19.12.2014: „Russlands Wirtschaft stürzt ab“ (SZ), „Scheitert Russland?“ (HB), „Schwacher Rubel versetzt ein Volk in Angst“ - die Schlagzeilen widerspiegeln die dramatisch-brenzlige Situation der vergangenen Tage. Was sie verschweigen: Als Brandbeschleuniger fungiert gegenwärtig die internationale Finanzspekulation. Und die Brandstifter sind zum großen Teil in den westlichen Metropolen zu finden; ihnen sind die Ängste des russischen Volkes schnurz-egal.
An den Finanzmärkten erleben wir derzeit ein dejà-vu: Eine Währung wird in Grund und Boden spekuliert – immerhin die Währung des drittstärksten Schwellen- und BRICS-Landes und der sechstgrößten Volkswirtschaft (nach Kaufkraftparitäten). Das spielte sich ähnlich ab, als der Soros-Quantum-Fonds 1992 auf den Ausverkauf des britischen Pfundes spekulierte und es aus dem damaligen Europäischen Währungssystem (EWS) schoss. Für den Spekulanten Soros ein Bombengeschäft. Auch im Rahmen der Südostasien-Krise 1997 wurden die Währungen der sogenannten Tigerstaaten niedergemetzelt, ihre Devisenreserven herausspekuliert und mit der Thai-Währung ein wahres Blut-Baath angerichtet. Ein Jahr später – 1998 - war dann schon einmal die russische Währung Zielobjekt der internationalen Finanzhaie, die das Land in den Staatsbankrott trieben (vgl. Fred Schmid, Die Krise in Russland, isw-spezial 11 (1998). 16 Jahre später rollt der Rubel wieder runter, seit wenigen Tagen rast er bergab. Das russische Währungssystem ist voll im Griff der Spekulation.
Der Unterschied zu damals: Ausgangspunkt für die Spekulationswelle sind diesmal nicht primär ökonomische Krisendaten. Die so genannten Fundamentaldaten waren bis vor einem halben Jahr einigermaßen stabil. Gewiss, Russlands Wachstum hatte sich 2013 auf 1,3% abgeschwächt, was immer noch höher ist als die Stagnation der Eurozone. Die Auslandsverschuldung hatte sich auf 32% des BIP vermindert (2000: 103%) und auch die Inflationsrate hatte von 20,6% (2000) auf 6,5% (2013) abgenommen. Und Währungsreserven gab es in Hülle und Fülle.
Auslöser ist diesmal eine Kriegserklärung. Der Westen hatte Russland wegen dessen Vorgehen auf der Krim und in der Ostukraine den Wirtschaftskrieg erklärt, das Land mit Sanktionen überzogen. Vor allem die dritte Stufe der Sanktionen richtet sich gegen die Geldversorgung der russischen Wirtschaft. Russische Banken und Konzerne wurden praktisch von der Refinanzierung und Geldaufnahme an den internationalen Kapitalmärkten abgeschnitten. Russische Banken deckten bislang knapp 50 Prozent ihres Kapitalbedarfs in der EU. Russlands Wirtschaft sollte das Geld ausgehen (vgl. dazu: Leo Mayer, Das Imperium im Wirtschaftskrieg, isw-Beiträge, 10.8.14; Fred Schmid: Das Gift der Sanktionen, isw-Beiträge, 2.10.14). Seit Beginn der Finanzsanktionen im Juni hat der Rubel um 44% abgewertet; im gesamten Jahr bisher 56%.
Im Feuer der Sanktionen und der Ölwaffe
Ob auch die „Ölwaffe“ bewusst und gezielt in Stellung gebracht wurde, von Saudi-Arabien allein oder in Komplicenschaft mit den USA, lässt sich (noch) nicht beweisen (siehe dazu: Fred Schmid, Die Ölwaffe, in isw-Beiträge, 2. 12.14). Viel spricht dafür – allein schon der Zeitpunkt. Die objektive Wirkung ist jedenfalls zielgenau auf Russland und andere „Feindstaaten“ des Westens – Venezuela, Iran - ausgerichtet: Auf die Zertrümmerung der Staatsfinanzen und des Finanz- und Währungssystems. Mit dem Sturzflug des Ölpreises ging auch der Rubelkurs in den freien Fall über. Denn der Absturz des Ölpreises und die Weigerung der von Saudi-Arabien angeführten Golfstaaten, mit der OPEC durch Reduzierung der Fördermengen dagegen zu steuern, kostet Russland sehr viel Geld. „Wir verlieren 40 Milliarden Dollar, die den Sanktionen geschuldet sind und weitere 90 bis 100 Milliarden Dollar durch den 30-prozentigen Ölpreisverfall“, sagte der russische Finanzminister Anton Silanov in Moskau (ch-d, 25.11.14). Das sind etwa 6,5% des russischen BIP. Doch der Ölpreis ist inzwischen um mehr 40 Prozent gefallen, von 110 Dollar für das Barrel im Juni, auf jetzt zwischen 60 und 70. Und der Ölminister der Vereinigten Arabischen Emirate erklärte, man werde auch bei einem Ölpreis von weniger als 40 Dollar nicht intervenieren, womit er weiteres Öl ins Spekulantenfeuer goss.
