Analysen

alt27.03.2011:  Während man uns vor allem von seiten der Grünen und der Sozialdemokratie Glauben machen möchte, dass der Krieg gegen Libyen unter Führung der USA und ihrer Vasallen (bzw. jetzt der NATO) zum Schutz der Zivilbevölkerung geführt wird, zeigen die Fakten, dass er mit dem politischen Ziel geführt wird, den Kräften der Oppositionsbewegung so viel Spielraum herbei zu bomben, dass diese Gaddafi stürzen und die Macht usurpieren können. Gerne bezeichnen sich diese Kräfte als Anwälte und Vertreter des libyschen Volkes und die bei uns herrschenden Medien tun nichts, um diesen verlogenen Heiligenschein zu zerstören.

Der große öffentliche Aufruhr in Libyen gegen das Regime von Gaddafi begann am 17. Februar dieses Jahres. Schon der Termin ist Symbol, denn er bezieht sich auch auf die anti-Gaddafi-Demonstrationen im Zuge der Proteste des Jahres 2006 in Bengasi gegen die den Propheten Mohammed verunglimpfenden Karikaturen in Dänemark. Geplant und propagiert wurde dieser 'Tag des Zorns' von der 'Nationalkonferenz der libyschen Opposition' (NCLO), die nach eigenen Angaben gegenüber der arabischen Tageszeitung 'asqar alawsat' dazu alle internen und externen Oppositionskräfte Libyens aufgerufen hatte.

Die NCLO ist eine von Ibrahim Sahad und seiner 'Nationalen Rettungsfront Libyens' (NFSL) im Jahre 2005 gegründeten Sammlungsbewegung von vornehmlich im Exil lebenden anti-Gaddafi-Kräften. Neben der NFSL waren noch 6 andere Widerstandsorganisationen beteiligt: die Nationalle Allianz, die Republikanische Koalition für Demokratie und Gerechtigkeit, die Libysche Nationale Front, die Libysche Bewegung für Wandel und Reform, die Islamische Koalition, während die libysche Moslem Bruderschaft nicht teilnahm. Man sprach sich zum Schein gegen jede fremde Intervention in Libyen aus (damit hätte man in Libyen selbst keinen Einfluss gewinnen können), sah sich aber in der Zusammenarbeit mit den USA und Groß-Britannien. In welcher politischen und ideologischen Ausrichtung die NCLO steht, wird auch klar, wenn man weiß, dass Ibrahim Sahad ein von der CIA der USA bezahlter Organisator von Widerstand gegen Gaddafi ist. Er ist eine ehemaliger Kommandeur unter Gaddafi, der jedoch schon seit über 30 Jahren in den USA lebt. 1984 versuchte er mit der NFSL bereits in einem Putsch Gaddafi zu entmachten, die Library of Congress Federal Researsch Division der USA enthält Dokumente mit Angaben, dass die CIA die NFSL vor und nach dem Putschversuch trainierte und unterstützte. In den 1980er Jahren waren Sahads NFSL und die Libysche Nationalarmee für diverse Militäraktionen und Anschläge in Libyen gegen Gaddafi und sein Regime verantwortliche, was man bei uns gemeinhin als 'terroristische Aktionen' bezeichnen würde.

Ende November 1993 war Sahad führender Teilnehmer einer vom Washingtoner Center for Strategic and International Studies (CSIS) organisierten Tagung von Exil-Libyern (durchweg militärische und Machtelite, die sich mit Gaddafi überworfen hatte), die sich über Ansätze und Wege zum Sturz des Gaddafi-Regimes austauschten. In einer Zusammenfassung dieser Konferenz findet sich schon der Satz: "Unglücklicherweise haben wir bisher nicht versucht, die Erhebungen des Volkes im Lande zu begreifen und auf ihnen aufzubauen." Und an anderer Stelle heißt es: "Die meisten Teilnehmer sprachen sich für eine Privatisierung (der umfangreichen staatlichen Ökonomie in der Öl-Wirtschaft) und einen starken privatwirtschaftlichen Bereich aus."

