11.10.2016: Der globale Finanzcrash und die Große Rezession haben einen riesigen Schuldenberg hinterlassen, der die kapitalistische Weltwirtschaft niederdrückt. Zusammen mit der niedrigen Rentabilität des Kapitals in den kapitalistischen Hauptländern ist diese Verschuldung ein Hauptfaktor für das, was ich die Lange Depression seit 2009 nenne. Das globale Wachstum ist unter dem Trend vor der Krise geblieben und das Wachstum des Welthandels ist zum Stillstand gekommen.
Wenn Unternehmen mit einer niedrigen Rentabilität ihrer Investition konfrontiert sind und noch dazu hohe Schulden zurückzahlen oder bedienen müssen, dann werden sie sich dagegen sträuben, mehr zu investieren. Wenn Regierungen durch hohe Schulden wegen der Bankenrettungen belastet sind, und weil Arbeitslosigkeit und Ausgaben für Soziales hoch bleiben, dann kürzen Regierungen bei den öffentlichen Investitionen. Wenn private Haushalte durch große Hypotheken belastet werden, werden sie nicht mehr ausgeben, sondern sparen. All dies zusammen führt zu schwachen Investitionen und zu niedrigem Wachstum bei Löhnen und Beschäftigung.
Die einzige Rettung besteht darin, dass die Zentralbanken die globalen Zinssätze nach unten gegen Null (oder sogar ins negative) gesteuert haben, so dass die Bedienung der Schulden billig ist und die Unternehmen billige Kredite aufnehmen können, um Aktien zurückzukaufen, Dividenden auszuzahlen und an den Anleihe- und Aktienmärkten zu spekulieren; die Regierungen können ihre Anleihen bedienen und sich weiter verschulden; und die privaten Haushalte können ihre Hypotheken und Kreditkartenschulden machen.
Aber der globale Schuldkater ist nicht vergangen, und wenn Zinssätze anfangen sollten zu steigen, oder wenn Ökonomien in die Rezession oder Deflation absinken sollten, könnte sich diese Schuldenlast in eine Spirale des Zusammenbruchs verwandeln.
Das ist das, was die internationalen Wirtschaftsagenturen wie den Internationalen Währungsfond (IWF) oder die Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ) beunruhigt. Der IWF hat soeben berichtet, dass die globalen Schulden einen Spitzenwert erreicht haben. Die Schulden des Nicht-Finanzsektors, (Unternehmen ohne Bankensektor, Regierungen und private Haushalte) haben sich seit der Jahrhundertwende mehr als verdoppelt, erreichten 154 Billionen US-Dollar im letzten Jahr und steigen weiter. Unter Einbeziehung des Bankensektors kommt McKinsey auf Gesamtschulden in Höhe von 200 Billionen USD. (Anm.: 1 Billion ist 1.000 Milliarden, d.h. eine Zahl mit zwölf Nullen)
Das aktuelle Schuldniveau hat einen Rekordwert von 225% des Weltsozialprodukts erreicht, wovon ungefähr zwei Drittel auf den privaten Sektor (Haushaltshypotheken und Unternehmensanleihen) entfallen. Der IWF sagt, dass das schwache globale Wachstum (mit anderen Worten, die Lange Depression) es schwierig macht, die Verpflichtungen zurückzuzahlen, "den Weg für eine bösartige Feed-Back-Schleife bereitend, in der niedrigeres Wachstum die Entschuldung behindert und der Schuldenüberhang die Verlangsamung verschärft." Der Finanzchef des IWF, Vitor Gaspar, warnte, dass die "übermäßige private Verschuldung ein Hauptgegenwind gegen die globale Erholung und eine Gefahr für die Finanzstabilität ist."
Der IWF legte die Hauptgefahren für das Finanzsystem dar. Erstens stehen Europäische Banken einer chronischen Rentabilitätskrise gegenüber. Viele sind nicht im Stande gewesen, die Bilanzen von ihren Schulden zu bereinigen, und die Investoren werden immer skeptischer, ob sie mit ihren gegenwärtigen Strukturen profitabel werden.
