28.03.2014: Fast zwei Drittel der Deutschen – 64 Prozent – sind nach einer Allensbach-Umfrage der Ansicht, dass es im Lande immer ungerechter zugehe; die soziale Gerechtigkeit habe in den vergangenen drei bis vier Jahren abgenommen. Sogar eine Mehrheit der deutschen Topmanager (59 %) gesteht ein zunehmendes soziales Gefälle ein (HB, 15.7.13). Der Grund ist vor allem die sich zuspitzende Einkommens- und Vermögensungleichheit.
Eine jahrzehntelange Steuerpolitik zugunsten der der Reichen und Konzerne hat zu dieser Akkumulation von Reichtum auf der einen und dem Anwachsen der Armut auf der anderen Seite erheblich beigetragen. Der Schriftsteller Ingo Schulze schreibt: "Unser Gemeinwesen wurde und wird von den demokratisch gewählten Volksvertretern systematisch gegen die Wand gefahren, in dem es seiner Einnahmen beraubt wird. Der Spitzensteuersatz wurde in Deutschland von der Schröder-Regierung von 53 Prozent auf 42 Prozent gesenkt, die Unternehmensteuersätze (die Gewerbesteuer und die Körperschaftsteuer) wurden zwischen 1997 und 2009 fast halbiert, nämlich von 57,5 Prozent auf 29,4 Prozent. Niemand sollte sich darüber wundern, dass die Kassen leer sind, obwohl sich doch unser Bruttoinlandsprodukt Jahr um Jahr erhöht." (zit. nach SZ, 12.1.12).
Und für den Philosophen Richard David Precht ist es "ein böser Scherz, dass Einkünfte auf Kapital geringer besteuert werden als auf Arbeit". Gemeint ist die Abgeltungsteuer, die Zins- und Kapitalerträge seit 2009 mit einheitlich 25 Prozent besteuert. Früher wurden diese Erträge dem persönlichen Einkommen hinzugerechnet und dann entsprechend dem individuellen Einkommensteuersatz veranlagt.
"Seit Ende der 1990er-Jahre sinkt der Anteil der Einkommensteuer am Gesamtaufkommen, und die Einkommensteuer verteilt heute weniger von Reich zu Arm um als noch Mitte der 1980er-Jahre", stellt das Handelsblatt (29.7.13) in einer Untersuchung fest. "Das liegt vor allem daran, dass auf Zinsen, Dividenden und Spekulationsgewinne seit 2009 nur noch die niedrigere Abgeltungsteuer von 25 Prozent fällig wird und im vergangenen Jahrzehnt der Spitzensteuersatz für höhere Einkommen deutlich sank". Ähnlich bei der Unternehmensbesteuerung: Beim "impliziten Steuersatz auf Kapital" (durchschnittliche Abgabenbelastung von Kapital/Unternehmen) liegt Deutschland mit 22,0 % weit unter dem Durchschnitt der Eurozone mit 28,9 %. Die Belastung ist seit 2000 um fünf Prozentpunkte (von 27 % auf 22 %) zurückgegangen und vor allem wesentlich geringer als in anderen großen Wirtschaftsnationen in Europa: Frankreich 44,4 %, Italien 33,6 %, Großbritannien 34,9 %.
Die implizite Steuerbelastung des Konsums liegt dagegen mit 20,1 % in der BRD über dem Eurozonen-Durchschnitt: 19,4 % (alle Zahlen Eurostat). Unternehmer werden geschont, den Verbrauchern greift der Fiskus zunehmend in die Tasche.
Nach einer Studie des DIW (Wochenbericht 22/23 2013) beträgt die durchschnittliche Steuerbelastung der Unternehmen im Zeitraum 2001 bis 2008 21 Prozent, was erheblich niedriger ist als die tariflichen Steuersätze. Die Durchschnittsbelastung der Kapital- und Personengesellschaften ist seit Beginn der 90er Jahre erheblich gesunken, so die Studie. "In absoluten Größen gerechnet haben die Gewinne der Kapitalgesellschaften von 1992 bis 2008 um 140 Prozent zugenommen. Das Steueraufkommen der Kapitalgesellschaften einschließlich der Personengesellschaften ist dagegen nur um 62 Prozent gestiegen...". (S. 6).
