25.11.2021: Vom 22. bis 23. Oktober fand in Wien die Konferenz "Cities for Future" statt. Auf Einladung der Partei der Europäischen Linken und transform! europe kamen Stadträt*innen und Expert*innen aus ganz Europa zusammen, um Erfahrungen über die Umsetzung linker Antworten auf lokale Wohnungs- und Mobilitätsfragen auszutauschen. Für die marxistische linke, Partnerin der Partei der Europäischen Linken, nahm Christian Weinstock aus Lingen im Emsland teil. Er berichtet:
Ich kann keinen umfassenden Bericht über die Konferenz geben, dazu war sie viel zu umfangreich und vielfältig. Das Tagungsprogramm kann man hier nachlesen: https://www.transform-network.net/de/kalender/event/cities-for-future/
Ich will nur einige Eindrücke schildern, die ich auf der Konferenz "Cities for Future" gewonnen habe. Es waren circa 100 Teilnehmer*innen aus ganz Europa anwesend, um sich über ihre kommunalpolitischen Erfahrungen aus ihren Städten und Gemeinden auszutauschen.
Auf den Podien und den Workshops traten vornehmlich Redner*innen auf, die ein Amt in der Kommunalvertretung einer europäischen Großstadt innehaben, wie Zagreb, Berlin, Graz, Helsinki oder Madrid. Dem gegenüber wohne ich in Lingen, einer Kleinstadt mit circa 55.000 Einwohner, im ländlich geprägten Kreis Emsland.
Vor diesem Hintergrund wurde mehrfach vor allem aus den Reihen der Teilnehmer*innen betont, dass man natürlich nicht einfach Modelle, die in einer Gemeinde oder Großstadt funktioniert haben, auf eine andere Gemeinde 1 zu 1 übertragen kann. Insbesondere müsse das Gefälle zwischen urbanen und ländlichen Regionen berücksichtigt werden.
Trotzdem habe ich versucht aus den vorgestellten Ansätzen möglichst viele Anregungen mitzunehmen und sie mit meiner eigenen kommunalpolitischen Praxis sowie Bedingungen zu vergleichen und theoretische Anregungen aus einer marxistischen Perspektive aufzunehmen.
Im folgenden möchte ich daher beispielhaft darlegen, wie man aus einem solchen Erfahrungsaustausch einen Nutzen ziehen kann. Gleichzeitig Handelt es sich nur um Bruchstücke dessen, was auf der Konferenz inhaltlich diskutiert und behandelt wurde.
Thematische Hauptbereiche waren Wohnungs- und Verkehrspolitik.
Beginnen möchte ich mit Ana Correia da Veiga, Stadträtin von Dei Lenk (Die Linke) in Luxemburg Stadt. Sie berichtete, dass seit März 2020 die Nutzung des ÖPNV in Luxemburg Stadt kostenlos für Alle ist, wofür Dei Lenk stets eingetreten ist. Umgesetzt hat es aber letztlich die liberal-konservative Stadtregierung in Luxemburg. Da nur circa 8 % der Finanzierung des ÖPNVs über den Ticketverkauf erfolgte, hatte laut da Veiga die Regierung selbst eingesehen, dass die Einführung des Nulltarifs nicht nur ökonomisch sinnvoll, sondern auch ein Imagegewinn für die Stadt bedeutete.
Dann betonte sie jedoch, dass aus linker Sicht mit einem Nulltarif noch lange nicht alle verkehrspolitischen Belange gelöst sind. Sie wies darauf hin, dass um Luxemburg Stadt auch eine ländlich geprägte Region existiert, die hinsichtlich des ÖPNVs unzureichend mit der Stadt verbunden ist. Weiter hat sie darin einen Tatbestand sozialer Ungleichheit festgemacht, denn es sind vornehmlich Menschen mit geringen Einkommen, welche im Umland von Luxemburg Stadt leben, jedoch täglich ins Zentrum zur Arbeit und zurück pendeln müssen. Häufig nutzen sie eben aufgrund der unzureichenden Verbindungen dann doch das Auto und nicht den ÖPNV, so dass sie vom Nulltarif nicht profitieren.
Der Bericht von da Veiga war für mich sehr hilfreich, um die verkehrspolitische Bedingungen im Landkreis Emsland einzuordnen. Die Verbindungen und Taktungen sind hier sehr unzureichend, sodass es vor allem für Menschen, die auf dem Dorf leben, kaum Anreize gibt diesen zu nutzen. Arbeiter*innen, Familien und ältere Menschen sind daher auf einen PKW angewiesen, wenn sie dauerhaft im Emsland leben. Eine relative Vergünstigung des ÖPNVs gegenüber dem PKW muss daher immer mit iner qualitativen Verbesserung des ÖPNV-Netzes zusammengebracht werden.
