Analysen

alt24.09.2011: In einer von uns am 5.9.2011 vorgestellten Analyse wurde beschrieben, wie innerhalb Syriens verschiedene imperialistische, hauptsächlich von den USA und der NATO gesteuerten Kräfte daran arbeiten, den syrischen Staat zu destabilisieren und das von Staatspräsident al-Assad repräsentierte Regime zu stürzen. Parallel dazu gibt es aber unvermeidlich bei solchem Vorgehen (wenn man es nicht totschweigen kann) auch eine entsprechende mediale, politische und militärisch-geheimdienstliche Front derjenigen, die solchen 'Regime Change' anheizen. In dem nachstehenden zweiten Teil der Analyse von Prof. Michel Chossudovski geht es nicht primär um Vollständigkeit in der Breite und Aktualität, als vielmehr um zentrale Elemente und Merkmale dieses Vorgehens.

Ein solches wichtiges Element ist die Bildung eines politischen Gegenpols zur Regierung Syriens, der sich als williges Organ bei der Umsetzung gegnerischer imperialer Interessen eignet. Im Falle Libyen war das der 'Nationale Übergangsrat' in Benghasi, im Falle Syrien ließ sich das im Landesinneren jedoch nicht umsetzen, hier wurde der Weg der Bildung einer Exil-Regierung im Ausland versucht.

Ein erster Schritt hin zur Errichtung einer 'vorläufigen' Exil-Regierung wurde bei einer sogenannten Nationalen Errettungskonferenz in Istanbul (16.7.2011) in Angriff genommen, die von etwa 300 Syrern im Exil gebildet wurde. Die Durchführung der Konferenz führte zur Bildung eines Nationalen Errettungsrates (NSC), der aus Mitgliedern außerhalb und innerhalb Syriens nach dem Muster des libyschen Nationalen Übergangsrates gebildet wurde.

Die Anwesenden stimmten am Ende der Konferenz einem Vorschlag zu, nach dem von den 300 Anwesenden in Istanbul 25 und 50 weitere aus dem syrischen Inland ausgewählt werden, sodass ein insgesamt 75-köpfiger Rat den gegenwärtigen Aufstand repräsentieren soll. Diese 75 Ratsmitglieder würden daran arbeiten, eine Regierung der nationalen Einheit zu bilden, die Syrien in einer Übergangszeit führen wird, wenn das Regime fallen wird. In dieser Übergangszeit gelte es einen Fahrplan umzusetzen, nach dem Syrien von einer Diktatur zu einer repräsentativen Demokratie bei Demontage des Polizeistaates umgewandelt wird. Allerdings hatten die damals Anwesenden den Gedanken an die Bildung eines Schattenkabinetts vorläufig zurück gestellt.

Der NSC plante jedoch die Bildung eines 11-köpfigen 'Kabinetts', welches im Falle eines Zusammenbruchs des syrischen Regimes de facto als eine provisorische Regierung handeln könnte. Der NSC wird von der in Syrien verbotenen Moslem Bruderschaft und von den 'Liberalen' aus dem Kreis der Exil-Syrer beherrscht.

Der von Barack Obama vor kurzem erst zum CIA-Chef ernannte ehemalige General David Petraeus ist ausersehen, eine geheimdienstliche Schlüsselrolle hinsichtlich Syriens zu wahrzunehmen. Das schließt verdeckte Unterstützung von Oppositionskräften und 'Freiheitskämpfern', die Infiltration der syrischen Armee und der Sicherheitskräfte u.ä. mehr ein. Petraeus hat dafür beste Voraussetzungen, hat er doch bereits im Jahre 2004 in Bagdad das MNSTC 'Programm zur Aufstandsbekämpfung‘ in Zusammenarbeit mit dem damaligen Botschafter John Negroponte geleitet. Die anstehenden Aufgaben gegen die syrische Staatsführung werden in Verbindung mit dem dortigen Botschafter Robert S. Ford durchgeführt werden. Beide Männer haben ebenfalls schon im Irak zusammen gearbeitet, sie waren Teil des erweiterten Teams von Negroponte in den Jahren 2004 und 2005.