Ibrahim Sahad hat seit Beginn der Unruhen im arabischen Raum über verschiedene Medien und im Schulterschluss mit div. Organisationen im Dienste der USA versucht, die Aufstände in Libyen anzutreiben und die Einmischung und Militäraktionen der USA und ihrer Gefolgsleute propagandistisch vorzubereiten. Dazu gehören die von der US-Regierung abhängigen und organisierten movements.org, die National Endowment of Democracy (NED) und eine Vielzahl ähnlicher NGOs, aber es gehören dazu auch etwa die International Crisis Group (ICG), in der neben dem imperialistischen US-Strategen Brzezinski u.a. auch der Ägypter El-Baradei die Führung inne hat. Die NED brachte Ende Februar offizielle Erklärungen über angebliche Massaker der libyschen Regierung, von denen viele sich nicht nachweisen ließen, in den UN-Sicherheitsrat und im UN-Menschenrechtsrat ein (die dort Libyens Ausschluss zur Folge hatten). In den Forderungen der ICG vom 22. Februar ist bereits die ganze Palette der jetzt angelaufenen Kriegsmaßnahmen und Sanktionen gegen Libyen enthalten. Movements.org propagiert den Bloger 'EnoughGaddafi', der auch auf der NFSL-Seite von Ibrahim Sahad zu finden ist und Webmaster von LibyaFeb17.com ist.

In einer anderen rückschrittlichen Tradition stehen die Kräfte der 'Libyschen Verfassungsunion', hinter der die königstreuen Anhänger der alten, 1951 von Italien unabhängig gewordenen Monarchie stehen, deren Herrschaft Gaddafi 1969 mit einem Staatsstreich beendete. Sie wird vom 48-jährigen Enkel des letzten Königs, Kronprinz Mohammed al-Senousi geführt, der ebenfalls seit langem wie Ibrahim Sahad aus den USA die Propaganda- und Umsturzaktivitäten gegen Gaddafi anleitet. Im Jahre 2005 nahm er an der schon erwähnten Londoner Konferenz mit seinen Anhängern teil, um der Welt (insbesondere den USA und Großbritannien) zu zeigen, dass es zu Gaddafi eine Alternative gäbe, die nicht "islamistischer Extremismus" ist. Gleich zu Beginn der Aufstände in Libyen zog es ihn jetzt nach Ägypten, wo er einem westlichen Diplomaten den Kontakt zum Nationalen Übergangsrat Libyens vermittelte und ähnlich wie Ibrahim Shad die Opposition aktiv unterstützte.

Die Anerkennung als offizielle und politische Vertretung der Gaddafi-Opposition erhielt ein nach Ausbruch der Unruhen gebildeter 'Nationaler Übergangsrat Libyens'. Ohne sich vorher auf irgendeine innere Organisation Libyens stützen zu können, wurde dieses Gremium quasi unter höchstem Zeitdruck zusammen gewürfelt und rief seine Existenz am 5. März aus. Bezeichnend ist, dass es zuvor bereits zu einem Machtstreit der beiden führenden Gestalten Mustafa Mohammed Abdul Jalil und Abdul Hafez Ghoga kam. Abdul Jalil war Libyens Justizminister seit 2007, davor Richter in verschiedenen Funktionen in al-Bayda seit 1978. Am 21. Februar kündigte er Gaddafi die Gefolgschaft auf und kündigte meldete bereits am 26. Februar die Gründung des Rates in Bengasi unter seiner Führung an. Hafez Ghoga beanspruchte daraufhin öffentlich selbst die Führungsrolle und bestand darauf, den Rat keineswegs nur als Übergangsregierung zu verstehen.

Hafez Ghoga war 'Menschenrechtsanwalt' in Bengasi. Er wurde bekannt, weil er Anfang Februar mit Gaddafi zusammen kam und über über die rechtliche Stärkung des Landes mit ihm redete. Nach eigenen Angabe ging er aus diesem Gespräch mit dem Entschluss, die Protestaufrufe für den 17. Februar zu befolgen. Er wurde danach, am 19. Februar, für ein paar Tage inhaftiert und schlug sich nach der Freilassung auf die Seite der Opposition in Bengasi. In Zuge der Ausrufung der Gründung des Nationalen Übergangsrates Libyens gab Abdul Jalil im schon erwähnten Streit um Führung und Verständnis des Rates nach und man einigte sich darauf, dass Jalil der offizielle Chef sein solle und Ghoga der Sprecher nach außen.