Sanktionen, Ölpreisverfall und zusätzliche Belastungen aus der Angliederung der Krim und der Unterstützung der „Volksrepubliken“ im Donbass – das alles sind trübt die Perspektiven für die die russische Ökonomie. Damit schlägt die Stunde der Future-Spekulanten. Da bedarf es keiner Verschwörung finsterer Mächte, um der russischen Volkswirtschaft vollends die Luft abzuschnüren. Da reicht schon der Profitinstinkt von Hedge-Fonds-Managern mit mittlerem IQ, um die Gunst der Stunde zu erkennen und short zu gehen, das heisst auf weiter fallenden Rubelkurs zu spekulieren: Sie besorgen sich Rubel auf Kredit, um diese sofort in Dollars umzutauschen. Fällt der Rubelkurs weiter, kann der Rubel-Kredit mit weniger Dollars zurückgezahlt werden. Die Differenz ist der Gewinn des Spekulanten. Marschieren zudem erst einmal einige Hedge-Fonds in die gleiche Richtung, dann setzt der bekannte Herdentrieb an den Finanzmärkten ein und schon geht der eigentliche Spekulations-Tsunami los.
Am „schwarzen Dienstag“ (16.12.14) stürzte der Rubelkurs zeitweise um 22 Prozent ab; am Montag davor um 10 Prozent. Die russische Zentralbank versucht mit Zinserhöhungen und Stützungskäufen aus den Devisenreserven dagegen halten, viel nützen tut es nicht. Zinserhöhungen wie zuletzt von 10,5 auf 17 Prozent sollen die Kredite so verteuern, dass sich die Spekulation nicht mehr lohnt. Weiterhin sollen sie einem Geldabfluss ins Ausland entgegenwirken und ausländische Geldanlagen in Russland attraktiver machen. Sie haben jedoch zur Folge, dass die Wirtschaft weiter abgewürgt und die Inflation erhöht wird. 17 Prozent Leitzinsen bedeuten 23 bis 25 Prozent Zinsen für die Realwirtschaft, das hält auf Dauer keine Ökonomie durch. Die Inflationsrate ist inzwischen auf 9,1 % geklettert. Devisenreserven wiedrum sind im Geldkrieg schnell verpulvert, auch wenn sie im Falle Russlands die beträchtliche Höhe von ca 500 Milliarden Dollar ausmachten: 87 Milliarden wurden bereits für Stützungskäufe in diesem Jahr verbrannt – ohne erkennbare Wirkung. Ein Teil der Währungsreserven ist zudem für den Infrastrukturaufbau auf der Krim vorgesehen. Zu allem kommt die rasch steigende Kapitalflucht der Reichen: Sie wird in diesem Jahr voraussichtlich 120 Milliarden Dollar betragen – doppelt so hoch wie im Vorjahr.
Einseitige Energie- und Rohstoffausrichtung wird zum Verhängnis
Eine Anfälligkeit der russischen Wirtschaft liegt in der extremen Abhängigkeit von Energie- und Rohstoffausfuhren. Der Anteil von Fertigwaren an der Ausfuhr ist bei Russland von allen BRICS-Ländern am geringsten: 14,1%. Dagegen bei China 93,4%, Indien 52,4%, Südafrika 43,2% und Brasilien 35,8% (alle Zahlen 2010). Zwei Drittel der Exporte bestehen aus Öl und Erdgas. Umgekehrt muss ein Großteil der Konsumgüter und selbst viele Lebensmittel importiert werden. Aus der „Monokultur“ der Exporte ergibt sich eine hohe Anfälligkeit gegenüber Preisschwankungen bei Roh- und Energiestoffen. Umgekehrt schlagen bei den Einfuhren Rubelabwertungen ganz unmittelbar in Form einer Erhöhung der Verbraucherpreise und damit Senkung des Lebensstandards durch. Das vielpropagierte Diversifizierungsprogramm der Wirtschaft ist bisher kaum vorangekommen.
