28.03.2011: Während am Samstag, den 26.03.11 in Berlin, Hamburg, Köln und München die Großdemonstrationen unter der Losung "Fukushima heißt: Alle AKWs abschalten!" stattfanden, tagte in Essen der Parteivorstand. Der Termin dieser Tagung konnte - auch wegen der nötigen Beratungen zur Vorbereitung des UZ-Pressefestes - nicht mehr verschoben werden. In dem Eingangsreferat führte Nina Hager aus: Die Losung "Alle AKWs abschalten" ist auch unsere Position. Unser Platz ist in dieser Bewegung. Unter dem Zeichen des Protestes gegen Atomwaffen und Kernkraftwerke werden auch die Ostermärsche in diesem Jahr stehen, zu deren Erfolg wir in den nächsten Tagen und Wochen mit beitragen wollen. Wir unterstützen deshalb den gemeinsamen zentralen Aufruf der Friedens- und Anti-Atom-Bewegung zum Ostermarsch "Eine Zukunft ohne Atomwaffen und Atomkraftwerke". Die DKP ruft auf, die Aktionen der Friedens- und der Anti-AKW-Bewegung zu unterstützen.
Sie erinnerte aber auch daran, dass dies für die DKP ein schwieriger Weg der Erkenntnis war.
Liebe Genossinnen und Genossen,
wenn die DKP heute für die sofortige Abschaltung der AKW im Land wie weltweit eintritt, dann müssen wir jetzt auch daran erinnern, dass dies für die Partei ein schwieriger Weg der Erkenntnis war.
Noch im Mannheimer Programm der DKP von 1978 wurde die Nutzung der Kernkraft grundsätzlich bejaht. Lange Zeit galt es in unserer Partei, wie Gerd Deumlich 1993 in seinem Beitrag "Buchstäblich eine Kernfrage" für das Buch "25 Jahre DKP. Eine Geschichte ohne Ende" schrieb, als gesicherte Erkenntnis, dass die friedliche Nutzung der Kernenergie ein starkes Stück Menschheitsfortschritt bedeutet.
Es war in diesem Zusammenhang völlig richtig, Profitstreben anzuprangern und ist es noch heute. Doch Erkennbarkeit und Beherrschbarkeit von Naturprozessen fallen, wie Gerd damals schrieb, eben nicht zusammen. Zudem folgen Technik und Technologie eben auch anderen, eigenen Gesetzen, deren Eigenständigkeit im Vergleich zu Natur- und Gesellschaftsgesetzen auch in der marxistischen Diskussion lange umstritten war. Aber ein Stromkreis brennt eben auch unter sozialistischen Bedingungen durchaus nicht "vorausgeplant" durch. Und auch unter sozialistischen Bedingungen versagen Menschen eben manchmal in komplexen Entschei-dungssituationen und unter großem Zeitdruck.
Es mussten wohl erst die Ereignisse von Tschernobyl passieren, in einem Land von dem man - wie Gerd Deumlich schrieb - "überzeugt war, dass dort das gebändigte Atom in guten Händen ist" (siehe ebenda, S. 102), um solche und andere Probleme zu erkennen.
Er macht in diesem Aufsatz darauf aufmerksam, dass dann im Juni 1986 in einer Entschließung des Parteivorstandes aufgrund der Auseinandersetzungen um die Ereignisse in Tschernobyl verlangt wurde, es müssten weltweit und in der BRD "verstärkte Anstrengungen unternommen werden, um auf die Energieerzeugung durch Kernspaltung als historisch begrenzte Übergangslösung so schnell wie möglich verzichten zu können." Der 9. Parteitag forderte schließlich im Jahr 1989 "den weltweiten Ausstieg, und für unser Land den sofortigen Ausstieg." Das ist eine Position, die sich die Partei schwer erarbeiten musste, in der Irrtümer erkannt wurden und eine Korrektur bisheriger Vorstellungen erfolgt.
Gerd verweist darauf, dass das war eine eigenständige Entscheidung der DKP war, "eine gravierende Neuerung in ihrer antimonopolistischen Politik wie in ihren Vorstellungen über den wissenschaftlich technischen Fortschritt".
Wissenschaftlich-technische Entwicklungen sind vor allem dann nicht akzeptabel, wenn sie human nicht vertretbar sind, wenn sie die Existenz von Mensch und Natur bedrohen: Im Kleinen wie auch im Großen.
Das klingt heute alles selbstverständlich. War es wohl aber lange überhaupt nicht.
Die Forderung in der gegenwärtigen Situation ist für uns klar: Atomwaffen abschaffen, Atomkraftwerke abschalten! Weltweit. Enteignung der Atom- und Energie-Mafia, Überführung in öffentliches Eigentum bei demokratischer Kontrolle und Entscheidung.
Liebe Genossinnen und Genossen,
warum bin ich auf die letzte Frage so ausführlich eingegangen? Ist uns das alles nicht schon lange bewusst? Auch dass man aus eigenen Fehlern in dieser Frage wie im Zusammenhang mit unserer Geschichte lernen und damit offen umgehen muss, wie Lenin im "Linken Radikalismus" vor 90 Jahren forderte?
"Das Verhalten einer politischen Partei zu ihren Fehlern ist eines der wichtigsten und sichersten Kriterien für den Ernst einer Partei und für die tatsächliche Erfüllung ihrer Pflichten gegenüber ihrer Klasse und den werktätigen Massen. Einen Fehler offen zuzugeben, seine Ursachen aufdecken, die Umstände, die ihn hervorgerufen haben, analysieren, die Mittel zur Behebung des Fehlers sorgfältig prüfen - das ist das Merkmal einer ernsten Partei, das heißt Erfüllung ihrer Pflichten, das heißt Erziehung und Schulung der Klasse und dann auch der Masse."
Ich setze hier einen Punkt.
Auszug aus dem Referat von Nina Hager auf der PV-Tagung 26./27.03.2011