann kommt der 'Minsky-Moment'. Für 2020 entwirft der IMF ein ernstes Szenario: "Die zweite Phase beginnt mit einem schnellen Rückgang der Kreditvergabe und einem Verfall der Vermögens- und Immobilienpreise um 15 - 9%. … Die Zahlungsausfälle von Unternehmen und Privathaushalten steigen auf Grund höherer Zinsen, niedriger Gewinne und schwachem Wachstum". Die globale Wirtschaftsleistung sinkt zwischen 2020 und 2022 um 1,7%, die Kapitalflüsse in die Schwellenländer stocken und stürzen ab.
Dieses Szenario halt der IMF für eine Möglichkeit - nicht zwingend, aber möglich. Die Wahrscheinlichkeit dieser Variante wächst in dem Maße wie die Kredit- und Aktienmärkte durch das billige Geld und die Spekulation angetrieben werden. Die Krise bricht dann aus, wenn die Profite im produzierenden Sektor fallen. Vielleicht 2020, oder etwas früher, oder etwas später. Aber mit Sicherheit.
txt: Leo Mayer
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