01.02.2012: Auf der Tagung der Internationalen Kommission der DKP am 28.1.2012 hielt Georg Polikeit ein Referat zur aktuellen Krisenentwicklung in der EU. Er überprüfte dabei auch die Aussagen in der Politischen Resolution der DKP, die im Oktober 2010 auf dem 19. Parteitag der DKP verabschiedet worden ist.
In der Resolution wurde festgehalten, dass sich der Kapitalismus in seiner tiefsten Finanz- und Wirtschaftskrise seit dem Zweiten Weltkrieg befindet und ein Ende dieser Krise nicht absehbar war. Weiterhin wurde festgestellt, das es sich nicht nur um einen zyklischen Wirtschaftseinbruch handelt, sondern um eine tiefgehende globale Krise des neoliberalen finanzmarktdominierten Wachstumsmodells. Die seit Jahrzehnten angehäuften chronischen ökonomischen Ungleichgewichte haben sich krisenhaft zugespitzt und mit anderen kapitalistischen Krisenerscheinungen verflochten. Dabei wurde auch die Möglichkeit erwähnt, dass es sich um eine "große Krise" oder "Übergangskrise" zu einer neuen Entwicklungsetappe des Kapitalismus handeln könnte, bei der es zu tiefgehenden Veränderungen des bisherigen kapitalistischen Wachstums- und Akkumulationsmodells kommen könnte.
Festgestellt wurde, dass die Tendenz zu einem reaktionären Ausweg aus der Krise mit entsprechenden innen- und außenpolitischen Folgen vorherrschend ist. Zugleich heißt es: "Die gegenwärtige Krise ist jedoch nicht das Ende des Kapitalismus. Sie könnte sich als Übergangskrise zu einer neuen Entwicklungsetappe des Kapitalismus erweisen. Sie könnte aber auch die Suche nach einem demokratischen Ausweg beschleunigen."
Georg Polikeit geht auf die Diskussion auf dem jüngsten Weltwirtschaftsforum in Davos ein, analysiert die Krise in Griechenland und die Zuspitzung der Schuldenkrise in Ungarn und analysiert die Meinungsverschiedenheiten innerhalb der herrschenden EU-Kreise, die für ihn auch Ausdruck echter Interessensgegensätze sind.
"Auf jeden Fall wurde aber die Aussage in der Parteitagsresolution über die außergewöhnliche Tiefe der Krise und über die Tendenz zu reaktionären Auswegen von den Realitäten der letzten 15 Monate bestätigt. Wir tun also gut daran, uns mit unseren Überlegungen für das Jahr 2012 auf die Perspektive einer fortdauernden Krise und einer möglichen neuen aktuellen Zuspitzung aller damit verbundenen Widersprüche und sozialen und politischen Folgen einzustellen. … Wie also können die Kräfte formiert werden, die dem ein Ende machen und tatsächlich eine andere Politik und Entwicklungsrichtung in EU Europa durchsetzen können? Das ist Frage nach der weiteren Entwicklung der politischen Kräfteverhältnisse - und natürlich die für uns wichtige Frage, was wir dazu beitragen können.“
Das gesamte Referat ist im Anhang nachzulesen. Wir drucken hier den Teil des Refrats ab, in dem er sich mit 2 konkreten Fragen beschäftigt:
- der Frage eines möglichen Austritts aus der EU und Rückkehr zu nationalen Währungen
- mit der Frage , ob die EU als imperialistisches Staatenbündnis reformierbar oder demokratisierbar ist.
Am meisten verbreitet bei der Frage nach einer Alternative zur derzeitigen EU Politik ist wohl die Vorstellung von einer Rückkehr zu nationalen Währungen. Auch in linken Kreisen gibt es gelegentlich Argumentationen, die in diese Richtung weisen.
Ich möchte deshalb gleich vorweg sagen, dass ich diese Vorstellung unter den in Deutschland gegebenen Bedingungen für eine rückwärtsgewandte, also reaktionäre Parole halte. Es ist kein Zufall, dass sie gerade auch von rechtsextremistischen Kreisen in vielen EU Staaten propagiert wird.
Vielleicht kann die Frage nach dem Austritt aus der EU in Ländern an der EU-Peripherie anders beantwortet werden. Obwohl sich meiner Ansicht nach auch dort bei einem solchen Schritt viele unübersehbare und ungeklärte Fragen ergeben.