Wie in Medien berichtet wurde, reiste General Petraeus Mitte Juli in die Türkei, um sich mit Mitgliedern des Nationalen Errettungsrates NSC für Syrien zu treffen. Das vom türkischen Außenminister Achmet Davotoglu organisierte Treffen, fand unmittelbar nach der Konferenz zur Nationalen Errettung Syriens (16.-18. Juli 2011) statt: "Eine Nachrichtenquelle merkte an, dass Petraeus während des Treffens seine Unterstützung dafür bekräftigte, dass eine Exil-Regierung Syriens eingerichtet würde, die durch die Moslem Bruderschaft und ihre Verbündeten geführt würde und dabei Hilfestellung von us-amerikanischen militärischen Beamten erhielte." (siehe dazu auf Youtube: 'die syrische Opposition und die CIA - ein weiterer Nachweis von Verrat'.) Zur gleichen Zeit, als Petraeus derart in der Türkei die syrische Opposition bei der Durchführung der Konferenz der Nationalen Errettung Syriens hoffierte und antrieb, war auch Außenministerin Hillary Clinton zu einem offiziellen Besuch in der Türkei. Allerdings gab es keine Hinweise, dass sich Frau Clinton mit Mitgliedern des NSC traf. Offiziell traf sie sich mit Mitgliedern der syrischen Opposition das erste Mal am 2. August 2011 (WSJ.Com am 3.8.2011).

Ein anderes wichtiges Merkmal imperialistischer Aggression ist die vorangehende und begleitende Irreführung der eigenen Bevölkerung mit Hilfe der verfügbaren medialen Mittel. Dieses Vorgehen ist nicht neu, nur ist die konkrete Ausprägung vom Stand der Kommunikationstechnik abhängig und von den jeweils günstigsten ideologischen Hebeln zur Rechtfertigung solcher Aggressionen.

Die westlichen Medien haben in diesem Sinne eine zentrale Rolle bei der Verschleierung der Art der Einmischung in Syrien einschließlich der ausländischen Unterstützung bewaffneter  Aufständischer gehabt. In einstimmigem Chor haben sie die Ereignisse in Syrien als eine vollkommen "friedliche Protestbewegung" dargestellt, die sich gegen die Regierung von Präsident Bashar al-Assad richte, während gleichzeitig reichliche Beweise darauf hinweisen, dass islamistische paramilitärische Gruppen in terroristische Aktionen verwickelt sind. Diese gleichen islamistischen Gruppen haben die Protestaufmärsche unterwandert.

Es gibt haufenweise Verzerrungen der syrischen Wirklichkeit in westlichen Medien. Große Aufmärsche zur Unterstützung der Regierung (durch Fotos unzweifelhaft dokumentiert) werden beiläufig als 'Beweis' für Massenproteste gegen (!) die Regierung dargestellt. Die Berichte über Zwischenfälle und Opfer erfolgen anhand unbestätigter "Augenzeugenberichte" oder auf Grund von Quellen der syrischen Opposition im Exil. Shaam News und der in London sitzende 'Syria Observatory for Human Rights' (Beobachter der Menschenrechte in Syrien) werden ständig von den westlichen Medien als "zuverlässige Quelle" - jedoch mit den üblichen Haftungsausschlüssen zitiert. 

Die dem israelischen Geheimdienst nahe stehenden DEBKA-News vermeiden zwar in der Berichterstattung über Syrien die Darstellung eines bewaffneten Aufstandes, lassen jedoch stillschweigend erkennen, dass die syrischen Sicherheitskräfte mit paramilitärischen Kräften konfrontiert sind: "[Syrische Sicherheitskräfte] begegnen jetzt heftigem Widerstand: auf sie warten Panzersperren und befestigte Barrieren, die von mit schweren Maschinengewehren ausgestatteten Protestierenden besetzt sind." Seit wann jedoch sind friedliche zivile Protestierende mit "schweren Maschinengewehren" und "Panzersperren" bewaffnet? Womit man es in Syrien eben auch zu tun hat, sind ausgebildete paramilitärische Kräfte.