Eldorado für Reiche
Deutschland ist nicht nur ein Eldorado für Spitzenverdiener und Konzern-Profiteure. Es ist auch ein "Reichenparadies", wie die SZ (21.12.13) titelt: "In keinem großen Industriestaat werden Vermögen so gering besteuert wie hierzulande". Mit einem BIP-Anteil von gerade einmal 0,6 Prozent der vermögensbezogenen Steuern liegt Deutschland auf Platz 25 aller 34 OECD-Staaten. Der Durchschnitt beträgt 1,3 Prozent. Vorne liegen Länder, die ansonsten als "Gralshüter des Kapitalismus" bekannt sind: Großbritannien 3,6 %, Kanada 3,3 %, USA mit 3,2 %. Eine Besteuerung der Vermögen in Höhe der britischen Vermögensbesteuerung hätte in Deutschland 2013 fast 100 Milliarden Euro Steuereinnahmen gebracht statt der so erzielten knapp 17 Milliarden Euro.
Für Finanzminister Schäuble ist dieser Missstand jedoch kein Grund für eine radikale Reform; eine Rückkehr zu einer echten Vermögensteuer lehnt er strikt ab. Aber auch für die SPD, die sich im Wahlkampf in Anbiederung an die Umfairteilen-Bewegung für höhere Steuersätze für Spitzenverdiener und die Wiedereinführung der Vermögensteuer eingesetzt hat, ist dies kein Thema mehr, seit sie sich mit der Union ins Groko-Bett gelegt hat.
Deutschland: Steueroase und Geldwaschsalon
Deutschland ist ein Paradies für Steuerhinterzieher und Geldwäscher, stellt das "Netzwerk Steuergerechtigkeit" (TJN) in seinem jüngsten Bericht über "Schattenfinanzzentren" fest; der Bericht erscheint alle zwei Jahre (HB, 8.11.13). Es listet Deutschland auf Platz 8 der Steueroasen, noch vor der Kanalinsel Jersey und den Bahamas. Nach groben Schätzungen staatlicher und nichtstaatlicher Organisationen werden in Deutschland jährlich 29 bis 57 Milliarden Euro illegaler Gelder gewaschen. Die kalabrische Mafia Ndrangheta hat Deutschland zu ihrem bevorzugten Geld-Waschsalon erkoren. Auch russische Kriminelle und diverse Diktatoren aus dem arabischen und afrikanischen Raum lassen laut TJN ihre schmutzigen Gelder hier waschen (HB, 8.11.13). Geschätzt werden vor allem die zahlreichen Geheimhaltungsmöglichkeiten hierzulande, aber auch die laxe Haltung der Politik bei der Bekämpfung von Steuerhinterziehung und Geldwäsche.
Vor allem ist nach wie vor die personelle Ausstattung der Steuerprüfung völlig unzureichend. Nach Erhebungen der "Arbeitsgruppe Personalbemessung" (Bund und Länder) liegt z.B. der Bedarf an Steuerprüfern in Bayern bei 3.069; tatsächlich aber wurden nur 1.758 Betriebsprüfer eingesetzt. Der Fehlbestand ist politisch gewollt, wird unter der Hand als Standortvorteil innerhalb der BRD propagiert. Dabei bringt jeder Steuerfahnder im Durchschnitt 1,85 Millionen Euro ein, wenn man so will das Geld für die Entlohnung von weiteren 40 Beschäftigten in der Öffentlichen Daseinsvorsorge. Nach einer Schätzung von ver.di gehen dem Staat jährlich durch Steuerhinterziehung 50 Milliarden Euro verloren.
Der Hohn des Hoeneß: Der Bayern-Präsident sagte einmal sogar die Wahrheit: "Ich habe eine Selbstanzeige über drei Spezialisten anfertigen lassen, wie viele, viele Zigtausende in Deutschland." (HB, 14.1.14). In der Tat ist Hoeneß nur die Spitze des Eisbergs an Steuerkriminalität. Doch selbst mit der Selbstanzeige verhöhnte er noch normale Steuerzahler. 3,5 Millionen Euro Steuerhinterziehung gab er zu – am zweiten Tag des Prozesses ist es bereits das Achtfache: 27,2 Millionen Euro. Wie viele Milliarden mögen in den anderen Selbstanzeigen schlummern und nie aufgedeckt werden!? Allein für den Steuerbetrug der "Lichtgestalt" hätten über tausend Kita-Plätze installiert werden können (Kosten für den Bau eines Krippenplatzes: 25.000 Euro).
