Wie lässt sich Antisemitismus von einer Kritik an der israelischen Regierung unterscheiden?
Mittwoch, 26.10.2022, 19:00 Uhr
Hansa Haus, Brienner Straße 39, München
Im Sommer 2016 beschloss die aus 35 Ländern bestehende International Holocaust Remembrance Alliance (IHRA) die sogenannte "Arbeitsdefinition Antisemitismus".[1]
Der deutsche Bundestag stützte sich bei seiner Verurteilung der gegen die israelische Besatzungspolitik gerichteten BDS-Kampagne (Boykott, Desinvestitionen und Sanktionen) auf diese "Arbeitsdefinition Antisemitismus".[2] Auch der Münchner Stadtrat zog die "Arbeitsdefinition" und den Beschluss des Bundestages heran, um das Verbot von Veranstaltungen zum Thema BDS-Kampagne in städtischen Räumen zu begründen. Dieses Verbot wurde inzwischen vom Bundesverwaltungsgericht als verfassungswidrig zurückgewiesen.[3]
In Israel werden Menschenrechtsorganisationen wie B'Tselem auf der Basis der "Arbeitsdefinition" als antisemitisch gebrandmarkt, weil sie den Begriff "Apartheidregime" für Israel verwenden.
Nachdem diese "Arbeitsdefinition" zu politisch motivierter Anwendung führte, gab medico international gemeinsam mit der Rosa Luxemburg Stiftung ein Gutachten zur umstrittenen IHRA-Definition in Auftrag. Dieses Gutachten bemängelt, dass "die 'Arbeitsdefinition' eine widersprüchliche und fehleranfällige Anwendungspraxis" begünstigt und ein "Einfallstor für ihre politische Instrumentalisierung" ist, "etwa um gegnerische Positionen im Nahostkonflikt durch den Vorwurf des Antisemitismus moralisch zu diskreditieren."[4]
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Mit der "Jerusalemer Erklärung zum Antisemitismus" (JDA) reagierten etwa 20 Akademiker:innen und rund 200 Unterzeichner:innen auf die IHRA-Definition. [5] Sie werfen der IHRA-Definition vor, den Unterschied zwischen antisemitischer Rede und legitimer Kritik an Israel und am Zionismus zu verwischen und so den Kampf gegen Antisemitismus zu erschweren. Einer der Autoren, Amos Goldberg, Professor für Jüdische Geschichte an der Hebräischen Universität in Jerusalem, sagt über die IHRA-Arbeitsdefinition: "Sie ist zu einem Werkzeug geworden, um jegliche Form von wesentlicher Kritik an israelischer Politik mundtot zu machen und das Recht auf freie Meinungsäußerung einzuschränken."
Bei der von medico international mit örtlichen Partner:innen organisierten Podiumsdiskussion geht es auch um die Frage, wie sich Antisemitismus von einer Kritik an der israelischen Regierung unterscheiden lässt.
Mit:
Prof. Dr. Aleida Assmann | JDA (Mitglied der Steuerungsgruppe der JDA)
Prof. Dr. Micha Brumlik | JDA (Unterzeichner der JDA)
Dr. Claudia Globisch | IHRA (Antisemitismus von links und rechts in Deutschland)
Sebastian Roloff MdB | IHRA (SPD, Bundestagsabgeordneter München)
Moderation: Dr. Peter Lintl, Stiftung Wissenschaft und Politik, Berlin
Infos zur Veranstaltung auf der Internetseite von medico international: https://www.medico.de/termin/2022-10-26/jerusalemer-erklaerung-zum-antisemitismus-536
Anmerkungen
[1] https://www.holocaustremembrance.com/de/resources/working-definitions-charters/arbeitsdefinition-von-antisemitismus
[2] kommunisten.de, 20.05.2019: "BDS-Beschluss unterstützt die rechteste Regierung in der Geschichte Israels"
https://kommunisten.de/rubriken/deutschland-100/7562-bds-beschluss-unterstuetzt-die-rechteste-regierung-in-der-geschichte-israels
[3] kommunisten.de, 11.2.2022: "Anti-BDS-Beschluss der Stadt München verfassungswidrig"
https://kommunisten.de/regional/muenchensuedbayern/8435-anti-bds-beschluss-der-stadt-muenchen-verfassungswidrig
[4] https://www.medico.de/zur-definition-von-antisemitismus-17556
[5] https://jerusalemdeclaration.org/wp-content/uploads/2021/03/JDA-deutsch-final.ok_.pdf