Diese potenzielle Bankenkrise ist durch das Debakel der Deutschen Bank, Deutschlands größte Bank in der bei weitem erfolgreichsten Wirtschaft Europas, deutlich geworden. Das Justizministerium der USA droht der Bank mit einer massiven Geldstrafe für die Verwicklung in den globalen Verkauf von Schrottpapieren während des großen Wohnungsbaubooms, die dann zum Finanzcrash führten. Diese Forderung des US-Justizministeriums kann die deutsche Bank in den Abgrund stoßen und zu einer Bankenrettung mit noch mehr öffentlichen Geldern führen. Im Sommer veröffentlichte der IWF eine Report über die deutschen Banken und kam zu der Schlussfolgerung, dass sich die "Deutsche Bank als eine der bedeutendsten Quellen für die Systemrisiken im globalen Bankensystem erweist", gefolgt von der HSBC und der Credit Suisse. Die Deutsche Bank hat einen Derivatebestand im nominalen Wert von 47 Billionen USD. Das heißt, weil sie so groß ist, würde sie bei einer Pleite viele andere Banken mitreißen.
Zur gleichen Zeit haben Italiens Banken mehr als 200 Mrd. Euro an faulen Krediten in ihren Büchern, von Unternehmen, die wegen der sehr schwachen Ökonomie Italiens und dem geringen globalen Wachstum ihre Schulden nicht bedienen können. Italiens drittgrößte und älteste Bank, Monte Paschi, ist pleite und wurde schon zweimal gerettet. (Anm.: siehe auch Bankenkrach. Der nächste?)
Und dann sind da noch die portugiesischen Banken, von denen die größte, Espirito Santo, wie Monte Paschi gerettet wurde, um eine Systemkrise zu verhindern.
Zweitens wachsen die Unternehmensschulden, insbesondere von Unternehmen aus den Schwellenländern. Der kombinierte Schock aus dem Verfall der Rohstoffpreise und dem verringerten Wachstum Chinas hat den raschen Anstieg der Unternehmensschulden zu einer Hauptbedrohung für die Ökonomien der Schwellenländer gemacht.
Die Investmentbank JP Morgan rechnet, dass die Verschuldung der Nicht-Finanzunternehmen in den Schwellenländern von ungefähr 73% des BIP vor der Finanzkrise auf 106% des BIP angestiegen ist. Diese Zunahme von 34%-Punkten ist enorm, annähernd 5%-Punkte pro Jahr seit 2007. In früheren Analysen hat der IWF festgestellt, dass eine Zunahme des Kredits um 5%-Punkte oder mehr in einem einzigen Jahr ein Zeichen für die erhöhte Gefahr einer Finanzkrise ist. Viele Schwellenländer haben seit 2007 eine solche Zunahme. Die Kreditanalysten von Standard & Poor's schlussfolgern, dass "wir einen Beugungspunkt im Zyklus der Unternehmenskredite erreicht haben."
Die politische Antwort in den kapitalistischen Hauptländern auf die Lange Depression war die Kürzung der staatlichen Ausgaben und der Versuch, die Haushaltsdefizite zu reduzieren, um die öffentliche Verschuldung abzubauen, während gleichzeitig die Zentralbanken die Zinssätze senkten und billiges Geld in Billionenhöhe für die Rückzahlung der Schulden und für Investitionen zur Verfügung stellten.
Aber fiskalische Austerität und billiges Geld haben nirgends geholfen, die Weltwirtschaft wieder in Gang zu bringen. Der Nullzinspolitik (ZIRP) ist die negativen Zinspolitik (NIRP) und die expansive Geldpolitik (quantitative easing, QE) gefolgt und das Druck von Geld, um es den Banken zu geben, bis hin zur Idee des 'Helikoptergeldes' – Geld zu drucken, um es direkt an Regierungen und private Haushalte zu verteilen.
Aber der Trick funktioniert nicht, weil sich dieser Kredit nur in Banken und in den spekulativen Finanzinvestitionen aufbaut, denn die Profitabilität in den produktiven Sektoren ist zu niedrig, um neue Investition und folglich Wachstum zu fördern.
