Wirtschaft

Hafenarbeiterstreik2022 205.07.2022: Streiks der Arbeiter*innen in deutschen Häfen ++ Lieferketten kommen zusätzlich ins Stocken ++ BDA-Präsident Dulger: "nationalen Notstand", der auch Streikrecht breche ++ ver.di Vorsitzender Werneke: Dulger träumt von "autoritärem Staat, der Arbeitnehmerrechte niederknüppelt" ++ Internationale Solidarität mit den streikenden Hafenarbeiter*innen

 

Seit Jahrzehnten hat es, außer Warnstreiks, keine Streiks der Beschäftigten in der deutschen Seeschifffahrt mehr gegeben. Wenn sie durchgeführt wurden, hatten sie ihre Wirkung jedoch nicht verfehlt. Je stärker der internationale Handel durch die Schifffahrt gefördert wird, desto größere Bedeutung kommt den Beschäftigten in den Häfen zu. Hier werden die Schiffe be- und entladen, von den Häfen gehen die Waren aller Art ins Innere der Länder – in die Produktionsstätten mit dem Material zur Weiterverarbeitung, Handelsunternehmen mit Gütern des täglichen Bedarfs, in die Läden mit Lebensmitteln, zu den Menschen.

Ohne Hafenarbeit keine funktionierenden Lieferketten

Container PurpleLorikeetSeit dem Beginn der Corona-Pandemie 2020 wird verstärkt über die Probleme der globalen Lieferketten berichtet. Von den Maßnahmen gegen die Pandemie, die in den Ländern weder gleichzeitig, noch in gleicher Weise durchgeführt werden, ist auch der Lieferverkehr mit Waren aus aller Welt betroffen. Hier fehlt eine Schraube oder ein Halbleiterchip, dort ein Ersatzteil, Möbel oder Bekleidung, woanders Nahrungsmittel aus Übersee. Nicht nur der Luft-, Schienen- und LKW-Transport ist beeinträchtigt. Gerade in den letzten Monaten sind es zunehmend die Containerschiffe, die auf den Meeren darauf warten in den großen Seehäfen ent- und beladen zu werden. Vor den großen Häfen an der Westküste der USA und vor Chinas gibt es eine ähnliche Situation wie in Europa. Stau auf dem offenen Meer. Doch auch die durch Klimaveränderungen entstehenden Unwetter sind nicht folgenlos. Durch Kriege und nun besonders den Krieg in der Ukraine wird dies zusätzlich beeinflusst. Es stellt sich eine andere Frage, die hier nicht beantwortet wird: wie funktioniert eigentlich die Lieferkette mit Waffen?

Seit dem ersten Coronajahr nimmt die Rolle der Beschäftigten in den Häfen und deren Bedeutung für die Versorgung zu, der dafür geprägte Begriff heißt "systemrelevant". Bei diesen aktuellen Problemen der Handelsschifffahrt und Lieferketten wird die Be- und Entladung in den Häfen verzögert, gibt es keine Waren, die den Gewinn der Seefahrt und Häfen sichern, aber auch den der Konzerne, die weltweit produzieren lassen, die Waren rund um den Erdball schicken und immer dort ein- und verkaufen, wo es den höchsten Profit gibt.

Tarifverhandlungen stocken

"Das von den Arbeitgebern bislang vorgelegte Angebot ist völlig unzureichend."
ver.di-Verhandlungsführerin Maya Schwiegershausen-Güth

Seit Anfang Juni stehen Tarifverhandlungen für die Seehäfen in Niedersachsen, Bremen und Hamburg an. Die Gewerkschaft ver.di fordert eine eine Erhöhung von 1,20 Euro pro Stunde sowie einen tatsächlichen Inflationsausgleich. Zusätzlich soll die Tarifkommission eine Erhöhung der jährlichen Zulage für Vollcontainerbetriebe um 1.200 Euro, mit einer Laufzeit des Tarifvertrags von 12 Monaten, durchsetzen. Bereits die Forderung für die Erhöhung eines Festbetrags pro Stunde lässt aufhorchen – denn diese bringt eine höhere prozentuale Steigerung der unteren Lohngruppen und wirkt dem weiteren Öffnen der Schere zwischen den Entgeltgruppen entgegen.

Nach den ersten Verhandlungen mit dem Zentralverband der deutschen Seehafenbetriebe (ZDS) musste die ver.di-Verhandlungsführerin Maya Schwiegershausen-Güth erklären: "Das von den Arbeitgebern bislang vorgelegte Angebot ist völlig unzureichend. Als Teil der kritischen Infrastruktur haben die Beschäftigten in den letzten Jahren durchgehend gearbeitet, sind an Belastungsgrenzen gegangen und haben als Keyworker der Lieferketten mit ihrer Hände Arbeit den Laden am Laufen gehalten. Sie haben Anerkennung und ihren gerechten Anteil verdient."

Grund genug war dies, um am 9. Juni mehrere tausend Beschäftigte aus den 58 tarifgebundenen Seehafenbetrieben zu Warnstreiks aufzurufen.