Hinzu kommt, dass die USA und EU alles tun, um eine Spekulationsstimmung an den Finanzmärkten weiter anzuheizen. Am Tag als der Rubel massiv an Wert verlor, erklärten die USA und die EU, dass sie weitere Sanktionsmaßnahmen auf den Weg schicken werden. Der Rubelkurs ging prompt noch weiter in den Keller. Merkel betont ein ums andermal das Festhalten an den Sanktionen. „Niemand hat ein Interesse daran, dass Russland in eine tiefe Rezession stürzt“, erklärte ein Vertreter der EU-Kommission (FAZ, 18.12.14). Geht’s eigentlich noch zynischer?! Einen Tag darauf beschloss der EU-Gipfel eine Verschärfung der Sanktionen gegen die Krim. Nicht einmal Kreuzfahrtschiffe dürfen dort noch vor Anker gehen. Könnte ja sein, dass ein paar Devisen mit anlanden.
Keine Frage, mit der Globalisierung, insbesondere der Vernetzung und Internationalisierung der Finanzmärkte und der neuen Finanzmarkt-Instrumente wurde die Waffe des Wirtschaftskrieges für Industrieländer schärfer, wirkt sich das Gift der Sanktionen noch verheerender aus. Dabei hat der Metropolenkapitalismus die ganz große Kanone noch garnicht in Stellung gebracht: Den Ausschluss der russischen Wirtschaft aus Swift (Society for Worldwide Interbank Financial Telecommunication). Swift wickelt den internationalen Zahlungsverkehr von mehr als 10.000 Banken aus 215 Ländern ab. Ein Ausschluss würde bedeuten, dass der internationale Zahlungsverkehr mit Russland de facto eingestellt würde. Das wäre fast gleichbedeutend mit dem Abbruch der Wirtschaftsbeziehungen der globalen Ökonomie mit dem Land.
Die westlichen Handelskrieger wollen mit den Sanktionen und den Attacken auf die russische Wirtschaft letztlich einen Regime Change erreichen. Mit der Schädigung der russischen Wirtschaft und der damit verbundenen Absenkung des Lebensstandards breiter Massen der Bevölkerung, sollen soziale Unruhen geschürt und zur Rebellion aufgestachelt werden. Die Menschen dort haben bei einer Verschlechterung der Wirtschaftslage tatsächlich etwas zu verlieren. „Putin erlebt zum ersten Mal seit seiner seit 2000 laufenden Amtszeit fallende Reallöhne“, triumphiert das Handelsblatt (28.11.14). In der Tat sind die Reallöhne Jahr für Jahr gestiegen und waren 2013 fast dreimal so hoch wie 2000. Das Durchschnittseinkommen ist mehr als doppelt so hoch wie in der Ukraine, was auch erlärt, weshalb es die russische Bevölkerung auf der Krim, im Donbass und Odessa zu Russland hinzieht. Auch sonst zeigt die soziale Bilanz wesentliche Fortschritte gegenüber dem Chaos-Regime Jelzins auf. Die inflationsbereinigten Renten stiegen von 2000 bis 2010 um 231% (also mehr als verdreifacht), die Armutsrate sank von 29 auf 12,6% (2010), die Arbeitslosenquote von 10,6% auf 5,5%. Dabei arbeiten 700.000 Moldawier und 2,9 Millionen Ukrainer im Jahr 2013 (Spiegel, 24.3.14) als Gastarbeiter in Russland. Die Inflation (Verbraucherpreise) sank von 20,2% auf 6,5%. Die Lebenserwartung stieg von 65,3 auf 69 Jahre, nachdem sie unter Jelzin stark gesunken war. Die Geburten nahmen um 41% zu, die Säuglingssterblichkeit um 31% ab. Sogar die Zahl der Alkoholvergiftungen (!) nahm um 61% ab (alle Daten: Federal States Statistic Services).
Diese Erfolge würden durch stagnierende Löhne, wieder steigende Arbeitslosigkeit und einer Inflationsrate (Löhne, Renten), die gegenwärtig bei 9,1% liegt und noch weiter steigt, zweifelsohne zum Teil zunichte gemacht.
Das „System Putin“ (FAZ) soll beseitigt werden. Im Visier der westlichen Wirtschaftskrieger war von Anfang an der eng verzahnte Machtzirkel um Putin. 120 Personen und 28 Konzerne stehen auf den Sanktionslisten von USA und der EU. Die sogenannte russische Herrschaftselite soll zur Palastrevolution aufgestachelt werden sobald sie ihre Privilegien, Luxusreisen und Villen im Ausland in Gefahr sieht. Die USA wollen nicht nur, dass der Rubel runter rollt, sondern auch der Kopf Putins.