09.11.2011: Für die neue UZ vom 11.11.2011 hat Georg Polikeit eine Übersicht über die jüngsten Beschlüsse des Euro-Gipfels vom 26. Oktober erstellt:
Die EU- bzw. Euro-Gipfel am 23. und 26. Oktober befassten sich nicht nur mit aktuellen Rettungsmaßnahmen zur Euro-Krise. Die krisenhafte Zuspitzung um die „Griechenland-Rettung“ wurde von den führenden EU-Akteuren auch genutzt, um im Namen der „Stabilisierung der Euro“ eine weitere Zentralisierung der Macht der EU-Zentralinstanzen gegenüber den Mitgliedsstaaten voranzutreiben.
Im Folgenden soll an Hand des Wortlauts der am 26. Oktober verabschiedeten „Erklärung des Euro-Gipfels“ ein Überblick über die getroffenen Festlegungen geben werden. Es handelt sich dabei um das schriftlich vereinbarte Abschlussdokument der Staats- und Regierungschefs der 17 EU Staaten, die zur EU-Währungsunion gehören(1).
Der 15 DIN-A4-Seiten umfassende Text ist in 35 Punkte untergliedert, gefolgt von zwei Anhängen „Zehn Maßnahmen zur Verbesserung der wirtschaftspolitischen Steuerung im Euro-Währungsgebiet“ und „Konsens über das Bankenpaket“.
Sparzwang – „Strukturreformen“ – Lohn- und Sozialabbau
In der „Erklärung des Euro-Gipfels“ wird zunächst Wert darauf gelegt, die „beispiellosen Schritte“ zur Bewältigung der Finanzkrise zu betonen, die von der EU bereits in den letzten drei Jahren unternommen worden seien. Durch die Einführung des „Europäischen Semesters“(2), heißt es da, sei „die Art und Weise, wie unsere Haushalts- und Wirtschaftspolitik auf europäischer Ebene koordiniert wird, grundlegend geändert“ worden, „da die Koordinierung auf EU-Ebene jetzt stattfindet, bevor Entscheidungen in den einzelnen Staaten getroffen werden“ (Siehe dazu auch die Info-Kästen auf dieser Seite)..
Angesichts der fortdauernden Krisenprobleme sei nun allerdings ein weiteres „umfassendes Paket zusätzlicher Maßnahmen“ erforderlich, heißt es weiter.
„Haushaltskonsolidierung“ (lies: Sparzwang) und „Strukturreformen“ (lies: Deregulierung und Sozialabbau) sind dabei die im Text immer wiederkehrenden zentralen Richtlinien. Nichts über Schaffung von Arbeitsplätzen, Beschäftigungsförderung, Sanierung der Kommunalfinanzen, größere Mittel für Bildung und Gesundheit – dies sind für die Eurochefs keine erwähnenswerten Ziele.
Inhaltlich aufschlussreich sind die Punkte 5 und 6 des Textes, die sich mit der Verringerung des Haushaltsdefizite in Spanien und Italien befassen. Da wird im Fall Spanien nämlich nicht nur das beschlossene Sparprogramm auf Kosten der Bevölkerung und die Einführung einer „Schuldenbremse“ nach deutschem Muster in die spanische Verfassung begrüßt, die nun aber auch „unnachgiebig durchgeführt“ werden müssten. Es werden weitere Maßnahmen gefordert, die verdeutlichen, wohin der Kurs gehen soll. Gedrängt wird beispielsweise auf „verstärkte Änderungen auf dem Arbeitsmarkt, mit denen die Flexibilität auf Unternehmensebene (!) und die Beschäftigungsfähigkeit der Arbeitskräfte erhöht werden“. „Flexibilität auf Unternehmensebene“ heißt hier natürlich Deregulierung von Arbeitsrecht und Tarifverträgen durch betriebliche Lohn- und Arbeitszeitregelungen.
Gegenüber Italien gehen die Forderungen in die gleiche Richtung. Zur „Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit“, heißt es da, müssten „die lokalen öffentlichen Dienste und die Versorgungswirtschaft weiter liberalisiert“ (lies: privatisiert) werden. Außerdem seien „die Arbeitsgesetzgebung (!) und insbesondere die Regeln und Verfahren für Entlassungen“ (lies: Kündigungsschutz) zu reformieren sowie das „gegenwärtig uneinheitliche Arbeitslosenversicherungssystem bis Ende 2011 unter Berücksichtigung der Haushaltszwänge (!) zu überprüfen“.