Statt Einlenken und guten Angeboten gab es von der Verhandlungsführung des Zentralverbands der deutschen Seehafenbetriebe, Ulrike Riedl, eine schriftliche Stellungnahme, in der betont wurde: "Wir befinden uns mitten in einer absoluten Ausnahmesituation" um dann auf die gestörten weltweiten Lieferketten mit verspäteten Schiffen, Engpässe im Güterverkehr der Bahn und schließlich auf die zusätzlichen Lagerkosten hinzuweisen. Riedl nannte den Aufruf zu Warnstreiks "absolut verantwortungslos".

Warnstreiks bringen Lieferketten zusätzlich ins Stocken

ContainerNicht sehr überraschend schloss sich das Kieler Institut für Welthandel (IfW) dieser Sicht an und warnte vor den Auswirkungen eines Hafenstreiks. Der Leiter von Kiel Trade Indicator, Vincent Stamer, schreibt im Juni: "Der internationale Handel leidet wieder stärker unter den Staus und Verzögerungen der Containerschifffahrt, die nun auch die Nordsee erreicht haben."

Das Kieler IfW sieht bereits zu Beginn der Streiks knapp zwei Prozent der globalen Frachtkapazität in den Staus auf den Meeren festsitzen. Allein etwa 150.000 Standardcontainer können nicht wie geplant in Hamburg oder Bremerhaven verladen werden.

Für die Seehafenbetriebe und auch den von ihnen belieferten Konzernen sind diese Warnstreiks eine weitere Unterbrechung der Lieferkette, also ihres Handels und somit Unterbrechung der Profitmaximierung.

Ein Beispiel ist die Hamburger Hafen und Logistik AG. Die HHLA gehört mit drei Containerterminals zu den BigPlayern bei der Abwicklung des Im- und Export in Deutschland. Sie sehen den Stau der Containerschiffe in der Nordsee und das diese die Häfen nicht anlaufen können, weil es keine Liegeplätze für Schiffe mehr gibt. Sie sehen auch die Container, die sich in den Häfen bereits stapeln und wegen fehlender räumlicher und personeller Kapazitäten weder be- noch entladen werden können. Die durch monatelange nicht bzw. in wesentlich geringerem Umfang durchgeführte Schiffsabfertigung ist der Corona-Pandemie und jetzt auch dem Krieg geschuldet. Die Streiks führen, aus Sicht der Häfen, zu einer weiteren Verschärfung.

Hafenarbeiterstreik2022 3Doch statt den weiteren Streikaktionen der kampfbereiten Gewerkschafter*innen mit der Annahme ihrer Forderungen zu begegnen, hat die ZDS zunächst nur 3,2% in diesem Jahr und 2,8% in 2023, sowie Einmalzahlungen von 600 Euro angeboten.

Das war den Hafenarbeiter*innen zu wenig - am 23./24. Juni beteiligten sich rund 8.000 der insgesamt 12.000 Beschäftigten erneut an einem 24-stündigen Warnstreik zur Durchsetzung ihrer Forderungen!

Angriff auf das Streikrecht

Vielleicht brauche man einen "nationalen Notstand", der auch Streikrecht breche.
Rainer Dulger, Präsident der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA)

Zu allem Überfluss mischte sich nun der Arbeitgeberpräsident Rainer Dulger in diesen Tarifkampf ein. Laut Handelsblatt [1] kritisierte Dulger die Warnstreiks der Gewerkschaft in den Seehäfen in einer Zeit, in der die Unternehmen dringend Materialien brauchten. Dies habe ihm sehr missfallen, wird er wiedergegeben. Und auch: Vielleicht brauche man einen "nationalen Notstand", der auch Streikrecht breche.

Zwei Tage nach der letzten ergebnislosen Tarifverhandlung fügte Dulger am 29.6. vor Journalist*innen in Berlin hinzu: "Die fetten Jahre sind jetzt erst mal vorbei", Deutschland sei viele Jahre durch eine "Wohlstands- und Wohlfühloase" getaumelt. "Aber damit ist jetzt Schluss. (…) Wir müssen jetzt gemeinsam immer häufiger darüber reden: Was tun wir, dass unsere Wirtschaft weiter am Laufen bleibt?" Deutschland sei nur stark, wenn die Wirtschaft stark sei – meint Dulger.

Offenbar träume Dulger davon, "dass es einen autoritären Staat gibt, der Arbeitnehmerrechte niederknüppelt".
Frank Werneke, ver.di-Vorsitzender

"Das ist Ausdruck einer antidemokratischen Geisteshaltung" erklärte dazu umgehend der ver.di-Vorsitzende Frank Werneke und sprach von einer "sehr, sehr bedenklichen Formulierung" Dulgers. Offenbar träume Dulger davon, "dass es einen autoritären Staat gibt, der Arbeitnehmerrechte niederknüppelt". Zu den Hafenarbeiter*innen sagte Werneke: "Der Sinn von Streiks ist es ja, wirtschaftlich Druck zu machen, damit die Forderung von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern, von Gewerkschaften überhaupt eine Chance auf Realisierung zu haben. (...) Wegen unserer schönen blauen Augen haben wir am Verhandlungstisch noch nie etwas bekommen, sondern nur, wenn wir durchsetzungs- und im Zweifelsfall auch konfliktfähig sind."