Aber unter den gegebenen Verhältnissen und Kräfteverhältnissen in Deutschland ist die Vorstellung von einer Überwindung der Euro-Krise durch die Rückkehr zur nationalen Währungshoheit und zu den Nationalstaaten meiner Meinung nach nicht nur eine von den Realitäten losgelöste und deshalb untaugliche Vorstellung, sondern politisch falsch. Die meisten Deutschen verbinden damit nur die Vorstellung von einer Rückkehr zur D-Mark und zur „guten alten Zeit“ der Sozialstaatskompromisse der 50er Jahre, die unter den heutigen Bedingungen gar nicht mehr möglich sind.
Weshalb sollte die Rückkehr zur nationalen Währungssouveränität ein Fortschritt oder gar eine „Chance“ sein, wenn es sich nur um die Rückkehr zu den alten kapitalistischen bzw. imperialistischen Nationalstaaten handelt? Das könnte doch nur bedeuten, daß wir vom Regen in die Traufe kommen.
Der Pferdefuß und die entscheidende Schwäche dieser Vorstellungen liegt darin, daß dabei die Frage nach den Kräfte- und Machtverhältnissen, die Frage nach dem Klassencharakter der Staaten ausblendet wird.
Die wichtigeste Frage ist aber nicht Nationalstaat oder EU Integration, sondern wer das Sagen hat, wer die Richtung bestimmt. Das heißt, die Kernfrage ist, wie die politischen Kräfteverhältnisse verändert werden können, und zwar sowohl in den einzelnen Nationalstaaten wie auf EU-Ebene.
Natürlich könnte ein Austritt aus der EU vielleicht auch mit einer tiefgehenden Veränderung der Kräfte- und Machtverhältnisse verbunden sein, so dass sie nicht die einfache Rückkehr zu den früheren kapitalistischen Nationalstaaten bedeuten würde. Aber eine solche Entwicklung zeichnet sich meiner Ansicht nach derzeit leider nicht ab, zumindest nicht in den EU-Kernstaaten. Und würde sich eine solche Situation ergeben, wäre es meiner Meinung nach relativ unwahrscheinlich, dass dies isoliert in einem einzigen EU-Staat geschieht, während rundherum das alte vom Finanzkapital dominierte Umfeld bestehen bleibt.
Wahrscheinlicher und vor allem wünschenswerter und auf jeden Fall Erfolg versprechender wäre, wenn sich im Verlauf großer kämpferischer Auseinandersetzungen und der Entwicklung umfassender Massenbewegungen in mehreren EU-Staaten gleichzeitig oder parallel eine solche Situation entwickeln würde. Wenn dies aber möglich wäre, würde sich sofort die Notwendigkeit eines engen politischen und ökonomischen Zusammenwirkens auch dieser Staaten auf europäischer Ebene ergeben. Auch sie bräuchten also gewisse Strukturen auf supranationaler europäischer Ebene, wie sich das beispielsweise auch in Lateinamerika als notwendig gezeigt hat. Die Grundlage dafür wären sicherlich nicht die heutigen EU Verträge; eine Zusammenarbeit mit ganz anderen Zielen und Inhalten müsste natürlich auch eine neue Vertragsgrundlage bekommen.
Aber derzeit stehen wir in Europa nicht an diesem Punkt. Deshalb muss es nach meiner Ansicht nach wie vor darum gehen, den Kampf gegen die imperialistische EU Politik auf allen Ebenen weiter zu entwickeln, für demokratische und soziale Reformen progressiven Inhalts zu kämpfen, und zwar sowohl auf nationalstaatlicher wie auf europäischer Ebene.
Ist die EU reformierbar oder demokratisierbar ?
Auf der Theoretischen Konferenz ist mir das Argument entgegengehalten worden, dass die EU als imperialistisches Staatenbündnis doch gar nicht reformierbar oder demokratisierbar sei.
Meiner Meinung nach ist dies aber eine Behauptung, die ohne nachvollziehbare Begründung vorgebracht wird.
Wenn wir behaupten, die EU sei nicht reformierbar, weil sie Instrument des Imperialismus ist, gilt das gleiche doch auch für die imperialistischen Nationalstaaten, die wir dann ebenfalls für „nicht reformierbar“ oder „demokratisierbar“ erklären müssten.