Überwachung – Steuerung – Unterordnung
Die Punkte 9 – 15 befassen sich mit Festlegungen zum „Schuldenschnitt“ für Griechenland und zum EU-„Rettungsschirm“ EFSF, auf die im Rahmen dieses Artikels nicht näher eingegangen werden kann.
Ab den Punkten 24 – 30 geht es unter der Überschrift „Wirtschafts- und haushaltspolitische Koordinierung und Überwachung“ dann aber wieder um den generellen Ausbau der Überwachungs- und Steuerungsfunktionen der zentralen EU- bzw. Euro-Institutionen gegenüber den Mitgliedsstaaten.
Die Zugehörigkeit zur Währungsunion verlange „eine viel stärkere Koordinierung und Überwachung zur Gewährleistung von Stabilität und Nachhaltigkeit des gesamten Gebiets“, lautet die Grundthese. Die derzeitige Krise verdeutliche „die Notwendigkeit, dies viel wirksamer in Angriff zu nehmen“.
Und das ist durchaus ernst gemeint. Es folgt eine ganze Serie von neuen Festlegungen zum Ausbau der „Überwachung“ , die zum Teil erheblich über das hinausgehen, was dazu in den schon beschlossen Instrumenten wie „Europäisches Semester“(2), „Euro-Plus-Pakt“(3) und „Sixpack“(4) vorgesehen ist, und zum Teil auch über das, was in den bisherigen EU-Verträgen als EU-Kompetenzen festgehalten ist. Dazu gehört u. a.
- „bis Ende 2012 die Annahme von Vorschriften über einen strukturell ausgeglichenen Haushalt durch jeden Mitgliedsstaat des Euro-Währungsgebiets – vorzugsweise auf Verfassungs- oder gleichwertiger Ebene“. Also die Einführung der berühmten „Schuldenbremse“ nach deutschem Muster in die Verfassungen aller Euro-Staaten;
- die Aufforderung an die nationalen Parlamente, „den auf EU-Ebene angenommenen Empfehlungen zur Durchführung der Wirtschafts- und Haushaltspolitik Rechnung zu tragen“. Das heißt, die nationalen Parlamente sollen sich verpflichten, EU-„Empfehlungen“ vorbehaltlos zu übernehmen und sich damit selbst zu kastrieren.
- die Zusage der Euro-Staaten, „den Empfehlungen der Kommission und des zuständigen Kommissionsmitglieds in Bezug auf die Umsetzung des Stabilitäts- und Wachstumspaktes Folge zu leisten“.
- Schließlich wird in Punkt 35 auch eine generelle Änderung des geltenden EU-Verträge auf den Weg gebracht. Um „die wirtschaftliche Konvergenz innerhalb des Euro-Währungsgebiets weiter voranzubringen, die finanzpolitische Disziplin zu verbessern und die Wirtschaftsunion zu vertiefen“, erhalten die EU-Chefs den Auftrag, „zu sondieren, inwieweit in begrenztem Umfang Vertragsänderungen vorgenommen werden können“ und dazu bis Dezember 2011 einen Zwischenbericht, bis März 2012 einen ausführlicheren Vorschlag „bezüglich der Art und Weise der Durchführung“ der vereinbarten Maßnahmen vorzulegen.
Harter Kern mit nachgeordneter Peripherie
Zum Umbau der EU-Struktur gehört auch die in den Punkten 30 – 33 festgelegte stärkere Eigenständigkeit der „Euro-Gruppe“ gegenüber den restlichen EU-Staaten. Praktisch teilt sich die EU damit in zwei unterschiedlich eng integriere Gruppen: das mächtige „Kerneuropa“ mit Deutschland und Frankreich an der Spitze, das sich um die gemeinsame Währung gruppiert, und eine von diesem Kern abhängige untergeordnete Peripherie.