Jetzt verlangen internationale Agenturen wie der IWF und die OECD sowie keynesianische Wirtschaftswissenschaftler nach 'fiskalischen Handlungen'. Sie rufen nach 'Infrastruktur-Investition', d. h. nach öffentlichen Mitteln für den Bau von Straßen, Brücken, Kommunikationsnetze usw.. Argumentiert wird, dass die Investition und Beschäftigung erhöhen und der Wirtschaft auf die Beine helfen würde. Wie ich vorher gesagt habe, würde solche Investition zweifellos helfen, aber sie müssten riesig sein, wenn sie eine Wirkung zeigen sollten. Die G20 vertreten 92% der Weltwirtschaft, und 2014 stimmten die G20 Minister überein, das jährliche Wachstum um zusätzliche 2.000 Mrd. USD zu steigern (ohne zu sagen wie!). Aber selbst wenn es durch mehr Infrastruktur-Investition getan würde, so würde es nicht funktionieren. Wie der Vorstand der US-Investmentbank JP Morgan, Dr Frenkel, sagte: "Ich würde quantitative Ziele für Sachen setzen, die unter der Kontrolle von Regierungen sind - und nationales BIP-Wachstum ist dies nicht. … So gerne Sie auch 5 Meter hoch springen möchten, ohne Sprungstab werden Sie dazu nicht in der Lage sein."
In den meisten größeren Ökonomien, mit Ausnahme von China und Indien, sind die Investitionen des privatkapitalistischen Sektors sieben- bis achtmal so groß als die öffentlichen Investitionen.
Eine Zunahme der weltweiten öffentlichen Investitionen von einem Prozent klingt hoch angesichts von öffentlichen Investitionen in Höhe von einer Billion USD weltweit. Aber es ist eine Kleinigkeit im Vergleich zu den annähernd 20 Billionen, die weltweit jährliche investiert werden.
Und zudem wird die Bereitschaft von Regierungen, solche Ausgaben zu tätigen, durch die Notwendigkeit gebremst, die wachsende öffentliche Verschuldung zu bremsen. Nach Angaben des IWF liegt die öffentliche Verschuldung jetzt bei ungefähr 85% des Weltsozialprodukts. Und es gibt keinen Hinweis, dass sie sinken würde. Nur die sehr niedrigen Zinssätze ermöglichen den Regierungen, diese Schulden zu bedienen, ohne noch härtere Austeritätsmaßnahmen (Ausgabenkürzungen und Steuererhöhungen) durchzuführen. Eine starke Zunahme der öffentlichen Investitionen würde die Verschuldung – zumindest zunächst - weiter in die Höhe treiben.
Und so tun die Regierungen nicht das, was die Keynesianer (außerhalb und innerhalb des IWF) wollen. Tatsächlich sagt der IWF voraus, dass sich im nächsten Jahr die Haushaltsbilanzen nicht entspannen werden, weder in den fortgeschrittenen Ökonomien noch in den Schwellenländern. Die US-Investmentbank Morgan Stanley rechnet damit, dass die Regierungen der fortgeschrittenen Ökonomien ihre Finanzpolitik im nächsten Jahr lockern werden, aber nur um 0,3% des BIP – was einer Ausgabensteigerung von knapp 115 Mrd., aber nicht den erforderlichen 1 oder 2 Billionen, entspricht. "Es ist unwahrscheinlich, dass eine fiskalische Lockerung von 0,3% des BIP das globale Wachstum stärken wird", sagte Elga Bartsch, die Leiterin des Reports von Morgan Stanley.
Der globale Schuldkater bleibt, und das Alka-Selzer des preiswerten und reichlichen Kredits hat ihn nicht geheilt. Die Alternative der fiskalischen Ausgaben funktioniert nicht und ist nicht groß genug. Die Mainstream-Ökonomie des Monetarismus und des Keynesianismus können diesen Kater nicht bekämpfen, weil die kapitalistische Weltwirtschaft von zu vielen Schulden noch betrunken ist und nach Profitabilität hungert.
Und jetzt fallen weltweit die Unternehmensgewinne, während die Schulden weiter steigen - mit der Aussicht auf einen sich schnell nähernden neuen globalen Absturz am Horizont.
Autor: Michael Roberts
Quelle: https://thenextrecession.wordpress.com/
eigene Übersetzung
foto: flickr | aleksvansputto