Katalin Gennburg (Die LINKE) [Foto oben, 2. v. l.], Stadträtin in Berlin und gleichzeitig Aktivistin bei "Deutsche Wohnen & Co. enteignen", berichtete von dem Volksbegehren in Berlin zur Enteignung großer Wohnungskonzerne. Sie wies daraufhin, dass nun nachdem die Bevölkerung Berlins mehrheitlich für den Volksentscheid gestimmt hat, es nun an der Regierungskoalition aus SPD, LINKE und Grüne liegt, den Volksentscheid in die Tat umzusetzen.
An dieser Stelle habe ich die Möglichkeit in einem Workshop genutzt meine Perspektive mit in das Problem einzubringen. Und zwar habe ich meine Skepsis dargelegt, dass die großen Immobilienkonzerne eine Enteignung zulassen werden, bzw. alles tun werden dies zu verhindern. Ich fügte hinzu, dass solange die Wohnung bzw. das Wohnen eine Ware ist, sich nichts grundsätzlich daran ändern wird, dass es als Möglichkeit der Bereicherung von großen Immobilienkapitalisten dient. Insofern kann der Kampf um niedrigere Mieten auch als ein wichtiges Feld verstanden werden, in dem sich die Menschen darüber bewusst werden, wie der Kapitalismus es verunmöglicht menschliche Grundbedürfnisse zu befriedigen. Letztlich regte ich an, zu überlegen, ob die traditionellen Mittel der Arbeiter*innenbewegung so wie des Klassenkampfes nicht auch auf den Bereich der Mieten anwendbar sind, zum Beispiel in Form eines Mietstreiks.
Max Zirngast [Foto oben, 2. v. r.], KPÖ-Gemeinderat in Graz, schilderte, wie es seine Partei geschafft hat, in der Stadt zur stärksten Partei zu werden, um nun die Mehrheit in der Stadtregierung wie auch mit Elke Kahr die Bürgermeisterin zu stellen. Ein wichtiger Erfolgsgrund ist dafür, dass sie sich im Bereich der Wohnungspolitik und dem Problem der hohen Mieten jahrelang intensiv engagiert haben. Inspiriert hat mich hier vor allem die Einrichtung eines Sorgentelefons als Mieternotruf, wo sich die KPÖ einzelfallbezogen um die Probleme der Menschen in Graz gekümmert hat.
Ähnliches kann ich mir nämlich ebenfalls in Lingen vorstellen. Das Wahlbündnis "Freie Wählergemeinschaft Lingen", in der die marxistisch linke Emsland mit beteiligt ist (siehe kommunisten.de: "Freie Wählergemeinschaft. Die echte Alternative in Lingen"), hat nämlich mit der Forderung nach der Einführung eines Strom/Gas-Sozialtarifs bei den Lingener Stadtwerken einen Schwerpunkt in der Stadtratswahl im September 2021 gesetzt. Die kürzlich gestiegenen Preise beim Strom, aber vor allem bei Gas, werden voraussichtlich mehr Haushalte in finanzielle Nöte bringen. So ist für mich auch ein Notfall-Sofortprogramm gegen Strom- und Gassperren, um für den anstehenden kalten Winter gewappnet zu sein, eine Herzensangelegenheit. (siehe kommunisten.de: "Niemand soll im Finstern und in der Kälte sitzen")
Neben dem Podium und den Workshops war aber auch der Austausch unter den "normalen" Teilnehmer*innen mindestens genau so fruchtbar. Vor allem die Unterhaltung mit Urška Honzak [Foto links, mitte] und Borut Osonkar [Foto links, links; ich, rechts], beide von der slowenischen Partei Levica (Linke) ist mir im Gedächtnis geblieben. Urška Honzak ist Stadträtin in Ljubljana und sie erzählte mir davon, dass ihre Partei eventuell ein Referendum in Angriff nehmen wird, um den Bau eines neues Kaufhauses zu verhindern, da die Immobilien besser als Wohnraum genutzt werden könnten. Ich fand das Vorhaben interessant, da ich die Mittel der partizipativen und direkten Demokratie für äußerst bedeutend für die Politisierung der Bevölkerung halte. Nun bin ich gespannt, ob ich darüber künftig mehr erfahren werde.
Außerdem ist mir noch aufgefallen, dass ich häufiger auf die marxistisch linke angesprochen worden bin, weil wohl diese Form eines Netzwerkes für die Zusammenarbeit von Linken, Sozialist*innen und Kommunist*innen noch eher unbekannt ist.
Abschließend will ich nochmals wiederholen, dass ein solch Erfahrungsaustausch auf europäischer Ebene wichtig ist, weil man über neue Anregungen und Informationen weiteren Elan für die eigene Praxis gewinnt.