Der 67-jährige Omar al-Hariri ist in dem Nationalen Übergangsrat für 'militärische Angelegenheiten' zuständig. Er ist ein alter Weggefährte von Gaddafi, nahm am Sturz der Monarchie 1969 teil. Später, im Jahre 1975, organisierte er einen Putsch gegen Gaddafi, der kläglich scheiterte und ihn über 15 Jahre ins Gefängnis brachte. 1990 begnadigt, lebte er bis zum 17. Februar in Tobruk unter Hausarrest. Den Aufstand im Februar bezeichnete er in 'The Globe and Mail' als spontane Erhebung der 'Facebook-Kinder', so als ob solche Initiativen vom Himmel fielen. Die Jugend brauche die Anleitung und Beratung von Älteren, wie ihm - fügte er hinzu. Die 'Revolutionäre' bräuchten die Durchsetzung einer Flugverbotszone über Libyen durch die internationale Gemeinschaft und vielleicht sogar Cruise Missiles und andere Luftangriffe auf militärische Einrichtungen und Kräfte, die an der Seite Gaddafis stünden, propagierte al-Hariri bereits an gleicher Stelle am 2. März.

Im Nationalen Übergangsrat sind Mahmoud Jibril und Ali Issawi für Außenbeziehungen zuständig. Der 59-jährige Jibril war lange Jahre in der USA und arbeitete als Professor an der Universität Pittsburgh in Pennsylvania. Vor wenigen Jahren ging er zurück nach Libyen und wurde Vorsitzender des Nationalen Planungsrates und 2009 Vorsitzender des Gremiums für die nationale ökonomische Entwicklung. Der US-Botschafter in Libyen, Gene Cretz, bezeichnete ihn intern als ernsten Gesprächspartner, der auf die US-Interessen eingehe: "Er scheut sich auch nicht, seine Sicht auf die US-Außenpolitik zu äußern. So etwa vertritt er die Meinung, dass die USA die große Chance nach dem Fall der Sowjet Union (nach 1989) zur Durchsetzung und Verankerung ihrer Macht im Nahen Osten verspielten."

Ali Issawi war bis zum 21. Februar Botschafter Libyens in Indien, nachdem er im März 2009 als Minister unter Gaddafi für Wirtschaft, Handel und Investitionen entlassen wurde. Ein Dokument der französischen Botschaft in Tripolis sprach von Korruptionsvorwürfen gegen ihn. Der 1966 in Bengasi geborene Issawi war ab 2005 Generaldirektor des libyschen Programms zur verstärkten Privatisierung der Wirtschaft.

Die beiden 'Außenminister' des Nationalen Übergangsrates waren diejenigen, die zunächst mit Frankreichs Staatspräsident Sarkozy über eine 'Anerkennung' des Rates verhandelten und diese auch prompt wenige Tage nach der Gründung des Rates erhielten, später das Europa-Parlament zum Krieg gegen Libyen aufforderten.

Die anderen Mitglieder des 31-köpfigen Nationalen Übergangsrates sind weniger von Gewicht, repräsentieren zum Teil örtliche und regionale Kräfte. Das gilt auch für Abdul Jalil, der seine Machtbasis vor allem in al-Bayda haben soll und für Hafiz Ghoga, dessen Anhänger schwerpunktmäßig in Bengasi sind.

Obwohl der Nationale Übergangsrat sich nach außen hin gegen eine westliche direkte Intervention in Libyen aussprach, waren alle wesentliche Führungspersonen sich einig über die Notwendigkeit von Sanktionen gegen das Gaddafi-Regime und einer Flugverbotszone, wie sie im jetzigen Krieg gegen Libyen herbeigebombt wurde. Das ist auch nicht sonderlich verwunderlich. Denn hinter dieser Neuauflage früherer Putsche gegen Gaddafi stehen keine sonderlich starken Kräfte, es fehlt an Organisation, vor allem im militärischen Bereich und an Bewaffnung. Es fehlt an logistischer und unterstützender Ausstattung der Opposition im Osten Libyens, um von dort über eine große Entfernung nach Westen mit schwacher Bewaffnung und keiner nennenswerten Luftabwehr nach Tripolis voran zu kommen.