Warum sollten wir den Kampf um demokratische und soziale Reformen im imperialistischen Staat Deutschland für möglich und in der gegenwärtigen Phase der Entwicklung der Klassenkräfte sogar für das entscheidendes Kettenglied halten, um an weitergehende Perspektiven heranzukommen, ihn aber auf EU Ebene für unmöglich erklären? Wieso soll das Verhältnis vom Kampf um Reformen und revolutionärer Zielstellung - das bekanntlich in Rosa Luxemburgs Schrift „Sozialreform oder Revolution“ bereits dahingehend grundlegend geklärt wurde, dass es falsch ist, das eine dem anderen entgegenzustellen - auf EU-Ebene grundsätzlich anders zu bestimmen sein als auf der Ebene der Nationalstaaten?
In beiden Fällen ist die Frage der Reformierbarkeit, also die Frage der Durchsetzung von sozialen und politischen Reformen im Interesse der arbeitenden Bevölkerung noch im Rahmen des Kapitalismus, doch vor allem die Frage nach den sich entwickelnden Kräfteverhältnissen, die Frage nach dem Grad der Mobilisierung und Kampfbereitschaft großer Teile der Bevölkerung für entsprechende demokratische und soziale Forderungen.
Die gegenwärtige Krise könnte natürlich dazu verführen, sich ganz auf die Propagierung der Erkenntnis zu konzentrieren, dass der Kapitalismus prinzipiell unfähig ist, die in ihm ausbrechenden Krisenprozesse zu bewältigen, und dass deshalb der Sozialismus die einzig richtige Alternative ist, für die wir jetzt kämpfen müssen.
Ich würde dies aber für eine fehlerhafte Verengung unserer Orientierung halten.
Gerade heute entstehen angesichts der Krisenerfahrungen, die die Menschen selbst machen, neue Bündnismöglichkeiten mit Menschen, die von unseren Vorstellungen, was die Zukunft angeht, vielleicht noch weit entfernt sind, die aber schon erkennen, dass Eingriffe in die Macht des Kapitals, vor allem der Banken und Finanzkonzerne im allgemeinen Interesse erforderlich sind. Vom Sozialismus haben sie möglicherweise nur die falsche Vorstellung im Kopf, dass es sich um einen historisch gescheiterten Versuch handelt. Damit dürfen wir uns natürlich nicht abfinden. Aber in den Vordergrund unseres Herangehens an diese Menschen und unseres Verhaltens ihnen gegenüber müssen wir doch das gemeinsame Interesse an jenen Forderungen stellen, die sie selbst für richtig halten und für deren Verwirklichung sie bereit sind, sich einzusetzen. Also die Forderung nach einer anderen Politik, nach einer anderen Entwicklungsrichtung in Deutschland und in der EU, nach einem anderen, sozialen, ökologischen und friedensorientierten Europa.
Deshalb erscheint es mir gerade jetzt wichtig, daran festzuhalten, dass wir in unserem Parteiprogramm eine strategische Orientierung entwickelt haben, die nicht nur den Gegensatz Kapitalismus – Sozialismus in den Vordergrund stellt, sondern Vorstellungen von einem Übergangsprozess in mehreren Stufen oder Etappen entwickelt, mit denen letztlich der Weg zu einem neuen Anlauf zum Sozialismus geöffnet werden kann. Unsere strategische Orientierung für die gegenwärtige Kampfetappe heißt Kampf um die Durchsetzung einer Wende zu sozialem und demokratischem Fortschritt.
In der Resolution des 19. Parteitags wurde gesagt: „Ein Politikwechsel ist nur möglich, wenn sich dafür Bündnisse, Allianzen verschiedener sozialer und gesellschaftlicher Kräfte, in denen die Arbeiterklasse die entscheidende Kraft sein muss, formieren“. Ich halte dies gerade auch im Zeichen der Krise für die richtige strategische Orientierung. An ihrer Umsetzung mit der notwendigen Hartnäckigkeit und Geduld, aber auch mit dem notwendigen Realismus und mit der notwendigen Offenheit gegen andere, nicht unserer Weltanschauung und unseren Vorstellungen vom Sozialismus zugeneigten Menschen zu arbeiten – und zwar auf allen Ebenen, von der betrieblichen und gewerkschaftlichen über die kommunale bis zur Bundes- und EU-Ebene – das ist nach meiner Ansicht nach wie vor die entscheidende Aufgabe, die sich derzeit für die DKP ergibt.