12.05.2020: Die täglichen "Corona-Talk-Shows" werden von Virologen, sonstigen medizinischen "Fachleuten" und der Politik"elite", in der Regel von den Regierungsparteien, dominiert. Gewerkschaften sind nicht präsent, selbst wenn es um sozialpolitische Fragestellungen geht. Es handelt sich um Ausnahmen, wenn Menschen wie der Philosoph und Autor Richard David Precht oder die Transformationswissenschaftlerin Maja Göpel eingeladen sind und Alternativen zur neoliberalen Politik aufzeigen können.
Precht fordert bspw. eine Transaktionssteuer auf Finanzgeschäfte und eine Steuer von 25% auf die Umsätze der Online-Handelsriesen wie bspw. Amazon, die dann in einen entsprechenden Fond einzuzahlen wären. Denn während die Corona-Pandemie für Abermillionen Menschen zu verheerenden wirtschaftlichen und sozialen Folgen führt, zählt Amazon-Chef Jeff Bezos zu den Krisengewinnern. Seit Jahresbeginn ist er um 25,3 Milliarden US-Dollar reicher geworden und liegt mit einem Vermögen von 140 Mrd. US-Dollar weltweit wieder auf Platz 1 der reichsten Menschen der Welt. (Bloomberg, 29. April 2020) Hier und bei den zentralen Akteuren des Finanzkapitals, die ebenfalls als Gewinner aus der Krise hervorgehen werden, ist das Geld zu holen, wenn es darum geht, die Zeche der Corona-Krise zu bezahlen.
Hans Jürgen Urban, Vorstandmitglied der IG Metall, befürchtet in einem Beitrag für die Frankfurter Rundschau vom 19.04.2020 zu Recht, dass nach Corona in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft wieder die alten Mechanismen greifen werden. Er nennt den aktuellen Abschied von der bis vor der Krise praktizierten Austeritätspolitik "reinen Notpragmatismus", der befürchten lässt, dass ein Rückfall in die Spar- und Sozialabbaulogik nach der Krise nicht unwahrscheinlich ist.
Er macht hier dann auch heftige Konflikte um den Abbau der Schuldenberge aus. Weiterhin sei zu befürchten, dass Finanzmittel, die aktuelle in die Stabilisierung der Wirtschaft und den Erhalt von Arbeitsplätzen fließen, für die notwendige Ökologisierung der Produktion und die damit verbundenen Änderungen gesellschaftlicher Verhaltensnormen, nicht mehr zu Verfügung stünden. Hier kämme es dann zu einer Mittelkonkurrenz von Krisen- und Klimaschutz.
Notwendig seien, so Urban, grundlegende Korrekturen in den Produktions- und Verteilungsverhältnissen. Über die entsprechenden Weichenstellungen müsse es eine breite gesellschaftliche Debatte geben, die dann zu entsprechend legitimierten Entscheidungen führen sollte. Hierzu biete die Krise nun ein entsprechendes Zeitfenster.
Gewerkschaften: Jetzt programmatische Orientierungen umsetzen
Die Gewerkschaften haben klare programmatische Orientierungen, in Bezug auf eine sozial-ökologische Transformation. Diese gilt es jetzt, in einer Zeit, in der über gesellschaftspolitische Alternativen zu diskutieren ist, in diese Debatte einzubringen.
Ver.di hat bspw. auf dem Bundeskongress 2019 einen Beschluss gefasst, der aufzeigt, mit welchen Positionen der DGB und seine Einzelgewerkschaften in den Betrieben und in der Gesellschaft ein solche Debatte fördern könnten, in der es um die Frage geht, wie es nach der Krise weiter gehen soll.
Im beschlossenen Antrag C001 "Nachhaltige Wirtschaft und aktiver Staat - Für einen sozialökologischen Umbau" von ver.di ist zu lesen, dass in "Zeiten des Klimawandels die Umweltfrage für die Menschheit eine existentielle Bedeutung hat. Die fortschreitende Zerstörung unserer natürlichen Lebensgrundlagen muss gestoppt werden." Dass die Ursachen der aktuelle Corona-Pandemie auch im Zusammenhang mit der Zerstörung eben dieser Umwelt, einer industrialisierten Agrarwirtschaft und der damit verbundenen Lebensgrundlage von vielen Tieren zu sehen ist, ist mittlerweile unbestritten.
Weiter heißt es im beschlossenen Antrag von ver.di "alle Menschen sind unmittelbar vom ökologischen Wandel betroffen. Sei es in Form gesundheitlicher Beeinträchtigungen und/oder durch den ökonomischen Strukturwandel, der durch die Energie-, Verkehrs- und Agrarwende ausgelöst wurde."
Ver.di plädiert deshalb völlig zu Recht für einen sozial-ökologischen Umbau und fordert hierfür einen aktiven Staat. Wie aktiv dieser Staat werden kann, wenn es u.a. auch darum geht eigene Versäumnisse zu kaschieren oder die Profite der Konzerne zu sichern, erleben wir momentan hautnah. Kann man sich solche Aktivitäten auch nur ansatzweise bei den Themen Klimakatastrophe, ökologischer Kollaps, Altersarmut, Sozialabbau etc. vorstellen?