Zu diesem Zweck werden die Chefs der Euro-Staaten künftig regelmäßig, mindestens zweimal jährlich, zu einem gesondert tagenden „Eurogipfel“ zusammenkommen, der „strategische Orientierung für die Euro-Gruppe“ beschließen soll. Dafür wie auch ein eigener „Präsident des Euro-Gipfels“ gekürt, der allerdings mit dem EU-Ratspräsidenten personell identisch sein kann. Neben diesem „Präsidenten des Euro-Gipfels“ bleibt auch der „Präsident der Euro-Gruppe“ im Amt, der Vorsitzender der Tagung der Finanzminister der Euro-Staaten ist. Außerdem wird für das stärkere Eigenleben der Euro-Zone als auch eine „stärkere Vorbereitungsstruktur“ vorgesehen. Dazu soll die „Arbeitsgruppe Euro-Gruppe“ in der EU personell verstärkt und eine „ständige Unterarbeitsgruppe“ aus ständigen Vertretern der Finanzminister in Brüssel gebildet werden. Ihren Vorsitz soll ein „Vollzeit-Vorsitzender“ mit Sitz in Brüssel wahrnehmen.
Demokratieabbau zum weiteren Sozialabbau
Insgesamt bedeuten die hier skizzierten Änderungen in der EU-Struktur eine weitere Verstärkung der Kontroll- und Steuerungsbefugnisse der EU-Zentralinstanzen, vor allem der EU-Kommission und der „Euro-Gruppe“, gegenüber den Mitgliedsstaaten. Die Souveränität der Nationalstaaten auf dem Feld der Wirtschafts-, Finanz-, Haushalts- und auch Sozialpolitik wird damit weiter eingeschränkt. Das bedeutet zugleich auch ein weiterer massiver Abbau von Demokratie und Bürgerrechten in den Nationalstaaten einschließlich der Beschränkung originärer Parlamentsrechte. Praktisch wird damit die Tendenz zu autoritären Praktiken auf EU- und Euro-Ebene und zum Aufbau eines supranationalen Staatsapparats (Parteiprogramm der DKP) auf EU- bzw. Euro-Ebene verstärkt.
Es darf aber nicht übersehen werden, dass dieser Demokratie-Abbau vor allem ein Ziel hat: es geht um die europaweite Durchsetzung von weiterem Sozialabbau in allen Euro- und EU-Mitgliedsstaaten im Interesse der die EU-Politik dominierenden großen transnationalen Konzerne. Es geht nicht nur um „Schuldenbewältigung“ und „Euro-Rettung“, sondern um die weitere Abwälzung der Krisenlasten auf die Bevölkerung nicht nur in den „Schuldenstaaten“, sondern in allen EU-Staaten.
Es ist in jüngster Zeit viel von einem bevorstehenden Auseinanderbrechen der Euro-Zone, vom Scheitern des Euro und der EU als Ganzes gesprochen worden. Dafür gibt es ernst zu nehmende Argumente. Aber es darf nicht übersehen werden: dass die strategische Hauptrichtung, die die maßgeblichen EU-Spitzen derzeit verfolgen, darauf abzielt, eine solche „Explosion“ der EU mit allen Mitteln zu verhindern und den Euro zu sanieren. Dazu soll die Macht der EU- und Euro-Zentralen weiter ausgebaut werden.
Georg Polikeit (Vorabdruck aus der UZ vom 11.11.2011)
(1) Siehe: http://www.consilium.europa.eu/uedocs/cms_data/docs/pressdata/de/ec/125662.pdf
alle in dem Artikel angeführten Zitate stammen aus dem Originalwortlaut dieses Textes.
(2) Europäisches Semester
Die Einführung des „Europäischen Semesters“ als Instrument zur „Koordinierung“ der Wirtschafts- und Haushaltspolitik der 27 Mitgliedsstaaten wurde vom EU-Rat für Wirtschaft und Finanzen am 7. September 2010 beschlossen. Danach sind alle Mitgliedsstaaten verpflichtet, bis Mitte April jeden Jahres ihre Haushaltsplanung für das folgende Jahr und ihre mehrjährige mittelfristige Finanzplanung bei der EU Kommission in Brüssel zur Begutachtung vorzulegen, ehe die Haushaltsentwürfe in die jeweiligen nationalen Parlamente eingebracht wurden. Dies schließt die Vorlage nationaler Sparpläne und „Reformvorhaben“ zum Abbau von Haushaltsdefiziten ein. Die EU-Kommission prüft diese Planungen und beschließt bis Juni/Juli „länderspezifische Empfehlungen“ zur Ergänzung oder Korrektur der nationalen Planungen, die von den Mitgliedsstaaten befolgt werden sollen. Dabei kann die EU-Kommission Einwände gegen die geplanten Einnahmen und Ausgaben der einzelnen Staaten erheben wie auch detaillierte „Hinweise“ zur Änderung der Etatpläne geben, z. B. wenn die Brüsseler Kontrolleure der Meinung sind, die makroökonomischen Annahmen über künftige Steuereinnahmen seien nicht realistisch oder es werde nicht genügend für die „Konsolidierung“ der Staatsfinanzen oder für die „Förderung der Wettbewerbsfähigkeit“ getan. Daei kann die Brüsseler Kommission auch auf größere Einsparungen oder die Reduzierung der Ausgaben für Altersversorgung, Arbeitslosenunterstützung und Sozialhilfe drängen.
