von Bettina Jürgensen und Leo Mayer
19.09.2017: Das wäre wohl die letzte Chance für eine rot-rot-grüne Regierungskoalition gewesen. Wobei es nicht einfach um eine andere Regierung gegangen wäre, sondern um eine andere Politik und ein anderes Regieren – gedacht als "ein Projekt der gesellschaftlichen Linken und der solidarischen Milieus; als eine politische Idee, die allen drei Parteien von außen aufgedrängt wird und sie dazu nötigt, sich zu ändern und über sich hinauszuwachsen" ("Das Unmögliche versuchen", Institut Solidarische Moderne).
Seit Wochen verfehlt eine Koalition von SPD, Linkspartei und Grünen in Umfragen deutlich eine Regierungsmehrheit. Nach dem Antritt von Martin Schulz hatte die SPD noch um fast zehn Prozentpunkte zugelegt und Rot-Rot-Grün sah nach einer realistischen Möglichkeit aus. Doch der Absturz begann bald, als deutlich wurde, dass die SPD auch mit Schulz an der neoliberalen Politik festhalten würde. Vielleicht hätte die SPD durch einen offensiven Wahlkampf für Rot-Rot-Grün aufholen können, aber weder Schulz noch die SPD-Führung setzten sich überzeugend für diese Alternative ein. Es gibt eben nicht mehr viele überzeugte Linke in der SPD. Inzwischen wirbt die SPD ganz offen für die Fortsetzung der Großen Koalition. Auch die Spitzen der Grünen signalisieren, dass sie eher mit den Christdemokraten regieren würden als mit der Linken. Jetzt reicht es schon rein rechnerisch nicht mehr für Rot-Rot-Grün.
Ganz abgesehen davon, dass die gesellschaftliche Bewegung fehlt, die die drei Parteien hätte dazu bringen können "über sich hinauszuwachsen" und einen anderen politischen Kurs einzuschlagen. Der "dritte Pol", das Lager der Solidarität, krankt an seiner weitgehenden Unsichtbarkeit: Die Zigtausenden, die sich seit Monaten um Geflüchtete kümmern, die sich auf Demonstrationen den Rassisten entgegenstellen, die sich für eine verteilungspolitische Wende einsetzen, sind medial und politisch nicht präsent.
Rot-Rot-Grün als Parteienprojekt gehört der Vergangenheit an. SPD und Grüne wollen sich nicht daran beteiligen, dem "Lager der Solidarität" – also allen, die eine demokratische, soziale und ökologische Lebensweise anstreben –, eine Stimme zu geben. Die Existenzkrise der SPD wird sich vertiefen, für die Grünen wird es immer schwieriger ihre Existenzberechtigung zu begründen. Die Linke insgesamt ist in einem Patt gefangen.
Aber auch wenn Rot-Rot-Grün als Parteienprojekt keine Perspektive hat, so geht es trotzdem um das Zusammenführen von rot-rot-grün als gesellschaftliche Strömungen und Bewegungen, um perspektivisch die gesellschaftliche Basis für eine Linksregierung zu schaffen. Denn ein "weiter so" wird es unabhängig von der künftigen Regierungskonstellation nicht geben. Auch wenn es im Wahlkampf nicht thematisiert wurde: Die Welt ist aus den Fugen, die multiple Krise des globalen Kapitalismus verschärft sich. Sichtbarste Zeichen dafür sind die Kriege und militärischen Spannungen, die aktuellen Wetterkatastrophen in vielen Teilen der Welt oder die globalen Flüchtlingsbewegungen.
Die Herausforderung bleibt, den "dritten Pol" zwischen dem autoritär regierenden Machtblock und einem sich radikalisierenden Rechtspopulismus sichtbar zu machen. Dieser "dritte Pol" oder das "Lager der Solidarität" geht weit über diejenigen hinaus, die sich explizit als "Linke" verstehen. Diese können nur gewonnen werden, wenn die Anerkennung von Unterschiedlichkeit, Pluralität und Horizontalität zum Wesen des Projekts zählen.
Gemeinsamkeiten gibt es genug, Gemeinsamkeiten die sogar gesellschaftlich mehrheitsfähig sind. Das heißt auch, die Linke darf sich nicht einigeln, sondern wir müssen lernen, zu verbinden und die Mehrheitsfrage zu stellen.
Dazu braucht es eine organisierte Arbeit an einem gemeinsamen Programm und Projekt. Die marxistische linke wird sich auch künftig aktiv an diesem Prozess beteiligen, denn sie hat sich in ihrer Satzung das Ziel gesetzt "gesellschaftliche Kräfte weit über die Linke hinaus im Widerstand gegen die neoliberale Politik zu bündeln und den Aufbau eines festen gesellschaftlichen und politischen Blockes gegen den Neoliberalismus zu befördern".
Wir wählen übrigens am Sonntag DIE LINKE, denn Die LINKE ist unverzichtbarer Teil eines solchen Vorhabens. Und hilfreich dabei ist, wenn die linke Opposition im Bundestag möglichst stark wird.
Bettina Jürgensen und Leo Mayer, Vorstandsmitglieder marxistische linke