Während Shaam News Network (SNN) bei Berichten und Fotos von Associated Press (AP) als Quelle angegeben wird, ist diese Organisation jedoch nicht als Nachrichtenagentur anerkannt. SNN beschreibt sich selbst als "eine Gruppe patriotischer syrischer Jugendaktivisten, die Freiheit und Würde für das syrische Volk fordern ..." auf Seiten in Facebook und Twitter. Ein Foto von AP über eine Massenkundgebung in Hama trägt den folgenden Haftungsausschluss: "Die Associated Press ist nicht in der Lage, unabhängig die Authentizität, den Inhalt, sowie Ort und Datum des erhaltenen Fotos zu überprüfen. Foto: HO / Shaam News Network." Solche unbestätigten Fotos jedoch werden in den herrschenden westlichen Medien reichlich benutzt.

Das Fehlen von überprüfbaren Zahlenangaben hat ebenfalls die westlichen Medien nicht davon abgehalten, über die Zahl der Opfer der Aufstände in Syrien "glaubwürdige Zahlen" vorzulegen: "Über 1.600 Tote, 2.000 Verwundete (Al-Dschasira am 27. Juli) und nahezu 3.000 Vermisste (CNN am 28. Juli)." Welche sind die Quellen dieser Angaben, wer ist verantwortlich für die Opfer? Dazu kein Wort.

Der US-Botschafter in Syrien, Robert S. Ford, sagte in einer Anhörung eines Senatsausschusses gerade heraus: "Die gefährlichste Waffe, die ich sah, war eine Schleuder." Und diese Aussage von der Schleuder, die eine ausgewachsene Lüge darstellt, wurde reichlich zitiert, um die These vom gewaltfreien Charakter der syrischen Proteste aufrecht zu halten, und um Botschafter Robert S. Ford ein "menschliches Gesicht" zu geben. Letzteres gelingt jedoch nur, wenn man vergisst, wer ein Teil des Plans von Negroponte war, im Irak Todesschwadronen nach Art derer in El Salvador und in Honduras aufzustellen. So wird die Lüge zur 'Wahrheit'.

Die syrische Regierung und ihr Militär und ihre Polizeikräfte tragen eine erhebliche Verantwortung für die Art, wie sie dem Aufstand begegnet sind, wodurch es zu Toten unter Zivilisten und Polizisten kam. Allerdings ist dieser Sachverhalt - Gegenstand einer offenen, kritischen Diskussion in Syrien - nicht sinnvoll zu behandeln, wenn man nicht gleichzeitig analysiert, wie die USA und ihre Verbündeten einen Aufstand unterstützt und finanziert haben, der von islamistischen paramilitärischen Gruppen und Todesschwadronen unterwandert ist.

Die erstrangige Verantwortung für die zivilen Toten in Syrien liegt in Washington, in Brüssel und in Ankara, von wo die Bildung und Einschleusung islamistischer 'Freiheitskämpfer' unterstützt wurden. Dort wurden auch die Finanzierung und die Lieferung von Waffen an die Aufständischen ermöglicht. Da die NATO-Regierungen und die westlichen Medien die Existenz von bewaffneten Aufständischen, die von ausländischen Mächten unterstützt werden, nicht zugeben wollen, werden die Toten bei den Protestaktionen in Syrien umstandslos und ohne jegliche weitere Erklärung einzig der Staatsmacht angelastet als "Schießen auf schutzlose Zivilisten" oder als "Schießen auf Überläufer aus den Reihen der Polizei zu den Protestierenden".