Das deutsche Steuerrecht ermöglicht es Unternehmen, allen voran Konzernen, ganz legal beträchtliche Teile ihrer Gewinne am Fiskus vorbei zu schleusen. Das DWI berichtet in der Studie "Unternehmensbesteuerung: Hohe Gewinne – mäßige Steuereinnahmen", dass 2008 Unternehmensgewinne von etwa 90 Milliarden Euro steuerlich nicht berücksichtigt wurden (DIW-Wochenbericht 22+23/2013, S. 3).
EU: Voll Steuerlöcher wie ein Golfplatz
Vor allem die Transnationalen Konzerne mit ihren Steuervermeidungs-Armeen sind Meister im Aufspüren immer neuer Steuerschlupflöcher. Das gilt vor allem europaweit. Die Möglichkeiten sind dabei facettenreich, das Grundmuster immer gleich. Die internationalen Konzerne lassen die Gewinne auf dem Papier dort entstehen, wo sie geringer besteuert bzw. bestimmte Aspekte nicht besteuert werden. In den Ländern aber, wo die wirkliche Wertschöpfung stattfindet, rechnen sie sich arm. In der Regel geschieht dies in der Weise, dass eine Filiale in einem Billig-Steuerland der Muttergesellschaft extrem hohe Gebühren (z.B. Lizenz- und Patentgebühren) in Rechnung stellt. Es muss sich dabei nicht einmal um eine der zwölf ausgewiesenen Steueroasen in Europa handeln, von Andorra bis Zypern. Auch Niedrigsteuerländer wie Irland, Belgien oder Österreich bieten genügend Anreize, um Steuerzahlungen ganz legal zu umgehen. So beträgt die Steuer"last" deutscher Konzerne in Belgien für VW 0,0 %, für BASF 2,6 %, für Bayer 4,3 %, für Henkel 5,5 %. Selbst Siemens rechnet sich mit 28,2 % noch unter den belgischen Unternehmensteuersatz von 33,99 % (Spiegel, 18.5.13).
Der EU-Steuerkommissar Agirda Semetas muss eingestehen: "Leider gibt es in der Europäischen Union zu viele Möglichkeiten, seine Steuern ganz offen zu minimieren. Diese erlauben einigen multinationalen Unternehmen, eine aggressive Strategie zur Steuervermeidung zu betreiben". Und Semetas zieht Bilanz: "Etwa eine Billion Euro geht der EU Jahr für Jahr durch Steuerhinterziehung und Steuerumgehung verloren." (FAZ, 6.12.12). Den anteiligen Steuerausfall für Deutschland beziffert der nordrhein-westfälische Finanzminister Norbert Walter-Borjans auf 160 Milliarden Euro (Spiegel, 18.5.13).
Eine wirksame Bekämpfung der Steuerflucht und Steuerhinterziehung wäre nur durch eine einheitliche Unternehmens- und Konzernbesteuerung in der EU möglich, womit es zumindest erschwert würde, dass die Regierungen von den Multis gegeneinander ausgespielt werden. Aber eine Harmonisierung der Unternehmensbesteuerung in der EU ist politisch nicht gewollt. Die EU-Gewaltigen wollen entsprechend ihrer neoliberalen Doktrin einen Steuerwettbewerb zwischen den Mitgliedstaaten zum Vorteil des Kapitals. Dieser ruinöse Wettlauf nach unten (race to the bottom) hat dazu geführt, dass seit dem Jahr 2000 der Körperschaftsteuer- Satz, also die Gewinnsteuer für Kapitalgesellschaften (AG, GmbH), im EU-Durchschnitt um mehr als ein Viertel gesenkt wurde, und zwar von 31,9 % auf 23,5 % (eurostat). Hunderte Milliarden Steuereinnahmen gingen dadurch verloren. Sie wurden zum Teil durch eine steuerliche Mehrbelastung des Konsums – die Mehrwertsteuer stieg seit 2008 um fast zwei %-Punkte – auf Kosten der Verbraucher hereingeholt. Wohl wissend, Millionen Konsumenten können ihren täglichen Lebensbedarf nicht durch Einkäufe in Steueroasen decken.
Text: Fred Schmid, isw
Vorabdruck aus isw-wirtschaftsinfo 48, Bilanz 2013 – Ausblick 2014, erscheinen am 1. April