Internationale Solidarität mit den streikenden Hafenarbeiter*innen

Solidarität bekommen die deutschen Hafenarbeiter*innen von dem internationalen Zusammenschluss der in den Häfen der Welt Beschäftigten. Die ITF-Dockers solidarisieren sich mit den Hafenstreiks in Deutschland für einen Inflationsausgleich: "Die Hafenarbeiter:innen bewegen die Welt – wir machen keine Rückschritte" schreiben sie am 3. Juli 2022 in ihrer Pressemitteilung. "...Diese Woche versammelten sich Gewerkschaftsführer:innen in London, um ihre Solidarität mit den deutschen Hafenarbeiter:innen nach den jüngsten Streiks zu bekunden." [2]

"Die Hafenarbeiter:innen bewegen die Welt – wir machen keine Rückschritte. Wir stehen an der Seite unserer ver.di-Schwestern und -Brüder."
International Transport Workers’ Federation (ITF)

Der stellvertretende Vorsitzende der TF-Sektion Häfen, Niek Stam, erklärte, "dass die ITF und die ETF-Hafenarbeiter:innengewerkschaften, die mehr als 500.000 Beschäftigte vertreten, ver.di in ihrem Streben nach einem inflationsgeschützten Lohnabschluss geschlossen unterstützen."

Hafenarbeiterstreik2022 1

Stam, der auch Vorsitzender der niederländischen Hafenarbeitergewerkschaft FNV Havens ist, sagte, dass automatische Inflationsausgleichsmechanismen seit Jahrzehnten in wettbewerbsfähigen Hafentarifverträgen wie denen in Rotterdam und Antwerpen existierten. "Die Schifffahrts-, Hafen- und Gasunternehmen machen Rekordgewinne und treiben die Preise für alle anderen in die Höhe. Sie sind diejenigen, die einen Großteil dieser Inflation verursachen, nicht die Arbeiter:innen. Warum also sollten die Arbeiter:innen dafür bestraft werden?" fragte er.

Angesichts dieser Solidarität muss sich der Zentralverband der deutschen Seehafenbetriebe (ZDS) endlich bewegen. Ein Anstieg der Stundenlöhne, allerdings bei einer Tariflaufzeit von 18 Monaten, wird bereits seit der letzten Verhandlung am 27.6. gesehen, ebenfalls eine erhöhte Zulage. Den Inflationsausgleich möchte die ZDS jedoch nicht in der geforderten Höhe zahlen, sondern für Vollcontainer-Betriebe wird eine einmalige Zahlung von 1.000 Euro und in konventionellen Betrieben von 500 Euro angeboten.

Die Gewerkschaft ver.di bleibt bei der Forderung nach einem höheren Ausgleich von 1.200 Euro für die Inflation.

Ob die nächste und sechste Tarifrunde einen Abschluss bringt, hängt von der Zustimmung der ZDS zu den Forderungen der ver.di ab.

Stattfinden wird die Verhandlungsrunde erst nach dem Gespräch der "Konzertierten Aktion" von Gewerkschaften, Arbeitgeber und Experten, zu dem Olaf Scholz ins Kanzleramt geladen hat. Das hier keine Tarifgespräche geführt werden, sollte allein schon wegen der Tarifautonomie klar sein. Auch der Arbeitgeberpräsident Dulger hat sich im Vorfeld so geäußert, andererseits aber bereits im Vorfeld Punkte genannt, über die er reden möchte. Dazu gehört für Dulger auch die Stabilisierung der Lieferketten.

Man darf also gespannt sein, ob es bei einer Nichteinmischung in Tarifverhandlungen bleibt.

Der Tarifkampf der Beschäftigten in den Seehäfen wird hoffentlich mit einem Ergebnis für ihre Forderungen beendet. Die ITF-Dockers enden ihre Solidaritätserklärung: "Die Hafenarbeiter:innen bewegen die Welt – wir machen keine Rückschritte. Wir stehen an der Seite unserer ver.di-Schwestern und -Brüder." Dem ist nichts hinzuzufügen!

txt: Bettina Jürgensen

 

Anmerkungen:

[1] Handelsbaltt, 30.6.2022: "Arbeitgeberpräsident sieht schwierige Zeiten - Kritik an Verdi-Streik"
https://www.handelsblatt.com/dpa/wirtschaft-arbeitgeberpraesident-sieht-schwierige-zeiten-kritik-an-verdi-streik/28468502.html

[2] International Transport Workers’ Federation (ITF), 3.7.2022: German dock workers gain international backing over inflation protection strikes
https://www.itfglobal.org/en/news/german-dock-workers-gain-international-backing-over-inflation-protection-strikes

Farkha2023 21 Buehnentranspi

Farkha-Festival 2024 abgesagt.
Wegen Völkermord in Gaza und Staatsterror und Siedlergewalt im Westjordanland.
hier geht es weiter zum Text


 

 

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