Am 24. März sagte ein Sprecher des Nationalen Übergangsrates, Mustafa Gheriani, dass man etwa 17.000 Aufständische auf seiner Seite bewaffnet habe. Die meisten von ihnen sind jedoch keine ausgebildeten Soldaten, sondern einfache Zivilisten, wie etwa Musiklehrer, Köche oder Angestellte. Häufig sind es auch nur junge Männer, denen man eine Waffe in die Hand gedrückt hat. Und etwas deutlicher noch wurde der am letzten Mittwoch (23. März) frisch ernannte 'Finanzminister' des Nationalen Übergangsrates, Ali Tarhouni, laut 'The New York Times' am Tag vor seiner Ernennung. Nach der (von außen angeheizten) Erhebung hätten die Rebellen gezaudert,  sich zu organisieren. Beim derzeitigen Bemühen, die bewaffneten Einheiten von Gaddafi zu schlagen, seien sie auf die Hilfe durch die alliierten Luftschläge und auf 'junge Männer mit Waffen in den Händen' angewiesen, weil die Rebellenarmee, von der ihre Anführer prahlten, lediglich 1.000 ausgebildete und erfahrene Soldaten in ihren Reihen habe. "Der Prozess war und ist chaotisch", sagte Ali Tarhouni.

Neben diesen Offenbarungen über das Abenteurertum der Anstifter und Führungsköpfe des libyschen Aufruhrs ist auch hier der Hintergrund des neuen 'Finanzministers' hilfreich zum Verständnis der Opposition in Bengasi. 35 Jahre schon lebt Tarhouni in den USA, war dort Professor für Ökonomie an der Universität von Washington. Vor einem Monat erst kehrte er aus den USA nach Libyen zurück. Die Opposition um den Nationalen Übergangsrat verspricht sich gerade wegen seiner guten Kontakte zur us-amerikanischen politischen Elite einen Anschub bei der internationalen (pro USA und EU) Unterstützung ihrer Ziele.

Abrunden lässt sich das Bild noch durch eine Beschreibung der libyschen Oppositionskräfte, die der deutsche Friedensforscher Jochen Hippler im österreichischen Standard wenigen Tagen in einem Interview formulierte: "... in Libyen existiert eine Situation des Chaos. Wir haben derzeit zwei getrennte Bürgerkriege: einen im Osten, einen im Westen. Und im Moment ist der Süden dabei, auf Seiten Gaddafis in diesen Konflikt einzutreten. Und zwar nicht, weil man Gaddafi unterstützen möchte, sondern weil man die Spaltung des Landes verhindern möchte. Das Öl liegt im Osten und sollte der wegfallen, hat der Rest des Landes nur mehr 20 Prozent des Öls. Wir haben prodemokratische Kräfte, aber auch Sezessionisten, denen Gaddafi nicht wichtig ist, solange der Osten unabhängig wird. Dann haben wir noch die Stämme, Mafiaorganisationen, die das gegenwärtige Chaos ausnützen und religiös-extremistische Organisationen, die ihr eigenes Süppchen kochen wollen. Jede dieser Strömungen ist für sich noch einmal mehr oder weniger stark unterteilt. Manche Gaddafi-Feinde kämpfen im Moment gegen Aufständische, weil sie gegen eine Spaltung des Landes sind."

Zweifellos hat der Aufruhr in Libyen auch notwendige und gerechte Forderungen und Sehnsüchte vieler, vor allem junger Menschen im Lande aufgegriffen. Aber die Fakten deuten darauf hin, dass diese Erhebungen von pro-westlichen Kräften im Ausland angestachelt und voran getrieben wurden. Dabei fehlte es in jeder Hinsicht an organisatorischer und militärischer Basis für eine, nach allen früheren Ereignissen von Anfang an absehbare militärische Auseinandersetzung mit dem Gaddafi-Regime. Solche Verantwortungslosigkeit gegenüber dem Schicksal der Volksmassen aber liefert bewusst und absichtlich die sich erhebenden Menschen brutalen Selbstbehauptungsaktionen der Regierung aus und hat überhaupt nur dann Sinn, wenn die Akteure von Anfang an auf die politische und - wie derzeit erfolgt - militärische Rückendeckung vom Ausland aus setzen. Dazu braucht man dann die behaupteten oder auch echten Gräuel der herrschenden Kräfte, denn nur so lässt sich heutzutage am besten solches verbrecherische Vorgehen ideologisch in den Ländern der westlichen Imperien durchsetzen. Es ist schwer vorstellbar, dass bei einem Erfolg der libyschen Opposition mehr für das libysche Volk herausspringt, als vergleichsweise eine Regierung und Zustände wie derzeit im Irak (was dort mit dem 'kleinen Kollateralschaden' von ca. 1 Mio. Toten bezahlt wurde).

s.a. Liegt Libyens Zukunft im Jahre 1951?

Text: hth  / Foto: LandDestroyerReport

Farkha Festival Komitee ruft zu Spenden für die Solidaritätsarbeit in Gaza auf

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