(3) Euro-Plus-Pakt
Der Euro-Plus-Pakt wurde am 11. März 2011 von den 17 Staaten des Euro-Währungsgebiets angenommen. Sechs weitere EU-Staaten schlossen sich ihm an (Dänemark, Polen, Lettland, Litauen, Bulgarien und Rumänien). Die beteiligten Staaten verpflichten sich, jedes Jahr zusätzlich zur Haushaltsplanung nationale „Strukturanpassungs“- und „Reformprogramme“ zur „Förderung der Wettbewerbsfähigkeit“ vorzulegen, zu deren Umsetzung innerhalb der nächsten 12 Monate sie sich verpflichten. Die EU-Kommission kontrolliert und bewertet diese Planungen gleichfalls im Rahmen des „Europäischen Semesters“. Als „Indikatoren“ werden in dem Text u. a. ein Vergleich der „Lohnstückkosten“ genannt, um zu prüfen, ob „die Löhne sich entsprechend der Produktivität entwickeln“. Im Focus der Prüfung stehen ferner die „Lohnbildungsregeln“ und der „Grad der Zentralisierung im Verhandlungsprozess“ (mit dem Ziel der „Flexibilisierung“ von Tarifverträgen durch betriebliche „Öffnungsklauseln“ oder generell der Verlagerung von Tarifabschlüssen auf die Unternehmensebene, hin zu einer „Lohnpolitik nach betrieblicher Kassenlage“ [DGB-Kritik]). Des weiteren gehört zu den „Kriterien“ unter dem Stichwort „Förderung der Beschäftigung“ die Deregulierung der Arbeitsverhältnisse durch Förderung von befristeter und Teilzeitarbeit sowie durch Beseitigung zu „strenger“ Vorschriften zu Kündigungsschutz und Überstundenregelungen. Schließlich gehört zu den Vorgaben für die „nationalen Reformpläne“ auch die Prüfung der „langfristigen Finanzierbarkeit der Renten, Gesundheitsvorsorge und Sozialleistungen“ und die „Angleichung des Renteneintrittsalters an die Lebenserwartung“.
(4) Sixpack
Diese Bezeichnung steht für eine neue EU-Direktive und fünf neue EU-Verordnungen, die am 28. September von der rechten Mehrheit im EU Parlament und am 4. Oktober vom EU-Ministerrat für Wirtschaft und Finanzen beschlossen worden sind. Es handelt sich um neue Vorschriften zur Verschärfung des EU Stabilitätspaktes mit dem Ziel der „Stärkung der wirtschaftspolitischen Steuerung in der EU und insbesondere in der Euro-Zone“. Bei Verstößen gegen die „Kriterien“ des Stabilitätspaktes (Obergrenze für das jährliche Haushaltsdefizit 3 %/BIP, Obergrenze für die gesamte Staatsverschuldung 60 %/BIP) kann die EU Kommission früher und höhere Strafen in Form von Geldbußen verhängen. Dabei soll künftig ein „Quasi-Automatismus“ gelten: Diesbezügliche Vorschläge der EU Kommission treten automatisch in Kraft, wenn nicht im EU Ministerrat mit Zweidrittelmehrheit eine Ausnahme beschlossen wird. „Vorbeugende“ Geldbußen können schon im Vorfeld bei „drohender“ Nichteinhaltung der Stabilitätskriterien erhoben werden. Die EU-Kommission bekommt zusätzlich das Recht, auch „Verfahren gegen Mitgliedsstaaten bei drohendem wirtschaftlichem Ungleichgewicht“ einzuleiten (Handelsbilanzdefizite). Außerdem werden die Berichtspflicht der Mitgliedsstaaten, die Erhebung von statistischen Daten nach gemeinsamen Regeln und der Umfang der an Brüssel zu übermittelnden Angaben neu geregelt.