Ständige Verschärfung ist ein zentraler Bestandteil der militärischen Planungen. Destabilisierung souveräner Staaten durch "Regimewechsel" ist mit militärischen Absichten eng verbunden. Es gibt zweifellos einen gewissen militärischen Fahrplan, der durch eine Folge von Kriegsschauplätzen der USA/NATO gebildet wird.

Gewisse Vorbereitungen für militärische Angriffe auf Syrien und den Iran sind seit mehreren Jahren "im Zustand fortgeschrittener Fertigstellung". Die militärischen Planer der USA, der NATO und Israels haben die Umrisse eines "humanitären Militäreinsatzes" entworfen, bei dem die Türkei als zweitgrößte Militärmacht innerhalb der NATO eine zentrale Rolle spielen soll.

Im Verlauf der jüngsten Entwicklungen gab die Türkei zu verstehen, dass man in Ankara militärische Aktionen gegen Syrien erwägt, wenn die Regierung al-Assads nicht "augenblicklich und bedingungslos" ihre Aktionen gegen die 'Protestierenden' einstellte. Es hat durchaus etwas von Ironie, dass die islamistischen Kämpfer, die in Syrien operieren und die Zivilbevölkerung terrorisieren, durch die türkische Regierung von Ministerpräsident Erdogan ausgebildet und finanziert werden. Diese versteckten Drohungen aus Ankara weisen auf eine mögliche Verwicklung türkischer Truppen in die Erhebungen in Syrien hin, was sich durchaus hin zu einer vollwertigen "humanitären" Intervention durch die NATO entwickeln könnte.

Wir befinden uns an einer gefährlichen Kreuzung. Würde eine militärische Operation von USA und NATO gegen Syrien eingeleitet, so drohte die Region des Nahen Osten und Zentralasiens, von Nordafrika und dem östlichen Mittelmeer bis zur Grenze von Afghanistan und Pakistan mit China in den Wirren eines ausgedehnten regionalen Krieges verschlungen zu werden. Derzeit gibt es bereits vier verschiedene Kriegsschauplätze in diesem Gebiet: Afghanistan-Pakistan, Irak, Palästina und Libyen. Ein Angriff auf Syrien würde zu einer weitgehenden Verbindung dieser einzelnen Kriegsgebiete führen, was sich durchaus in einen umfassenden Krieg im Nahen Osten und in Zentralasien verwandeln könnte.

Denn man darf nicht vergessen, dass über Damaskus der Weg nach Teheran führt. Einem von den USA und der NATO geförderten Krieg gegen den Iran würde eine Destabilisierungs-Kampagne zu einem 'Regime-Change' gegen die Regierung Syriens auf Basis verdeckter Geheimdienstoperationen zur Unterstützung von Aufständischen eine gute Basis geben. Ein Krieg in Syrien könnte sich dann zu einer direkt gegen den Iran gerichteten Militäraktion entwickeln, in die die Türkei und Israel direkt eingebunden wären. In dieses Szenario passen auch die anhaltenden Bemühungen zur Destabilisierung des Libanons.

Es ist daher entscheidend für das Durchkreuzen solcher Entwicklungen, das Schweigen und die Kanäle der Desinformation in den westlichen Medien zu durchbrechen. Ein kritisches und unvoreingenommenes Verständnis dessen, was in Syrien seit einem halben Jahr geschieht, ist von entscheidender Bedeutung, um nicht in der Flut der (imperialistischen) militärischen Eskalation hin zu einem erweiterten regionalen Krieg mit zu treiben.

Für eine Vertiefung der vorstehenden Analysen von Prof. Michel Chossudowski eignet sich hervorragend ein aktueller und weitere Einzelheiten plastisch zusammenfassender Artikel 'Gewollte Eskalation' der freien Journalistin Karin Leukefeld in 'junge Welt' vom 22. September.

Quelle und Copyright © : Prof. Michel Chossudovsky; global.research.ca
Foto: ElvertBarnes (Aktion von Shaam News Network vor dem Weissen Haus, 08-2011)
Text und Übersetzung: hth 

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