In Bezug auf die Wirtschaft wird in dem ver.di Beschluss ausgeführt, dass diese sozial und ökologisch umgestaltet werden muss und sich auch die Lebensweise der Bevölkerung verändern muss. Produktion und Konsum müssen auf Ressourcenersparnis ausgerichtet werden, geschlossene Stoffkreisläufe und Wiederverwertung sind anzustreben. Die Finanzinstitute müssen wieder zu Dienstleistern der Realwirtschaft werden und sich aus Spekulationsgeschäften zurückziehen. Insgesamt muss eine grundlegende Korrektur der Produktions- und Verteilungsverhältnisse erfolgen.
Weiter ist in dem Beschluss zu lesen "im Sozial-, Gesundheits-, Bildungs-, Kultur- und Wohnungsbaubereich gibt es große ungedeckte gesellschaftliche Bedarfe, die einen Personalaufbau erforderlich machen." Wie wahr, angesichts der aktuellen zum Teil katastrophalen personellen Situation nicht nur in den Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen.
Bzgl. der öffentlichen Infrastruktur, die von der "schwäbischen Hausfrau" und dem Herrn der "schwarzen Null" marode gespart wurden und die sich jetzt damit brüsten, dass es dank ihrer "soliden" Haushaltspolitik nun in der Krise möglich sei, staatliche "Rettungsschirme" aufzuspannen, plädiert ver.di für "umfangreiche Investitionen in Energie, Wohnen, Bildung, Soziales, Sport- und Freizeiteinrichtungen, Verwaltungsgebäude, Verkehrsinfrastruktur und Hochgeschwindigkeits-Internetleitungen, die den ökologischen Umbau vorantreiben."
Weiter unterbreitet ver.di umfassende Vorschläge und Konzepte für eine substantielle Energiewende, eine umweltfreundlichere Verkehrspolitik, den forcierten Ausbau eines bezahlbaren ÖPNV, für neue Logistikkonzepte (vorwiegend regional und lokal), für den Erhalt der Natur und der Artenvielfalt, für den Ausbau der öffentlichen Daseinsvorsorge. Dieser ökologische Umbau gelingt nur, wenn er mit einem besseren Leben, guter Arbeit und sozialer Sicherheit einhergeht, so ver.di.
In einer gemeinsamen Presseerklärung der IG-Metall und des Bundes für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) vom 09.04.2020 ist zu u.a. lesen, "dass die sozial-ökologische Transformation in den verschiedenen Branchen und Unternehmen mit Nachdruck vorangetrieben werden muss. Der Staat kann die notwendigen Umbauprozesse unterstützen, unter anderem mit den aktuell diskutierten möglichen Staatsbeteiligungen... Auch Konjunkturprogramme können dazu dienen, gute Arbeit zu sichern und neue Arbeitsplätze zu schaffen. Sie sind darüber hinaus eine Chance, den ohnehin notwendigen Umbau zu einer umweltverträglichen und sozial gerechten Wirtschaft voranzutreiben, in der das Gemeinwohl im Fokus steht."
Die IG-Metall hat auf ihrem 24. Gewerkschaftstag 2019 ebenfalls umfangreiche programmatische Forderungen für eine sozial-ökologische Transformation beschlossen. Im Antrag E2.001 zur Gesellschaftspolitik wird u.a. formuliert "Wir stehen am Beginn einer neuen Epoche industriellen Wirtschaftens. Die Industrie von morgen muss ökologisch nachhaltig sein. ... Wir wollen eine soziale, ökologische und demokratische Transformation, damit unsere Gesellschaft morgen gerechter und solidarischer ist als heute... Der ökologische Umbau der Wirtschaft ist die notwendige Reaktion auf die drohende Klimakatastrophe. Als Industriegewerkschaft haben wir eine besondere Verantwortung dafür, den gesellschaftlichen Wandel hin zu einer nachhaltigen Wirtschaft zu begleiten und letztlich sogar ein großes Interesse daran, ihn im Sinne der Beschäftigten möglichst schnell umzusetzen."
In weiteren Anträgen hat die IG Metall auch die notwendigen betrieblichen Transformationen im Blick, die u.a. zu einer entsprechenden ökologie- und klimafreundlicheren Produktionsweise führen und die laufenden Digitalisierungsprozesse sozial im Interesse der abhängig Beschäftigten gestalten sollen. Hier sind die örtlichen Betriebsräte gefordert, eine entsprechend aktive Rolle einzunehmen.
Für den sozial-ökologischen Umbau der Gesellschaft und die Bereitstellung der hierfür erforderlichen finanziellen Mittel müssen die Gewerkschaften, Sozialverbände, Umwelt- und Friedensaktivisten und andere soziale Bewegungen aktiv kämpfen. Sie müssen eine entsprechende gesellschaftspolitische Debatte einfordern und ihre Positionen einbringen und dafür ihre Mitglieder mobilisieren. Dies nicht nur im virtuellen, sondern in wieder zunehmendem Maße und mit großer Kreativität und Flexibilität auch in den öffentlichen Räumen. Diese gilt es zurück zu erobern.
Die Gewerkschaften müssten hier eigentlich zum Motor einer sozial-ökologischen Transformationsbewegung werden, wollen sie ihrer gesellschaftspolitischen Rolle gerecht werden.
Falk Prahl, Vorstandsmitglied marxistische linke, aktiv in und mit ver.di
GUE/NGL: Reimagining a post pandemic Europe - Solidarity is the cure |